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Wage es nur!

Man muss ja nicht immer gleich das Schlimmste annehmen. Doch wenn die eigene kleine Welt ins Wanken gerät – und sei es nur im eigenen kleinen Hirn – muss man vorsichtshalber schon mal die Messer wetzen.

So sieht es zumindest Beth Cassidy. Sie ist die Top-Cheerleader an der Sutton Grove High. Auf der Pyramide aus eingefrorenem Lächeln, bunten glitzernden Pailletten und befreiendem Whooo-Rufen steht sie ganz oben. In jeder Hinsicht. Beth sagt, alle (!) Anderen kuschen. Besonders Addy, Addy Faddy. Sie ist Beth fast schon verfallen. Sie gibt ihr Halt – beim Cheerleading ist es umgekehrt…

Eine Tages steht Colette French auf der Matte. Die neue Trainerin der Cheerleader. Trillerpfeife und – das sieht man schon, das sehen alle – eine ausgebuffte Ex-Cheeleaderin. Und sie ist streng. Strenger als ihre Vorgängerin, die nun ihre Rolle als fürsorgliche Mutter ihrer Teenager-Tochter mit Mutterrolle wahrnimmt. Es geht richtig zur Sache. Militärischer Drill ist angesagt. Trödeleien gibt es nicht mehr. Und siehe da: Das Team wird besser, stärker, selbstbewusster. Nur Beth ist irgendwie so gar nicht begeistert von der Neuen. Beths Hauptrolle als unbestrittene number one wackelt gehörig.

Und dabei ist Colette French eigentlich gar nicht das alles fressende Monster. Sie ist professionell und liebenswert. Wer ihr die Harke vor die Füße wirft, dem tut sie nicht den Gefallen drauf zu treten und sich das Gesicht zu ruinieren. Doch Beth sieht das anders. Ganz anders. Sie muss was tun. Sie wird was tun.

Bis es soweit ist, wirft Autorin Megan Abbott ist ihr ganzes Können ihr die Waagschale, um dem Leser auf rund dreihundert Seiten die ganze Kunst der schleierhaften Spannung durch die Adern rauschen zu lassen. Man weiß, dass etwas passiert. Sogar was passiert ist klar – steht ja schließlich auf den ersten beiden Seiten. Wie es dazu kam, und was dieses ETWAS nun genau ist, das baut sich Kapitel für Kapitel, Seite für Seite, Absatz für Absatz langsam auf.

Der Ort ist so typisch Highschool-Amerika, dass es fast schon weh tut. Chocolate-Chip-Cookies, Wodka, Einkaufen am Honeycutt Drive, lässig über die Schulter hängende Collegejacken, Schmollmund – eine Setting wie in einem Teenagerfilm, der am Sonntagnachmittag die Sonne da draußen vergessen lässt. Doch hier brodelt es gewaltig im Kessel der Eitelkeiten. Das Blut spritzt erstmal nur als Galle, die die Zunge tröpfchenweise verlässt. Der bittere Geschmack bleibt jedoch haften. Und irgendwann … es bedarf nur eines kleinen Funken … wage es bloß nicht! Allein schon der Gedanke an Megan Abbotts nächsten Streich lässt die Hände zittern, die diesen noir in den Händen halten. By the way: Männer sind hier nur Staffage.

Ein Haus, ein Stuhl, ein Auto

Erst der Bauch, dann die Moral. So hat es Brecht formuliert. Ihm selbst waren ein behagliches Dach überm Kopf, ein bequemer Stuhl und ein rasanter fahrbarer Untersatz nicht unwichtig. Er wusste sein Geld gut anzulegen, in Immobilien. Da kam wohl der Schwabe in ihm durch…

Ursula Muscheler geht seinem Drang nach Gemütlichkeit, Behaglichkeit und Bequemlichkeit (im physischen Sinne) auf den Grund. Schon in Kindertagen konnte er sich in der elterlichen Wohnung austoben. Die Wohnung war groß genug. Als erfolgreicher Autor im Berlin der 20er Jahre schuf Helene Weigel in der Babelsberger Straße ein Heim zum Wohlfühlen, sein Atelier in der Spichernstraße war ein gemütlicher Ort der Kreativität.

