Archiv der Kategorie: Bildgewaltig

Wenn Ewigkeit vergänglich wird

Im Urlaub suchen viel Ruhe und Erholung. Andere suchen die Action, um mit erhöhtem Adrenalinspiegel die Sorgen hinwegzuspülen. So ein erhöhter Adrenalinspiegel wäre auf einem Friedhof durchaus unangebracht. Hier flaniert man. Schaut links und rechts. Atmet tief ein. Lauscht der Stille. Und fürs Auge ist auch meist was dabei. Zum Beispiel wenn man die Gartenfriedhöfe Londons erkundet. Was scheinbar verklärt – „Wenn die Ewigkeit vergänglich wird“ – daherkommt, ist ein Juwel unter den Büchern zu diesem Thema.

Die Fülle an Abbildungen – das reicht von historischen bis aktuellen Fotos über Zeitungsausschnitte bis hin zu Skizzen – bricht wie eine gigantische Welle über den Betrachter herein. Die Autorin Georgia Rauer lässt zwar keine Toten wieder auferstehen, gibt aber den Weg frei, um diese architektonischen Stätten der Ewigen Ruhe wirken zu lassen.

London wuchs vor zweihundert Jahren wie kaum eine andere Stadt. In der Stadt fanden unzählige Menschen Arbeit. Schufteten sich die Buckel krumm … und ja, sie starben auch. Ganz natürlich oder manchmal auch unfreiwillig. Doch wohin mit den leblosen Körpern? Windige Geschäftemacher ließen die Leichen mehr oder weniger verrotten, was oft zu einem bestialischen Gestank führte – Enon Chapel brachte es zu einem zweifelhaften Ruf. Später entstand hier ein Tanztempel, der mit den Worten „Tanz auf den Toten“ warb.

Das viktorianische Zeitalter – und in dieser Zeit entstanden die sieben Gartenfriedhöfe Londons war auch geprägt durch die Trauer der Queen, die nach dem Tod ihres Alberts kategorisch schwarzgekleidet auftrat. Als Stilikone ihrer Zeit, und das war sie nun mal, ob sie es wollte oder nicht, prägte sie auch die Bestattungskultur.

Wer heutzutage diese Friedhöfe besucht, kann sich stundenlang auf ihnen bewegen. Botanisches Meisterwerke auf verwunschenen Pfaden, kleine architektonische Perlen, Ruheoasen. So kennt man London nun wirklich nicht. Dieses Buch ist das gelungene Rüstzeug für diejenigen, die London wirklich einmal anders erleben wollen. Abseits von Trubel, Shopping-Overkill und maßlos überteuerten Restaurantbesuchen. Hier herrschen andere Regeln. Bedächtig setzt man einen Schritt vor den anderen und liest ein wenig in diesem Buch. Von der extrem hohen Kindersterblichkeit, von der Verzweiflung der Menschen, aber auch von seelischem Frieden und erhabener Gediegenheit. Spaziergänge über die viktorianischen Gartenfriedhöfe gehören zu den eindrucksvollsten Erinnerungen in einer der eindrucksvollsten Städte der Welt.

Vom Reisen. Ein Fotojournal

Wenn man selbst zurückblickt und schaut wie man noch vor gar nicht allzu langer Zeit Urlaube geplant und gebucht hat, ist man verblüfft. Schleppte man sich noch vor rund zwei Jahrzehnten über Reisemessen, und danach die Kataloge die Treppen hoch in die eigenen vier Wände, klickt man sich jetzt durch die unendlichen Welten der Angebotsseiten im Netz. Und dennoch – auch wenn die Diaabende der Vergangenheit angehören – sind immer noch die Urlaubsbilder die Gedächtnisgrundlage für so manches Erlebnis. In jedweder Form verzieren diese Erinnerungen die Wände, oder die Fotoalben füllen meterweise die Regale. Reisen war, ist und bleibt die Erinnerung, die immer bestehen wird.

