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Gera – Von Fettguschen und Brummuchsen

Das Territorium der DDR war in Bezirke eingeteilt. Von Rostock im Norden, Autokennzeichen begannen immer mit einem A, bis Suhl im Süden, O klebte hier an den Trabbis und Wartburgs, von Dresden bis Magdeburg in Ost und West. Die größten Städte waren die Hauptstädte und Namensgeber der Bezirke. Die kannte wirklich jeder. Nach der Wende verschwanden die Namen aus en Köpfen. Sie wurden nicht mehr erwähnt, sofern man keine verwandtschaftlichen Beziehungen dorthin hatte. Auch in den überregionalen, landesweiten Medien kamen manche Städte einfach nicht mehr vor. Wer hat in den 90ern von Gera gesprochen? Die Stadt war wie vom Erdboden verschluckt. Zugegeben, das ist ein drastische Übertreibung, denn die Stadt existieret ja weiterhin und tut es bis heute. Aber als Ausflugsziel- gar als Urlaubsziel steht Gera garantiert nicht unter den Top 100. Das kann sich aber ändern. Es wird sich ändern.

Zum Beispiel ist die Stadt mit dem gleichnamigen Fluss auch die Geburtsstadt des Malers Otto Dix. Der wurde vor 1891 (Achtung Jubiläum!) in Untermhaus, einem Stadtteil von Gera geboren. Und das wird nun im großen Stil gefeiert. Etwas außerhalb der Stadt kann man durch das prächtige Tal der Weißen Elster auf Erkundungstour gehen oder radeln. Auch wenn hier das Adelsgeschlecht der Reußen seinen Ursprung hat, so kann die Stadt nicht recht mit diesem Erbe wuchern. Einer der letzten Sprösslinge – selbst aus dem Familienverbund ausgetreten – nahm und nimmt für sich in Anspruch Deutscher Regent sein zu wollen, zu müssen (?). Er ist allerdings der einzige – der Großteil der männlichen Vorfahren hießen und heißen übrigens Heinrich, was Ahnenforschern die Farbe aus den Haaren treibt – der Deutschland nichts Gutes will. Seine Vorfahren waren progressiver.

Autor Uwe Lehmann ist der Typ Kenner, dem man gebannt lauscht, dem man das Geschriebene sofort ins eigene Hirn übertragen lässt. Gera ist auf einem guten Weg seine Vergessenheit abzulegen. Und wer in die zufriedenen Fettguschen schaut, weiß, dass das aus gutem Grund passiert. Denn die Brummuchsen verstummen langsam – zu viel verbales Lokalkolorit? Dann ist dieses Buch Pflichtlektüre!

Hier wurde schon immer Geschichte geschrieben, seit Jahrhunderten. Nur hat das kaum einer außerhalb bemerkt. Und wenn doch, dann nur selten. Hat man vor Jahren den Namen nur von der Autobahnabfahrt gekannt, so ist man heute bei einem Tagesausflug gut beschäftigt, will man so viel wie möglich erleben. Und bald schon muss man in Gera übernachten, da das Erkundungspensum sonst nicht gestemmt werden kann. Und dieses Buch wird ein treuer Begleiter sein, wenn man die Anekdoten und Geschichte der Stadt kennen will.

Alles Sisi

Dieses Buch kommt eindeutig zu spät! Dutzende, nein, hunderte, wenn nicht so gar tausende Bücher wurden über Elisabeth geschrieben. Ihr Tod ist legendär, ihr Leben noch heute Vorbild für Generationen von Frauen. Und dennoch wird dieses Buch Beachtung finden. Es ist vielleicht sogar das Buch, das jeder zuerst in die Hand nehmen sollte, interessiert man sich ernsthaft mit der sagenhaften Kaiserin.

Wenn es Ende Februar wieder heißt „Alles Walzer“, wird so mancher auch der Sisi gedenken. Also „Alles Sisi“. Jeder Biographie der Kaiserin ist eine Zeittafel angehängt. Unzählige Bilder zieren die unfassbare Menge an gedruckten Seiten. Doch das sind nicht mehr als Daten und Fakten, die man beim Vor- und Zurückblättern einatmet – und meist auch gleich wieder vergisst. Es sei denn, man bereitet sich auf eine Quizshow vor.