„Ein Haus, ein Stuhl, ein Auto“ lässt Stationen Brechts noch einmal aufblitzen, dieses Mal aber mit dem Sucher der Architektur. Bertolt Brecht ließ sich gern von Designern beraten und sie ihm seine Behausung einrichten. Mogens Voltelen, dänischer Designer, schuf den einen Typ Stuhl, der Brecht lange Zeit begleitete. Heute ist er in der Berliner Chausseestraße 125, dem Brecht-Haus zu bestaunen.

Stil hatte er, der große Dichter, der dem Arbeiter ein Theater gab, und deren Nähe er nun wirklich nicht gerade suchte. Er war Künstler und als solcher wollte er auch alle Annehmlichkeiten genießen. Im Buch reist man mit Brecht noch einmal um die Welt. Während Brecht reisen bzw. fliehen musste, hat der Leser die Chance ganz freiwillig um den Erdball zu kreisen.

Es ist erstaunlich wie oft schon über den Einrichtungsstil Brechts berichtet wurde. Und warum so wenig bisher darüber geschrieben wurde.

Ursula Muscheler macht einen Rundgang durch die Wohnungen, Ateliers und Häuser Bertolt Brechts. Von Augsburg über Berlin, von Südfrankreich ins sonnige Kalifornien und wieder zurück nach Berlin und Skandinavien. Fast so rasant wie der Dichter selbst.

Ein Autonarr war er nicht. Aber wenn er Auto fuhr, dann sportlich. Manchmal übers Ziel hinausschießend. Und er wusste wie er sich ein Auto verdiente. Nur ein paar Zeilen, den Auto-Song, blanke Werbung und schon stand ein Steyr-Cabriolet XII, sein Traumwagen vor der Tür. Nichts Übertriebenes, aber ausreichend, um damit einen Unfall zu bauen, die Knautschzone ein weiteres mal herauszuheben und im Gegenzug ein XX-Modell zu bekommen. Der machte schon mehr her.

Es geht in diesem Buch nun aber nicht darum wie Bertolt Brecht sich seinen Lebensstil ergatterte. Man erhält einen derart umfassenden Einblick in die Lebenswelt eines der erfolgreichsten deutschen Dichter überhaupt. Und mal ehrlich: Der Blick durchs Schlüsselloch ist immer noch der Beste.

Primat des Überlebens

Jake Bishop hat die dunklen Zeiten und Seiten hinter sich gelassen. Den Knast will und wird er niemals wieder von innen sehen. Das hat er sich und seiner Frau Paris geschworen. Ein Friseursalon soll mehr als nur der materielle Beweis für seine Wandlung sein. Der american dream wird aber durch das Auftauchen seines einstigen Zellengenossen Walker auf den schmalen Grat der Vernunft geführt. Ein letztes Ding – das sei er ihm schuldig. Ein Juwelenraub soll es werden. Ein Desaster droht es zu werden. Denn im Hintergrund lauern weitaus größere Gefahren als Jake Bishop es sich hätte vorstellen können. So sieht der perfekte Plot eines perfekten Noir-Romans aus. Und Les Edgerton ist der ideale Schreibzeuge dieser story. Denn auch er saß zwei Jahre in Pendleton Reformatory ein. Er entkam den Versuchungen danach. Und er weiß welche Fallstricke „da draußen“ auf die stigmatisierten Ex-Knackis warten können…

Jake lässt sich breitschlagen und trifft sich mit Walker. Ein Treffen zweier Freunde nach vier Jahre der Stille ist es nicht gerade. In einer Bar entspinnt sich ein Gespräch, das von Entschlossenheit und Vorsicht geprägt ist. Jake ist fest entschlossen sich nicht von Walker einlullen zu lassen. Er vermutet richtig, dass sein Gegenüber ihn in etwas hineinziehen will, das ihm – Jake – ein für allemal aus dem Verkehr ziehen würde. Und Walker ist fest entschlossen nur die Karten aufzudecken, die er auch wirklich zeigen will. Die Wortwahl lässt keine Zweifel über. Hunderttausend für Jake, hunderttausend für Walker. Keine Alarmanlage. Alles ganz easy! Doch Jake bleibt hart. Bis … ja, bis Walker den Joker zückt, das Totschlagargument bringt.

