Archiv der Kategorie: schwarz – black – noir

Die Nacht des Baobab

Sie muss weg. Raus aus ihrem kleinen Dorf im Senegal. Europa ist das Licht am Ende des Tunnels, durch den die Reise führen wird. Es wird Belgien, und der Tunnel endet bei Weitem noch nicht in Brüssel.

Ken, so der Name der Erzählerin, unternimmt einen Riesenschritt, den sich viele niemals trauen würden. Wenn man sie nicht dazu treibt. Sie verlässt ihr Dorf, ihre Region, ihr Land, ihren Kontinent … ihre Kultur. Ken ist schlau, deswegen auch das Stipendium im fremden, fernen Europa. Zu ihrem Vater hatte sie nie das typische Vater-Tochter-Verhältnis. Als Oberhaupt der Dorfgemeinschaft war der der Übervater eines jeden einzelnen, jedoch nie der Vater seiner Kinder. Auch Mutter und Tochter konnten kein echtes vertrauensvolles Verhältnis aufbauen. Das, was alle zusammenhielt, war der Baobab. Der Affenbrotbaum. Unter seinem Blätterdach wurden Geschichten erzählt und Schutz gefunden.

Ihr Brüssel sucht Ken nun ihren Baobab. Doch den soll es hier nicht geben. Freunde findet sie schnell und reichlich. Doch die haben andere Intentionen als sie selbst. Wie eine Puppe wird sie herumgereicht. Eine Trophäe spätkolonialistischer Pubertierender. Einer ist homosexuell, von ihm dachte sie, dass er derjenige sein könnte, der …

Ken stürzt sich ins pralle Leben. Clubtouren, Drogen, Prostitution. Ihr Ritt auf der Rasierklinge fügt ihr Schnittwunden zu, doch niemals so tief, dass das Fleisch verletzt wird. Alles nur an der Oberfläche. In Afrika, im Senegal, in ihrem Dorf haben andere gefahren gelauert. Der Rektor, der sie heiraten will, nur um sich an ihr vergehen zu können oder der Lehrer, der sie bittet sein Messer zu schärfen, damit er ihr die Kehle durchschneiden kann – das hat sie stark gemacht. Sie zu einer selbstbewussten Frau reifen lassen. Doch diese reife ausleben, wäre nie in Frage gekommen.

Brüssel, Belgien, Europa bietet ihr diese Chance. Allerdings muss sie ihren Weg weitgehend allein beschreiten.

Ken Bugul beschreibt in „Die Nacht des Baobab“ einen großen Teil ihres eigenen Lebens. Was Fiktion und was Realität ist, wird nicht abschließend klar herausgestellt. Die eindrücklichen Sprachbilder jedoch helfen so manches Schicksal in einem anderen Licht zu sehen. Das Leben in der Fremde ist immer von Geheimnissen umgeben, wird durch die geprägt. Nur so viel preisgeben, dass man weiterkommen kann. Aber niemals die Seele oder gar das Herz offenlegen. Denn dann ist man anfällig für Verletzungen. „Die Nacht des Baobab“ gehört ohne Zweifel zu den reifsten Früchten der literarischen Flora Afrikas.

Riwan oder der Sandweg

Nach Jahren des Exils kehrt eine junge Frau in ihr Dorf in Senegal zurück. Der Serigne regiert hier. Er ist eine Art Ortsvorsteher, Doktor, Alleskönner. Zu ihm kommt man, wenn man gerufen wird oder ein Problem aus der Welt geschafft werden muss. Der Serigne ist geschickt und furchtlos. Er setzt auf die Kraft der Selbstheilung, die er selbst in Gang setzen kann. Ein echter Weiser.

Und der Serigne hat gleich mehrere Frauen. Nicht zwei, drei oder vier … nein mehr als zwei Dutzend. Die junge Frau, die unverkennbar die Züge der Autorin trägt, beobachtet das Treiben in dem abgeschotteten Kosmos ihrer für sie neuentdeckten Heimat. Da ist Rama. Eine sehr junge Frau. Auch sie „gehört“ dem Serigne. Wie alle Frauen verrichtet sie ihre Arbeit und ist zur Stelle, wenn der Serigne ruft. Beziehungsweise sie rufen lässt.