Ein bisschen Nostalgie schwimmt immer mit, wenn man zurückdenkt und an Unvorhergesehenes, Eindrucksvolles, Nachhaltiges erinnert wird. Dieses Fotojournal verbindet Vergangenheit und Gegenwart auf so wunderbare Weise. Zum Einen in Schwarz-Weiß gefangener Gedächtnistresor (Tresor im doppelten Sinn: Schatz und Aufbewahrung), zum Anderen viel Platz, um das soeben Erlebte schriftlich festzuhalten.

Eine echte Innovation. Während die meisten ihre Erlebnisse umgehend per social media der Welt ungefragt zur Verfügungen stellen, hat man mit diesem Fotojournal eine ganz persönliche Möglichkeit eine Erinnerung „für später“ zu schaffen.

Dieses „Weißt Du noch…?!“, dass unweigerlich zutage tritt, wenn man die Fotos erblickt in Verbindung mit den eigenen Niederschriften – Platz ist wirklich genug in diesem Fotojournal – ist unbezahlbar. Ja, die Fotos sind schon drin, im Buch der Erinnerungen. Sie sind aber Ideengeber, Ratgeber, Erinnerungsstützen. Den freien Platz daneben kann, darf, muss man selbst füllen. Doch vor die Worte hat der Reisegott die Erlebnisse gesetzt. Mit lockerer Feder füllt man in Windeseile den freien Platz im Journal.

Wer beispielsweise eine mehrwöchige Kreuzfahrt gemacht hat, sieht Bilder von anno dazumal von Menschenmassen am Anleger, die den Giganten der Meere zujubeln mit anderen Augen als Reisende, die jeden Schritt ihrer Reise selbst organisiert haben. Die wiederum vergleichen die die Fotos im Fotojournal mit ihren eigenen Empfindungen – früher war alles entspannter, weitläufiger, nicht so überlaufen.

Wer Reisen nicht nur als Sammelalbum für die Anzahl der Länder sieht, wo man seinen Fuß draufgesetzt hat, und diese Erinnerungen für sich und Nachfolgende festhalten will, hat beim Kauf dieses Fotojournals eine richtige Entscheidung getroffen.

Phantome der Nacht – 100 Jahre Nosferatu

Immer wieder findet Listen mit „den besten Filmen aller Zeiten“. Die sind fast immer gleich – weil alle von einander abschreiben oder die Auftraggeber dieselben sind. Je nachdem wer die Listen erstellt, wer in der Jury sitzt, woher die Jurymitglieder stammen. Doch, ganz ehrlich, Listen in denen die Filmkunst nicht gewürdigt wird, sondern der Erfolg an der Kasse sind nichts weiter als Marketinginstrumente. Wenn tatsächlich einer der zahllosen Batman-Filme bedeutender – also „besser“ – als beispielsweise „Metropolis“ von Fritz Lang sein soll, sollte man mit seinen Zweifeln nicht hinterm Berg halten.

Vor wenigen Jahren wurde „Nosferatu – Symphonie des Grauens“ eine Ausstellung anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Uraufführung gewidmet. Eine Ausstellung für einen Film! Nicht etwa eine Devotionalienecke in einem Kaufhaus mit allerlei Krimskrams, um genervten Eltern ein paar Stunden Ruhe vor den quengelndem Nachwuchs zu gönnen. Einem Film also, der bis heute die Herzen des Publikums höher schlagen lässt. Nicht nur die ikonischen Bilder. Nicht allein die Effekte, die einzig allein mit handwerklichen Mitteln für Erstaunen sorgen. Nicht allein der Hauptdarsteller, der garantiert nicht wegen seines Namens ausgesucht wurde: Max Schreck. Nein, es ist das Gesamtwerk, angefangen beim opernhaften Vorspann über die expressionistischen Bilder bis hin zum dramatischen Ende. Die Handlung und die Musik (ein besonderes Ereignis, wenn man dies mit Orchesterbegleitung wie dem Babylon-Orchester im Kino erleben kann), die Farbgebung und die dramaturgische Aufbereitung sind ein Fest für die Sinne.