Dass von nun an nichts mehr so ist wie es mal war, wie es sein soll, wie Jake sich seine Zukunft vorgestellt hat, ist sonnenklar. Der Weg ist das Ziel, besagt ein asiatisches Sprichwort. Doch dieser Weg ist so steinig und voller Fallen, dass sich Jake bald im falschen Film wähnt. Nichts ist mehr wie es einmal war. Außer vor vielen Jahren. Und da wanderte Jake zum ersten, später zum zweiten Mal ein. Das dritte Mal wäre dann das dritte und letzte Mal. Die Zukunft mit Paris und dem Friseursalon würde wie eine Seifenblase zerplatzen. Die knackigen Frotzeleien in der Bar sind nicht mehr nur blasse Erinnerungen an den Beginn der Wende im Jakes Leben. Sie sind reale Angstgebilde, die wie ein Presslufthammer an den Grundfesten von Jakes Leben knabbern wie ein Aasgeier am toten Leib eines erlegten Tiers. Es gibt immer einen Ausweg – so hat Jake es sich immer eingeredet. Doch dieses Mal scheinen die Zeichen die Umrisse von Pendleton ganz klar nachzuzeichnen. Der einfache Weg ist oft der Einfachste…

Der Malteser Falke

Es wäre ein Frevel all die wunderbaren Worte, die jemals zu diesem Klassiker geschrieben wurden, noch einen Satz (zum Inhalt) hinzuzufügen. „Der Malteser Falke“ ist nun mal das Nonplusultra der Kriminalliteratur. Sam Spade ist das, was man bis in die heutige Zeit (der Roman wurde 1930 geschrieben, feiert also bald sein Centennial) als Urtyp des Schnüfflers bezeichnet. Wenn er Nerven zeigt, dann niemals nach außen hin. Und wenn er es doch einmal tut, dann immer (!) aus Berechnung. Er lässt sich täuschen, Frauen lassen ihm manchmal keine andere Wahl, doch wenn er sie durchschaut, dann hat das Schätzchen ein für allemal ihre Trümpfe ausgespielt.

Lockt man ihn auf eine falsche Fährte, streift er den Schlamm der falschen Spur großzügig und rotznäsig am feinsten Teppich des Täuschers ab. Großmaul und coole Socke mit blitzgescheitem Verstand. So wollen alle sein, so ist es aber nur einer. Und gerade der ist nicht einmal echt. Sein geistiger Vater Dashiell Hammett war selbst Detektiv, Privatermittler, Schnüffler bei Pinkerton. Acht Jahre lang. Die Lehrjahre waren so fruchtbar, dass seine zweite Karriere als Schriftsteller seinen Namen bis heute erschallen lässt. Leider war sein politisches Engagement und die damit verbundene Hetze und Zensur der McCarthy-Ära auch sein Todesurteil.

„Der Malteser Falke“ – eine Skulptur, die mehr verbirgt als sie preisgibt, eine Fälschung, Lug und Trug, Lügen über Lügen, Mord und Verrat – ist das prallste Krimipaket, das man erwerben kann. So echt kann das wahre Leben gar nicht sein. Hat man erst einmal kapiert, das eine Wendung im Roman lediglich eine Wendung ist, kommt man so richtig in Fahrt beim Lesen. Das Blondchen und der gerissene Hehler, der Auftraggeber und die ahnungslosen Cops spielen mit Spade Tennis, dass ihm die Schädeldecke platzt. Doch es ist der Ball, der die Punkte liefert! Sam Spade ist, nachdem sein Compagnon das Zeitliche segnen musste, zum Einzelkämpfer geworden. Das war er vielleicht schon immer. Doch die aktuelle Situation fordert den ganzen Spade. Gesetzestreue – pah! Sch… drauf! Die eigene Haut muss gerettet, um nicht zu Grabe getragen zu werden. Wer „Der Malteser Falke“ nur mit Humphrey Bogart in Verbindung bringt, dem sei geraten mehr als nur ein paar Seiten in diesem Buch umzublättern. Denn hier ist der wahre Sam Spade zu Hause, auch wenn Bogey der einzige wahre Schauspieler war, der ihn verkörpern konnte. Womit wir auch schon beim baldigen Jubiläum wären. Nur noch ein paar Jahre bis dieser Klassiker die Hunderter-Marke überspringt. Und garantiert lagert in irgendeiner Schublade schon die nächste „revolutionäre“ (gegenderte, political correcte) Neufassung. No, Neuübersetzung – wie in diesem Fall – gern und immer wieder, bitte. Aber um Hammets Willen bitte keine Neuverfilmung!

