Archiv der Kategorie: Leben im Fluss

Soro

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Wenn es nicht einen so tragischen, düsteren Hintergrund gäbe, könnte man über den Anfang der Geschichte schmunzeln. Im Soro-Rausch (Zuckerrohrschnaps mit einem Schuss Bittermelone, auch als Medizin zu verwenden) vergnügt sich Dieuswalwe Azémar mit einer Frau in einem Hotelbett. Sie vergessen Raum und Zeit, die Erde bebt. Der Kommissar ist schon fast geneigt zu meinen, dass es an ihm liegt. Doch Mutter Erde hat ihren eigenen Plan…

Der Roman beginnt im düstersten Kapitel der jüngeren Geschichte Haïtis. Das verheerende Erdbeben von 2010. Tausende Menschen, die eh schon nichts hatten, verloren auch noch den kümmerlichen Rest. Eine Tragödie, von der sich das Land bis heute nicht erholt hat und leider auch nicht so schnell erholen wird. Für den Ermittler hat das Erdbeben eine weitere menschliche tragische Komponente. Denn die Frau, mit der er anfangs so süße Stunden verlebte, ist nicht die Seine. Er ist Junggeselle mit Stieftochter. Die Frau stirbt beim Akt als ihr die Decke auf den Kopf knallt. Tragisch, wahrhaft. Aber es geht noch schlimmer. Die war – das muss man nun leider eingestehen – die Frau seines Kumpels, seines Freundes. Es geht nicht schlimmer? Doch! Denn dieser Freund ist Solon, Azémars Chef. Und derjenige, der ihm schon mehr als einmal den Rücken freigehalten hat.

Es ist ein Elend. Auf den Straßen regiert die rohe Gewalt. Menschen wissen nicht mehr wohin mit sich und ihrer Verzweiflung. Und dann auch noch das – so viel zum Thema „Schlimmer geht’s immer“: Azémar bekommt den Auftrag herauszufinden, mit wem sich Solons Frau in der besagten Nacht im Hotel vergnügte.

Gerade hat er eine langanhaltende Beziehung zu seiner Stieftochter Mireya aufgebaut. Er befreite sie aus den Fängen einer perfiden, nein perversen Sekte. Und nun kann er ihr kaum noch in die Augen schauen. Da hilft auch kein Rum oder Schnaps, wie er es so oft schon tat. Und schon gar nicht bei der Faktenlage: Die Frau – tot. Der Chef überzeugt, dass es sich um Ehebruch handelt und gewillt den Missetäter „zur Rechenschaft zu ziehen“. Und ein Zeuge, ein Hotelangestellter, der – Azémar schämt sich fast für den Gedanken – im Koma liegt.

Die Sprachgewalt von Gary Victor, wenn er über die beiden Beben spricht (Hotelzimmer und den vibrierenden Erdplatten) wandeln sich komplett, wenn er über das unsagbare Leid der Haïtianer nach der Katastrophe schreibt. Dem Leser stockt der Atem bei solch detaillierter und exakter Beobachtungsgabe. „Schweinezeiten“ war der Auftakt zu einer besonderen Krimireihe aus einem besonderen Land. „Soro“ als Nachfolger ist mehr als eine würdige Fortsetzung, in „Soro“ bekommt Dieuswalwe Azémar ein tragisches Gesicht, dass sicherlich in den weiteren Romanen reifen wird.

Allein, unbesiegt

Allein, unbesiegt

Charles und Kérim waren einst unzertrennlich. Echte Freunde eben. Das war vor sieben Jahren. Charles zog es hinaus in die Welt. In den Krieg. Irgendwo, wo irgendwer gegen irgendwen um irgendwas kämpfte. Kameradschaft wird hier großgeschrieben. Doch Charles passt nicht so recht rein. Er kämpft seinen eigene Krieg. Den gegen die Gedanken, die Angst, die Vergangenheit. Lethargisch lebt er in den Tag. Aber er lebt.