In diesem Buch, dem Begleitband zur Ausstellung im Jahr 2022, erlebt das Kunstwerk „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ seine Auferstehung in Dauerschleife. Immer wenn man darin blättert, erscheinen wie auf der großen Leinwand die Szene nicht nur vor dem geistigen Auge.

Der Film hatte Auswirkung auf fast jedes Kunstgenre. Graphic Novels beziehen sich bis heute auf die optische Umsetzung der Vampirlegende, die Parallelen zum Film von Friedrich Wilhelm Murnau sind derart offensichtlich, dass es keinen Sinn hat sie zu leugnen. Wohl nur noch das Konterfei von Marilyn Monroe von Andy Warhol oder von Che Guevara nach dem Schnappschuss von Alberto Korda haben ähnlichen Weltruhm.

Soll eine mystische Stimmung in einem Bild erzeugt werden, hier ist die Inspirationsquelle aller Düsternis.

Wer dem Mythos „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens “ verfallen ist, dem rauscht bei diesem Buch das Blut in doppelter Geschwindigkeit durch die Adern…

Keine Bleibe

Nicht wegen ihres Namens hat Angelika Sinn dieses Buch geschrieben, ein Buch, das obdachlose Frauen in den Fokus rückt. Es macht Sinn so ein Buch zu schreiben, obwohl es natürlich besser ist, ein derartiges Buch niemals schreiben zu müssen. Angelika Sinn arbeitet ehrenamtlich beim Tagestreff frauenzimmer in Bremen, der sich um Obdachlose kümmert. Sie bietet hier Schreibkurse an. Mit viel Einfühlungsvermögen und nicht weniger Geduld hat sich die Geschichten von acht Frauen zugehört und sie zu Papier gebracht.

So verschieden die Frauen sind, haben sie doch eines gemeinsam: Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem nichts mehr ging. Rechnungen wurden nicht mehr bezahlt, die Gewalt war unerträglich geworden, das Schicksal hat unverhofft und gnadenlos zugeschlagen. Die Straße war der einzige Ort, an dem sie noch existieren konnten. Dank Vereinen wie frauenzimmer und anderen fanden sie Hilfe. Die Verängstigung der Frauen konnten aber auch sie nicht ungeschehen machen.

Es sind wirklich keine schönen Geschichten im eigentlichen Sinn. Doch dass Hoffnung zurückkehren kann, eint die Frauen ein weiteres Mal. Es sind kleine und große Glücksmomente – auch der in Angelika Sinn ein offenes Ohr zu finden – die der Resignation den Nährboden entziehen.

Die stimmungsvollen und leisen Fotografien von Rike Oehlerking verleihen jeder einzelnen Beschichte in diesem Buch eine besondere Note. Detailaufnahmen ohne zu viel preiszugeben – wie ein Sinnbild für jedes Schicksal.

Es ist mühsam sich dem Thema Wohnungslosigkeit über Zahlen zu nähern. Je größer die Zahl desto mehr distanziert man sich von den Betroffenen. Wahre Hilfe kann nur jedem einzelnen gegeben werden, niemals einer ganze Gruppe oder gar einer Masse. Nicht aufzuhören über dieses Thema zu reden, zu schreiben, die Augen nicht zu verschließen, gehört genauso dazu.

Chronik von Auerbachs Keller

Als Gast in Leipzig, als literaturbegeisterter Gast in Leipzig und vor allem als hungriger Gast gibt es eine Adresse, um die man einfach nicht herumkommt: Auerbachs Keller. Hier ist sogar schon der Teufel „eingeritten“. Olle Goethe – also eigentlich der junge Goethe – hat ihn eindrucksvoll und nachhaltig beschrieben.