Aber da ist auch Riwan. Er ist die exotischste Figur an diesem exotischen Platz. Ein stummer Zeuge der Gegenwart. Willfähriger Diener, der sich nicht andient, sondern einfach nur da ist. Sein Schicksal ist es hier zu sein. Er genießt weitreichende Privilegien. Er darf dort hin, wo sonst nur der Herr des Hauses, was eigentlich ein Gehöft ist, Zutritt hat. Er richtet nicht, er richtet sich nach Gottes Geheiß. Ein wundersamer Mensch, der so friedvoll sein Leben beschreitet.

Dann ist es eines Tages doch soweit. Auch die namenlose Erzählerin wird vom Sergine erwählt. Sie soll eine weitere Frau im Harem des Meisters sein. Angst hat sie nicht. Sie lebte in Europa, hat viel gesehen, kennt mehr Kulturen als ihr lieb ist. Sie kam zurück, weil die ständige Suche nach Heimat ihre Reserven angriff. Der Serigne weiß um die Weltgewandtheit seiner neuen Frau. Sie stellt aber keine Gefahr für seine Macht dar …

Ken Bugul ist das Pseudonym von Mariétou Biléoma Mbaye und bedeutet „eine, die unerwünscht ist“. So poetisch der Name klingt, so dramatisch die Geschichte dahinter. Sie lebte in Belgien und Benin und war die achtundzwanzigste Frau in einem Harem. Heute ist sie Schriftstellerin und Kunsthändlerin. Die alles erfassende Beobachtungsgabe macht „Riwan oder der Sandweg“ zu einer Schatztruhe voller Einblicke in eine Welt, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Ihre Heldin verneint nicht die „Vielweiberei“ wie es einst genannt wurde. Das Leben im Harem ist auch nicht primär die einzige Zuflucht aus einem möglichen Leben in Armut und Angst. Es ist essentieller Bestandteil eines Lebens, das man annehmen kann oder man lässt es. Das brachte der Autorin oft und lautstark Kritik ein. Die Frauen des Harems sind weitgehend frei in ihren Entscheidungen. Sie haben immer noch den Sandweg, der sie aus ihrem Alltag herausholt.

Die Lichter von Pointe-Noire

Für Alain Mabanckou hat die Zahl Dreiundzwanzig eine fast mystische Bedeutung. Mit dreiundzwanzig verließ er seine Heimat Kongo (das kleinere, Kongo-Brazzaville), um in Frankreich sein Jurastudium fortzuführen. Dreiundzwanzig Jahre später besucht er es wieder. Zum ersten Mal seit dem Tag, als seine Mutter ihm einen letzten Rat mit gab: Heißes Wasser vergisst nie, dass es einmal kalt war.

Was sollte er mit diesem Spruch anfangen? So poetisch der Abschied auf dem Papier aussieht, so bitter war es im wahren Leben. Alain Mabanckous Mutter starb, als in Europa Fuß gefasst hatte. Zur Beerdigung konnte er nicht kommen. Oder wollte er nicht? Sein Vater, der nicht sein Erzeuger war, starb ebenfalls in den Jahren des Exils. Mitte vierzig, als berühmter Schriftsteller kehrt er nun heim. Nach Pointe-Noire. Dorthin, wo er Tanten und Onkel, Neffen und Nichten, Großmutter und Großvater den Rücken kehren wollte, musste … konnte.

Endlich daheim. Der Ort, an dem man ungeschminkt und unverblümt der sein darf, der man wirklich ist. Doch die Fremde hat Alain Mabanckou verändert. Das wissen auch diejenigen, die er zurückließ, und auch diejenigen, die aus ihnen hervorgingen. Dass allenorts die Hand aufgehalten wird, ist nicht Befremdliches. Doch dass die Heimat nicht der Ort der Rückbesinnung ist, stört den Autor erheblich.

