Archiv der Kategorie: Reiseimpressionen

Schaurig-schönes Europa

Wenn der Urlaub etwas ganz Besonderes werden soll, dann sind außergewöhnliche Orte das Salz in der Traumsuppe dieser Erinnerungen. Die Bilder, die man sich selbst in diese Erinnerungen pflanzt, müssen einem ganz bestimmten emotionalen Bild entsprechen. Auch wenn sie nur für den Bruchteil einer Sekunde vor dem Auge erscheinen oder für die Dauer eines Spazierganges existieren. Mit allen Sinnen wird dieser Moment für Ewigkeit festgehalten.

So wird man beispielsweise in Craco in der Basilikata im Süden Italiens, nahe der Felsenstadt Matera, auf einen Ort treffen, aus dem das Leben schon vor einem halben Jahrhundert geflohen ist. Oder besser gesagt, es wurde aufgegeben als Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nach einem Erdrutsch es als zu gefährlich angesehen wurde hier weiterhin zu leben. Zuvor lebten hier mehr als tausend Jahre Menschen. Heute erinnern nicht einmal mehr Glasscheiben an eine Zivilisation. Dass hier ein Leben möglich war, ist dennoch nicht wegzudiskutieren. Straßen und Gassen existieren noch. Auch die Raumaufteilung der Häuser ist noch klar erkennbar. Umgestürzte Möbel verweisen auf ihre ehemaligen Bewohner. Und dennoch herrscht hier eine gespenstische Ruhe. Ein verlassener Ort, der einem den Schauer über den Rücken jagen kann.

Brodelnd und voller Leben – dennoch nicht minder lost place – ist der Rio Tinto in Andalusien. So ein Rot in einem Fluss hat man noch nie gesehen. Baden ist nicht ratsam. Der Sauerstoffgehalt ist zu gering, der Säuregehalt hingegen um ein Vielfaches zu hoch. Optisch ist der Fluss ein Augenschmaus und trägt sicher dazu bei sich auch noch Jahre später genau an das meiste zu erinnern.

Über glasklares Wasser schwebt man förmlich im Höhlensee von Tapolca, nördlich des Balatons. Auch hier fühlt man sich wie in einer fremden Welt. Prächtige Farbenspiele, gespenstische Ruhe und alles unter der Erde. Das Höhlensystem ist vulkanischen Ursprungs und kann heute recht gemütlich bereist werden.

„Schaurig-schönes Europa“ ist ein Reiseband, der bei jedem Umblättern das Reisefieber steigen lässt. Stimmungsvoll in Szene gesetzt und mit verheißungsvollen Texten gespickt, macht dieses Buch Appetit auf echte Abenteuer.

Hier und anderswo

Man spürt es ab der ersten Seite, ach was, aber der ersten Zeile: Thomas Michael Glaw reist gern. Und oft. Und er kann viel erzählen. Nicht über das, was man sehen muss, was jedem früher oder später vor die Augen kommt, sondern über das, was man suchen muss und finden kann. Und vor allem über das, was zu beachten ist. Reiseimpressionen mit Lerneffekt. Doch so statisch sollte man dieses kleine Büchlein nicht angehen. Es ist eine Art Hilfestellung für Reisenovizen wie alte Hasen, die über diejenigen lachen, die Catania in Spanien oder Griechenland verorten (die gibt es wirklich! Und das nicht zu knapp!).

Hier sind sie also die gesammelten Impressionen (Auszüge davon) eines Reiselebens. Von München nach Wien im Flieger? Niemals. Im Zug reist man entspannter, und auch nicht viel länger, wenn man die Eincheckzeiten und die Fahrten zum und vom Flughafen einberechnet. Und mit der ÖBB sogar pünktlich, freundlicher … einfach entspannter. Reisen als Sinnesrausch im positiven Sinn. Denn auch eine Zugverspätung kann eine Reise in einen Rausch verwandeln – Stichwort Blutrausch.

Wiens erster Bezirk hat für ihn den Rausch der Vergangenheit gegen die Tristesse des Übers eingetauscht. Übervolle Straßen, übermäßig viele Verkäufer, die überteuerte Tickets verkaufen, überall nur Touristen, die überhaupt kein echtes Wien mehr ans Tageslicht kommen lassen. Dennoch sind Wien und seine Cafés immer noch berauschend. Es sind halt nur andere Cafés, wo man sich zur morgendlichen Stunde Gazetten und Braunen einverleiben mögen möchte.

