Archiv der Kategorie: offenes Asien

Japanbilder

Es ist noch gar nicht so lange her, dass das ferne Japan ein weiteres Mal in den Fokus der Öffentlichkeit rückte. Nicht zum ersten Mal: Mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt schlichen sich auch stilistische Einflüsse in die Kunst. In den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts schwappte – unter anderem auch durch Alphavilles „Big in Japan“ – eine regelrechte Japanomania nach Europa, die bis heute anhält. 2020 wird diese Welle einen neuen Höhepunkt erreichen, wenn die Olympischen Sommerspiele in Tokio stattfinden werden. Je nach Qualitätsanspruch wird man dann wieder mit Kuriositäten aus dem Land des Lächelns bombardiert werden oder tatsächlich etwas Substantielles über das Land erfahren.

Den Anfang macht zweifellos dieses Buch. Der unscheinbare Titel „Japanbilder“ verspricht nicht mehr und nicht weniger als persönliche Eindrücke von Michaela Weber, die ans andere Ende der Welt reiste und eine Kultur vorfand, die es vielen schwer macht sie zu verstehen. Und so wird das Lesen dieses Buches zu einer Reise vom Sofa aus in ein Land, das für die meisten ein ewiger Traum bleiben wird.

Besonders auffällig ist das ineinandergreifende Zusammenspiel von kurzen knackigen Einleitungstexten und den imposanten Abbildungen. Michaela Weber vermischt geschickt persönliche Erfahrung und Faktenwissen, die im Anschluss durch unzählige – mal größere, mal kleinere – Bilder untermalt werden.

Mit wachen Augen reist Michaela Weber durch Japan und schon bald wundert sie sich über fast gar nichts mehr. Ein Polizeimuseum in Tokio weist nicht martialisch mit Waffe oder einer staatlichen Symbolik auf sich hin, sondern mit einer niedlichen Comicfigur. Bahnhöfe und Züge sind so sauber, dass es ihr nicht nur auffällt, sondern besonders berichtenswert erscheint. Auch die Schaffner sind von außerordentlicher Freundlichkeit. Und mit den deutschen Fahrkartenkontrolleuren haben sie so gar nichts zu tun.

Michaela Weber reist durch Tokio, Osaka, Hiroshima, Kioto und die eher unbekannteren Städte Inuyama und Nara. Oft unterliegt man dem Vorurteil, dass innerhalb eines fernen Landes alles gleich sei. Dem ist natürlich nicht so. In Deutschland würde ja auch niemand auf die Idee kommen Ostfriesen und Allgäuer in einen Topf zu werfen! Mit dem Finger am Auslöser der Kamera gelingen Michaela Weber einfühlsame Schnappschüsse, die das Bild Japans im Jahr der Olympischen Spiele nachhaltig prägen werden. Alltagsszenen wie spielende Kinder, aber auch für unsere Augen fast schon verspielte Hinweisschilder stehen eng neben Preistafeln für (käufliche!) Gebete und Wünsche für ein besseres Leben. Diese Japanbilder wird man so schnell nicht vergessen, weil man sie wie ein privates Fotoalbum immer wieder ansehen will.

Mädchen brennen heller

Es beginnt so zärtlich. Purnima wurde nach dem Mond benannt. Ein zärtlicher Name für ein zartes Geschöpf. Doch schon die Antwort des Vaters, warum die Erstgeborene denn diesen Namen bekam, lässt das Unheil in weiter Ferne erahnen: Einer Prophezeiung nach würde dann ein Sohn geboren. Und der ist in der indischen Gesellschaft mehr wert! Da muss man erstmal schlucken. Nicht zum letzten Mal in diesem Buch von Shobha Rao.

Purnima ist die Älteste, muss im Haushalt und bei der Arbeit helfen – Purnimas Familie gehört zur Weberkaste. Und irgendwann, bald, wird sie heiraten. Sie wird verheiratet werden. Denn Heirat bedeutet einen Esser weniger in der Familie. Besonders, wenn der Esser eine Frau, ein Mädchen ist.

Purnimas Mutter ist krank. Krebs. Sie wird bald sterben. Die Hochzeit wird aus allen Gründen, außer menschlichen, notwendiger denn je. Ebenso wird eine Haushaltshilfe benötigt. Diese steht eines Tages in der Gestalt von Savita auf der Schwelle. Nur ein oder zwei Jahre älter als Purnima. Ihr Name bedeutet Sonne. Sonne und Mond- so unzertrennlich miteinander verwoben wie die beiden Mädchen, jungen Frauen. Savita ist die Rettung für Purnima. Sie zeigt ihr wie man sich aufdringlichen jungen Männern – die ja mehr wert sind – erwehren kann. Savita ist der Rettungsanker, den sich Purnima nicht einmal im Schlaf hätte vorstellen, hätte wünschen können.