Dann erreicht ihn die Nachricht, dass Kérim im Sterben liegt. Vorbei die trostlosen, sinnfreien Tage. Nach langer Zeit packt ihn der Mut und er seine Sachen. Er reist zurück, nach Frankreich, nach C. (Loïc Merle lässt offen, wo die Stadt liegt, was aber keinen Anlass zur Sorge oder zu weiteren Gedanken geben sollte). Da liegt er nun, der Freund, Kérim. Ein Schatten seiner selbst. Aber immer noch scharfzüngig wie einst. Leukämie lautete die Diagnose, unheilbar das Urteil. Was tun? Der Freund, der einem so fremd geworden ist, auch und besonders menschlich – sieben Jahre sind eine lange Zeit – hat so gar nichts mehr von dem, was einmal war. Charles kommt ins Grübeln, denkt nach, erinnert sich. Die Kindheit, die Mutter, die Abenteuer. Keine Memoiren, die zum Schmunzeln anregen. Vielmehr zum Nachdenken.

Charles beschließt, sofern man das kalkulieren oder gar berechnen kann, Kérim wieder als Freund zu gewinnen. Was anfangs auch gelingt. Doch das Piepen der Geräte, die sterile Atmosphäre und die komischen Typen, die immer dann kommen, wenn er sich entfernt, lassen kaum Raum für freundschaftliche Gefühle. Wer sind die? Stehen wie eine Bruderschaft verschwörerisch beisammen. Brabbeln seltsames Zeug und sind ebenso schnell wie lautlos wieder verschwunden sobald ein Fremder in die Nähe Kérims kommt.

Charles kommt aus dem Grübeln nicht heraus. Gerade eben noch im Krieg, allein mit sich und seinen Gedanken. Und nun dort, wo er sich eigentlich geborgen fühlen sollte. Bei seinem Freund Kérim, der mehr als alle Anderen seine Hilfe zu benötigen scheint. Auch die Armee braucht Charles wieder. Wenn er nicht bald erscheint, gilt er als Deserteur. Ausbruch? Abhauen? Flucht? Ohne Geld! Kérim könnte und wolle ihm helfen.

Und dann ist da noch Lilly, oder Cat wie sie jetzt heißt. Schwanger. Von ihm, Charles. Ach, ohne Gefühle könnte alles so einfach sein. So versucht er seinem Gefühlschaos Herr zu werden. Rational dosiert er die Zutaten für den Gedankensalat. Was bleibt ist ein Menü voller Widersprüche, voller Geschmacksexplosionen, garniert mit einer gehörigen Portion Zweifeln und Selbstaufgabe. Hin und Her gerissen vom Gefühlstaumel seiner Heimat strauchelt Charles lediglich, zu Fall bringen lässt er sich nicht.

Die Gehörlosen

Die Gehörlosen

Clara geht’s gut. Ihr Vater ist reich, sie studiert und wird einmal sein Vermögen erben. Und damit auch noch was übrig ist, wenn es soweit ist, legt der Alte das Geld in Aktien an. Clara ist wohlbehütet aufgewachsen. Und sie ist der Liebling im Haus. Ihr Vater will wegen der permanenten Gefahren, dass Clara noch einen Leibwächter bekommt.

Cayo ist der Auserwählte und soll von nun an Clara beschützen. Cayo ist ein exzellenter Schütze, da macht ihm niemand was vor. Den Rest wird er schon noch lernen. Clara zu beschützen – das nennt man wohl Traumjob. Denn Clara ist nicht nur sehr nett, sondern auch aufregend schön. Und sie erlaubt ihm in der großen Stadt zu leben. Bisher war sein Leben karg und ohne Perspektive. Jetzt ist er auf dem Weg ein Mann zu werden…

Das Leben, welches er hinter sich ließ, ist für Andrés das einzige, was er kennt. Er gehört zur indigenen Bevölkerung, hat wenig Aussichten auf Besserung. Zudem ist er mit Taubheit geplagt. Er wächst bei seiner Großmutter auf, die mit ihm in der traditionellen Zeichensprache kommuniziert. Er verschwindet genau zu der Zeit als auch Clara wie vom Erdboden verschwunden ist. Zufall oder Kalkül?

Alles ergibt auf einmal einen Sinn, oder scheint es zumindest. Die anonymen Anrufe bei Don Claudio, dem Vater Claras. Javier, Claras Freund, der in Genf weilt und ihr schmachtende Briefe schreibt – am Ende des Kapitels ist er gar nicht mehr so galant, und die scheinbare Zukunft der beiden Verliebten unsicher. Auch taucht Ingancio auf, der Bruder der Verschwundenen. Und es gibt Lösegeldforderungen.