Das Kino, in dem er zu träumen begann, ist nur mehr ein Schatten seiner selbst. Freunde von damals, sind heute Familienväter. Und der Fortschritt ist immer noch eine jähe Vision, die immer wieder vor den Toren der Stadt haltmacht. Nichts Neues im Herzen Afrikas? Alain Mabanckou findet nicht recht die Zeit, um sich treiben zu lassen. Zu nah sind ihm die Geschichten derer, mit denen er aufwuchs. Traurigkeit? Ein bisschen. Er weiß, dass das Leben weitergeht. Weitergehen muss. Auch wenn in Pointe-Noire für viele die Lichter ausgehen, so sind sie für Alain Mabanckou immer noch an. Sie werden in seinen Erinnerungen leuchten wie die Filme und Stars einmal auf der Leinwand.

Schonungslos bricht Alain Mabanckou die Mauern des Schweigens und des Vergessens ein, um seinem Leben die Sporen zu geben. Erinnerungen spielten in all seinen Büchern die zentrale Rolle. Freunde und Gefährten fanden sich in seinen Zeilen wieder. Nun muss er sich der Realität stellen und den Figuren aus seinen Romanen gegenübertreten. Manche erkennt er nicht wieder, andere weisen ihn direkt auf sich hin. Das Knieschlottern vor dieser Reise war schlussendlich unnötig. Die Heimat ist und bleibt die Heimat. Sie verändert sich nicht, nur der eigene Blick auf sie rückt vieles in ein anderes Licht.

Die Zeit der Mörder

Am Abend des 12. März 1942 kommt Philippe Soupault an sein Haus. Das Tagwerk ist vollbracht – da steht plötzlich ein Mann hinter ihm. Elegant, wie aus einem Gangsterfilm entsprungen. Er lupft sein Revers. Polizei. Zwei weitere Gestalten halten sich ohne ein Wort, stoisch und deswegen bedrohlich im Hintergrund. Sie wollen ein paar Fragen beantwortet haben, sich ein wenig umschauen. An der Wende zum Freitag, dem 13. März 1942 muss er ihnen aufs Revier folgen. Zeugenbefragung. Ganz vorsichtig ist man von nun an auf beiden Seiten. Soupault braucht den geforderten Anwalt nicht, er solle ja nur als Zeuge befragt werden. Mehr nicht. Wäre er abergläubisch, wüsste er, was auf ihn am Folgetag zukommt.

Kurzer Prozess. Er wird inhaftiert. Wegen Landesverrat. Er habe – wir sind im unter französischer (Vichy-Regime, wohlgemerkt!) Protektion stehenden Tunesien – wichtige Papiere an den Feind – England – weitergegeben, wodurch ein Versorgungsschiff für die Truppen Rommels nicht seiner Aufgabenerfüllung gerecht werden konnte.

Philippe Soupault hatte Jahre zuvor den Auftrag bekommen in Tunis einen Radiosender zu installieren und zu leiten, der der Mussolini-Propaganda durch Radio Bari entgegenwirken sollte. Léon Blum, der erste sozialistische Ministerpräsident Frankreichs persönlich gab dem Journalisten und Künstler Soupault den Auftrag. Es ist immer die Wahrheit, die das erste Opfer des Krieges bildet. Das weiß Soupault. Er weiß von auch, was ihm blüht, wenn die Geheimpolizei, das Vichy-Regime, die Pétain-Schergen ihn in die Finger bekommen.

Zorn, Verzweiflung, Selbstaufgabe umgeben den Gefangenen im „Fall de R.“ – Soupault – von nun an. Die Aussicht bald die Einzelzelle gegen das Sonnenlicht einzutauschen schwindet mit jedem Tag. Doch er bewahrt sich seien Auffassungs- und Beobachtungsgabe. Mehr als einen Monat sitzt er zu Beginn in Einzelhaft. Seiner Frau verschweigen die Behörden die Festnahme. Erst Tage danach darf sie ihren Mann im Gefängnis besuchen.