Südspanien im Winter ist ein feuchtes Vergnügen. Manchmal auch ein feuchtfröhliches, wenn man der Sprache nicht mächtig ist und aus Versehen etwas bestellt, was einen übermäßig beansprucht.

Roma als Amor zu verstehen, fällt leicht, wenn man die Ewige Stadt einmal besucht hat. Oder mehrmals. Die Stadt für sich allein hat man niemals. Es sei denn, man besucht einen Friedhof. Doch auch da ist Achtsamkeit angeraten. Furbo und Pignolo können einem manchmal ordentlich auf die Nerven gehen oder gar die letzten Reste davon rauben. Der Eine mogelt sich durch (und kommt damit auch immer durch), der Andere ist ein Pedant, den man so in Italien gar nicht vermutet. Eine köstliche Charakterstudie des Autors.

„Hier und anderswo“ ist ein kurzweiliges Lesevergnügen für alle, die Bestätigung suchen und/oder vor der Entscheidung stehen in alle Himmelsrichtungen zu flüchten. Knigge-Fallen lauern überall (da ist es wieder, dieses „über“), nicht hineinzutappen, ist die Kunst. In diesem Büchlein die Fallen zu erkennen, sie umschiffen zu können, ist keine Kunst, es ist fast schon eine Pflicht.

Amazonia

Was haben Alexander von Humboldt, Jules Verne und Klaus Kinski gemeinsam? Ihr Ruhm ist eng mit dem Amazonas verbunden. Der Eine durchstreifte den Dschungel, mit diesen Erkenntnissen konnte der Zweite einen faszinierenden Roman schreiben und der Dritte fühlt e sich hier wie der König der Welt, vor und neben der Kamera. Der Amazonas zieht alle in seinen Bann. Und so war es nur eine Frage der Zeit bis (endlich!) Patrick Deville auch dem Amazonas-Fieber verfiel.

Einmal mehr nimmt er den Leser mit ins Dickicht der Unwissenheit, um mit der Machete der Neugier und dem Drang nach Abenteuern das Licht der Erkenntnis zu finden. Es wird eine Entdeckungsreise der persönlichen Art. Denn viele der Pflanzen und Tiere, die – meist nur hier – vorkommen, wurden schon einmal entdeckt. Aber eben noch nicht von Patrick Deville.

Vielmehr liegen ihm aber die Begegnungen am Wegesrand am Herzen. So versinkt er in der Geschichte der Stadt Manaus mitten im Herzen Brasiliens, dort, wo der Amazonas in schier unendlicher Breite Siedler dazu brachte sich niederzulassen. Heute eine schwitzige Metropole, die in Sachen Quirligkeit den Hafenstädten am Atlantik und am Pazifik in Nichts nachsteht. Und das obwohl sie tausende Kilometer von jedwedem Meer entfernt ist. Hier steht das dschungeligste Theater der Welt, hier herrscht eine Lebendigkeit, die weder durch extreme Luftfeuchtigkeit noch exorbitante Kriminalität beeinflusst wird.

Immer wieder kommt Patrick Deville mit Menschen zusammen, die das Schicksal hier her verschlagen hat. Botschafter, Glücksritter, Einheimische, die ihre Nachbarschaft noch nie verlassen haben. Sie alle zeichnen dem Autor und somit auch dem Leser ein Bild einer Landschaft, das so farbenfroh ist, dass man geblendet ist von der Pracht der Eindrücke. Von Hernán Cortés über die ersten Siedler bis zu Werner Herzog, der wie kein anderer (Verrückter) dem Dschungel und dem Fluss ein Denkmal setzte, stapft Patrick Deville durch die Geschichte dieser Region, um Behutsam ihre Geschichten aufzudecken. Schon nach wenigen Seiten ist man ein Fan. Fan von dieser einzigartigen Landschaft, die dem Verfall preisgegeben wird. Fan von Patrick Deville – sofern man es nicht schon lange ist, schließlich führen seine Bücher Leser seit Jahren durch das Kambodscha der Roten Khmer, das Mexiko Leo Trotzkis, das Afrika bedeutsamer Forscher und und und – weil er es versteht Verständnis zu zeigen und zu vermitteln. So eine Forschungsreise macht man am Liebsten mit Patrick Deville!

