Archiv der Kategorie: Davids Sterne

Buch

Manche Erinnerungen verblassen rascher, manche später, andere wiederum gar nicht. Mikołaj Łoziński will die beiden ersten Varianten gar nicht erst zulassen und macht sich an die Arbeit Letztem die Ehre zu erweisen. Und herausgekommen ist ein Buch, das den Namen Buch verdient: „Buch“.

Man kann so herrliche Wortspielchen mit dem Titel des Buches machen, und der Autor tut es auch. Er lässt gekonnt Wahrheit und Fiktion miteinander verschmelzen. Fast wie in „Pulp fiction“ setzt man als Leser jedes Puzzleteil an das vorangegangene Teilchen und hofft, dass es passt.

Mikołaj Łoziński stammt aus einer jüdischen Familie. Über Generationen hinweg war man privilegiert. Politiker, Diplomaten, Redakteure gehörten zum Familienverbund. Genauso wie Ehebrecher, Parteigänger und Schreiber. Es ist nicht ganz einfach dem Treiben im Buch zu folgen. Immer wieder – hervorgehoben durch einen grauen Untergrund – blitzen kurze Dialoge mit dem Autor auf. Warnungen, Bitten, Wünsche. Tu dies nicht! Lass das weg! Was schreibst Du über mich? Namenlose Familienmitglieder – so lässt sich die Erinnerung am besten bewältigen – schwirren um den Autor wie Motten ums Licht. Bloß nicht zu viel preisgeben! Um Himmels Willen nur kein Skandal!

Doch Mikołaj Łoziński hat niemals die Absicht seine Ahnen bloßzustellen. Wie Bruchstücke der Geschichte trägt er zusammen, was er noch weiß und was andere ihm erzählten. Polens Geschichte herunter gebrochen auf das Schicksal einer, seiner Familie. Frisch und fröhlich fliegen die Augen über die Zeilen und so manches Mal muss man einfach absetzen und leise in sich hineingrinsen.

Ein Familienroman soll es sein. Da denkt man erst einmal, dass dieses Buch von Generation zu Generation weitergegeben wird. Schau mal, was ich gerade gelesen habe. Lies mal! Der größte Dank an einen Autor, den es geben kann. Doch es ist natürlich ein Roman über eine Familie. Der größte Dank eines Autors an seine Familie. Dass sie ihn teilhaben ließen an einem Leben, das er nicht kannte.

Wer sich die Mühe machen, und die Geschichten zu einem Gesamtbild zusammenfügen möchte, ist sicher herzlich eingeladen dies zu tun. Doch viel vergnüglicher ist es dieses Buch ein-, zwei,- mehrmals zu lesen. Man wird immer wieder Neues entdecken. Und die namenlose Familie wird einem immer vertrauter.

Die fremden Götter

Man überschreitet deutlich mehr als nur die Grenze des guten Geschmacks, wenn man Luises Leben, das in Nizza begann und in Avignon weitergeführt wurde, als himmlisch bezeichnet. Denn es sind die Jahre nach der Naziherrschaft in Europa. Ihre Eltern haben das Konzentrationslager überlebt, und können wie nur Wenige zurückkehren. Ihre Jüngste hat die Strapazen des Krieges nicht überlebt. Luise lebt! Die Jahre im Ursulinenkloster, dessen Gebäude heute noch in Avignon existiert, haben ihre Spuren hinterlassen. Luise ist nun strenggläubige Katholikin. Statt sich maß- und vor allem grenzenlos über die seltene Familienzusammenführung zu freuen, sind Mutter und Vater zutiefst enttäuscht über den Wandel der Tochter. Denn die Eltern sind nicht minder tiefgläubige Juden. Weshalb sie auch von der Gestapo deportiert wurden.

Walter Schott wurde im KZ zu einem ernsthaften Juden. Wollte man ihm dies austreiben, ist es gründlich in die Hose gegangen. Wieder in Freiheit kann er seiner Religion nicht mehr auch nur eine Handbreit freigeben. Das spürt besonders Tochter Luise. Ihr Vertrauen in Gott ist ungebrochen. So oft es geht, betet sie in der Kirche, bittet um Beistand in der schwierigen Zeit. Denn die Eltern haben sich verändert.