Doch das Schicksal schlägt einmal mehr erbarmungslos zu. Savita von einem Tag auf den anderen nicht mehr da. Purnimas Leben scheint nun vorgezeichnet zu sein. Nach und nach findet Purnima heraus, was passiert ist. Eine abscheuliche Tat ist Savita widerfahren. So unwirklich, dass es kaum fassbar ist, was Shabha Rao da beschreibt.

Wer immer noch in der romantischen Vorstellung der indischen Gesellschaft lebt, dass hier alles in Harmonie verharrt, wird einen Denkzettel fürs Leben bekommen. Das Kastensystem erlaubt kaum Ausbrüche, geschweige denn Aufstiege. Mädchen stehen im Ehrenranking so weit hinten an, dass sie kaum existent erscheinen. Männer sind, egal welcher Kaste sie angehören, in jedem Belang überlegen. Dass Shabha Rao ihre Heldin Purnima den Ausbruch wagen lässt – Purnima sucht besessen nach Savita, reist durch Indien bis ans andere Ende der Welt – ist eine Revolution in der indischen Literatur. Armut und Missbrauch gehören in Purnimas Kreisen zum Alltag. Die allgegenwärtige Gewalt, das bedrückende Leben in unmenschlichen Verhältnissen sind das Salz in der Suppe dieses erstklassigen Romans. Der Kampf Purnimas gegen diese Regeln machen daraus ein schmerz- und schmackhaftes Mahl.

Die Seidenstraße – Landschaften und Geschichte

Mit dem Wissen, dass die eine Seidenstraße nicht gab, nicht gibt und sicherlich auch niemals geben wird (maximal als Restaurantname) liest es sich viel entspannter durch diesen Prachtband.

Die Seidenstraße bezeichnet Handelsrouten, die schon vor über zweitausend Jahren die Völker, vor allem aber die Händler, aus dem Osten mit denen aus dem Westen verbanden. So gelangten Porzellan und Gewürze, Zahlen und Musik, aber auch Brauche und Tiere von einem Ende der Welt ans andere.

Auf knapp fünfhundert Seiten wird die Pracht der Wege – mal eng wie die Gassen einer Kleinstadt, mal unendlich breit, nur von Bergketten begrenzt – in ihrer ganzen Vielfalt dargestellt. Die Bilder springen als Erstes dem Betrachter ins Auge. Farbenprächtige Mosaiken, traditionelles Handwerk, prunkvolle Teppiche, erhabene Reliefs, einsame Oasen, verlassene Ruinen, umgeben von spannenden Texten, die von Forschern geschrieben wurden, die sich ganz und gar ihrer Arbeit verschrieben haben. Allesamt Experten auf ihrem Gebiet.

So umfangreich und eindrucksvoll wurde die Seidenstraße noch nicht dargestellt. Die Vielzahl von alten Karten und Plänen, die Interpretation von Handwerkskunst, Funde von alten Schriften erstaunen ab der ersten Seite.

Es ist nicht leicht so ein Schwergewicht wieder beiseite zu legen. Ein bisschen Fernweh kommt auf, wenn man von exotischen Orten wie Simurgh, Pir-e Sabz oder Samarkand liest. Viele Orte sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich, so dass einem nur der Griff zu diesem Buch bleibt, um sie erleben zu können.

Nicht nur Geschichtsfans kommen hier auf ihre Kosten. Jeder, dem Abenteuer nicht fremd sind, wird mit wachsender Begeisterung in diesem Buch blättern, lesen und sich an Texten und Abbildungen erfreuen. Gepaart mit Wissensvermittlung, die einem Telefonjoker bei „Wer wird Millionär?“ vor Neid erblassen lassen.

„Die Seidenstraße – Landschaften und Geschichte“ eröffnet eine alte neue Welt. Die gekonnt in Szene gesetzten Schätze – von Grabsteinen über tanzende Pferde bis hin zu Edelsteinen – vermitteln nachhaltig einen detaillierten Einblick in über zweitausend Jahre Kulturaustausch, der heutzutage viel zu oft und viel zu offen angeprangert, manchmal sogar verteufelt wird. Erst dieser Kulturaustausch erlaubt die eigene Kultur im richtigen Licht zu sehen. Dieses Buch muss man zumindest einmal im Jahr in die Hand nehmen, um nicht zu vergessen, dass Kultur immer auf Gegenseitigkeit beruht.