Soupault findet Freunde – Vertraute – begegnet aber solchen, denen man lieber aus dem Weg geht. Denunzianten gibt es überall. Im Gefängnis ist ihre Macht jedoch stärker, wie einige Mitgefangene leidvoll erfahren müssen.

Die Zeit verrinnt. Die Hoffnung einmal wieder seine Familie zu sehen, ist für ihn kein Thema. Er hätte zu sehr unter enttäuschten Hoffnungen zu leiden. Doch eines Tages geschieht das Unerwartete: Philippe Soupault kommt frei! Als freier Häftling darf wieder hinaus in die Welt. Ja, ein Häftling wird er immer bleiben, da ist er sich ganz sicher. Aus alter Verbundenheit besucht er regelmäßig seine ehemaligen Leidensgenossen. Was für Unruhe sorgt. Genauso wie die bevorstehende Invasion der Alliierten. Soupault schafft es rechtzeitig die Stadt zu verlassen. Doch zu welchem Preis?

Philippe Soupaults Erinnerungen an die Gefängniszeit sind düster und erhellend zugleich. Die Zustände beklemmen in erster Linie ihn, den Schreiber, den Gefangenen, aber auch den Leser. Der zaghafte Optimismus, der nie offen zur Schau getragen werden darf, lässt Hoffnung aufkeimen. Dennoch bleibt „Die Zeit der Mörder“ ein bedrückendes Zeitdokument, das für den Autor Fluch und Segen zugleich war. Das Buch erschien1945 in den USA. Es dauerte siebzig Jahre (!) bis es auch in Frankreich, seiner Heimat erschien, obwohl er wieder dort lebte und maßgeblich im Widerstand arbeitete. Nur zwei Jahre dauerte es bis das Buch auf Deutsch erschien…

An einem Dienstag geboren

Dantala lebt in einer der gefährlichsten Regionen Afrikas, im Norden Nigerias. Dieser wird seit Jahren von den perfiden Attacken der Boko Haram, einer islamistischen Terrormiliz malträtiert. Seine Freunde kiffen, morden, lungern herum. Die Polizei greift nicht durch solange sie geschmiert wird. Als eines Tages doch einmal eine Polizeiaktion durchgeführt wird, rennt Dantala soweit und solange er kann. In Sokoto kann er endlich haltmachen.

In Sheikh Jamal findet er einen Gönner und Lehrmeister, der ihn unter seine Fittiche nimmt. Das Zusammenspiel von Religion und Welt fasziniert den aufmerksamen Jungen. Doch die Diskrepanzen verwirren ihn gleichermaßen.

Sein bester Freund Gabriel, der jetzt nur noch Jibril genannt wird, der arabischen Version seines Namens, ist Anker und Triebfeder zugleich. Die beiden unterrichten sich gegenseitig in Englisch und Arabisch.

Die Jahre vergehen. Die beiden Jungen wachsen zu jungen Männern heran. An ihrer Seite ist immer noch Sheikh Jamal. Dann stehen die Wahlen an. Im Vorfeld kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen einzelnen – religiös angestachelten – Gruppierungen. Und das zu einer Zeit, in der Dantala die Liebe entdeckt. Aisha ist die Auserwählte. Sie lässt ihn zappeln, weist ihn jedoch nicht ab. Eine harte Lektion für den jungen Mann, der gerade dabei ist sein Leben für die Zukunft in die rechten Bahnen zu lenken.

Doch das ist bei Weitem nicht das Schlimmste für den jungen Mann. Jibril entfernt sich immer mehr von Dantala. Bis Jibril endgültig nicht mehr greifbar ist. Eine Aktivistengruppe soll Jibrils neues Zuhause werden. In Telefonaten erfährt Dantala von schrecklichen Gräueltaten, die Jibril ihm schockiert erzählt. Doch es ist zu spät. Jibril kann der Gruppe nicht entkommen.