Guatemala leuchtet

Guatemala ist sicher nicht das Reiseland Nummer Eins, in das man einfach mal so reist. Ab in die Öffis zum Flughafen und mit einem Last-Minute-Ticket – nein, wenn man Guatemala bereist breitet man sich vor. Lässt sich aber noch genug geistigen Spielraum, um den zu erwartenden Eindrücke- Flash genug Raum einzuräumen.

Susanne Hartmann studierte Ethnologie, Volkskunde und Indologie. Und die Maya, ihre Kultur, ihre Geschichte und vor allem ihre Gegenwart sind mehr als nur ein Steckenpferd. In ihren Reiseerzählungen „Guatemala leuchtet“ berichtet sie von ihren zahlreichen Reisen. Und dabei ertappt man sich – als Leser – selbst dabei dem eigenen Forscherdrang schnellstmöglich nachgeben zu wollen. Die Hingabe, mit der sie von ihren Abenteuern erzählt, ist mitreißend. Das beginnt bei einem Einbruch in der Nacht, um auf einem archäologischen Feld, einer Tempelanlage den Sonnenuntergang und den Mondschein so zu erleben wie es die Mayas sicher schon vor Jahrhunderten selbst taten. Und es endet noch lange nicht, wenn blutrünstiges Flattergetier die Unterkunft mit Leben erfüllt.

Auf ihren Reisen hat sie viele dieser Tempelanlagen gesehen. Sie hat sich intensiv mit den Inschriften beschäftigt und sie entschlüsselt. Sie wohnte bei Menschen, die die Tradition der Mayas als selbstverständlich in ihrem Alltag lebten. Der Begriff Studienzweck spielte dabei eine bedeutende Rolle. Die Leidenschaft diesem Studienzweck zu folgen, ist jedoch die Grundlage all ihrer Reisen nach Guatemala.

Susanne Hartmann hat aber auch die aktuellen Probleme im Auge. Wo beispielsweise einst zahllose Generationen im Fluss badeten, der Fluss Lebensgrundlage war, ist heute mehr nur noch ein giftiges Gewässer anzutreffen. Giftig-Gelbe brühe, die auch schon so manche Leiche mit sich trug. Ebenso spielt die Gewalt in dem lateinamerikanischen Land eine nicht zu unterschätzende Rolle. Entführungen und Erpressungen und Mord sind allgegenwärtig. Auch das muss sie in ihre Beobachtungen/Forschungen einfließen lassen.

„Guatemala leuchtet“ nicht nur nach Susanne Hartmanns Einschätzungen immer noch. Das ist der Hoffnungsschimmer am Horizont ihrer Reiseimpressionen. Man muss nur die Augen offen halten, um ein Land zu erkennen, das derart reichhaltige Kulturgüter wie selbstverständlich erhält. Doch die Selbstverständlichkeit bekommt immer mehr Risse. Auch darüber berichtet die Autorin mit derselben Kraft und Hingabe wie zuvor von den „schönen Dingen des Lebens“. Dieses Buch ist mehr als nur eine Reisebeschreibung eines fernen Landes. Es ist das Abbild eines Landes, einer Kultur, die schon immer im Wandel war. Doch immer schneller rücken die dunklen Wolken der Zerstörung dieser Kultur auf die Pelle.

Deutscher Herbst

Ernest Hemingway besoff sich tagelang mit den Siegern im Paris des Jahres 1945. Der schwedische Journalist Stig Dagerman reiste mehr als ein Jahr später durch das Land, aus dem seine Ehefrau kam. Nicht zusammen mit anderen Berichterstattern, deren Höhepunkt die Nürnberger Prozesse waren, sondern als Nachwuchsreporter der Zeitung Expressen. Sie entschieden sich gegen einen alten Haudegen, der wohl behütet zwischen Kollegen durch das zerstörte Land geführt wurde. Sondern für einen Frischling, der dank seiner familiären Verbindungen relativ frei durch die Trümmerwüste reisen konnte. Der Schrecken, den die Deutschen einst verursachten, war teils einer Häme über das nun hereingebrochene Land gewichen. Andererseits gab es eben auch Reporter wie Stig Dagerman, die die Situation mit dem gebührenden Abstand und Respekt einzuschätzen konnten.