Musashimaru

Ein Käfer, der zwischen Buchstaben herumkrabbelt – Mu – Sashi – Maru kann man durch den gedrungenen Körper mit den filigranen Beinen erkennen. Bei dem einen oder anderen Sportfan klingelt ein kleines Glöckchen im Hinterkopf. Das war doch der Sumo-Ringer. Ein fast zwei Meter Koloss mit fast fünf Zentnern Lebendgewicht, an die Gegner der unteren Ränge regelmäßig abprallten. Stimmt. Aber um den geht es hier nicht! Obwohl Herr K., der Autor Choukitsu Kurumatani, sein Haustier nach dem massigen Yokozuna (der höchste Rang, den ein Sumo-Ringer erreichen kann) benannt hat. Sein Haustier ist … ein Nashornkäfer.

Nach einigen Fehlschlägen – Choukitsu Kurumatani wuchs nicht gerade mit dem so genannten goldenen Löffel im Mund auf, was ihn diese Fehlschläge einigermaßen gut verkraften ließ – geht es wieder aufwärts. Er kann sich ein geräumiges Haus leisten, das er und seine Frau nach ihren Wünschen einrichten. Der Kauf selbst gestaltet sich etwas kurios. Die Verkäuferfirma verlangt Barzahlung, die Zusatzkosten sind höher als gedacht. Doch Choukitsu Kurumatani kann die Mehrbelastung durchaus stemmen. Schon im Haus, das das Paar zuvor bewohnte, beherbergten sie ein außergewöhnliches Haustier. Und so kommt es, dass in die „Käferklause“ der Nashornkäfer Musashimaru einziehen darf.

Ein ungewöhnliches Tierchen. Wiegt nur ein paar Gramm. Hat aber Kräfte wie ein Stier. Seine Behausung, ein Korb, wird von ihm regelmäßig hin und hergeschoben. Das dichte Geflecht wird aufgebogen, so dass der kleine Racker immer wieder ausbüchst. Herr und Frau Kurumatani amüsiert das und mit wachsendem Interesse und fortwährender Neugier verfolgen sie die Entwicklung ihres tierischen Gastes. Wohl wissend, dass sein Ende vorhersehbar ist. Denn Nashornkäfer haben keine große Lebenserwartung. Freunde von ihnen haben ebenfalls einen Käfer bei sich aufgenommen und werden nicht müde in Briefen darauf hinzuweisen, dass ihr Käfer doch viel älter werden kann. Hochmut kommt vor dem Fall!

Doch eines Tages bemerkt Choukitsu Kurumatani, dass Musashimaru langsam die Kräfte schwinden. Zuerst ist es nur eine Klaue, die ihm fehlt, schon bald sind es ganze Gliedmaßen, die es ihm unmöglich machen auf eigene Faust die Welt der „Käferklause“ zu erkunden. Schließlich stirbt der neun Gramm leichte Musashimaru.

Choukitsu Kurumatani wurde früh mit dem Tod konfrontiert. Das Thema Tod zieht sich durch sein gesamtes Leben und Werk. Als Schriftsteller erster Garde – zahlreiche Preise wurden ihm zu Lebzeiten zuteil – versteht er es meisterhaft die Trauer in Worte umzusetzen. Die Übersetzung der Verlegerin Katja Cassing bringt diese Wortgewalt nun auch dem deutschen Lesepublikum nahe. Als Delikatesse – nur ein Merkmal der Reihe „cass schilfboot“ – sind die Seiten mit aufwändigen Zeichnungen von Inka Grebner illustriert. Japan zu verstehen kommt manchmal einer Mammutaufgabe gleich. Zu groß die kulturellen Unterschiede, zu ungewöhnlich die Namen der Protagonisten in den Büchern. Wer sich jedoch die Mühe macht die fremden Silbenformationen als ganz normale Namen anzuerkennen, dem wird mit Band Eins dieser hochwertigen Bücherreihe einen unermesslicher Wissensfundus offenbart. Mehr als nur eine Einstieg in eine doch so fremde Kultur.