Wer sich am Marktplatz sattgesehen hat – und das dauert ein Weilchen – biegt irgendwann automatisch in die Mädlerpassage (um es gleich vorweg zu nehmen: Auch dieser Passage widmet sich der Autor dieses Buches.) ein. Und schon säumen Links und Rechts des Weges zwei Figurengruppen den Weg. Raufbolde auf der Einen, Faust und Mephisto auf der Anderen. Geschwungene Treppen führen hinunter in den Keller, in Auerbachs Keller. An dieser Stelle gibt es seit über einem halben Jahrtausend – unter dem macht man es nicht! – eine Einkehrmöglichkeit, um die Kehle zu befeuchten.

Heute ist es ein straff durchorganisiertes Restaurant, in dem die Kellner rekordverdächtig die Speisen an die Tische bringen und der Gast einen beweglichen Hals braucht. Denn die Wände vom Auerbachs Keller sind reich verziert, oft bis meist mit Motiven aus Goethes Faust. Wer für seine Abschlussprüfung das Thema Faust erhalten hat, und sich speziell die Szenen im Auerbachs Keller vorbereiten will, der braucht eigentlich gar nicht mehr ins Buch zu schauen – hier können die Wände rerden…

Für viele ist ein Besuch hier einer von unzähligen Höhepunkten in der Messestadt. Wer also zur Messezeit, etwas der Buchmesse im Frühjahr, hier speisen möchte, muss vorbestellen, oder kommt kurz nachdem die Türen geöffnet werden.

Bernd Weinkauf bekommt sicherlich immer einen Platz im Lokal. Seine Chronik des Auerbachs Keller ist das Nonplusultra unter den Lokalreiseführern der Messestadt. Selbst Leipziger staunen über die Fülle an Informationen, die man über ein einziges Lokal zusammentragen kann. Die unzähligen Abbildungen, die kundigen Texte, die üppige Aufmachung sind nur drei Gründe hier – ob hungrig oder nicht – hier die Erkundung Leipzig kurz zu unterbrechen oder ausklingen zu lassen.

Im Dienst des Irdischen

China, die Volksrepublik und Religion – jaajjjeeiinn. Irgendwie durchaus eine logische Verbindung, andererseits auch wieder nicht. Es ist kompliziert. Und so sollt man sich diesem Buch auch nähern. Klar, China, Asien, Buddhismus – die Verbindung ist eindeutig da. Und dann die monströsen Parteitagsbilder der Kommunistischen Partei, wenn im Takt dem Vorsitzenden gehuldigt wird – das ist so gar nicht buddhistisch.

Religion ist in China überall vorhanden, so wie hierzulande der christliche Glaube und seine Sichtbarkeit nicht zu übersehen sind. In China hingegen gibt es stellenweise Tempel, die nicht historisch gewachsen sind, sondern moderne Bauten sind (ja, die gibt es auch in unseren Breiten), sondern von Firmen erbaut wurden. Und deren Größe die historischen Tempel um ein Vielfaches übertreffen. Also, China und Religion ist doch nicht so verwunderlich wie so mancher Dauerskeptiker es glauben mag.

Hans-Wilm Schütte reist durch ein China, das ohne rasanten Fortschritt nicht überlebensfähig ist. Das Land lebt vom selbst auferlegten Image des enormen Aufschwungs.

Als Erstes fällt im Buch die üppige Farbenpracht der Abbildungen auf. Gold soweit das Auge reicht. Festgehalten aus unterschiedlichen Perspektiven. Und erst die Erläuterungen! China ist gemessen an der Zahl der Gläubigen die Nummer Eins im buddhistischen Lager. Neben der Pracht der Bilder stellt Autor Hans-Wilm Schütte die Geschichte und Tradition in den Fokus. Strömungen innerhalb des Buddhismus sind oft stellenweise ein Dorn im Auge der Religionshüter sowie der Machthaber im Reich der Mitte.