Nicht selten muss sich der Autor im Herbst 1946 zwingen nicht alles Deutsche mit dem braunen Sumpf in Einklang zu bringen. Er weiß, dass die, die nun tage-, wochen- monate- ja, sogar jahrelang in nassen Kellern (der bevorstehende harte Winter steht ihnen noch bevor) Abstand genommen haben von der braunen Ideologie, sofern sie ihr zuvor verfallen gewesen sind. Knöchelhoch das Wasser, orchesterartiges Magenknurren, Egoismus allenthalben. Früher war alles besser. Dieser erschreckende Satz erschrickt ihn nicht. Denn er weiß, dass diese Worte aus einer Unzufriedenheit und Desillusioniertheit stammen, die man zwar in Worte fassen kann, sie zu verstehen aber fast unmöglich ist.

Mit einer entwaffnenden Klarheit sieht er dem Elend in den Schlund. Er sieht blasse Leiber, hochrote Köpfe und farblose Augen. Die Zukunft ist hier kein Thema. Das Hier und Jetzt sind für ihn der Fang seines Lebens. Doch Stig Dagerman ist nicht der sensationshungrige Schreiber, der die Auflage vor die Geschichte setzt. Er weiß, dass er privilegiert ist, er zeigt es nicht und gibt den Beobachteten und Interviewten die Luft zum Atmen. Auch wenn sich so mancher daran verschluckt.

Ein Urteil wird er niemals fällen. Das machen andere. Stig Dagerman ist Beobachter, Schreiber und Außenstehender. Deswegen ist „Deutscher Herbst“ sicherlich eines der bedeutendsten Bücher über die direkte Nachkriegszeit in Deutschland. Der leicht irreführende Titel – mit Deutscher Herbst bringt man doch eher die Zeit der RAF Ende 1977 in Verbindung – birgt einen Schatz in sich, der gehoben werden will. Flüssig im Text, klar in der Argumentation, ohne jegliche verbrämte Rachegedanken. Stig Dagerman hätte allen Grund sich in den Reigen des Freudentaumels über die besiegten Deutschen einzureihen – seine Frau musste aus ihrer Heimat fliehen – er ist der Chronist einer zeit, die man nie erleben möchte. Und dennoch wird es solche Bücher immer wieder geben: In Afrika, in Lateinamerika, in Asien, in der Ukraine, im ehemaligen Jugoslawien… Hoffentlich auch mit Dagermans Erben!

Italiens Provinzen und ihre Küche

Schon beim Erblicken des Titels weiß man, das kann nur gutgehen. Und dieses Vorurteil wird auf den folgenden 160 Seiten ein ums andere Mal bestätigt. Denn Italien und Essen – das passt wie Roma e storia und  Napoli e vesuvio. Dolce vita zwischen zwei Buchrücken, mit Gaumenfreuden alla nonna. Davon kann man nie genug bekommen!

Das hat sich auch Alice Vollenweider gedacht. Und räumt mit dem Vorurteil auf, dass nur Pasta und Pizza auf dem Stiefel auf die Teller kommen.

So unterschiedlich die Regionen sind, so unterschiedlich sind auch die kulinarischen Gepflogenheiten. Im Laufe der Zeit hat sich sogar der vino zur Pizza in eine gepflegte Hopfenkaltschale verwandelt. Ja, mittlerweile hat der Bierkonsum den Weinverzehr überholt. Das aber nur als Randnotiz für all diejenigen, die mit offen stehendem Mund und stotternder Stimme in bella italia sich entrüsten wollen, dass der Traubensaft so sehr nach zuhause ausschaut…

Liest man das Buch nun mit oder ohne Lätzchen? Das muss jeder für selbst entscheiden. Wer jedoch bei Minestra di fagioli (Triestiner Bohnensuppe), Conchiglie e broccoli (Teigmuscheln mit Broccoli) oder Torta di ricotta (muss man wohl nicht übersetzen) ein leichtes, freudiges Grummeln in der Magengegend verspürt, sollte vorsorgen.