Guatemala ist ein gefährliches Land. Noch immer treiben einst legitimierte Guerilla-Einheiten ihr Unwesen im Land. Mord, Folter, Vergewaltigung ist Begleiter im Alltag. Vor diesem Hintergrund siedelt Rodrigo Rey Rosa „Die Gehörlosen“ in seiner Heimat an. Wortgewaltig und bildhaft schreibt er vom erbarmungslosen Kampf eines naiven Jünglings auf der Suche nach seiner Chefin. Clara ist für ihn nicht allein nur Arbeitgeberin. Ein bisschen ist auch verknallt in sie. Und: Sie ist der Beginn eines völlig neuen Lebens.

Bis zum Schluss hat der Leser zu wage Ahnungen, was wirklich vorgefallen ist. Ist Javier Liebhaber oder machthungriger Ganove? Ist Claras soziales Engagement Einigen ein Dorn im Auge? Hört denn niemand wie sehr Guatemala leidet? Rodrigo Rey Rosa legt die Puzzleteilchen auf den Tisch, nicht für jedermann sichtbar. Wie in einer Parallelwelt setzt man ein Teil ans andere. Doch so recht will das Bild nicht stimmen. Irgendetwas stimmt nicht, etwas fehlt. Ein grandioser Roman mit teils unsichtbaren Facetten, der den Leser an der Gurgel packt und ihn würgt. Bis es am Ende aus allen Beteiligten herausplatzt: Die Wahrheit, die keiner hören will und manche nicht hören können.

Tanz auf dem Vulkan

Tanz auf dem Vulkan

Beide waren sicherlich keine Männer, mit denen „gut Kirschen essen“ war. Der Eine – Gustaf Gründgens – ein begnadeter Schauspieler. Der Andere ein nicht minder begabter Schriftsteller. Beide strebten nach mehr. Aus unterschiedlichen Gründen heraus. Eines verband sie jedoch: Der Drang nach Zuneigung. Der Zuneigung der Gegenüber, seien es nun Theaterbesucher und Förderer oder Leser und Familie.

Gründgens wurde stark durch die Mutter geprägt, die dem Jungen schon früh musische Eigenschaften unbewusst einpflanzte. Klaus Mann hingegen fühlte sich stets im Schatten seines Übervaters stehend. Wenn man die Biographie von Klaus Mann liest, kommt einem schnell der Gedanke, dass er das Ersatzleben seines Vaters zu leben begann. Thomas Mann, der sich selbst einen Weg auferlegte, der er ungern, aber pflichtbewusst beschritt, ließ seine Kinder die Freiheiten, die er sich nie eingestehen durfte. Und die nutzten die lange Leine gnadenlos aus.

Es war keine leichte Zeit für Freigeister: Klaus Mann, Jahrgang 1906, und Gustaf Gründgens, Jahrgang 1899, wuchsen in stürmischen Zeiten auf. Kriege und Revolutionen gehörten zum Alltag wie Umbrüche in Kunst und Kultur.

Renate Berger führt zwei Männer zusammen, die durch eine Frau miteinander verbunden wurden: Erika Mann, die ein Jahr ältere Schwester von Klaus. Sie und Klaus waren der Nachbarschaftsschrecke in München. Ihre Beutezüge waren da noch das kleinere Übel. Arroganz und Ablehnung der Konventionen waren da schon andere Kaliber. Klaus‘ Erziehung in Schulen und Internaten (Salem, Odenwaldschule) war für die Erzieher mehr Kampf als Prägung. Gründgens hingegen war gelehrig.

Beide waren auf ihre Art Rebellen. Doch die Zeiten änderten sich. Gründgens wurde hofiert, Schmeicheleien und Opportunismus ebneten seinen Weg unter den Nazis. Klaus Mann blieb, was er war: Ein unbequemer Intelektueller, der der Zeit nichts Gutes abringen konnte. Er flüchtete, nicht freiwillig. Kämpfte wortstark gegen die Verhältnisse in seiner Heimat und somit auch gegen den Schwager, mit dem ihn mehr verband als er sich eingestehen wollte und konnte.

Nach der Schreckenszeit gingen beide Künstlerwege weiter auseinander. Hoffnung wurde für beide ein Wort mit unterschiedlicher Bedeutung. Gründgens wurde mehr gefeiert denn je, Klaus Manns Ende war selbstgewählt.