In Liebe, Dein Vaterland II: Der Untergang

Der Wahnsinn geht weiter! Nordkorea hat sich in Fukuoka eingerichtet. Die abgetrennte japanische Provinz (Japans Regierung hat keinen Mumm eigenes Territorium zu verteidigen und überlässt die Halbinsel ihrem Schicksal) ist fest in nordkoreanischer Hand. Im Fernsehen läuft Propaganda. Und für die nachrückenden Einheiten, immerhin 120.000 Soldaten, wird bald schon eine kleine Stadt in der Stadt entstehen. Das kurbelt die Wirtschaft an. Freie Marktwirtschaft unter staatlicher Kontrolle. Volksverräter – und nur die Invasoren bestimmen wer Freund und wer Feind ist – werden ausgemacht und ihr Leben ausgelöscht.

Im Krieg gibt es, laut General von Clausewitz, einfache Regeln. Es gibt nur eine Nummer Eins – sie agiert. Es gibt nur eine Nummer Zwei – sie reagiert auf die Aktion von Nummer Eins. Und es gibt zahlreiche kleine „Nummern Drei“ – sie versetzen mit kleinen Nadelstichen Nummer Eins und Zwei immer wieder kleinere Blessuren. Sobald jedoch die Nummer Eins beginnt auf die Aktionen von Nummer Zwei zu reagieren, schwächt man die eigene Position. Aber ganz ehrlich: Am spannendsten ist die Nummer Drei. Mori und Toyohara gehören dieser Nummer Drei an. Ihr Leben ist nach offizieller Lesart eh nicht viel wert. Toyohara wuchs bei seinem Großvater auf. Ein ehrenwerter Mann mit ruhmreicher Ahnenlinie. Eines Tages beschloss er seine Mutter zu finden, stieg in den Zug und wurde prompt erwischt (Schwarzfahren ist ein gefährliches Unterfangen, wie man gleich sehen wird). Am nächsten Tag versuchte er es noch einmal. Dieses Mal mit einem Samurai-Schwert, eines aus Großvaters Sammlung. Ein Schaffner überlebte die freundliche Aufforderung den Zug zu verlassen nicht… Mori ist nicht minder aggressiv, hat außerdem ein sehr auffälliges Äußeres. Fast wie eine Eule.

Nur zwei Menschen aus einer Gruppe, die in der abgeriegelten Zone den Truppen folgen und ihrem Anführer Bericht erstatten. Sie sind die Nummer Drei. Sie stehen zwischen den Fronten. Auf der einen Seite sind sie japanisch, verachten aber die gegenwärtige Situation, die es ihnen verbietet ein „normales Leben“ führen zu können. Sie sind Anarchisten, Terroristen, teils sogar soziopathisch veranlagte Gangster.

Die Nordkoreaner sehen sich bald schon einer neuen Herausforderung gegenüber. Denn mit einer plumpen Invasion ist die Inbesitznahme Japans (beziehungsweise eines Teils davon) noch lange nicht erfolgreich.

Ryū Murakami lässt dem Leser keine Chance. Lachend und weinend zugleich liest man sich durch ein Szenario, das in der gegenwärtigen Situation gar nicht mehr so unwahrscheinlich erscheinen mag. Ehemalige, unverrückbare Bündnispartner drehen Japan den Rücken zu und lächeln Nordkorea an. Die schwache Regierung eines an sich starken Landes (wohl eher eine starke Wirtschaft, was die Abwendung der Amerikaner mehr als erklärlich macht) ist nach jahrzehntelanger intellektuell progressiver Hirnverfettung ist kopf- und planlos. Die politischen Gegner sehen nun ihre Chance gekommen nicht mehr nur Nadelstiche zu setzen, sondern gezielt höhere Positionen anzustreben.

Die satirischen Übertreibungen sind derart real geschrieben, dass es für diese Dystopie nur eine Devise gibt: Eine Lesemuss für jeden geistig aktiven Menschen!

Dein Schatten ist ein Montag

Delete – gelöscht – nicht mehr da. Nur ein Tastendruck genügt, um eine Datei, ein Bild, einen Text, ein Video zu löschen. Dongchi Gu kann von sich behaupten mit einem Tastendruck ein ganzes Leben zu löschen. Und er verdient damit sein Geld. Er ist Deleter. Ein digitaler Leben-Auslöscher. Es soll kein Weg mehr zu den Menschen führen können. Zumindest auf digitaler Ebene. Doch wenn etwas, das man anfassen kann, verschwinden soll, ist Gu der richtige Mann. Ab und zu behält er aber auch ein paar Stücke für sich, in seinem Aktenschrank.