„Im Dienst des Irdischen“ ist ein tiefer Einblick in den Alltag der Buddhisten in China. Tempel mit gigantischen Ausmaßen, daneben bescheidene Rituale, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen. Besinnliche Bilder und ausufernde Goldbeschau. Propaganda und reine Lehre. Wer sich auf diese Reise einlässt, erlebt Seite für Seite ein Abenteuer nach dem Nächsten. Unter den Reisebildbänden nimmt dieses Buch einen ganz besonderen Platz ein, und zwar auf den vorderen Plätzen!

Schaurig-schönes Europa

Wenn der Urlaub etwas ganz Besonderes werden soll, dann sind außergewöhnliche Orte das Salz in der Traumsuppe dieser Erinnerungen. Die Bilder, die man sich selbst in diese Erinnerungen pflanzt, müssen einem ganz bestimmten emotionalen Bild entsprechen. Auch wenn sie nur für den Bruchteil einer Sekunde vor dem Auge erscheinen oder für die Dauer eines Spazierganges existieren. Mit allen Sinnen wird dieser Moment für Ewigkeit festgehalten.

So wird man beispielsweise in Craco in der Basilikata im Süden Italiens, nahe der Felsenstadt Matera, auf einen Ort treffen, aus dem das Leben schon vor einem halben Jahrhundert geflohen ist. Oder besser gesagt, es wurde aufgegeben als Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nach einem Erdrutsch es als zu gefährlich angesehen wurde hier weiterhin zu leben. Zuvor lebten hier mehr als tausend Jahre Menschen. Heute erinnern nicht einmal mehr Glasscheiben an eine Zivilisation. Dass hier ein Leben möglich war, ist dennoch nicht wegzudiskutieren. Straßen und Gassen existieren noch. Auch die Raumaufteilung der Häuser ist noch klar erkennbar. Umgestürzte Möbel verweisen auf ihre ehemaligen Bewohner. Und dennoch herrscht hier eine gespenstische Ruhe. Ein verlassener Ort, der einem den Schauer über den Rücken jagen kann.

Brodelnd und voller Leben – dennoch nicht minder lost place – ist der Rio Tinto in Andalusien. So ein Rot in einem Fluss hat man noch nie gesehen. Baden ist nicht ratsam. Der Sauerstoffgehalt ist zu gering, der Säuregehalt hingegen um ein Vielfaches zu hoch. Optisch ist der Fluss ein Augenschmaus und trägt sicher dazu bei sich auch noch Jahre später genau an das meiste zu erinnern.

Über glasklares Wasser schwebt man förmlich im Höhlensee von Tapolca, nördlich des Balatons. Auch hier fühlt man sich wie in einer fremden Welt. Prächtige Farbenspiele, gespenstische Ruhe und alles unter der Erde. Das Höhlensystem ist vulkanischen Ursprungs und kann heute recht gemütlich bereist werden.

„Schaurig-schönes Europa“ ist ein Reiseband, der bei jedem Umblättern das Reisefieber steigen lässt. Stimmungsvoll in Szene gesetzt und mit verheißungsvollen Texten gespickt, macht dieses Buch Appetit auf echte Abenteuer.

Grazie a voi

Schon die Andeutung des Begriffes Migration bringt eine gewisse Schwere ins Gespräch. Mit Bedacht wählt man seine Worte, nickt zustimmend oder … im schlimmsten Fall … tut unumwunden seine Abneigung kund. Ob man es nun hören will oder nicht: Migration war schon immer ein Thema. Die Landbevölkerung zog es in die Städte – Migration. Und wer es sich leisten will und kann, den zieht es in die ländliche Idylle. Auch das ist Migration.

Schon Mitte des 19. Jahrhunderts zog es tausendfach Italiener in die Schweiz. Hier wurden Arbeitskräfte gesucht, besonders in der aufstrebenden Textilindustrie und im nachfolgenden Gewerbe. Rund ein Jahrhundert später zog es abermals Italiener in die Schweiz. Die Heimat lag am Boden, mühsam errichtete man wieder eine Demokratie, gab sich eine neue Verfassung. In der Schweiz „war die Welt noch in Ordnung“ – kein bis kaum Kriegsschäden, überdurchschnittliche Löhne. Nur das Frauenwahlrecht war noch nicht installiert. Doch der wirtschaftliche Druck überwog so manches, was man niemandem wünscht. Willkommenskultur war sporadisch vorhanden.