Rote Erde

Die Geister, die ich rief … die wurde Elihu Willsson nicht mehr los. Ihm gehört Personville, was man auch gern Poisonville nennt. Warum, das wird der Privatdetektiv ohne Namen schon noch erfahren. Er erfährt es kurz nachdem der Termin mit Donald Willsson, der Sohn von Elihu Willsson, den kurz zuvor noch einmal bestätigten Termin platzen ließ. Zur Ehrenrettung des potentiellen Auftraggebers – Donald Willsson – muss man aber sagen, dass er eine verdammt gute Entschuldigung hat. Er ist tot! Erschossen!

Nun schlendert der Ich-Erzähler und Privatdetektiv zusammen mit Bill Quint, Gewerkschafter der alten Schule, durch den Ort – Personville – der den Willssons gehört. Ihnen gehört die Mine, die Zeitungen, einige Politiker … einfach alles. Der Traum eines skrupellosen Geschäftsmannes. Vor Jahren kam es – und hier kommt man dem Ursprung nach der schleichenden Umbenennung des Ortes in Poisonville auf die Spur – zu Aufruhr unter den Arbeitern. Sie wollten sich nicht mehr alles gefallen lassen. Ein harter Arbeitskampf war die Folge, aus dem die Arbeiter als Sieger hervorgingen.

Jahre später wendete sich das Blatt. Willsson senior ließ seine Muskeln spielen. Die Fabrik wurde geschlossen, die Zugeständnisse wurden zurückgenommen. Es drohte ein Streik. Es kam zum Streik. Monatelang. Dann wurde es dem harten Hund zu viel. Er schickte Streikbrecher, sogar die Armee rückte an. Was letztendlich half, waren bezahlte Schläger. Die brachten wieder „Ordnung und Ruhe“ in das trostlose Personville. Doch die Banden blieben. Sie hatten für Ordnung gesorgt, also gehört ihnen jetzt die Stadt – so ihre verquere Logik. Und seitdem ist Personville nicht nur äußerlich keine Schönheit, sondern auch im Inneren ein Paradebeispiel für Verkommenheit erster Kajüte. Wohl deswegen wollte Donald Willsson wohl mit dem Schnüffler aus dem fernen San Francisco reden. Ist nur eine Vermutung.

Allein das Setting dieses Klassikers, die schnörkellose Sprache, das bedrohliche Fortführen dieses Ansatzes lassen dem Leser keine andere Wahl als sich in den Seiten des Buches einzuigeln. Ja, es ist kein Blümchenpflücken, und ein happy end ohne Blessuren scheint es wohl auch nicht zu geben. Dieser namenlose Ermittler jedoch ist mit allen Wassern gewaschen, die wiederum werden die Schuld, die er noch auf sich laden wird nicht hinfortschwemmen können. Es wird hart, fies, selbstgerecht, blutig … bis die Erde rotgetränkt ist.

Der dünne Mann

Als Leser hätte man es eigentlich wissen müssen: Kaum fünf Kapitel gelesen und schon steckt man im tiefsten Leseschlamassel. Nichts mit sich langsam in die Geschichte einführen lassen, die Figuren kennenlernen. Wie Pistolenschüsse wird man niedergestreckt und ist unversehens ein Teil der Geschichte.