Als er eines Tages in sein Büro im Crocodile Building kommt, hat sich jemand am Schloss zu schaffen gemacht. Die Tür lässt sich zu einfach öffnen. Und es war jemand an seinem Aktenschrank. Es scheint aber nichts zu fehlen. Ob das mit seinem neuen Fall zusammenhängt? Donghun Bae weilt nicht mehr unter den Lebenden. Er bat Gu noch zu Lebzeiten alles zu vernichten, was seinem (Nach-) Ruf schaden könnte. Ein Tablet muss unbedingt unbrauchbar gemacht werden. Blöd nur, dass Gu alles Mögliche löschen kann. Nur dieses Tablet ist nicht aufzufinden.

Sein Ex-Kollege Inspektor Kim – Gu war mal Polizist, bis man ihm einen exklusiven, sehr gut bezahlten Job anbot – arbeitet auch an dem Fall Donghun Bae. Selbstmord oder Mord – das muss der Inspektor klären. Das alte Gespann wieder vereint bei der Suche nach der Wahrheit. Für Gu auch die Suche nach dem Tablet.

Gu beginnt vor der eigenen Haustür. Das Crocodile Building ist seine Arbeitsstätte. Der üble Geruch, der durch die Gänge zieht mutet wie ein unheilvolles Signal an. Im dritten Stockwerk, da wo Gu arbeitet, ist der Gestank noch halbwegs erträglich. Beim Italiener von Chan’il Park ist es nur auszuhalten, wenn der gerade frische Kräuter verwendet. Und ganz gewaltig scheint es bei Noble Entertainment zu stinken. Die Produktionsgesellschaft, vor allem ihr Chef Ilsu Chon, scheinen genug Dreck am Stecken zu haben, dass es sich lohnen könnte, hier mal richtig auszumisten und das Loch auszuräuchern. Doch bis dahin hat Gu, haben er und Kim noch einen Menge Arbeit vor sich…

Jung-Hyuk Kim macht keine Gefangenen! Sein Gu ist ein Trüffelschwein, der seine einzigartigen Fähigkeiten nicht im Bauchladen spazieren trägt. Schnodderschnauze und untrübliches Gespür für Menschen machen aus ihm einen Ermittler, von dem man sich wünscht noch viele weitere Fälle lesen zu können. Ihn aus dem Gedächtnis zu löschen, wäre fatal.

Der gute Sohn

Wann hat das eigentlich angefangen? Wann wurde Yu-jins Mutter so fürsorglich? Und warum? Yu-jins Bruder machte nie Probleme, und doch ist Yu-jin ein guter Sohn. Erfolgreicher Schwimmer, exzellenter Schüler und angehender Anwalt. Wohnt immer noch bei Mutter zu Hause. Der Vater verstarb vor ein paar Jahren. Wie sein Bruder. Doch die Mutterliebe ist erdrückend. Denn Mutter lebt streng nach Regeln. Um 21 Uhr muss Yu-jin wieder in seinem Zimmer sein. Erst dann kann die Mutter selbst zu Bett gehen. Wird es später, bricht sie die Regeln. Alles für das Kind! Alkohol ist tabu. Wegen oder besser: Nur wegen der Medikamente, die Yu-jin nehmen muss. Seine Tante ist zum Glück Ärztin. Sie weiß immer Rat und kontrolliert offiziersmäßig und gründlich die Medikamenteneinnahme.

Yu-jin wird eines Morgens von einer unbestimmbaren Unruhe erfasst. Ja, wer hat getrunken – das hat er schon öfter getan. Obwohl er weiß, dass er es nicht tun sollte. Ein komischer Geschmack im Mund – naja, kann ja mal vorkommen. Und dann das ewig klingelnde Telefon. Wer stört denn so früh? Sein Halbbruder Hae-jin. Er will ihn besuchen. Geht es Mutter gut? Was soll die Fragerei? Yu-jin hat nämlich ein weitaus schwerwiegenderes Problem: Sein ganzer Körper ist blutverschmiert! Hände, Gesicht, Klamotten. Alles in quälend rotes Blut getaucht. Und Mutter? Sie atmet nicht mehr. Der Schnitt durch die Kehle war endgültig. Doch was ist passiert? Yu-jin kann sich an nichts mehr erinnern. Dass er die Medikamente abgesetzt hat, kam schon mal vor. Doch derart gravierende Auswirkungen …. Nein, das kann nicht sein! Er, ein Mörder? Muttermörder? Die Fragen schießen durch seinen Kopf. Ihm wird heiß. Von kühlem Kopf bewahren ist er jedoch gar nicht so weit entfernt. Fast schon kalkulierend studiert er das Tagebuch seiner Mutter. Er hat es zufällig entdeckt als er sie vor möglichen Besuchern – und die werden kommen! – „versteckt“.