So entwickelte sich eine Migrationskultur, die in diesem Buch eindrucksvoll, ungeschönt, ungefiltert „das Leben der Fremden“ für die Ewigkeit festgehalten hat. Nix grandezza und bella vita. Vielmehr harte Arbeit, fremde Sprache, neue Lebensbedingungen. Aber auch ein Lächeln auf den Lippen sich selbst ein Leben aufbauen zu können. Und die Lieben daheim – in Italien – daran teilhaben zu lassen. Auch ohne täglichen Kontakt – das Handy und Telefonflatrates gab es noch nicht!

Es ist die Schlichtheit, das Normale der Fotos, das so beeindruckt. Näherinnen in St. Gallen, Vereinsleben, aufm Bau, beim Pflastersteineverlegen in sengender Hitze oder in Schale geworfen, um dem Alltag einmal die elegante Schulter zu zeigen – jede Seite, jedes Bild ein untrügliches Abbild des ganz normalen Lebens der Italiener in der Schweiz.

„Grazie a voi“ – wer sagt das? Die Neuen oder die Eingesessenen? Wer bedankt sich bei wem? Sicher ist, dass ein grazie nicht nötig, aber gern gehört ist. Und wenn man zwischen den Erinnerungen herumstöbert, ist es sowieso egal, wer wem ein grazie schuldet. Immer wieder blättert man ein paar Seiten zurück, sich noch einmal zu vergewissern, was man gerade gesehen hat oder meint übersehen zu haben. Ob nun in nostalgischem Schwarz-Weiß oder typischen überfärbten Colorfoto-Charme – man erliegt im Handumdrehen diesen Bildern. Grazie!

Grenzland – Borderlands

Wenn ein Märchen mit „Es war einmal …“ beginnt, wähnt man sich in sicheren Gefilden, freut sich auf eine phantastische Reise … mit happy end. Die Geschichte eines Volkes mit „Es war einmal …“ in Verbindung zu bringen, ist mit Vorsicht zu genießen. Denn dieses „war“ ist mit Schmerzen, Leid und Respektlosigkeit eng verwoben. Die Grenzen verschwimmen hier nicht, sie sind klar ersichtlich und mit keiner Silbe unumkehrbar.

Die kleinen Städte – jiddisch Schtetl – im Osten Europas waren einmal Zentren jüdischen Lebens. Hier lebte man fernab der eigentlichen Heimat, baute sich über Generationen eine neue Heimat auf. Behielt die Traditionen bei, pflegte sie, hegte sie, bildete sie weiter aus. Man fügte sich ein, passte sich an, ohne dabei die eigenen Wurzeln zu verleugnen. Bis man es musste. Bis man vertrieben wurde. Bis man … gejagt, verjagt, gefangen, deportiert, ermordet wurde. Und das nur, weil man an einen Gott glaubte, den die Täter nicht folgen konnten. Weil man einer jahrtausende alten Hetzjagd ausgesetzt war, die für viele Grund genug war, selbige fortzusetzen. „Einfach so“, weil man es konnte, weil es von Oben erlaubt, ja sogar befeuert wurde.

Der Fotograf Christian Herrmann reist zu diesen Orten in der Ukraine, in Belarus, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Er sucht diese Orte, findet sie und dokumentiert – künstlerisch auf höchstem Niveau und in bestechender Klarheit – was nicht mehr eindeutig zu erkennen ist. Nur wer genau hinsieht, erkennt die teils kläglichen Reste einer Kultur, die präsenter ist als manch verklärter Irrgänger es sich eingestehen will. Es sind kleine Kuppeln, Häuserfassaden, ganze Straßenzüge und plattgemachte Orte, die er mit seinen Bildern in die erste Reihe zieht.