Nick Charles war mal Privatdetektiv, in New York. Bis 1927. Dann heiratete er Nora, die dank einer Erbschaft die wahre Bedeutung von Arbeit nicht kennen muss. Und Nick genießt das Leben mit ihr, neckt sie, dass er sie nur geheiratet habe, um mit ihr das Erbe durchzubringen. An ihrer beiden Seite ist Asta, das Schoßhündchen, das nur allzu gern sein Herrchen in den Bauch boxt.

Zwischen Drinks und … eigentlich nichts, also zwischen mehreren Drinks holt Nick Charles die Vergangenheit ein. Zuerst macht er die Bekanntschaft von Dorothy, die ihm sagt, dass er sie kenne. Ihr Vater Clyde war mal Klient von Nick, damals er noch Detektiv war. Sie wolle ihren Vater wieder sehen. Seit ihre Mutter wieder geheiratet hat, darf sie Clyde Miller Wynant nicht mehr sehen. Ist wohl auch besser so. Denn Clyde ist ein verschrobener Kerl. Kurze Zeit später meldet sich auch Herbert Macaulay bei Nick. Er ist der Anwalt von Clyde Wynant. Auch er suche nach Clyde, der zu einem wichtigen Termin nicht auftauchte. Und am Tag darauf ist Julia Wolf tot. Sie war die Sekretärin von Clyde Wynant, und sicher noch ein bisschen mehr. Wie gesagt, fünf Kapitel, nicht einmal dreißig Seiten und schon steckt man in einem Fall, von dem man jetzt schon weiß, das niemals alles so sein wird, wie es scheint. Schon gar nicht als Dorothy tränenüberströmt auftaucht und Nick eine Pistole übergibt. Die habe sie in einer Bar gegen ihr Diamantarmband getauscht. Das, was sie am Handgelenk trägt, fragt Nick Charles lakonisch…

Es beginnt die Suche nach Clyde Wynant. Ja, er ist ein Typ, mit dem man ungern Probleme teilt. Und seine Ex erst. Mimi. Die führt immer was im Schilde, glaubt man Herbert Macaulay. Aber der muss das ja sagen, ist schließlich der Anwalt von Clyde Wynant. Und dann ist da noch die Sache von damals, als der Erfinder Clyde Wynant des Diebstahls bezichtigt wurde. Und die Sache mit Mimis Neuem. Der macht sich wohl an Dorothy ran. Deswegen die Knarre.

Nick Charles wollte eigentlich nur Weihnacht in New York verbringen, zusammen mit Frau und Hund, ein bisschen Christmas shopping. Ein paar Drinks (zu viel), entspannt im Hotel herumliegen, essen, trinken, shopping. Dashiell Hammett lässt ihn gewähren, doch gibt ihm gleichzeitig noch jede Menge Denksport mit auf den verkaterten Weg. Ein Klassiker, ein Wegbereiter des noir. Der Wortwitz und die Rasanz lassen die Zeit wie im Flug vergehen.

Amerigone

Zimmer 1503 des Hilton in New York. Hier wartet der Manager Parker Saturn auf Iwan Rubleski vom Westküstenbüro seiner Firma. Er kennt ihn nicht, hat nie von ihm gehört. Was auch nicht verwunderlich ist. Namen kommen und gehen. Sie sind alle austauschbar. Die Maschinerie läuft auch ohne Namen. Dessen ist sich Parker Saturn – was eine Name! – bewusst. Erspielt das Spiel mit. Hat ein riesiges Haus, zwei entzückende Kinder – one of a kind – und eine umwerfende Ehefrau. Die perfekte Managervita. Und nun sitzt er in Zimmer 1503, das er für zwei Tage mieten musste, und wartet auf einen Mann, der in etwa dasselbe macht wie er. Nur halt am anderen Ende der Staaten. Parker Saturn ist bestens vorbereitet. Hoffentlich ist das Iwan Rubleski auch.