Es ist ein Wehklagen einer vom Schicksal gebeutelten Frau, die nicht verstehen kann, dass ausgerechnet sie mit so einer Plage gestraft wird. Sie war doch immer fromm und ehrlich! Sie schafft es nicht einmal ihren Sohn beim Namen zu nennen, der Junge tat dies, der Junge tat das. Yu-jin ist erschüttert. Erst recht als er lesen muss, dass er das Ergebnis einer Studie ist. Er zu dem gemacht wurde, was er jetzt ist…

Jeong Yu-jeong schickt den Leser in „Der gute Sohn“ in die Abgründe einer durch und durch organisierten Gesellschaft, die jedwedes Abweichen von der Norm auf Biegen und Brechen zu verhindern sucht und sich vom Ergebnis nicht die Richtigkeit ihres Tuns abschwätzig machen lässt. Yu-jin ist mit einer Anomalie geboren worden. Aber eine, die nur im allerschlimmsten Fall weitreichende Folgen haben kann. Kann! Nicht muss! Er wird zum Spielball zweier Frauen, die in ihrem Ehrgeiz und ihrer Sucht nach Anerkennung für ihre Verdienste um das Angepasste sinnbildlich über Leichen gehen. Als Leser ist man geneigt den Fall der getöteten Mutter sofort zu verurteilen und dem Täter die größtmögliche Strafe angedeihen zu lassen. Die Gründe Yu-jins sind vielleicht nicht nachvollziehbar, bergen aber in sich eine gehörige Portion Mitgefühl. Jeong Yu-jeong schleicht sich mit ihrer fortwährenden, im Krebsgang fortschreitenden Geschichte ins Hirn des Lesers. Sie krallt ihren Helden im Gedächtnis fest. Von dort beflügelt er die Phantasie, frisst sie auf und spuckt sie im weiten Bogen wieder aus. Nur für ausgefuchste Horrorfans, denen der Thrill wichtiger ist als unendliche Lachen von Eingeweiden.

Der Schlüssel

Wenn’s nicht passt, dann kann man sich noch so viel Mühe geben … es wird nicht passen. Ein Professor, in etwas so alt wie das 20. Jahrhundert, wird sich zu Beginn des neuen Jahres klar, dass sein Sexleben – das mit seiner Frau, ein anderes kennt er nicht – nicht so erfüllt ist wie es sein könnte, ja, sollte. Sie, Ikuko, 45 Jahre alt, von betörender Schönheit, will und will und will. Er will auch, kann aber nicht. Nicht die Intensität, mehr die Dauer macht ihm zu schaffen. Er beschließt Tagebuch zu führen. Nicht, um sich aller Sorgen zu entledigen. Sondern in der Hoffnung, dass Ikuko dieses Tagebuch findet und dementsprechend handeln wird. Den Schlüssel für die Schublade, wo er das Tagebuch versteckt, platziert er so, dass sie ihn unbedingt finden muss. Der Professor bildet sich ein, dass sie seine geheimsten Wünsche entdeckt und dann ihrem Mann selbige erfüllen wird. Zum Beispiel den sie endlich mal komplett nackt zu sehen. Denn seit ihrer Hochzeit hat sie ihm die für den Akt wichtigen Stellen zwar präsentiert, die – wie er denkt – ihrer Meinung nach nicht so wichtigen Stellen jedoch geschickt im Dunkeln gelassen.

Was der Professor sich wünscht, trifft auch tatsächlich ein. Nur werden es beide tunlich unterlassen ihre geheimsten Wünsche (und Entdeckungen) mit dem Anderen zu teilen. Auch Ikuko führt Tagebuch. Auch sie weiß, dass ihr Gatte dieses Tagebuch finden und lesen wird. Sie hofft es zumindest.

Kimura ist der Dritte im Bunde dieses nur auf den ersten Blick kindischen Spiels. Er ist der Freund der Tochter Toshiko. Herr Kimura wird immer dann zu Kimura, wenn er dem Professor und seiner Frau zu Diensten sein kann. Kimura bemüht fast schon zu offensichtlich um die Gunst der Dame des Hauses. Er weiß, dass der Weg zum Herzen der Tochter über die Mutter führt. Die jedoch hat etwas ganz anderes im Sinn. So vertraut sie es ihrem Tagebuch an.