Die Autorin holt oft und weit aus, um die Charaktere der beiden Männer tiefgreifend zu erkunden. Und das ist auch nötig, um diese Kulturbiester verstehen zu können. Jedes Jahr füllen sich die Regale mit neuen Biographien über die Familie Mann. Dieses Buch gehört an eine exponierte Stelle, denn es öffnet den Mann’schen Kosmos lässt Raum für weitere bedeutende Mitstreiter des kulturellen Lebens der deutschen Vergangenheit.

Die Welt des Buddhismus

Die Welt des Buddhismus

Jede Art des Reisens hat ihre Vor- und Nachteile. Ob nun All inclusive oder individuell, ob Wandern oder Pool-Lounging, ob aktiv oder entspannt: Jeder kann sich aus dem schier unendlichen Angebot an Reisemöglichkeiten etwas aussuchen. Und dann gibt es Reisen, die gibt es gar nicht, zumindest gar nicht zu buchen.

Hermann-Josef Frisch hat so eine Reise gemacht bzw. hat mehrere Reisen unternommen, um dieses Buch möglichen weiteren Interessenten in die Hand legen zu können. „Die Welt des Buddhismus“ – klingt erstmal gar nicht nach Reisen im eigentlichen Sinn. Hört sich erstmal nach innerer Einkehr an. Und das Buddhismus seit ein paar Jahren so richtig in geworden ist, gibt es auch dementsprechend viel Literatur zu diesem Thema.

Doch „Die Welt des Buddhismus“ ist ein echtes Reisebuch. Denn der Buddhismus hat einen echten Ursprungsort. Der liegt in Indien und heißt Kapilavastu. Hier wuchs Siddharta Gautama, Buddha, auf. Geboren wurde er in Lumbini. Und diese Orte kann man heute noch besuchen. Wobei die Betonung auch suchen liegt. Ein bisschen Vorbildung ist da schon von Nöten. Oder man macht es sich einfach und nimmt dieses Buch als echten Reiseband zur Hand.

Wenn man den Ausführungen und Wanderungen des Autors folgt, wird einem schnell klar, dass die alte asiatische Weisheit „Der Weg ist das Ziel“ nicht von ungefähr kommt. Buddhismus ist nicht gleich Buddhismus. Auch in dieser Religion gibt es verschiedene Strömungen oder Arten der Religionsauslegung. Vajrayana, Theravada und Mahayana sind unter dem Begriff Buddhismus zusammengefasste Religionen. Ihr Einzugsgebiet reicht von China über Indien, Thailand, Myanmar, Laos und Nepal bis Korea und Japan. Als Tourist lädt man sich gern mal eine Buddhaskulptur als Mitbringsel in Handgepäck. Mal ist es ein dicker lachender Buddha, mal ein liegender, nachdenklicher Buddha. Die Bedeutung dahinter geht oft im dekorativen Chaos daheim unter. Es sieht halt nett aus.

Wer dieses Buch in die Hand nimmt und vielleicht auch den einen oder anderen Ort besucht, wird überrascht sein, wie viel Realität in dieser Religion liegt. Und wie viel es darüber zu berichten gibt. Hermann-Josef Frisch versteht es Religionswissenschaft, Reisefieber und Geschichte in Einklang zu bringen. Dem Leser soll‘s recht sein: Er wird auf eine unendliche Reise geschickt. Bis er erleuchtet ist. Nein, darum geht s nicht in diesem Buch. Religion erlebbar machen, sie anfassen, den Spuren folgen – das alles vermag der, der dieses Buch nicht nur als Anschauungsobjekt betrachtet.

Marionette des Teufels

01 Marionette des Teufels

Schon der Titel lässt auf eine schaurige Geschichte schließen. Und dieser Schluss ist vollends gerechtfertigt. Ein Mord an einer Sopranistin und eine zweite Leiche, Intrigen, ein Kommissar, der bald das berufliche Zeitliche segnet und eine wissbegierige, aufstrebende, junge Kollegin – das sind die exquisiten Zutaten dieses Passau-Krimis. Und beide Taten hängen irgendwie zusammen. Nur wie?