Auch Dantala wird von der Polizei geschnappt. Es scheint als ob es ausreicht Moslem zu sein. Man wirft ihn in den Kerker. Foltert ihn. Will unbedingt wissen, was die islamistischen Milizen vorhaben. Doch Dantala ist ahnungslos. Auch sein Lehrer, Sheikh Jamal kann ihm nicht mehr helfen…

Elnathan John stammt aus dem Nordwesten Nigerias. Er kennt die Befindlichkeiten der Hausa, die vorrangig im Norden ansässig sind. Die Konflikte in dem westafrikanischen Land treten immer öfter und offener zu Tage. Der Norden kann mit dem Süden, genauer mit den Bevölkerungsgruppen Igbo oder Yoruba nichts anfangen. Und umgekehrt haben diese mit Hausa und Fulani nicht viel am Hut. Über dreihundert Ethnien sind unter dem Dach Nigeria versammelt und seit der Unabhängigkeit vor über einem halben Jahrhundert kommt das Land nicht zur Ruhe. Für Außenstehende ein Buch mit sieben Siegeln. Dieses Buch hilft ein wenig am Siegellack zu kratzen und Brocken an Missverständnissen zu lösen.

African Queen

Da kommt man schon mal ins Straucheln: Allein in einer fremden Stadt, einem fremden Land, auf einem fremden Kontinent. Mutterseelenallein. Rose Sayer ist in dieser Situation. Ihr Bruder, der als Missionar in Afrika tätig war, ist von ihr gegangen. Nur das Rauhbein Charlie Allnutt ist an ihrer Seite, bzw. steht ihr gegenüber (und manchmal auf im Weg). Auf der Flucht vor dem Weltkrieg, der nun auch Afrika erreicht hat. Auf einem teils gefährlichen Fluss. Auf der African Queen, einem klapprigen schwimmenden Untersatz, der raucht, zischt, um sich schlägt. Zwischen den beiden raucht es auch. Sie zischt ihn an. Er schlägt zurück.

Der Weltkrieg kam in Gestalt der deutschen Truppen in die Mission von Rose und ihrem Bruder, dem Reverend. Sie schlugen alles kurz und klein. Der Reverend ist nicht mehr.

Charlie ist ein Gauner par excellence. Charmant und zupackend zugleich- Verschwiegenheit ist sein zweiter Name. Sicher ist sicher. Anpacken kann er. Reden und Manieren sind nicht gerade seine Stärken. Und so kommt es, dass die Reisegesellschaft auf der African Queen sich spinnefeind ist, aber als Schicksalsgemeinschaft einen Weg finden muss, das rettende Ufer (im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn) erreichen muss.

Die resolute gottesfürchtige, aber bei Weitem nicht naive Rose Sayer und der ungeschliffene Charlie Allnutt und eine Ladung Sprengstoffgelatine auf einer klapprigen Barkasse – das ist eine Mischung! Eine Mischung, die einfach hochgehen muss. Denn das Abenteuer hat erst begonnen…

In „African Queen“ prallen zwei Welten aufeinander, die nur schwerlich ohne Getöse auskommen. Charlie Allnutt gefällt sich in der Rolle des Helfers, der Sachen von A nach B bringt und ansonsten in Ruhe gelassen werden will. Rose Sayer ist erfüllt vom Leben an der Seite ihres Bruders. Nächstenliebe gibt sie mit besonderer Hingabe ohne eine Gegenleistung einzufordern. Sie als weltfremd zu bezeichnen wäre fatal. Denn sie kann anpacken. Die Stromschnellen des Ulanga-Flusses meistern beide mit Bravour – sie haben ein Ziel vor Augen, für das sich die Strapazen der Reise lohnen. Sich zusammenzuraufen ist da schon eine weitaus größere Herausforderung.

Der Roman erschien 1935, 1951 wurde er verfilmt. Katherine Hepburn war von der ersten Zeile des Buches an begeistert. Kein Wunder, denn die Rose Sayer kann durchaus als alter ego der Leinwandgöttin gesehen werden. Für Bogey in der Rolle des Charlie Allnutt gab es einen Oscar. Im Film werden die Charaktere überspitzt dargestellt. Autor C.S. Forester schuf mit den beiden Protagonisten die Prototypen der Afrika-Abenteurer und einen echten Schmöker, den man erst beiseitelegt, wenn die letzte Zeile gelesen ist.