Walter Schott fleht seine Tochter an wieder zum Judentum überzutreten. Einen konkreten Grund hat er nicht bzw. kann ihn nicht nennen. Für einen Mann mit seinem Schicksal tut er etwas Ungeheuerliches: Er sperrt seine Tochter bei Wein, Brot und Apfel ein. Niemand darf zu ihr. Nicht einmal die Schulkameraden, denen erzählt wird, Luise habe die Masern. Auch der Mutter wird strengstens untersagt Luise zu besuchen.

Kurz zuvor hatte es der Vater „noch im Guten versucht“. Théodore Bovin, der Sohn des Rabbis und selbst schon auf dem Sprung zum Philosophiestudium an die Sorbonne sollte Luise ins Gewissen reden. Doch stattdessen verguckt er sich in die hübsche Siebzehnjährige. Emile Colombe ist Buddhist. Auch er schafft es nicht – will es auch nicht, denn sein Wankelmut sieht keine Religion vor – Luise zur Rückkehr zu bewegen. Denn Luise ist in Henri Matelotte verknallt. Selbstständiger Fotograf, der in ihr aber leider nur ein Abenteuer sieht. Sie sind trotzdem Luises letzte Möglichkeit dem Wahn des Vaters zu entkommen.

Es ist erschreckend zu lesen, wohin religiöser Wahn führen kann. Und so aktuell. Hermann Kesten schrieb diesen Roman in den 40er Jahre des 20. Jahrhunderts. Der Krieg war gerade aus, etwas Ruhe kehrte langsam ein. Doch die Dickschädel – und deren Couleur spielt überhaupt keine Rolle – mischen immer noch mit. Es ist die Zeit der Neuanpassung, des Aufbruchs und Neuaufbaus. Das Land liegt brach, und die Fanatiker sehen darin die Chance ihre Ideen auf fruchtbarem Boden zu säen. Doch die Menschen sehnen sich nach Bewährtem, nach Sicherheit. Und die fanden nicht Wenige im Schoß der Religion. Warum also davon abweichen? Luise will ihren eigenen Weg gehen. Dornig wird er und entbehrungsreich, doch es ist ihr Weg.

Kaddisch für Babuschka

Zufall oder Schicksal? Die Großmutter der Ich-Erzählerin, die gerade über einem Roman über eben diese Großmutter sitzt, ist gestorben. Im fernen Lemberg, dort, wo die Ich-Erzählerin geboren wurde. Es ist lang her, dass sie die Stadt, die so viele Namen trug – Lviv, Lwow, Leopolis – gen Berlin verlassen hat.

Der Roman kann warten, muss warten. Die Reise gerät zur Rückschau auf ihr eigenes Leben, das der Großmutter, aber auch zu einer Recherchereise für ihren Roman. Mit aller Gewalt prallen zwei Welten aufeinander. Realität und Fiktion verschmelzen in den Kämpfen mit der Mutter, der Trauer und der Gegenwart zu einem Fragment über die eigene Identität.

Babuschka, die Großmutter, war die ruhige Seele der Kindheit. Jetzt, auch wenn sie schon lange nicht mehr im Leben der Autorin körperlich präsent war, drängt sie zurück ins Rampenlicht. Traditionell werden nach jüdischem Brauch die Leichname sofort unter die Erde gebracht. Zeit verlieren, heißt Erinnerungen zu verlieren.

Die Straßen der Geburtsstadt sind ihr vertraut, vertrauter als niemand anderen sonst. Spaziergänge, das Lichterspiel der Wohnungen – sie sind wieder da. Als ob nichts gewesen wäre. Und dennoch ist diese Stadt, die dem Krieg im Osten der Ukraine von außen zusehen muss, eine fremde Welt. Zu sehr ist Berlin die neue Heimat.

Die eigene Herkunft ist nun mehr denn je greifbar. Jüdisches Leben in Lemberg ist kaum noch vorhanden. Der Alltag und Vertreibung haben ihre Spuren hinterlassen. Babuschka ist nicht mehr. Sind nun alle Brücken hierher, in die Kindheit abgerissen? Werden sie je wieder aufgebaut werden können?

Die Romanheldin Hannah darf ihre Babuschka noch kennenlernen. Die Ich-Erzählerin nutzt sie als Vehikel der Erinnerung. Doch Hannah und ihre Schöpferin sind eins.