Die Kommunikation per Tagebuch funktioniert. An den Abenden wird gegessen und getrunken. Ikuko verträgt eine Menge. Mehr als ihre Tochter und der zukünftige Schwiegersohn allemal. Doch die Feste zehren an den Lebensgeistern. Immer öfter kippt sie um. Eine willkommene Gelegenheit ein bisschen Schwung ins Schlafzimmer zu holen…

Wunsch und Wirklichkeit klaffen auch ohne Manipulation oft und weit genug auseinander. Junchiro Tanizaki treibt das Spiel auf die Spitze. Woher auch immer die Unfähigkeit rührt offen miteinander über Intimes zu reden, kommen mag, die Tagebücher sind eine Idee. Mehr nicht. Denn die Folgen können weder der Professor noch seine Frau abschätzen. Wenn sie im Schlafe, oder ist der nur vorgetäuscht?, Kimura flüstert, spornt das ihren Gatten an. Aber er verzweifelt auch an der Tatsache, dass sie ihm nur dann das geben kann, was er will, wenn sie an den Freund ihrer gemeinsamen Tochter denkt.

Das Buch wäre in Japan fast verboten worden. Heute ist es ein Klassiker, der nur in einer überarbeiteten und frei von europäischer Dekadenz und Voreingenommenheit die wahre Pracht und Kraft der Worte entfalten kann.

Alte Freunde

Gute Freunde kann niemand trennen, so schmalzig der Kaiser einst daher trällerte, so viele Funken Wahrheit liegen in diesem emotionslosen Stück deutscher „Sangeskunst“. Shūji, der Erzähler, nicht nur der Ich-Erzähler, sondern der Autor persönlich, erfährt eines Tages eine weitere Bedeutung dieser phrasenhaften Worte: Gute Freunde, nein, alte Freunde. Gute Freunde waren sie nie. Er und dieser Bauer, der da unverhofft auf dem Estrich seines Hauses steht. Freunde bitten einen um einen Gefallen, sie fordern ihn nicht ein! Der Fremde, dessen Namen Shūji erst erfahren soll als fast schon zu spät ist, poltert wie ein rüpelhafter Spendensammler ins Haus und dann gewaltig ins Leben des Schriftstellers.

Der Fremde in Shūjis Augen wird von selbigem als alter Freund angesehen. Und er, der Fremde / alte Freund weiß so manche alte Geschichte zu erzählen. Damals in der Schule haben sie sich pausenlos gerauft. Hier die Narbe ist von Shūji. Und Shūji selbst muss immer noch eine Narbe am Schienbein haben. Doch Shūji hat keine Narbe. Weder am rechten noch am linken Bein. Zeit der Charade ein Ende zu setzen. Doch der Fremde ist so enervierend und irgendwie auch faszinierend, dass Shūji ihn gewähren lässt. Selbst als der Whiskey einfordert, den Shūjis Ehefrau servieren soll, ist von einem polternden Ende nichts zu spüren. Shūji ist viel zu sehr damit beschäftigt wohin das Ganze führen soll. Will der alte Freund Geld? Ein Klassentreffen wäre doch eine Gelegenheit sich mal wieder so richtig die Kante zu geben und in Erinnerungen zu schwelgen, oder nicht?! Das kostet! Doch der fremde alte Freund will kein Geld. Am Ende des Tages, ein bisschen schummrig im Kopf – noch schummriger als es die Situation an sich schon hergibt, trennen sich die beiden. Ein schöner Tag! Aber was soll man von diesem Tag halten?

Osamu Dazai lebte das Leben eines echten Freigeistes. Religion und Politik waren ihm nur so lang nahe, als dass sie ihm Inspiration liefern konnten. Seine Familie verstieß ihn, weil er die Zuwendungen nicht so verwendete wie ihm geheißen. Schließlich nahm er sich mit nicht einmal neununddreißig Jahren das Leben, zusammen mit seiner Geliebten. Doch seine vom eigenen Leben eingefassten Geschichten überlebten jeden Bildersturm.