Imani

Imani ist eine privilegierte junge Frau. Sie spricht Portugiesisch. Ein Vorteil, den Imani zu nutzen weiß. Die Fronten zwischen VaChopi, ihrem Volk und den VaNguni, dem Volk des Königs Ngungunyane und der Besatzungsmacht Portugal sind verhärtet. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Und so sind die VaChopi den Besatzern halbwegs wohlgesonnen im Mosambik am Ende des 19. Jahrhunderts. Das Reich Gaza im Süden des Landes gehört zu dieser Zeit zu den größten des Kontinents. Wer nun eine exakte Abhandlung über die kriegerischen Auseinandersetzungen der verfeindeten Truppen erwartet, muss ganz genau zwischen den Zeilen lesen können.

Denn in erster Linie ist Mia Coutos Buch eine Liebeserklärung an die Geschichte seines Heimatlandes. Imani ist höflich, gebildet, zuvorkommend, aber niemals unterwürfig oder aufmüpfig. Und sie kann im Handumdrehen das Herz des Portugiesen Germano erobern. Der kann diese Liebe aber niemals zugeben oder gar öffentlich machen. Nur in Briefen an sein Hauptquartier schwingt mehr als nur ein wenig Bewunderung für Imani mit.

Das Volk der VaChopi ist, wenn man es mit anderen Völkern vergleicht und den Maßstäben unserer Zivilisation misst, ein fortschrittliches Volk. Frauen und Männer arbeiten gleichsam auf den Feldern, obgleich mit Vehemenz das Patriarchat gepflegt wird. Doch insgeheim sind die Frauen die heimlichen Herrscher.

Ihr Dorf minimiert den großen aufopferungsvollen Kampf auf den kleinsten gemeinsamen Nenner: Die Familie kämpft auf beiden Seiten des Krieges, und innerhalb der Familie sind sich die Brüder – Vater und Onkel von Imani – nicht grün.

Mia Coutos Heldin Imani ist hin und hergerissen zwischen Achtung den Familienoberhäuptern gegenüber – wie gesagt, es gibt nicht nur einen Mann, der hier bestimmt, sondern eben auch die Frauen, die auf ihre eigene Art wissen wie man Einfluss nimmt – und der Pflichterfüllung als Übersetzerin / Vermittlerin zwischen den Kriegsparteien. Am Ende weicht die Unbekümmertheit der Jugend der nüchternen Realität.

„Imani“ ist der Auftakt einer Trilogie, die von den letzten Tagen des Gaza-Reiches in Mosambik erzählt. Hier treffen Poesie und historische Fakten in nie zuvor gekannter Symbiose aufeinander und verzaubern aber der ersten Zeile.

Maxima und ich

David ist ganz traurig. In der Schule wurde er wegen seiner Hautfarbe gehänselt. In Nigeria, wo er geboren wurde, gab es solche Probleme nicht. Sein Papa war dort Arzt. Als es zu gefährlich wurde, gingen seine Eltern mit ihm zurück nach Deutschland. Mama und Papa sind nämlich nicht seine richtigen Eltern, doch irgendwie schon. Und Mama weiß immer wie sie ihren Sohn beruhigen kann. Dann weiß David noch besser wo er zuhause ist.

Die blöden Junges in der Schule sind schnell vergessen. Und erst recht als Maxima ihm ihre Liebe gesteht. Sie malt ein Herz und schreibt ihrer beider Namen rein. Von nun an sind David und Maxima ein Paar. Sie darf sogar bei ihm übernachten. Sie tauschen die Schlafanzüge, was zu Verwechslungen am Tisch sorgt. Denn David will auf einmal gar nicht mehr so viel essen. Und Maxima dafür umso mehr. Doch die Liebe währt nicht lang…

Hanna Jansen gelingt es mit spielerischer Leichtigkeit ein Kinderbuch zu schreiben, das nicht nur Kinder, sondern vor allem auch deren Eltern begeistert. Wo einst Regenwolken den Tag, die Woche, ja das gesamte folgende Leben noch zu verdunkeln drohten, lacht postwendend nicht minder langanhaltend wieder die Sonne. Und egal, welche Hautfarbe man hat, sind die Probleme der Kinder doch immer und überall dieselben.