Verena Edinger bringt endlich Ordnung in den Wust an Lebensdaten der Kaiserin. Die Farbgestaltung ist sicher auch kein Zufall. Alles in zarten Lila- und Rosatönen gehalten. Oder besser gesagt in Veilchenblau. Eine, wenn nicht sogar die Lieblingsfarbe der Kaiserin. In Neapel, wo Sisi eine gewisse Zeit verbrachte, kann man noch an originaler Stelle, unweit des Teatro San Carlo, genau dieses Eis nach Originalrezept genießen. Fensterplatz inklusive, das verstärkt den Sisi-Effekt. Das Rezept dazu gibt’s im Buch. Ebenso die genaue Aufschlüsselung des Energiegehalts anderer Leibspeisen der figurbewussten Kaiserin.

Viel Zahlenwerk. Aber auch eine ansprechende Aufbereitung. Es reicht nicht einfach nur zu sagen, wann Sisi wo war. Das sind Fakten, die man beim Kaffeekränzchen zum Besten geben kann. Das Verhältnis der Verweildauer zur Lebenszeit sprengt manchmal den Rahmen der Vorstellungskraft. Der arme Gatte. Nur ein paar Prozent ihres Lebens durfte er mit ihr verbringen. Bei ihr war es wohl reziprok…

Es ist ein Fest sich durch das Leben in Zahlen der Kaiserin von Österreich Ungarn zu wühlen. Vor, zurück, eine Seite zwischen den Finger einklemmen, um noch mehr Sisi aufnehmen zu können. Dieses Buch liest man nicht wie einen Krimi – Seite für Seite. Hier blättert man herum, nicht gedankenverloren, sondern hochkonzentriert und wissbegierig. Und neugierig, was auf der nächsten Seite lauert.

Es ist das Eine zu erfahren, wer was wann getan hat. Doch die Grafiken in diesem Buch stellen prompt Zusammenhänge her und dar, die man nur als eingefleischter Profi ermitteln kann. Nun wird jeder Nostalgie-Royalist zum Experten. Wenn er es möchte. Von der Bahre bis zum Mythos, von der Reise-Süchtigen bis hin zum Musical-Star, von der Getriebenen zum Opfer eines Anarchisten – Alles Sisi, alles in einem Buch, alles auf einen Blick!

Along the road

Um es vorweg zu nehmen: Alles, was Aldous Huxley bereits vor einhundert Jahren besuchte, was ihm passierte, kann man heute auch noch so erleben. Nur eben nicht so abgeschieden, so individuell, so neuartig.

Würde Huxleys heute noch reisen und darüber schreiben, würde sein Instagram-Account überquellen und übereifrige Reise-Influencer würden sich überbieten noch schönere, eindrucksvollere – bessere? – Fotos ins Netz zu stellen. Und das alles nur, um dem alten Meister zu zeigen, dass sie ihm schon in jungen Jahren das Wasser reichen können. Huxley benutzt

Aber keine Filter – und schon ist die ganze Illusion dahin…

Also doch Aldous Huxley folgen! Mit ihm und leichtem Gepäck in Italien einer Prozession folgen. Ohne nerviges Gedränge von Desinteressierten, die nur darauf warten das eine, ultimative Foto zu schießen. Das sind genau diejenigen, denen Huxley am Beginn des Buches eine Breitseite verpasst. Reisen, um sich einer Schicht zugehörig zu fühlen, die nicht die eigene ist. Es ist Huxleys Liga, in die man versucht einzudringen, wenn man den x-ten Eisladen in bella italia „mit dem besten Eis der Welt“ postet. Huxley sind diese Freuden nicht fremd. Auch er sucht – vielleicht nicht nach dem besten Eis der Welt. Jedoch nach den einmaligen Erlebnissen, die er dann gern mit seinen Lesern teilt.

Einhundert Jahre ist es her, dass dieses Buch zum ersten Mal erschien. Es dauerte fast eben diese einhundert Jahre bis es auf Deutsch erscheint. Umso erfüllender ist es zu lesen, dass sich im Grunde fast nichts verändert hat, wenn man reisen will. Die Neugier war, ist und bleibt die Antriebsfeder eines jeden Abenteuers. Der Palio in Siena ist aber heutzutage ein Spektakel, das dermaßen viele Touristen anzieht, dass das eigentliche Ereignis nur schwer zu genießen ist. Huxley hingegen konnte sich – wenn auch mitten in den Massen der meist Einheimischen – mit der Tradition eingehender beschäftigen.