Denn es geht weiter. Region für Region, vom Trentino bis Sizilien, von Venetien bis Sardinien reicht die Menükarte. Und auf ihr hinterlassen Kalb, Hühnerleber und Kaninchen einen leckeren Nachgeschmack.

Schon beim Lesen fällt auf, dass es zwischen den Regionen sehr wohl gewaltige Unterschiede gibt. Während im Norden Polenta auf den Tisch kommt, vertreten Makkaroni bei einer Blindverkostung eindeutig Sizilien.

Neben den Unterschieden verbinden aber auch – zwischen den Zeilen – die Gemeinsamkeiten die cucina italiana. Wo andernorts mächtig Butter verwendet wird, schwören italienische Köche auf Olivenöl. Die barbarische Verwendung von Butter – die ersten italienischen Einwanderer in Deutschland staunten nicht schlecht wegen der Brocken Butter in deutschen Tiegeln – wird hier niemals das reine Öl ersetzen.

Wer Italien liebt, tut dies auch wegen der kulinarischen Entdeckungen. Dieses Buch strotzt nicht nur wegen der einfühlsamen Beschreibungen der Küche Italiens, sondern punktet nicht zuletzt wegen der enormen Anzahl an leicht nachzukochenden Rezepten. Achtundachtzig an der Zahl – und jedes einzelne ein Stück Italien. Buon appetito!

Lesereise Nordirland

Hausboot, Straßenkämpfe, Gartenparadies – auf den ersten Blick eine allzu willkürlich und stark verkürzte Beschreibung dessen, was den Leser in diesem Buch erwartet. Hinzufügen sollte man noch, dass die Autorin Stefanie Bisping regelmäßig auf dem Treppchen bei der Wahl zur Reisejournalistin des Jahres landet. Gold ist ihr näher als Silber. Und somit führt sie den Spruch, dass Schweigen Gold ist, ad absurdum.

Denn Stefanie Bisping schweigt nicht. Sie genießt das Reisen, aber sie schreibt auch darüber und lässt in diesem Fall jeden Wissbegierigen an einem Land teilhaben, das vielleicht immer noch einen Dornröschen-Dämmerschlaf frönt. Noch!

Der Name der nordirischen Hauptstadt Belfast ist ebenso eng mit der Titanic verbunden. Hier wurde das Rekordschiff gebaut, bevor es Monate später nicht minder rekordverdächtig in den Tiefen des Atlantiks versank. In Belfast erinnert heute ein gigantischer Titanic-Komplex an die Katastrophe, aber auch an die Schiffsbautradition der Stadt. Inkl. Kongress-Center, Pubs und natürlich dem größten Titanic-Museum der Welt. Erstaunlich, was an Wissen noch alles aus dieser Geschichte herauszuholen ist. Stefanie Bisping kitzelt wirklich das letzte unveröffentlichte Geheimnis aus dem Gebäude.

Belfast ist aber auch eine der wenigen Städte mit einer Mauer. Während man in Berlin dem antifaschistischen Schutzwall nur noch mit touristisch weit geöffnetem Maul entgegensteht, ist hier die Mauer tatsächlich immer noch Mittel zum Zweck (der Trennung). Und die alljährlichen Umzüge in Orange verleiten diejenigen, denen das Orange ein Dorn im Auge ist, dazu, dass man in die Sommerfrische flieht. Auch eine Art der Konfliktlösung, und nicht die Schlechteste.

Eine Flucht nach Vorn hat auch ein Gärtner angetreten, den die Autorin begleitete. Eigentlich wäre er längst im Ruhestand. Doch die Liebe zu Gärten und Pflanzen ließ ihn das süße Leben vergessen, und er trat einmal mehr in den floralen Dienst ein.

Große Geschichte und kleine Geschichten hat Stefanie Bisping gefunden, oder sie ließen sich von ihr finden. Immer wieder staunt man über jede einzelne. Und man möchte sofort selbst auf die grüne Insel fahren, wo immer noch tagein tagaus Traditionen gelebt werden. Das beginnt nicht erst bei Halloween und hört noch lange nicht beim Bier- und Whisky-Trinken auf.