Die Zeichnungen zum Buch hat Leonard Erlbruch erstellt. Mit minimalistischer Farbgestaltung schafft er das Bindeglied zwischen Text und Leser.

„Maxima und ich“ ist ein Kinderbuch ab sieben Jahren, das immer wieder gelesen werden kann. Autorin Hanna Jansen drückt den Finger in die Wunde, die Kinder leicht schließen können und ihren Eltern oft genug ein Vorbild sein können.

Die Deutschen und ihre Kolonien

Deutschland und seine Kolonien. Wenn man Großbritannien, Spanien und Frankreich betrachtet, spielte Deutschland keine große Rolle im Verteilungskampf der Mächte um die Welt. Nur jeder 40 Quadratkilometer  der kolonialisierten Welt hieß Fritz. Es gab zehnmal mehr Johns.

Schon im 17. Jahrhundert gab es Landstriche in Tobago in der Karibik und in Westafrika am Gambia-Fluss, die in deutschem Besitz waren. Aber sie als Kolonien zu bezeichnen ist irreführend. Da könnte man auch behaupten, dass so manche Autobahnraststätte Kolonie eines Fast-Food-Giganten wäre (auch wenn es sich vielleicht so anfühlt, ist dem nicht so).

Von 1884 an besaß Deutschland dreißig Jahre lang Kolonien. Wer bei Oma und Opa auf dem Dachboden stöbert, findet vielleicht manchmal noch Zigarettenbildchen, die mehr als klischeehaft das Leben in Deutsch-Südwest (Namibia), Deutsch-Ostafrika (Tansania), Kamerun, Togo, den Marshall-Inseln, Samoa, Tsingtau oder Neuguinea zeigen. Mit dem Ersten Weltkrieg war dann Schluss mit dem Weltenspielgehabe. Und so ertragreich und vor allem nachhaltig war „das Engagement“ dann auch wieder nicht. Kein Chinese aus dem Nordosten wird heute noch über deutsche Hinterlassenschaften erzählen können. Zumindest nicht so vielfältig wie ein Inder über den Five o’clock tea, der er selbst noch als Kind erlebte.

Fernab jeder aktueller Befindlichkeit sind die Autoren bestrebt einen umfassenden Überblick über das kurzzeitige deutsche Kolonialreich zu berichten. Sie schaffen es. Mit einfachen Worten und durch die schnörkellose Darstellung von Zusammenhängen, die erst durch dieses Buch zutage treten. Die Vorstellung, dass eine exzellent strukturierte Armee mit Pauken und Trompeten bzw. Kanonen und Gewehren die Bevölkerung niedermetzelte und anschließend das schwarz-weiß-rote Banner in den Boden rammte, dass Blut aus ihm quoll, ist veraltet und größtenteils falsch. Ja, es gab Verbrechen gegen die Menschenwürde. Unentschuldbar! Aber im Großen und Ganzen wurde das deutsche Kolonialreich am Verhandlungstisch geboren. Auf der so genannten Kongo-Konferenz. Ein reichliches Dutzend Länder, bzw. deren Vertreter saßen über Landkarten, mit Lineal und Zirkel wurden Einflussbereiche bestimmt, wieder verworfen, und neuangelegt. Es wurde gestritten, taktiert und sich gegenseitig gratuliert. Nur die, um die es ging, blieben außen vor, wurden nicht einmal eingeladen. Ein ganz perfides Spiel.