Ab und an sind noch Schriftzeichen zu erkennen. Mahnend von der Restaurierung der Gegenwart unberührt gelassen. Manchmal sogar erneuert und in die Moderne transferiert. Detailaufnahmen decken für den Betrachter explizite Details auf, die der so niemals erkennen könnte.

Offensichtliches, wie jüdische Friedhöfe, die wegen ihrer dichten Fülle immer noch als solche zu erkennen sind, stehen kleinen versteckten Schätzen gegenüber, so dass man sicherlich beim nächsten Rundgang, auch durch die eigene Stadt einmal genauer hinschauen wird. Wenn Grabinschriften erst und gerade durch hervorbrechende Flora zu neuem Leben erwachen, ist das mehr als nur ein Bild. Hier steckt eine Symbolkraft im Objekt, die noch lange anhalten wird.

Der Kunstgriff dieses Buches liegt in der Erläuterung der Bilder. Kein bedeutungsschwangerer Text stört den Bildrundgang. Ein am hinteren Buchrücken eingehangener Appendix setzt die Abbildungen in den passenden Kontext. So wird der Eindruck der Bilder durch nichts abgelenkt. Dieses Nichts ist derart nachhallend, dass man sich ihm nicht verschließen kann. So soll es sein!

Sternbilder der Welt

„Ich seh’ den Sternenhimmel, Sternenhimmel…“ aber nur, wenn man nicht mitten in einer Großstadt wohnt. Denn, wenn es um einen herum 24 Stunden taghell ist, ist die Chance das komplette Himmelszelt mit den unendlich vielen Lichtern auch wirklich zu sehen. Da muss man schon ein bisschen reisen. In die Höhenalgen. Raus aus der Stadt. Und man braucht natürlich auch ein wenig Glück – schließlich sind auch Wolken der natürliche Feind für Sternengucker.

Stefan Liebermann ist gereist. Und wie! Mit im Gepäck seine Fotoausrüstung und der Drang den Sternenhimmel ihm gerecht werdend in Szene zu setzen. Doch wer nun meint in diesem Prachtband „einfach nur schöne Bilder“ zu sehen, wird überrascht sein, wie lehrreich so eine Umblätter-Foto-Safari noch sein kann. Stefan Liebermann zeigt nicht einfach nur die Schönheit des strahlenden Nachthimmels, er erzählt auch wie er es schaffte diese gigantische Leinwand derart eindrucksvoll abzubilden.

Hat man sich erst einmal an die überbordende Fülle an Eindrücken gewöhnt, ist man auch bereit nachzulesen, warum diese Bilder beeindrucken. Lichtquelle richtig setzen, Belichtungszeit auswählen, Bildausschnitt wählen sind nur einige Parameter, die man beachten muss, um auch nur annähernd diese Bilder mit der Kamera einfangen zu können.

„Sternbilder der Welt“ ist das rund um gelungene Sternenspektakel, das kein Animationsprogramm der Welt so exakt wiedergeben kann. Alles echt. Alles so nah und doch so fern. Wenn einem schon die Sterne vom Himmel geholt werden, dann sollte man sich in Ruhe zurücklehnen und jeden Moment genießen.

Es ist immer wieder erstaunlich wie vielfältig der Sternenhimmel abgebildet werden kann. Auch, wenn man nur ein knappes Zwanzigstel der theoretisch sichtbaren Sterne, Planeten, Galaxien sehen kann.

Den Abschluss bildet ein Exkurs in die Astrofotografie. Kleines Beispiel: Den Nachthimmel am besten bei Neumond fotografieren. Und Nacht ist nicht gleich Nacht.

Wer es partout nicht lassen kann … der blättert einfach noch mal durchs Buch, und noch einmal … der Sucht dieses Buch immer wieder anzuschauen muss man einfach nachgeben.