Berthold Brauser ist ein alter Hase im Kriminalgeschäft. Doch lässt ihn der Anblick der attraktiven Toten, die vor ihm auf dem Bett liegt, nicht kalt. Fachmännisch seziert er die Tote Sophia. Und ihm entgeht wirklich kein Detail. Anders liegt der Fall bei Franziska Steinbacher. Sie ist die Neue im Team. Brauser hat die aufgeweckte Kommissarin ins Herz geschlossen. Sie ist „sein Mädchen“.

Die Tote hatte offensichtlich jemanden zu einem romantischen Tête-à-tête erwartet. Unter ihrem Bademantel war sie nackt. Jetzt ist sie tot – die Mordkommission steht vor einer vertrackten Situation. Brauser sieht sich in Gedanken schon im verdienten Ruhestand. Dennoch kann er nicht so recht loslassen. Den Fall der toten Sopranistin könnte er getrost seinem Team überlassen. Und er könnte sich in den verbleibenden sechs Wochen dem toten Mercedes-Fahrer widmen. Der starb an einer Luftembolie, wurde aber – aus Sicherheitsgründen? – zusätzlich mit zwei Einschüssen gesegnet. Drogen? Racheakt? Die Ermittlungen gehen nur schleppend voran.

Mit wem die Ermittler auch sprechen, jeder der Befragten zeichnet ein anderes Bild der Toten. Der ermordete Mercedesfahrer, der Mann einer Politikerin, und ein Affäre? Niemals! Die tote Sopranistin und Drogen? Ja! Und Nein! Brauser und seine Kollegen kommen zwar der Wahrheit immer ein Stückchen näher, doch nicht wirklich auf die Spur. Franziska Steinbacher, die junge Kommissarin sieht in Walter, dem Bühnenmaler einen ersten Verdächtigen. Der ist ein ausgemachter Frauenheld, der nichts anbrennen lässt. Er und die schöne Sängerin, ein Paar? Möglich. Ein Mord aus Leidenschaft? Möglich.

Überhaupt ist sehr viel möglich in diesem Krimi. Nur eines nicht: Dass es langweilig wird. Dagmar Isabell Schmidbauer hat nicht einfach mal so beschlossen Krimiautorin zu werden. Der Auftakt zur Passau-Krimireihe besticht durch eine exzellent ausgearbeitete Geschichte, die sie geschickt in Szene setzt. Sie konstruiert nicht wild an einem erdachten Kriminalfall herum, ihre Folgerungen sind schlüssig. Dem Leser werden hier und da ein paar Brocken hingeworfen. Das Hirn arbeitet über 500 Seiten auf Hochtouren. Doch die Denkarbeit wird belohnt. „Marionette des Teufels“ ist der Auftakt zu einer Passau-Krimireihe, die es auf Anhieb in den Olymp der Regionalkrimis schafft. Der zweite Teil „Der Tote vom Oberhaus“ knüpft nahtlos daran an, der dritte Teil erscheint im Herbst 2013.

Der Tote vom Oberhaus

02 Der Tote im Oberhaus

So haben Sie Passau noch nie gesehen! Die Stadt an Donau, Inn und Ilz führt ein ruhiges Leben. Die Donau fließt mächtig und gemächlich dahin, der Dom Sankt Stephan scheint durch nichts zu erschüttern zu sein. Nur auf der Veste Oberhaus wird ein Mann ermordet. Er liegt mit einer Partisane im Körper, einer kunstvoll gearbeiteten Stoßwaffe, auf dem Boden und blockiert den Zugang zum Tatort. Und noch jemand kann seinen Tag nicht so recht genießen: Kommissarin Franziska Steinbacher. Die hatte eigentlich ein Date. Eigentlich…

Denn eigentlich trifft sie sich mit Walter Froschhammer, einem Verdächtigen aus einem anderen, abgeschlossenen Fall. Er ist Bühnenbildner und will sie malen. Doch das Date läuft schleppend an. Und dann klingelt das Telefon. Ein Toter. Dem Toten schien es gut gegangen zu sein: Rolex, BMW-Autoschlüssel und 20.000 Euro in der Tasche. Raubmord scheidet schon mal aus. Gefunden hat ihn die Museumdirektorin Samantha Halmgaard. Die ersten Ermittlungen verlaufen sehr zum Leidwesen von Kommissarin Steinbacher in eine ungute Richtung. Denn Walter Froschhammer war Einer von Zweien, die einen Schlüssel zum Tatort hatten. Xaver Mautzenbacher, das Opfer war ein Aufschneider, ein Blender, der seiner Umgebung immer nur eine Fassade präsentierte. Absolut mittellos war er. Sogar an seinem Stromkasten installierte er eine Zeitschaltuhr, um Strom zu sparen. Erst später entdecken die Kommissare, dass Xaver Mautzenbacher mehr als nur ein Leben hatte. Nicht unbedingt ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen, jedoch geschickt darin seinen zahlreichen Gegenüber eine plausible Geschichte auftischen zu können.