Wer bei Huxley und Reisen an seine Drogenerfahrungen denkt und meint „Along the road“ ist ein weiteres Werk in eine bunte Welt einzutauchen, liegt erst einmal falsch. Die einzige Realitätsveränderung führt er durch eine Brille herbei. Und selbst dieser kleine Kunstgriff kann heute immer noch für eine andere Sicht auf Landschaften hilfreich sein.

Der sterile Untertitel „Aufzeichnungen eines Reisenden“ konkurriert mit dem Inhalt auf jeder Seite, in jeder Zeile. Diese Reiseeindrücke gehören in jedes Reisegepäck. Nicht nur, um zu schauen, was sich in den vergangenen einhundert Jahren verändert hat. Nein, es erdet den Abenteurer und gibt den Blick für das einzig Wahre frei.

Die Kichererbesen der Senora Dolores

Leidenschaft zu entwickeln, ist ein hehres Ziel. Um es kurz zu machen: Stevan Paul schafft es mit jeder seiner Geschichten eine Sehnsucht hervorzurufen wie das selten gelingt.

So wie in der titelgebenden Geschichte um Señora Dolores. Die erwacht in einem Garten. Aber es ist nicht ihr Garten. Felipa und Antonio gehört der Garten. Und sie sind verwundert über den plötzlichen Gast. Ein Sherry wird die Stimmung auflockern und vielleicht die Erinnerung von Señora Dolores zurückbringen. Doch erst der exzellente Duft ihres Menüs und der Besuch von Felipas Papa, dem dieser Duft seit Jahrzehnten vertraut ist, bringt Licht ins Dunkel. Und nach so viel Leidenschaft fürs Essen … muss man sich erst einmal stärken. Wie wäre es mit den Kichererbsen von Señora Dolores? Rezept am Ende des Kapitels.

Das ist der rote Faden, der sich durch das gesamte Buch zieht. Liebevolle Geschichten, die man sich am Tisch erzählt, während man ein köstliches Mahl genießt. Bücher haben diese Macht Menschen zusammenzubringen!

Sie verführen mit Worten, Mahlzeiten und ihre liebevolle Zubereitung regen die Sinne an. Schon allein die bloße Erwähnung von Miso-Grünkohl mit Pfeffer-Birnen oder eine auf den ersten Blick einfache Blechpizza Berlin oder Hähnchenherzen-Ragout machen Appetit.

Dieses Buch ist eine Weltreise, die man nirgends buchen kann. Lesen rund um den Globus und kapitelweise genießen – so genießt man richtig. Immer wieder bereichern Bücher wie diese die Bücherregale. Garantiert wird dieses Buch in so manchem Haushalt zu den abgegriffensten Büchern gehören. Immer wieder blättert man darin, liest die eine oder andere Geschichte noch einmal und macht sich anschließend an die Arbeit selbst zu schreiben. Den Einkaufszettel. Minigurke, Zwiebel, Knoblauch, Butterschmalz, Linsen, Masala, Currypaste, Gemüsebrühe, Tomatenragout, Pinienkerne, Sesam, Joghurt, Minze, Salz, Zitrone, Koriander und Piment. Nur so entsteht Rote Curry-Linsensuppe mit Gurken-Minz-Joghurt. Und man muss gar nicht mal so weit reisen, um es original zu erleben – wie die vorangestellte Geschichte eindrucksvoll beweist…

Furchtlose Wahrheiten

Die meisten Menschen sehen Elend. Viele erkennen es. Ein paar weniger beschreiben es, und widerum noch weniger erheben ihre Stimme. Es ist nur ganz Wenigen vorbehalten wirklich etwas dagegen zu unternehmen. Und die, die Erfolg zu haben versprechen, werden unter Druck gesetzt. Eine ganz kleine Elite lässt sich davon nicht beeindrucken und nicht vom Weg abbringen.

Dick Marty war so einer. Ein Name wie aus einem Superhelden-Comic. Doch im realen Leben hat er das Elend in den illegalen Gefängnissen der CIA in Europa und die unfassbaren Greueltaten während des Balkankrieges aufgedeckt, die Schuldigen angeprangert und so letztendlich zu einer (leider nicht voll umfassenden) Lösung beigetragen. Staatsanwalt, Ständerat in der Schweiz, Mitglied der OSZE-Kommission für Menschenrechte, Europaratabgeordneter – die Liste seiner Funktionen, die auf seinen Visitenkarten stand, ist unendlich. Das organisierte Verbrechen war sein Spezialgebiet.