Eins mit der Erinnerung zu sein bedeutet für Martina B. Neubert „Kaddisch für Babuschka“ schreiben zu können. Tief gerührt, nachdenklich, bestürzt, nachgiebig sprengt sie die Mauern, die einmal gebaut wurden. In Rückblenden erinnert sie sich an Babuschka und führt sie durch ihre Romanheldin Hannah zurück ins Leben.

Warum soll man nicht auf bessere Zeiten hoffen

Da fehlt doch was! Ein Fragezeichen, oder ein Ausrufezeichen. Oder doch nicht. Victor Klemperer, der große sprachgewaltige Humanist, Idealist und Philologe lässt das Ende des Satzes offen. Das schelmige Lächeln trägt er nicht nur auf dem Buchcover – auf jedem Bild, das man von ihm kennt, kann er seiner zeitweisen Hoffnungslosigkeit immer noch einen Funken Positivität abgewinnen.

Ja, warum soll man denn unbedingt aufhören auf bessere Zeiten zu hoffen.?! Schlimmer kann es nicht werden. Das dachte er, als der erste Weltkrieg begann. Auch als er – studiert, voller Tatendrang, arbeitsbesessen – keine Anstellung fand. Als die Nazis immer breitere Bevölkerungsschichten erreichten. Und schließlich die Macht errangen. Als ganz Europa in Schutt und Asche lag. Schlimmer konnte es nicht kommen. Als man ihm Arbeitsverbot, Publizierungsverbot auferlegte. Es kam schlimmer. Und doch schwebte ein Funken Hoffnung im täglichen Leben mit.

In den Briefen, die er schrieb – an Mitstreiter, Familie, Freunde – wird sein Leben so greifbar wie kaum zuvor. Kurze Einblicke in einen kurzen Lebensabschnitt sind es, die den Leser in eine Zeit versetzen, in der man nicht an seiner Stelle gewesen sein möchte. Und trotz alledem stechen die wohl gewählten Worte wie glühende Eisen ins Augenlicht des Lesers. Höflichkeit ist Trumpf. Keine abgehackten auf wenige Zeichen limitierten Tiraden gegen etwas oder wen, sondern exakt formulierte Bitten, Klagen und dabei so voller Zuversicht und Ehrerbietung dem Empfänger und voller Respekt der deutschen Sprache gegenüber. Eine echte Wohltat dem Künstler, der aus tiefster Überzeugung gar nicht anders konnte als dem am breitesten Kulturgut eines Volkes, der Sprache, zu folgen.

Sein Hauptwerk „LTI – Lingua Tertii Imperii“, in dem er die Sprache des so genannten Dritten Reiches unter die Lupe nahm, ist erschreckend, wenn man die Verformungen heutzutage wahrnehmen muss. Ein Buch, das heute mehr denn je gelesen – und vor allem – gelehrt werden sollte. Denn Sprache ist Leben und Tod zugleich. Twitternachrichten als Regierungserklärung, die für jedermann sofort und ungefiltert erreichbar sind, bergen mehr als nur ein Risiko. Denn die Reaktionen folgen postwendend. Und meist im gleichen Stil. Ohne nachzudenken reagiert man auf das, was einfach mal so rausgeblasen wird. Oder man reagiert nicht minder langsam, auf Provokationen, statt selbst zu agieren, und dem Stumpfsinn eigene Ideen und Argumentationen entgegenzusetzen.

Es ist eine Freude den Gedankengängen Victor Klemperers zu folgen. Man erschrickt vor so viel Courage und Zuversicht in der dunkelsten Zeit, man staunt über die Vielfalt der Worte der eigenen Sprache und hofft wie in einem spannenden Thriller auf ein gutes Ende. So wie der Autor, der sich letztendlich doch bestätigt fühlen konnte: Irgendwann ist dann doch Schluss mit dem „Schlimmer geht’s immer“.

Der Pakt – Hollywoods Geschäfte mit Hitler

Wer sich auch nur ansatzweise im Hollywood der dreißiger und vierziger Jahre auskennt, wird von einer Sensation sprechen, wenn er über dieses Buch spricht. Hollywoods Hochzeit, auf dem Thron der Filmwelt, Filmkunst in Perfektion. An der Spitze der großen Studios saßen Männer, die einst aus der alten Welt ins gelobte Land gingen, um ihre Visionen zu verwirklichen. Ihre Angestellten, Regisseure, Schauspieler, Autoren, Kameramänner mussten teilweise alles stehen und liegenlassen, um nicht dem Naziterror zum Opfer zu fallen. Ganze Straßenzüge Hollywoods waren von Größen wie Brecht, Mann, Lang, Dietrich, Feuchtwanger, Bois, Veidt gesäumt. Und nun die kühne Behauptung, dass Hollywood sich dem Diktat eines einzelnen Mannes, der die Filme von beispielsweise Laurel und Hardy so sehr liebte, untewarf?