Und der neue Chef will auch noch lückenlos über den Fortschritt der Ermittlungen Bescheid wissen. Josef Schneidlinger wurde von der Isar an die Donau versetzt und gilt allgemein als „harter Hund“. Der Tag hätte eigentlich so schön sein können. So schön. Eigentlich.

So mancher Autor hat an dieser Stelle bereits sein Pulver verschossen und macht seinem Werk kurzen Prozess. Dagmar Isabell Schmidbauer ist hier gerade mal mitten im ersten Viertel ihres Passau-Krimis. „Der Tote vom Oberhaus“ ist der zweite Fall des Ermittlerduos Steinbacher/Hollermann. Der erste Teil „Marionette des Teufels“ war ein Riesenerfolg, und am Ende des Buches macht die Autorin schon mächtig Appetit auf den dritten Teil – sie verrät sogar schon etwas vom neuen Fall…

Und wird sicher wieder gespickt sein mit Hinweisen auf den Mörder, bewusst falsch gelegten Fährten und einer gehörigen Portion Lokalkolorit.

Und dann kam das Wasser

Und dann kam das wasser

Langsam aber sicher bildet sich eine Schema heraus: Jedes Jahr im Herbst drängen Passau und die Donau in den Vordergrund des literarischen Interesses. Dagmar Isabell Schmidbauer kündigte bereits in „Der Tote vom Oberhaus“ Großes für den Herbst 2013 an. Und sie hielt Wort.

Doch die „zweite Jahrhundertflut“ veranlasste die Autorin den Roman noch einmal umschreiben und die Spannung noch greifbarer zu machen.

Kommissarin Franziska Steinbacher will endlich Urlaub machen mit ihrem Schatz. Doch schließlich sind wir in einem Krimi – und da kommt immer was dazwischen. Und da die junge Kommissarin bei der Mordkommission ist, kann es sich nur um eine Leiche handeln. Eigentlich kein Problem. Leiche bergen, obduzieren und schon hat man einen Anhaltspunkt. Dort, wo Donau, Inn und Ilz aufeinandertreffen, liegt eine Leiche in einem alten verlassenen Haus. Tja, und dann kommt das Wasser. Und keiner kommt mehr an die Leiche ran. Keine Leiche, kein Anhaltspunkt. Wo soll die Suche beginnen?

Das Erfolgsduo Hollermann / Steinbacher muss sich auf das besinnen, was sie in ihren Ausbildungen gelernt haben. Akribische Detektivarbeit.

Zumindest konnten sie den Leichnam noch einmal sehen, bevor das Wasser kam.

Das Haus, in dem der Tote lag, gehört einer Erbengemeinschaft. Vier Männer, die das Haus „in bester  Lage“ geerbt haben, teilen sich das Recht dieses Haus benutzen zu dürfen. Doch außer bei einem Auto, funktionieren vier Dinge niemals gleichzeitig, und schon gar nicht bewegen sie sich in eine Richtung. Drei der Vier wollen verkaufen. Einer nicht. Der Streit (und auch der Mord?) ist also vorprogrammiert. Nur, dass die Leiche keiner der Vier ist. Es ist der Anwalt der Erben, der ebenfalls einen Schlüssel für das nun überflutete Haus hatte. Doch der hat einen einwandfreien Leumund, er verschafft Immigranten Sprachkurse und Jobs. Warum sollte jemand diesen Gutmenschen umbringen? Und warum gerade in diesem Haus?

Franziska Steinbacher hat außer dem noch andere Sorgen. Walter, ihr Freund ist schon in den Süden geflogen. Nach Sizilien, dorthin, wo der Regen eine Erlösung und keine Herausforderung darstellt. Denn Walter hat eine Anstellung beim Theater bekommen. Und sie, Franziska, sollte eigentlich mit, für eine kurze Zeit. Was bleibt im Tränenmeer? Verzweifelte SMS eines verliebten Mannes, dem Franziska Steinbacher vertrauen kann oder nicht?