Als er mit Mitte Siebzig beschließt den mehr als verdienten Ruhestand zu genießen, nach einem Leben unter Dauerbeschuss seiner Widersacher, kann er den Grund des Anrufes sofort einordnen: „Balkan?“. Ja, neue Bedrohung aus dem altbekannten Tätigkeitsfeld. Und eine ernste Bedrohung. Lebensbedrohlich. Von nun an ist nichts mehr wie es war. Sichtbar umkreisen ihn Personenschützer. Ein unbeschwerter Spaziergang mit den Hunden im Wald – unmöglich. Immer ist einer da, der einen und die Umgebung beobachtet. Und das, weil „die Anderen“ mindestens das Gleiche tun.

Es sind die alten Seilschaften, die nach dem Zerfall Jugoslawiens ihre milliardenschweren Schäfchen ins Trockene brachten, und das sogar mit in dem sie Staaten schufen, die unter dem Schutz der USA in Teilschritten demokratische Strukturen. Diese Länder werden diktatorisch geführt, sind aber ein Bollwerk gegen den Machtbereich Russlands. Deswegen der geheime bis offene Schutz durch den großen Bruder von „überm Teich“.

Dick Marty ringt aber auch dieser Situation etwas Positivs ab. Er kann schreiben, seine Erinnerungen für die Nachwelt festhalten, seine Betrachtungen zu Papier bringen. Für „Furchtlose Wahrheiten“ muss man den potentiellen Angreifern nicht dankbar sein. Dick Marty hat nie ein Blatt vor den Mund genommen, sich mit Leuten angelegt, deren Existenz nur allzu gern verschwiegen wird. Dick Marty bekam so die Möglichkeit vielleicht noch intensiver in seinen Gedanken und Papieren zu kramen und mit diesem Buch einen Beleg für die Widerwärtigkeit der dunklen Seite der Politik vorzulegen. Spannend wie ein Krimi, mit Zitaten beispielsweise von Albert Camus verfeinert und mit der Akribie eines unerschrockenen Anklägers zur Höchstform gereift. Ein Muss für alle, die nach den Nachrichten noch weiter denken.

Blutorangen

Jeder Emotion, jeder Empfindung kann man eine Farbe zuordnen. Das reicht vom letzten Versuch – lila – bis zum neidischen Gelb und dem hoffnungsvollen Grün. Und der Geschmack? Der ist Rot! Die Salto-Reihe ist gespickt mit genussvollen Geschichten, die einem das Wasser im munde zusammenlaufen lassen. Dort, wo klassische Reisebücher ihre Grenzen erreichen oder – j nach Sichtweise – noch gar nicht beginnen können, setzen die kulturhistorischen Abhandlungen ihre Duftmarken. Nun ist es an der Zeit, dem Duft des Südens, genauer gesagt Italiens, ein Lesemal zu setzen. „Eine Reise zur den Zitrusfrüchten Italiens“ – Es geht nicht ohne, nicht ohne ungewöhnliche Formen so mancher Zitronen von Cinque terre bis Amalfi. Es geht nicht ohne den Duft der Orangen durch Sizilien zu reisen. Und die Bergamotte erst – von Ligurien über das englische Frühstück bis hin zum vierziffrigen Parfumdauerbrenner … es geht nicht ohne.

Und dabei geht es nicht nur um den lukullischen Genuss, der an jeder Straßenecke im wahrsten Sinne des Wortes greifbar ist. Von literarischen Werken bis hin zu Fresken – wohin das Auge blickt: Agrumen, Zitrusfrüchte, säumen das Blickfeld.

Für Stendhal war der Süden der Ort, wo die Orangen aus dem Boden wachsen. Für Leckermäuler gehört ein Spritzer Zitrus zur Pasta, um überall auf der Welt bella italia zu spüren. Und für jeden, der dieses rote Büchlein in den Händen hält ist jede Seite Fernweh und dessen Linderung zugleich. Die unvermeidlichen Rezepte im Buch tun ihr Übriges…

Es ist erstaunlich, was man literarisch aus Zitrusfrüchten machen kann: Die bittere Wahrheit aus Ligurien – chinotto, als erfrischende Limonade in allen erdenklichen Größen überall im Supermarkt erhältlich. Koschere Zutaten, die den Süden in jedes noch so einheimische Gebäck hineintragen. Überbordender Genuss in den Gärten der Medici.