Es klopft. Rubleski ist endlich da. Groß wie Parker, aber bedeutend wuchtiger in den Ausmaßen zu den Seiten hin. Extrem blond, extrem blauäugig, was die Farbe der Augen betrifft. Und er legt gleich los. Wie toll doch alles sei. Der Markt ist willig, bereit, um abgeerntet zu werden. Wie wäre es, wenn Parker ihm nach dem Meeting die Stadt zeigt? Er kennt New York noch nicht. Erstmal Frühstück. Parker ist ob der Rasanz in Rubleskis Entscheidungen ganz baff. Das Frühstück kommt. Sieht gut und reichhaltig aus. Iwan Rubleski unterhält sich ein bisschen mit dem Jungen, der das Frühstück brachte, fragt ihn nach seinen Zielen, wo er herkommt etc. Smalltalk und ein bisschen oberlehrerhaft. Und Dominic, der Zimmerkellner, antwortet pflichtbewusst – es ist das letzte, was er sagen wird. Denn ohne Vorwarnung stürzt sich Rubleski auf den ahnungslosen Burschen und sticht ihn ab. Sein Puls bleibt dabei offensichtlich im grünen Bereich. Ganz im Gegenteil zum Puls von Parker Saturn! Der ist nun derjenige, dessen Körper komplett in Erregung und Starre zugleich verfällt.

Kurze Zeit später erklärt Iwan Rubleski ihm, warum … nein, nicht warum er den Kellner erstochen hat … sein Idee vom Raubtierkapitalismus. Wobei in seinen Augen das Raubtier den Ton angibt. Rubleski gefällt die Verkommenheit und Bigotterie der amerikanischen Gesellschaft. Und er genießt sie in vollen Zügen…

Dem Gesetz der Dramatik folgend müsste hier eigentlich Schluss sein. Das Drama hat seinen Höhepunkt erreicht. Der Tod als Höhepunkt einer sich langsam anbahnenden Katastrophe, der keiner entkommen kann. Bei Mark SaFranko ist es der Beginn einer Odyssee, die mit dem Mord an dem Zimmerkellner nur einen ersten Anstieg erfährt. Die Klimax ist noch mehrere hundert Seiten entfernt. Da kommt was auf den Leser zu! Die Selbstverständlichkeit mit der der irre Iwan seine Ideen umsetzt – ob nun lange im Voraus geplant oder spontan – erschrickt und fasziniert zu gleichen Teilen. Und nach jedem Umblättern fragt man sich unwillkürlich, was sich der Autor als nächstes einfallen lässt. Nur so viel sei verraten – langweilig wird’s nicht!

Filmriss

Ein Trucker fährt noch einmal los, obwohl er eigentlich seinen freien Tag hat. Doch die Angst den Job zu verlieren, die nörgelnde Kinderbande daheim samt Ehefrau lassen ihn nicht los. Und so fährt er die Strecke von San Francisco nach Los Angeles und zurück, die er tagein tagaus hinter sich bringt doch noch einmal. Eine kurze Pause, ein kurzer Flirt mit der Kellnerin, und weiter geht’s. Das kleine Mädchen, das Blumen pflückt, sieht er zu spät. Er überfährt sie. Von Panik erfasst, flüchtet er. Im Radio hört er von der Suche nach dem rücksichtslosen Trucker. Er wird gestellt. Ein wütender Mob setzt ihm heftig zu – ein Mann will ihm helfen und wird zu Tode geprügelt. „Der Mann, der davonkam“ – so sollte der Film zu diesem Plot lauten. So sieht es zumindest Richard Hudson.

Er ist der Top-Gebrauchtwagenverkäufer von Hal Honests Gebrauchtwagenimperium. Im Handumdrehen hat er einem erfolglosen Verkäufer in Los Angeles dessen Firma abgeknöpft. Er stellt einen fähigen Geschäftsführer ein. Alles läuft wie am Schnürchen. Kurze Ansage, die keine Zweifel zulässt und schon hat er, was er will. Und das nicht nur im Geschäftlichen. Und doch ist Richard Hudson gelangweilt. Es läuft einfach zu gut für ihn. Immer was auf der hohen Kante – man weiß ja nie. Immer einen Spruch und genügend Argumente auf der Zunge – man weiß ja nie. Und immer das Glück auf seiner Seite – man weiß ja nie wie lange noch.