Diese Geschichte erschien erstmals 1946 in einer Zeitschrift. Nun wurde sie wiederentdeckt und erstrahlt in einer erlesenen Aufmachung mit sieben Bleistiftzeichnungen von Susanne Theumer, die erst bei genauerem Hinsehen die Szene klarer erscheinen lassen. Shūji ist ein Intellektueller, einer, der es besser wissen müsste. Einer, dem Fallen ins Auge fallen. Doch er tappt sehenden Auges hinein. Der Schaden ist seelischer Natur. Körperlich unversehrt bietet ihm dieser besondere Tag, „der Vorfall“, die Möglichkeit mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Der Leser ist stiller Beobachter, der mit offenen Augen den großen Knall herbeisehnt. Doch der kommt nicht, was ein noch größerer Knall ist als beim Lesen erhofft.

In Liebe, Dein Vaterland I: Die Invasion

Japan in einer gar nicht so sehr zurückliegenden Zukunft: Im Jahr 2007 liegt die Wirtschaft brach. Die Regierung hat jedem Einwohner 40 Prozent der Ersparnisse entzogen. Die Arbeitslosigkeit steigt an. Die Kriminalitätsrate explodiert. Obdachlose bevölkern ganze Stadtteile. Hilfsorganisationen lassen sich ihre Hilfe selbst von denen, die gar nichts mehr haben noch gut bezahlen. Der Regierungsapparat und seine untergeordneten Stellen sind chronisch unterbesetzt. Wer noch Arbeit hat buckelt nach Oben und tritt nach Unten.

Nordkorea in einer gar nicht so sehr zurückliegenden Zukunft: Im Jahr 2007 hat sich das Verhältnis zu den USA verbessert. Die Elite des Landes hat sich weltweit gebildet und ist nun bereit den nächsten Schritt zu wagen. Einige ausgewählte Experten auf ihren jeweiligen gebieten, Emporkömmlinge und Günstlinge bleiben außen vor, wollen einen perfiden Plan in die Tat umsetzen. Japan soll Nordkorea einverleibt werden. Zunächst will man zusammen mit einigen in Japan lebenden Agenten das Land erkunden und die aktuellen Gepflogenheiten erlernen. In Phase Zwei werden schlussendlich über einhunderttausend Soldaten das Land besetzen.

In Japan gibt es immer mehr Proteste gegen die Übersprunghandlungen der Legislative. Terrorgruppen sprießen aus dem Boden wo sonst zwischen Kirschblüten flaniert wurde. Die Enttäuschten und Geprellten der Zeit formieren sich, um mit Nadelstichen das Land zu befreien. Und so merkt man gar nicht wie nach und nach die kleinen Nadelstiche immer größere blutende Wunden verursachen…

Das vollbesetzte Baseballstadion in Fukuoka soll das erste Ziel sein. Sobald die Stadt erreicht ist, wird die Kunde verbreitet, dass sich nordkoreanische Truppen auf Tokio zubewegen. Fukuoka würde dann abgeriegelt werden und die Aggressoren hätten freies Feld. Ein perfekter Plan … allerdings mit gravierenden Fehlern.

Autor Ryū Murakami bereitet es einen Riesenspaß in diesem ernsten Umfeld die Akteure mit Spott und Satire zu übergießen. Zum Beispiel, wenn der Leiter der Aktion sich beschwert, dass seine durchtrainierten nordkoreanischen Agenten niemals ans wissbegierige südkoreanische Touristen im Land der aufgehenden Sonne durchgehen könnten. Sie lachen einfach nicht. Weil sie es nicht kennen und können. Und ihr starrer Blick es nicht zuließe. Und so kommt es dann auch zu einigen – wenn auch nicht witzigen – Begebenheiten, die alles auffliegen lassen könnten. Aber auch auf japanischer Seite ist man nicht besonders effektiv, eher unbeholfen. Etwa als der Krisenstab ernsthaft darüber nachdenkt gegen die schwerbewaffneten Terroristen die stadioneigenen Wasserwerfer einzusetzen.

Ein düsteres Szenario, das Ryū Murakami entwirft. Er siedelt die Geschichte nicht in einer fernen Zukunft an, die keiner seiner aktuellen Leser jemals erreichen wird, sondern in die noch allzu präsente Vergangenheit. Ein Kunstgriff, der mit keiner Silbe unglaubwürdig erscheint. Wenn der Staat nur noch um sich selbst kreiselt und das Volk aufbegehrt, können ganze Systeme umknicken wie Grashalme. Das geflügelte Wort von demjenigen, der zu spät kommt … ist heute aktueller denn je.

Teil Zwei der Dystopie – ein gutes Ende ist somit wohl ausgeschlossen – erscheint im März 2019.