Es ist nicht einfach als Kommissarin im Gehirn von Dagmar Isabell Schmidbauer geborgen zu sein. Immer wieder hält die Autorin neue Charaktere – tot oder lebendig – parat. Immer wieder passiert etwas, dass die Protagonisten auf eine neue Spur lenkt. Und mittendrin der Leser, der sich vor Spannung fast ertrinkt.

PS: Es ist schon gute Tradition: Dagmar Isabell Schmidbauer macht schon Appetit auf den vierten Fall. Es geht also weiter im mörderischen Passau. An der mörderischen Donau. Mit mörderischen Geschichten…

In Liebe, Muschelkalk

In Liebe, Muschelkalk

Muschelkalk, ein ungewöhnlicher Kosename für eine Frau, um die man sich so bemüht hat und die man bedingungslos liebt. Ja, Hans Bötticher ist um einiges älter als sie, Leonharda Pieper. Doch was ist so besonders an ihr und den beiden, dass ihnen eine Biographie gewidmet wird? Nun, Hans Bötticher war Humorist im besten Wortsinne und als Joachim Ringelnatz schon zu Lebzeiten bekannt und geschätzt. Und hätte sich ohne seinen Muschelkalk bei Weitem nicht so frei entfalten können wie er es tun konnte.

Muschelkalk war die Tochter eines Bürgermeisters aus Rastenburg in Ostpreußen, aus gutem Hause wie man so sagt. Als junges Mädchen ging sie nach Eisenach, um Französisch und Englisch zu lernen. Ihre Mentorin war mit eben diesem Hans Bötticher bekannt. Der war erst gar nicht so sehr angetan von der jungen Maid am dem Osten. Der nicht gerade als Kostverächter bekannte Hans hatte hier und da seine Liebeleien, eine Eigenschaft, die er ein Leben lang nicht ablegen konnte. Doch fanden Muschelkalk und Bötticher dennoch zusammen.

Der verlorene Krieg verbot es Kriegsteilnehmern sich an dem Ort niederzulassen, an dem sie zuvor tätig waren. Ringelnatz – wie er sich schon bald nennen wird – muss eine gut bezahlte Stelle aufgeben. Muschelkalk arbeitet im hunderte Kilometer entfernten Godesberg im Rheinland. Ihre neue Heimat wird München. Hier tritt Ringelnatz auf, schreibt und ist so was wie eine lokale Berühmtheit. Das erlaubt ihm Muschelkalk zu sich zu holen. Bald wird geheiratet.

Ihr Leben ist von fast vollkommener Harmonie geprägt. Er bringt das Geld nach Hause (oft reicht es dennoch nicht), sie wird zur Hüterin der guten Stube. Eine Aufgabe, die sie erst lernen muss. Er schreibt ihr herzige Briefe von unterwegs, sie lernt kochen, waschen und den Haushalt führen. Seine Liebschaften verzeiht sie ihm, denn er ist es, der ihr das Leben zeigt. Aus heutiger Sicht ein eher unzumutbarer Zustand, doch befinden wir uns in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Nach mehreren Schicksalsschlägen binnen weniger Jahre – die eine Schwester ertrinkt, eine andere begeht Selbstmord, der Vater stirbt – muss Muschelkalk auch ihren geliebten Joachim Ringelnatz ziehen lassen. Die Nazis hatten ihm Auftrittsverbot erteilt, die Einnahmen schwinden rapide. Ein Jahr nach der Machtergreifung Hitlers verstirbt Ringelnatz.

Muschelkalk hat zu diesem Zeitpunkt Kaiserreich, Krieg, Republik, Inflation und aufkommenden Nationalismus erlebt – immer starke Männer an ihrer Seite – da ist sie gerade mal Mitte dreißig. Kurz vor der Hälfte ihres Lebens.

Sie arbeitet in Berlin als Lektorin für Rowohlt, übersetzt Thomas Wolfe, zu dessen Ruf in Deutschland sie entscheidend beigetragen hat. Kurze Zeit später heiratet sie erneut. Julius Gescher, Arzt und Freund, der Ringel und Muschelkalk schon vor Jahren kennenlernte. Doch er überlebt den Krieg nur wenige Tage.