Dieses Buch ist Dauerbegleiter im „Land wo die Zitronen blühen“. Man handelt nicht mit selbigen, wenn man einmal pro Tag darin blättert und den Marktrundgang zu einem neuerlichen einzigartigen Erlebnis macht. Unzählige Bücher sind über Italien und die Lebensweise geschrieben worden. Alle haben ihre Berechtigung und machen süchtig. „Blutorangen – Eine Reise zu den Zitrusfrüchten Italiens“ wirkt schneller und tiefer als alle anderen Bücher. Denn auch ohne Duftseiten verströmen die einhundertvierundvierzig Seiten ein Aroma, dem man sich nicht entziehen kann. Warum sollte man auch?!

Berühmte Frauen der 50er und 60er Jahre

Liselotte Pulver – das Ambiente kann noch so trist sein, es dauert nicht lange bis die Stimmung ins knallbunte kippt.

Francoise Sagan – ikonischer Freigeist, der der eigenen Unnachgiebigkeit erlegen ist.

Niki de Saint Phalle – ihre Nanas werden alle Zeiten überleben und ihren Namen bekannt halten.

Brigitte Bardot – ewige Verlockung mit dramatischen Wendungen, die sich selbst nur schwer akzeptieren kann.

Maria Callas – von Ängsten geplagtes Einmal-Talent, deren Stimme nachfolgende Generationen ins Zittern geraten lässt.

Nur vier – durchaus die berühmtesten dieses Buches – Namen, Ikonen, Frauen einer Zeit, die nur auf dem Papier vergessen scheint. Stilistisch prägen die 50er und 60er Jahre noch heute das Erscheinungsbild von Städten und Menschen – Stil vergeht nicht.

Wie im Rausch blättert man durch dieses Buch und erfährt selbst über die, die man zu kennen glaubte, noch Neues und wundert sich, dass es einem als neu erscheint. Denn alles ist bekannt. Prinzessin Soraya, die erste Frau des letzten Schahs von Persien, war die Getriebene nach ihrer Scheidung von Mohammad Reza Pahlevi. Ruhe Stunden, Minuten, gar Sekunden kannte sie nicht. Irgendwo lauert immer eine Kamera. Und wenn nicht physisch, dann zumindest in den Gedanken der traurigen Prinzessin. Erst Jahrzehnte später wurden gesetzliche Vorlagen geschaffen, die die Privatsphäre derartig berühmter Menschen ein wenig besser schützen sollen. Ihr Verdienst.

Charlotte Ueckert hat sich Symbolfiguren der ersten Jahrzehnte nach dem Krieg herausgepickt und ihre ikonische Stellung und deren bis heute anhaltende Wirkung, herausgearbeitet. Herausgekommen ist mehr als nur eine bunter Blätterwald für all diejenigen, die „ach ja, die kenne ich noch … von damals“ mehr als nur eine Erinnerungslücke ansehen. Die Werke von Doris Lessing werden ihren Namen nie verblassen lassen. Ebenso das Werk von Niki de Saint Phalle. Die Aufführungen der Callas laufen in digitalisierter Aufbereitung noch heute in Kinos. Und die Bardot ist und bleibt das Sex-Symbol – ob sie es nun will oder nicht – ihrer Zeit. Sie alle sind auf irgendeine Art und Weise haltbar gewordene Erinnerungen. Doch meist sieht man nur ihre Hülle. Je mehr man in dieses Buch eintaucht, desto mehr gräbt man sich in das Leben der vorgestellten Frauen, die mehr waren als Beiwerk oder zweidimensionaler Augenschmaus für Jung und Alt, Mann und Frau. Ihr Tun hat mal mehr, mal weniger merklich Spuren hinterlassen, die niemand mehr verwischen kann. Dieses Buch hilft eindrucksvoll dabei diese Spuren zu erkennen.

Die Gärten des Alkinoos

Reisen bildet, auch wenn das ab und zu mit einem oberlehrerhaften Fingerzeig verbunden ist. Doch was ist schlimmer? Sich von einem erfahrenen Reisenden einen wirklich exponierten Aussichtspunkt zeigen zu lassen oder sich im Nachhinein eingestehen zu müssen, dass die hundert Meter und das zweimalige Abbiegen – das man abgelehnt hat – vielleicht doch besser gewesen wären als die Cola in der schäbigen Bar an der befahrenen Hauptstraße?