Er kehrt sogar zu seiner Familie zurück. Die lebt immer noch in Los Angeles. Der erfolglose Vater Leo war einst ein erfolgreicher Regisseur. Seine Mutter macht im Ballettraum immer noch eine fabelhafte Figur. Und die Stiefschwester ist auch nicht zu verachten. Richard Hudson hat’s drauf!

Vielleicht ist nun der Zeitpunkt gekommen seinen Traum zu verwirklichen. Den Film machen, den er immer machen wollte. Dumm ist er nicht. Ein Drehbuch schreiben kann er auch. Pop Leo kann das beurteilen. Gesagt – getan.

Dass beim Film nicht alles wie am Schnürchen läuft, ist auch Richard nicht neu. Doch ein ausgefuchster Typ wie er, lässt sich davon nichts ins Bockshorn jagen. Schlussendlich steht der Film. Zwar keine neunzig Minuten wie der Big Boss es verlangte. Aber immerhin dreiundsechzig Minuten lang. Voller Spannung, voller Dramatik. Exzellenter Schnitt. Und dennoch … kommt alles ganz anders. Und das nicht nur wegen der Übermenge an Alkohol, die für den titelgebenden Filmriss sorgen wird.

Charles Willeford lässt einen echten Goldjungen erstehen. Ihm gelingt alles. Schnodderschauze und eine bis ins Mark reichende Gewieftheit sind die Erfolgsgaranten für den American Way of Life. Doch der ist steinig. Und es gibt immer einen, der noch gewiefter ist, und vor allem am ganz lange Ende des Hebels sitzt. Da kann man schon mal verzweifeln. Und verzweifelte Dinge tun.

Die Flucht der Dichter und Denker

Es gab nicht viele, die mit dem 1979 veröffentlichten Disco-Hit der Village People „Go West“ etwas anderes verbanden als die sagenumwobene Freiheit in San Francisco. Es gab eine Zeit, in der Go West der einzige Weg war, um überhaupt gehen zu können. Es gab zu viele, die diesen steinigen Weg gehen mussten.

Als 1933 die Nazis in Deutschland die Macht ergriffen, gab es nicht wenige, die es für eine Frage der Zeit hielten bis der Spuk vorbei sei. Aber es gab auch die großen Mahner, die die dunklen Wolken nicht mehr nur am Horizont verorteten. Eine Massenflucht der Intellektuellen, Künstler, der Elite rollte an. Erst Frankreich, dann Spanien als Transitland nach Portugal. Dort wartete der erhoffte Dampfer in die USA. Hier war die Freiheit wohl grenzenlos. Dass dem nicht immer so war, erfuhren sie erst hinterher. Auch Jahre nach dem braunen Spuk wurden Widerständler unter der Fuchtel von Senator McCarthy mit Argusaugen beobachtet, bespitzelt und in ihrer Freiheit eingeschränkt.

Der Weg, die Strapazen, die die Flüchtigen – Thomas, Heinrich, Erika und Golo Mann, Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht, um nur einige zu nennen – sind oft beschrieben worden. Genauso oft aber blieben noch einige Fragen offen. Warum und an welchem Zeitpunkt wurde die Route bestimmt? Gab es Helfer? Herbert Lackner gibt in diesem Buch einige Antworten, die man so noch nie oder nur in Nebensätzen gelesen hat.

Es liest sich wie ein Krimi, wenn man von dieser Hetzjagd liest. Menschen, denen das Wohl eines ganzen Landes am Herzen lag, die sich zeitlebens der Kunst verschrieben hatten, die in ihrem Tun die Gegenwart als Basis ihres Schaffens verstanden, wurde die Lebensgrundlage entzogen. Ihr Freundeskreis war zersplittert, in alle Richtungen verstreut. Wiedersehen gab es nur sporadisch – umso heftiger die Freude. Denn überall lauerte Verrat. Misstrauen und Verzweiflung zerrütteten Allianzen.