Ben Urwand stellt diese Behauptung auf. Und er kann sie unterfüttern und beweisen: Hollywood war schon immer der geldgierige Schlund, der wenig auf das gab, was ihn ausmachte: Seine Stars.

Auf deren Schicksale konnte keine Rücksicht genommen werden. Viele Filme mit vordergründiger Kritik am Naziregime wurden geschnitten oder erst gar nicht realisiert. Dafür durften MGM und Co. ihre Filme in Deutschland (gekürzt und geschnitten) zeigen. Ein enormer Markt. Mit enormen Gewinnen. Für beide Seiten. Denn das Geld floss nicht nur über den großen Teich zurück, sondern wurde Göbbels für seine Wochenschau zur Verfügung gestellt. Soweit die These, aber auch die Beweislage. Die Akten und Papiere waren immer da, nur verschollen. Ben Urwand hat sie wieder ausgegraben und ein kleines Erdbeben ausgelöst.

Zur Ehrenrettung muss man aber sagen, dass nicht alles, was filmisch gegen die perfiden Machenschaften des zwölfjährigen Reiches angedacht war, der selbstauferlegten Zensur zum Opfer fiel. Filme wie „Casablanca“ wurden dennoch gedreht und sind heut Klassiker. Auch wenn, gerade „Casablanca“ nicht gerade durch cinematographische Brillanz glänzt.

Viele Entscheider in Hollywood, wie Louis B. Mayer, Chef und daszweite M in / von MGM, – ein Karriere- und Menschenzerstörer erster Klasse –  waren jüdischen Glaubens. Undenkbar, dass gerade sie mit dem Teufel paktierten. Doch der schnöde Mammon hilft so manches Leid ertragbar zu machen. Und umgekehrt ist es nicht weniger unmissverständlich aufzufassen. Ein Nazihasser wie Göbbels paktiert mit den Juden? Ja, denn die haben das Geld, das ihm fehlt. Perfide, pervers? Ben Urwand enthält sich weitgehend der Stimme. Doch die Fakten, die er auf den Tisch legt, sprechen eine eindeutige Sprache. Die Medien als Mittel, um sich Gehör zu verschaffen, das ist nicht neu. Und kommt aber gerade wieder ganz groß in Mode. Mit seinem Buch „Der Pakt – Hollywoods Geschäfte mit Hitler“ kratzt Ben Urwand an der Leidenschaft fürs „große Kino“. Er desillusioniert ein wenig den Mythos Hollywood – und das ist gut so. So manchen Film sieht man nun mit ganz anderen Augen.

Montag

So ein Montag hat’s in sich. Wiedereintritt in die Mühle, des Alltags. Oder doch Startschuss und Aufbruch zu neuen Zielen. Für Mordkhe Markus, Hebräischlehrer in einer revolutionären Stadt, ist die Revolution in Russland nicht unbedingt ein Fluch. Die Ideen der Roten gefallen ihm. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit könnten sie sich noch auf die Fahnen schreiben, dann wäre alles perfekt.

Den Gefallen tun sie ihm aber nicht. Warum auch? Und so sitzt Mordkhe am Fenster, aufgestützt auf seine Arme und schaut dem Treiben „da unten“ zu. Armenmenschen betteln, die Frauen gehen ihrer Arbeit nach, Schüsse fallen. Schnell das Fenster zu. Drinnen ist es sicherer. Die Schriften des Talmuds geben Rat und bieten Ruhe. Besonders im übertragenen Sinne. Doch da draußen tobt das echte Leben…

Moyshe Kulbak ist heute kaum noch bekannt. Geboren 1896 in der Nähe von Vilnius erlebte er die Große Sozialistische Oktoberrevolution, und erlangte mit seinen Gedichten in den 20er Jahren einigen Ruhm. Heute würde er als Poetry-Slammer gefeiert werden. Damals gab’s diesen Begriff noch nicht. Er war eine echte Berühmtheit, die vor ausverkauften Rängen auftrat. Doch schon zwanzig Jahre nach der Revolution wurde ihm der Prozess gemacht. Seine Schriften waren nicht konform mit den Ideen der Kommunistischen Partei. Und ein paar Wochen später wurde er hingerichtet. Stalins Terror nahm Fahrt auf. Das menschenfreundliche System zeigte seine hässliche Fratze. Die Juden, die so sehr auf veränderte, leichtere Lebensbedingungen hofften, wurden mit der bitteren Realität konfrontiert.