Odysseus war einer der ersten, der die Welt bereiste. Und dessen Abenteuer aufgeschrieben wurden. Seitdem hangeln sich Autoren aus aller Herren Länder an diesem Beispiel entlang und führen ihren Zeigefinger über die Landkarten der Erde. Wolfgang Geisthövel verbindet die Antike mit der modernen Zeit. Er folgt historischen Routen in der Gegenwart. Ja, sie sind noch da, die Hinweise. Und wenn man die Texte von Vergil und Homer intensiv liest, findet man die Orte fast so genau wie ein modernes Navi.

Was waren das noch für Zeiten als man den Zedernduft noch allerorts wahrnehmen konnte. Keine Rauchschwaden mit überzogenem Apfel-Zimt-und-was-weiß-ich-sonst-noch-Duft. Hügellandschaften, deren Bewohner den Reisenden im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf verdrehten. Orte, die dem Reisenden mehr als ein „krass“ entlockten.

Apulien, Kalabrien, Kampanien, Sizilien, Korsika, Sardinien, Griechenland – nicht nur Sonnenanbeter werden bei der bloßen Erwähnung dieser Ziele unruhig und packen in Gedanken schon mal ihr Reisegepäck. In dieses Reisegepäck gehört so ganz nebenbei auch dieses Buch.

Denn wer sich nicht gern durch die oft rätselhaften Texte der alten Meister durchwühlen und durch die allzu lockeren Interpretationen ohne Ortsangaben sich nicht stressen lassen will, wird mit diesem Buch in der Hand – und da gehört es hin – eine Odyssee mit happy end erleben.

Es ist ein Erlebnis zu lesen, dass man in Taormina, Giardini-Naxos nicht zwangsläufig in Badeschlappen, schon am frühen morgen völlig erschöpft auf dem Bordstein sitzend auf den nächsten Bus warten muss. Und dass Palermo nicht nur aus lärmenden Märkten besteht, sondern auch Ruheoasen hatte, die man heutzutage zwar suchen muss, die aber schon Goethe kannte. Und vor allem seine Wegweiser bis heute weisend sind…

Es sind Bücher wie dieses, die Reisen in eine besondere Zeit verwandeln. Dort, wo schon viele waren, müssen nicht immer noch viele sein. Und wenn doch, hält man inne, blättert ein wenig durch die Seiten und lässt den Lärm der Moderne um sich herum im Rausch und Rauch der Worte aufsteigen.

Der Beifahrer

„Wer anderen eine Grube gräbt…“, „Rache ist ein Gericht, dass man …“, „Wie Du mir, so ich Dir“ – es gibt genug Rachesprüche in der Literatur. Sie alle zu einem neuen Gericht – Achtung, extrem heiß serviert! – zu vermengen, bedarf schon eines echten Chefkochs. Pascal Garnier ist so einer.

Fabien und Sylvie sind schon lange kein Paar mehr im eigentlichen Sinne. Man lebt so vor sich hin bzw. nebeneinander her. Nicht weniger, aber vor allem nicht mehr. Nachdem Fabien seinen nicht minder gefühlskalten Vater in der Normandie beim Ausmisten geholfen hat, hört er in seiner Pariser Wohnung den Anrufbeantworter ab. Die dritte Nachricht wird sein leben ändern. Das weiß er. Aber wie weit diese Veränderung gehen wird, kann er nicht einmal ansatzweise erahnen. Sylvie ist tot. Bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Jetzt ist er Witwer, lautet sein nüchternes Fazit.