Mit jedem Schritt gen Westen – im Osten lauerte Stalin, in Holland und Belgien war es ebenso unsicher wie im größten Teil Frankreichs und in Spanien warteten willfährige Helfer Francos auf fette Beute – wuchs die Hoffnung bald schon wieder einem halbwegs geregelten Tagwerk nachkommen zu können. Nicht jede Flucht war erfolgreich. Und die ersehnte Freiheit war auch nicht immer am ganzen Leib spürbar.

Man stelle sich vor wie die deutsche Kulturlandschaft heute aussehen würde, wenn die in diesem Buch so eindringlich beschriebenen Fluchtrouten nicht nötig gewesen wären…

My darkest prayer

Reverend Esau Watkins ist tot. Der Pfarrer der New Hope Baptist Church in Mathew County, Virginia wurde vor einigen Tagen tot aufgefunden. Nun muss Nathan Waymaker die Beerdigung vorbereiten. Es soll ein würdiges Begräbnis werden. Für einen ehrwürdigen Mann. Ein Mann mit Vergangenheit. Dieb, Dealer, Hehler, Friseurladenbesitzer. Bis er zu Gott fand. Dass er noch nicht unter der Erde liegt, ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Umstände seines Todes … nun sagen wir mal … nicht ganz so natürlich zu sein scheinen wie sie es sollten.

Dass er nun doch schneller als der Situation angemessen unter die Erde kommen soll, ist den ziemlich eigenartigen Ermittlungsmethoden der örtlichen Polizisten zu verdanken. Hier stimmt was nicht! In der Gemeinde rumort es. Es muss doch einen ehrlichen, aufrichtigen Menschen geben, der den Mut aufbringt im Dreck zu wühlen, ohne sonderlich viel des selbigen aufzuwirbeln.

Nathan Waymaker scheint dieser Mann zu sein. Schon bei den Marines bekam er den Ruf eines hilfsbereiten und vor allem loyalen Menschen. Wenn Not am Manne ist, war Nathan Waymaker zur Stelle. Und dass er anpacken kann, beweist er tagein tagaus bei seiner Arbeit. Und schon stehen die Gemeindemitglieder bei ihm auf der Matte. Er muss helfen, den Tod des Reverend aufzuklären, flehen sie ihn an. Nathan willigt ein. Ohne zu wissen, worauf er in der nächsten Zeit gefasst sein muss.

Denn auch er hat eine Vergangenheit. Ein Vorleben, das nicht immer frei von Schuld war. Auf ihn gehen mehr als nur eine Kerbe im Sargdeckelholz zurück. Damals … als … er und … na ja, so gern will er nicht darüber sprechen. Und er wird es auch nicht. Das hatte er sich geschworen. Doch nun? Nun steht er selbst im Fokus von Leuten, die ihm in die Suppe spucken wollen. Und es auch können. Sie sind so wie er es fast geworden wäre. So wie es vielleicht der Reverend einmal war. Doch das ist egal. Denn Nathan ermittelt sich fast um Kopf und Kragen.

Kleinstadtidylle, das klingt nach sauberer Luft, zufriedener Nachbarschaft, glücklichem Leben. Nach außen stimmt das auch alles. Doch im Inneren ist es finster wie in den Weiten des Alls. S. A. Cosby mischt die Zufriedenheit dieser Idylle mit dem tiefsten Schwarz der sie füllenden Seelen. Da sitzt jedes Wort. Wie Peitschenhiebe durchschneidet er das Schweigen. Ohne Klischees bedienen zu müssen, zeichnet er Landschaften ins Hirn der Leser, die nur eines sein können: Absolut echt.

Beim Lesen von „My darkest prayer“ fühlt man sich wie ein Kind, das auf dem Boden sitzt, die Ellenbogen in die verschränkten Knie und den Kopf in die Handteller gestützt. Sie lauschen den Worten des Mannes im großen Lehnstuhl. Dieser Mann ist S. A. Cosby. Und er hört einfach nicht auf zu erzählen … Großartig!