Über hundert Jahre ist es her, dass kleine bunte Bildchen, den Einheimischen die Fremde näherbrachten. Wenn auch mit einem verklärten, die Realität verleugnenden Blick. Reisen in diese Länder – Namibia erfreut sich seit Jahren ungebrochener Beliebtheit bei Fernreisen ins südliche Afrika, dem einzige Land, in dem wirkliche Spuren hinterlassen wurden, wie auch immer man das bewerten will – tut ein Blick in die Geschichte gut, vieler Orten tut er Not. Den Autoren ist es zu verdanken, dass Spurensuche nicht immer mit einem schlechten Gewissen enden muss. Sie haben sich einen Maulkorb auferlegt, was Wertungen betrifft, und konzentrieren sich nur auf das, was niedergeschrieben wurde und in Archiven zu recherchieren ist. Informativ und eine echte Bereicherung für jeden Bücherschrank der Geschichte.

Das schlafwandelnde Land

Ein typischer Ausflug am Samstagvormittag mit dem Opa: Der ergraute Mann erzählt von wilden Tieren und beginnt alsbald mit der Belehrung zu den verschiedenen Pilzarten. Dass manche giftig sind und man sie auf gar keinen Fall ernten darf. Immer die Zeit im Nacken, weil die Oma mit dem Essen wartet, das pünktlich um Zwölf auf dem Tisch stehen wird. Spannung? Fehlanzeige!

Anderes Szenario. Tuahir streift mit dem jungen Muidinga übers Land. Auf der Flucht vor dem Krieg. Der alte Mann hat den Jungen bei sich aufgenommen als im der Hauch des Lebens endgültig drohte aus dem Körper zu steigen. Gehen, sprechen, singen – alles musste er ihm wieder beibringen. Nur lesen, das konnte er ihn nicht lehren. Das hat sich Muidinga selbst beigebracht.

Mosambik ist ein karges Land, das nach unseren Maßstäben wenig zu bieten hat. Wenn man Einkaufsmeilen und Eisschlecken als Maßstab nimmt. Das ungleiche Paar ist immer auf der Hut. Hyänen menschlichen und tierischen Ursprungs lauern an jeder Ecke. Ein ausgebrannter Bus soll ihr Schutzschild für die Nacht sein. Denn Tuahir weiß, was einmal brannte, brennt nicht mehr. Zwischen den verkohlten Leichen, der Überresten eines Transports findet Muidinga einige Bücher, die er zum Feuermachen benutzen soll. Stattdessen beginnt er zu lesen. Laut, so dass auch Tuahir etwas davon hat. Es handelt sich bei den Zeilen um das Tagebuch von Kindzu, einem der Opfer, der verstümmelt zwischen Tuahir und Muidinga bereits den letzten Atemzug getan hat. Doch er ist mehr als nur stiller Zuhörer…

Kindzu berichtet von Junhito, seinem kleinen Bruder, der fast taub ist dem vom Vater der frühe Tod prophezeit wird. Es kommt anders, der Vater ist der Auserwählte, der den letzten Schritt wagen wird. Junhito hat es Muidinga angetan. Er und der kleine Bruder des Tagebuchschreibers sind Brüder im Geiste. Muidinga erkennt sich in dem kleinen Jungen wieder und vermutet Junhito zu sein. Tuahir tut dies als albern ab. Die Tagebücher reißen Muidinga und auch Tuahir, der äußerlich unberührt, doch innerlich aufgewühlt, aus ihrem tristen Alltag, der von Angst und Überlebenswillen gekennzeichnet ist. Geister, die nicht jeder sieht, Schiffe als Sinnbilder der Hoffnung und gefährliche Raubtiere bilden von nun an ihre Umgebung. Unbemerkt zerren die Tagebücher die beiden – Leser und Zuhörer – aus ihrem sorgengeplagten Alltag.

Mia Couto spielt mit den Mythen seiner Heimat Mosambik. Er entführt nicht nur die beiden Hauptfiguren, sondern vor allem den Leser in eine Traumwelt, die so nur in Köpfen existieren kann. Traumwandlerisch lässt er das Land wie im Schlaf sich drehen, wenden, aufbäumen und ernüchternd zu Boden krachen. Man muss nicht nach Mosambik fahren, um die Mythen zu verstehen. Es reicht dieses Buch zu lesen. Immer wieder!