Rio de Janeiro – Eine literarische Einladung

Rio de Janeiro

Anpfiff. Die erste Seite wird aufgeschlagen. Eine tolle Aufstellung, seine großartige Aufstellung. Sechzehn Spieler und Spielerinnen drängen sich auf dem Spielfeld. Rodrigo Lacerda führt den Anstoß aus. Mit seinem Bully streift er durch die Nacht. Düster und unwirtlich frisst sie ihre Jünger. Jetzt der Pass zu Sergio Santanna. Er dribbelt, verführt den Gegner, doch er gibt nicht ab. Zwanzig Seiten lang fantasiert er sich durch eine Bild Rios in den Zwanziger Jahren. Straßenszenen wie sie heute undenkbar sind. Kaum Verkehr, elegante Herren in Anzügen. Machoszenerie. Und zwischendrin eine junge Frau, Eduarda. Ein Frau aus gutem Hause, die sich zu benehmen weiß. Ein Maler soll, will sie portraitieren. Zwischen Schamgefühl, Lust und Neugier schwankt die Dramatik vor dem geistigen Auge des Lesers. Der Autor ist nur das Sprachrohr der Phantasie des Betrachters. Sie gibt sich ihm hin.

Kurze Verschnaufpause. Poetisch schüttet Carlos Drummond de Andrade sein weites Herz aus. Weiter geht’s.

Doch was ist das? Clarice Lispector verlässt einfach den heiligen Rasen des Maracana. Verläuft sich in den Gängen des riesigen Stadions, um Frau Xavier zu folgen. Die scheint auch nicht gerade eine Ausgeburt an Ortskenntnis zu sein. Roberto Carlos soll jetzt übernehmen. Das gibt garantiert eine Nachspielzeit!

Nach Wiederanpfiff darf nun Adriana Lunardi ist Zauberstücke zeigen. Offenen Auges spielt sie sich durch die Stadt. Das Auge des Lesers kann kaum folgen. (Für Besucher ein besonderer Reiz diesen „Spielzug“ nachzuvollziehen) Am Ende muss sie sich ungläubig eingestehen, dass ihre Passgeberin ihre letzte Ruhestätte schon gefunden hat.

Letzter Spielzug vor der Pause: João Antônio ist ein harter Brocken. Man merkt ihm die Vielzahl seiner Berufe an. Sein Ausdrucksweise ist ruppig, aber ehrlich … eigentlich müsste jetzt Pause sein … nein, vier Seiten Nachspielzeit. Er hurt, er raucht, er frisst, er säuft. Seine Gegner sind Nutten, Luden, Arschgeigen und Gesocks. Puh, endlich Pause.

Die zweite Halbzeit muss sich der Leser selbst erarbeiten. Denn nichts ist schlimmer als ein ganzes Spiel noch einmal erzählt zu bekommen.

Die in diesem Buch versammelte Mannschaft von Autoren, die aus Rio kommen und / oder über Rio schreiben zeichnet das Bild einer Stadt, die immer in Bewegung ist. Sie ist mehr als ein torloses Unentschieden, dessen Doppelpunkt durch einen G-String symbolisiert wird. Wer Rio außerhalb des Karneval- und fußballverrückten Klischees kennenlernen will, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt. Kure Auszüge und Geschichten, die den urbanen Rhythmus fernab jeglicher Vorurteile wiedergeben.