Den Nachlass von Joachim Ringelnatz verwalten, den Dichter nicht in Vergessenheit geraten lassen, wird ihre große Aufgabe. Immer wieder gibt es Ringelnatz-Abende und Neuauflagen mit seinen Werken. 1977 stirbt auch Leonharda Ringelnatz, geborene Pieper, Muschelkalk genannt. Sie wird im Grab ihres zweiten Mannes begraben. Ringelnatz‘ Grab ziert seit jeher eine Platte aus … Muschelkalk.

Barbara Hartlage-Laufenberg gibt der besseren Hälfte Ringelnatz‘ ein Gesicht und eine Stimme. Bis war sie unbekannt, selbst Wikipedia erwähnt sie nur im Zusammenhang mit anderen Artikeln. Sie war mehr als nur die Frau hinter dem großen Dichter. Ihr ist es zu großen Teilen zu verdanken, dass bis heute Ringelnatz-Abende veranstaltet werden und der Dichter hüben wie drüben nicht in Vergessenheit geraten ist.

Geballte Wut

Geballte Wut

Der Titel lässt es vermuten, dass es sich nicht um Kaninchenzucht handelt. Ein Jugendlicher mit gezücktem Messer: Der Plot scheint klar. Autorin Petra Ivanov lässt ihren Helden Sebastian einen Hindernislauf der Brutalitäten durchlaufen. Sebastian ist kein besonders guter Schüler gewesen. Deswegen sitzt er nicht auf der Anklagebank. Viele Freunde hat er auch nicht. Auch diese Tatsache allein hat ihn nicht hierher gebracht. Blitz und Mike sind seine Freunde. Blitz, der Nachbarsjunge, bei es immer so sauber, wie geleckt aussieht, ist wohl sein einziger Freund. Ein bisschen Neid von Sebastians Seite hat dazu beigetragen, dass sie so was wie unzertrennlich sind.

Die Freundschaft bekommt Risse als Blitz Thomas König zu sich einlädt. Thomas ist so was wie der erklärte Todfeind von Sebastian. Er demütigt den unsicheren Teenager bis … ja, bis Sebastian sich zur Wehr setzt. Bam, Bam. Fäuste sagen mehr als Worte. Seitdem herrscht Waffenstillstand. Bis Sebastian Thomas bei Blitz wiedersieht. Er solle verschwinden. Blitz‘ Reaktion fällt anders aus als erhofft. Der steht zu Thomas. Sebastian antwortet in gewohnter Manier: Bam. Bam. Thomas sitzt da. Blitz‘ Sportpokale purzeln auf ihn hernieder. Einer so unglücklich, dass Thomas‘ Schädel blutrot überströmt wird. Einer der Gründe, warum Sebastian jetzt da ist, wo er ist. Vor Gericht.

Kevin, Goran, Noah – Seb hat nun Freunde. Alle helfen ihm, wenn es mal nicht so läuft wie es soll. Alkohol ergaunern? Kein Problem! Ein Springmesser? Erst recht nicht. Nur für die Lehrstelle ist sein Vater zuständig. Als Koch im Hotel. Wieder wird Sebastian fremdbestimmt. Küchenalltag. Dem kann er endlich entfliehen als er Isabella kennenlernt. Zuerst ist er einzig allein von ihren körperlichen Vorzügen angetan. Als sie ihn wahrnimmt, ist es endgültig um ihn geschehen.

Bisher war die einzige Konstante in Sebastians Leben der Weg nach unten – jetzt, mit Isabella, scheint es aufwärts zu gehen. Es scheint nur so. Denn auch Isabella ist kein Kind von Traurigkeit. Ein gerissenes Biest, dass Seb heißmacht, zusammen mit ihren Kumpels ausnimmt und an Drogen heranführt. Wieder eine scheinbar heile Welt, die für Seb zusammenbricht.

Der Leser weiß zuerst nicht recht warum Sebastian vor dem Kadi steht. Die Gesetzestexte und die Hinweise aus Therapieanweisungen zu Beginn der Kapitel lassen dem Leser Böses erahnen. Sebastian spricht zum Leser. Denn der ist der Einzige, der Sebastian verstehen kann. Nur er kennt die ganze Geschichte. Eine traurige Geschichte, exzellent recherchiert, brillant geschrieben.