Die Versuchung von Syrakus

Reiseimpressionen sind immer ein Appetitmacher auf ein Reiseziel, bei dem man sich entweder nicht sicher ist, ob es das richtige ist oder sie sind der Tropfen, der das Fass der Sehnsucht zum Überlaufen bringt. Oft spaziert man neben dem Autor einher und nickt zustimmend – Ja, das sehe ich genau so. Und dann gibt es Reiseimpressionen, die packen einem am Schlafittchen und treiben einen in den Wahnsinn. Warum nur war ich nicht schon früher hier? Was habe ich schon alles verpasst? Wie um alles in der Welt konnte ich nur so lange warten? „Die Versuchung von Syrakus“ gehört eindeutig in die letzte Kategorie, wenn dieses Buch nicht sogar diese Kategorie auf ein neues Level hebt.

Joachim Sartorius, ehemaliger Intendant der Berliner Festspiele verbringt einen großen Teil seines Lebens in Syrakus aus Sizilien. Wie viel andere auch. Er muss also wissen, was man in der Stadt sehen muss, was sie erlebbar macht. So wie viele andere auch. Doch er schafft mit einer Leichtigkeit dem Leser, dem Sehnsüchtigen diese Stadt schmackhaft zu machen, dass man sich gar nicht getraut zur Serviette zu greifen und sich den Sabber vom Mund zu wischen.

Selbst so eine profane Handlung wie zum Friseur zu gehen, wird zu einer Sache, die man seiner To-Do-Liste unbedingt hinzufügen muss. Wer bisher dachte, dass sich der Ruhm der Stadt einzig allein auf „Heureka-Ich-Hab’s“-Archimedes gründet, wird schnell eines anderen belehrt. Einmal mit Joachim Sartorius durch de engen Gassen der Altstadt zu wandeln, gleicht einer 3D-Animation, in der man sich wie im bequemsten Federbett fühlt. Ortigia, die Altstadt, ist auf einer Insel der Stadt vorgelagert. Sie zu umlaufen, dauert nicht lang. Sie in sich aufzusaugen, ist eine Lebensaufgabe. Einen umfassenden Vorgeschmack bekommt man hingegen auf den reichlich einhundertsiebzig Seiten dieses Buches. Immer wieder streut der Autor kleine Anekdoten ein, verweist auf Eisdielen, Orte zum Erholen und Staunen und richtet den Blick auf großes Offensichtliches und die Kleinigkeiten, die zu einem Giganten anwachsen, wenn man sie entdeckt.

Bei jedem gelesenen Kapitel, bei jedem Umblättern möchte man einen Freudentanz aufführen, weil man sich nun zu hundert Prozent sicher sein kann, dass man den Besuch von Syrakus mit einem echten Kenner in der Hand vollends genießen kann.

Die Leipziger Passagen und Höfe

Wer Gäste hat, die zum ersten Mal Leipzig besuchen – so was soll’s ja tatsächlich noch geben – der zeigt als Erstes die Passagen der Innenstadt, der City, der Stadt wie der Leipziger sagt. Olle Goethe hat im Auerbachs Keller in der Mädlerpassage oft genug gezecht – bestimmt auch so manche zeche geprellt – das muss man zeigen, muss man gesehen haben. Stimmt! Aber, und dieses Aber kann man gar nicht groß genug schreiben, damit ist die Tour noch nicht einmal annähernd am Anfang einer großartigen Tour durch die Passagen und Höfe der Messestadt.

Jeder Stadtobere Leipzigs hält etwas auf die Messetradition in der Stadt. Hier wurden schon vor Jahrhunderten Salz, Gewürze, Felle … eigentlich alles, womit sich der Geldbeutel füllen lässt, Märkte und Messen abgehalten. Das erwirtschaftete Geld floss zu einem gewissen Prozentsatz auch ins Stadtsäckl. Und nach und nach wuchs die Stadt, zeigte, was man sich leisten konnte und ließ Marktplätze (überdacht) entstehen, die bis heute zum Bummeln einladen. Von der Luxusuhr bis zum handgebastelten Mitbringsel im Pop-Up-Store fand man schon immer alles innerhalb des Stadtkerns. Und nach der Wende erstrahlten die alten Handelsplätze, auch dank einiger (zu vieler) unseriöser Geschäftspraktiken im neuen Glanz. Die Geschädigten können dem sicher nur wenig abgewinnen. Besucher hingegen werden noch Wochen nach de Besuch von der Eleganz schwärmen.