Im Krankenhaus erfährt er, dass Sylvie nicht allein im Wagen saß. Und mit ein bisschen Geschick erfährt er auch, wer der mysteriöse Beifahrer war. Spoiler: Das wird nicht das letzte Geheimnis bleiben, das er ans Tageslicht befördern kann…

Fabien ist nun also Witwer. Er nistet sich bei seinem Freund Gilles ein. Der nimmt ihn bereitwillig auf und setzt dabei seine eigene Ehe aufs Spiel. Nachdem die beiden, ein Stroh- und ein echter Witwer, den lieben Gott einen guten Mann sein ließen, rauft sich Fabien als Erster wieder auf. Er weiß, wer der Beifahrer war. Dass er verheiratet war. Und wo die Witwe wohnt. Und er will Rache nehmen! An Martine. Der Witwe Martine, die ihren Mann bei einem Verkehrsunfall verloren hat. Stets an ihrer Seite: Madeleine. Die beste Freundin … und ein bisschen mehr. Anders als man das jetzt vermuten würde! Er folgt Martine und Madeleine. Denn Martine ohne Madeleine – undenkbar. Er bricht sogar in Martines Wohnung ein. Ordnet die Möbel neu, schenkt ihr auch eine neue Pflanze. Ziemlich dreist! Wer Rache nehmen will, muss subtil vorgehen. Wenn Fabien wüsste, was er alles in Gang setzt. Mittlerweile kennt er Martine gut genug. Auch Madeleine kann er ganz gut einschätzen. Im Urlaub auf Mallorca – dass er nicht ganz zufällig auch dort ist, überrascht nun wirklich niemanden mehr – kommen sich die beiden Neu-Singles allmählich näher. Bis … ja bis Madeleine der Kragen platzt!

Wow, was für eine Geschichte. Düster, geschliffen, messerscharf. Jedes Handeln in dieser multigonalen Suspense-Perle ist genau geplant. Eigentlich dürfte man sich über nichts mehr wundern, und doch zuckt man jedes Mal zusammen, wenn die frommen Lämmer zum reißenden Wolf werden. Der perfekte Auftakt der suspense-Reihe im Septime-Verlag verspricht jetzt schon unendliche Spannung und daumendicke Gänsehaut.

An der A26

Ein kleines Loch in der Wand ist die einzige Verbindung nach draußen für Yolande. Hier, irgendwo auf der Straße gen Norden haust sie. Mit ihrem Bruder. Die Welt da draußen ist für sie verbotene Zone, weil sie sich damals mit den Deutschköppen einließ und man ihr nach dem Krieg den Kopf kahl schor. Bernard, ihr Bruder kümmert sich rührend um sie. Doch die Hilfe ist endlich. Er hat Krebs und wird bald sterben.

Ganz in der Nähe wird die neue Autobahn gebaut, die A26. Das Land zwischen ihrem einsamen Haus und der gigantischen Baustelle ist schlammübersät. Überall ist die Erde aufgeweicht. Berge von Dreck türmen sich auf. Unendlich tiefe Löcher sind deren Gegenstück. Doch die Erde birgt so manches Geheimnis.

Denn Bernard hat sich nicht immer unter Kontrolle. Wenn es ihn packt, bei Vollmond, kommt er später nach Hause. Dort wartet dann schon Yolande mit dem Essen. Sie isst niemals allein. Wartet immer auf ihren geliebten Bruder. Der kommt dann meist mit fadenscheinigen Ausreden um die Ecke. Dass er zuvor jemanden selbst um die Ecke gebracht hat, bleibt unausgesprochen. Doch Yolande ahnt etwas. Mit einer gehörigen Portion Genuss liest sie ihm die Horrormeldungen aus der Zeitung vor. Bernard reagiert schon gar nicht mehr auf ihr Reden. Tief im Inneren malt er sich aus wie man den Serienmörder einmal nennen wird, findet man denn je die Toten. Wird man die leblosen Körper dann noch identifizieren können?

Pascal Garnier beschriebt eine Geschwisterlieb, die mit Boshaftigkeit einen untrennbaren Kitt bildet. Yolande hat früher einen Fehler begangen. Die Gründe liegen im Unklaren. Bernard ist – warum auch immer – ein Menschenfeind geworden. Einer mit Anstand, denn nicht jedes potentielle Opfer fällt ihm zum Opfer. Sie und Er, Yolande und Bernard, sind nicht greifbar. Ihr Tun ist bedingungslos und unabänderlich. In ihrem Tun sind sie verzweifelte Einzelgänger. Gemeinsam und schweigend sie ein duo infernale.

Von nun an werden Abstecher von der Autobahn von einer zarten Gänsehaut begleitet. Wer im Dickicht des Halbdunkels oder in tiefster Nacht den Pfad der mobilen Agilität verlässt, dem krampft sich der Stillstand in die Gedanken. Und das alles passiert auf nur etwas mehr als einhundert Seiten… So schnell kann’s gehen!