„Montag – ein kleiner Roman“ ist ein wahres Kleinod, das das Schicksal des Autors in Auszügen vorwegnimmt. Wortgewaltig und mit vielen Anleihen in der jüdischen Tradition nimmt dieses Buch den Leser mit auf eine Reise in ein unbekanntes Land, in eine vergessene Zeit. Unumgängliche jüdische Begriffe werden im Anhang erläutert, so dass der Lesefluss nur kurz unterbrochen wird. Beim zweiten Lesen wird die Tragkraft des „kleinen Romans“ erkennbar.

Gauner, Großkotz, kesse Lola

Erinnern wir uns. Gehen zurück in den Jahren. Vielleicht Jahrzehnten. Ein ganz normaler Wochentag. Vormittags. Was haben wir gemacht? Wir saßen in der Schule. Vorn, vor der Tafel, stand der Lehrer und versuchte gebetsmühlenartig den Lehrstoff in uns reinzustopfen. Und hat’s was gebracht? Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Doch jede Schule, jeder Schüler hatte einen Lehrer, der kein Lehrer war. Zu ihm ging man gern in den Unterricht. Denn – und das erkennen viele erst später – er hatte eine Berufung. Er kannte sehr wohl den Lehrstoff. Von seinen Kollegen unterschied ihn die Tatsache, dass er es irgendwie schaffte alle in seinen Bann zu ziehen ohne das Lernziel aus den Augen zu verlieren. Lernen konnte auch Spaß machen!

Wer im Fremdsprachenunterricht immer nur Vokabeln pauken musste, ohne diese jemals richtig anwenden zu können, konnte keine Verbindung zur Kultur dieser Fremdsprache aufbauen. Buch – book, Mutter – matj, Auge – Mund – bouche. Und weiter? Wenn dann ein Lehrer Sketche aufführen ließ, witzige Anekdoten einflochte, durfte er sich ein „i“ an den Nachnamen hängen. Aus Herrn Schmidt wurden das eben „Schmidti“. Die höchste Ehre für einen Lehrer.

Christoph Gutknecht wurde sicher auch oft „Guti“ genannt. Er war Professor am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Uni Hamburg. In diesem Buch zeigt er kurzweilig und kenntnisreich den Einfluss des jiddischen in der deutschen Sprache auf. Denn vieles, was das tagein tagaus unseren Mund Richtung Gegenüber verlässt, hat gar keine deutschen Wurzeln, sondern jiddische, hebräische, aramäische. Pustekuchen wird der eine oder andere jetzt sagen, und führt seine eigene Überzeugung postwendend ad absurdum. Denn dieses amuse gueule hat seinen Ursprung nicht zwischen Elbe und Donau. Es hat eine wahre Odyssee hinter sich, bis es endlich seine Wurzeln im Jiddischen, Hebräischen freilegen durfte. Poschut (die „Puste“ im Pustekuchen) heißt „weniger“ und „kochem“ (der „Kuchen“) stammt von klug.

Nun lässt sich das Jiddische nicht so einfach erlernen wie der Vokabelteil eines Englischbuches. Erst wenn man das neu erlernte Wort – in diesem Fall das „wieder erlernte Wort“ – in verschiedenen Situationen erlebt hat, kann es seine gesamte Pracht entfalten. Christoph „Guti“ Gutknecht hält dafür eine Vielzahl an Anwendungsbeispielen parat. Kurz und knapp fegt er über die Bücherseiten, die bereits beschrieben wurden und fügt zusammen, was zusammen gehört. Kein Tinnef wird für Zoff sorgen. Liebevoll, teils kess wünscht er dem Leser bei seiner Lektüre Hals- und Beinbruch, auf dass er keinem Sprach-Gauner auf dem Leim geht. Wer ganz genau hinsieht, kann nach dem Genuss des Buches viel besser mosern. Und das wiederum ist eine typisch deutsche Marotte!