Wolfgang Hocquél setzt dem unverwechselbaren Wahrzeichen der Stadt Leipzig ein neuerliches Denkmal. So schmal das Buch auf den ersten Blick aussehen mag, so prall gefüllt sind seine fotografischen Schätze. Das Füllhorn an Bling-Bling ist endlos. Als ob extra für das Fotoshooting jede einzelne Scheibe noch einmal auf Hochglanz poliert wurde. Kenner wissen, dass es hier immer so aussieht. Man zeigt, was man hat und schmückt sich gern damit.

Selbst Leipzig-Kenner werden hier und da in Staunen geraten. Die großen Passagen sind jedermann bekannt. Speck’s Hof, die bereits erwähnte Mädlerpassage und sicher auch Oelßner’s Hof lassen aufhorchen. Aber Jägerhof und Kretschmanns Hof – da muss man schon nachdenken. Obwohl man bei jedem Spaziergang durch die City daran vorbeiläuft. Ab sofort hält man kurz inne.

Auch Leipzig lässt den Fortschritt nicht spurlos an sich vorbeiziehen. Die neu geschaffenen Höfe am Brühl haben in diesem Buch ebenso ihre Daseinsberechtigung (der Mix aus neuerem Bestand und totalem Neubau war anfangs umstritten, mittlerweile nimmt man es in Leipzig als gegeben hin), wie die verschwundenen und versteckten architektonischen Perlen links und rechts von Brühl, Katharinenstraße und Marktplatz. Einfach nur Durchblättern ist bei diesem Buch nicht möglich. Lesen, Staunen, Stehenbleiben und nochmals Staunen – anders geht’s halt doch nicht.

Almost 2

Raus, raus, raus, raus – ich muss hier raus! So muss sich Wojciech Czaja gefühlt haben als er im Corona-Lockdown sich auf seine Vespa schwang und mit Verve seine Stadt Wien erkundete. Journalist ist er. Schwerpunkt Architektur. Auf einmal sah er Wien mit ganz anderen Augen. Dort war der Orient, dort ein verschlafenes Nest in den Bergen. Alles vor seiner Haustür. Die Kreativität der Bauherren inspirierte den Vespa-Piloten.

Und das nicht nur einmal. Band Zwei der Almost-Weltreise ist die konsequente Fortsetzung seiner Vespiaggio durch das lockdown-massenentkernte Wien.

Wer noch nie in Milwaukee war (Alice Cooper kommt von hier), nicht weiß wie es dort aussieht, der kann Czaja vollauf vertrauen. Er hat es in Meidling, in der Flurschützstraße entdeckt. Und Houston in Erdberg. Das Guggenheim in Favoriten. Und die Piazza di San Marco am Schmerlingplatz im Ersten.

Es sind Gebäude oder Details, die ihn als Weltreisenden an frühere Reisen erinnern. Er hält drauf zu, drückt ab und das Ergebnis regt ab und an zum Schmunzeln an, erstaunt aber nach jedem Umblättern aufs Neue. So groß die Welt ist, so nah ist sie auch. Und alles trifft sich nicht zwingend beim Heurigen im Speziellen, in Wien im Allgemeinen jedoch sehr wohl. Historisches, Modernes, Auffallendes, Typisches – wer die Augen offenhält, wie Wojciech Czaja, der nimmt jede Einschränkung des Aktionskreises in Kauf. Man muss in die Welt hinausfahren, um sie zu erkunden. Doch man muss nicht lang fliegen, um sie zu erkennen.

Dieses kleine Büchlein – mittlerweile sind es ja schon zwei – hilft die Sehnsucht nach dort hin und da hin am Leben zu erhalten. Und es zeigt, dass um die Ecke oft mehr zu sehen ist, als nur das lokal Typische. Mit ein bisschen Phantasie wird man selbst fündig.