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Waldeck

Deutschland, Westdeutschland im Mai 1964. Die Euphorie über den Weltmeistertitel zehn Jahre zuvor ist dem Wohlstand der Gegenwart gewichen. Eine neue Generation ist auf dem Weg neue Pfade zu beschreiten und alte Zöpfe abzuschneiden.

Journalist Ferdinand Broich hat von einer Frau erfahren, dass sie ihrem Peiniger aus dem KZ begegnet sei. Für ihn, den in Ungnade gefallenen Autor vielleicht die Chance wieder in gesicherte Gefilde schippern zu können. Für die Frau leider der Weg ins Verderben. Als Broich sie interviewen will, ist sie bereits tot. Ist das vielleicht die Story seines Lebens? Der Zynismus dieses Gedankenspiels ist Broich durchaus bewusst. Doch erst vom das Fressen, dass die Moral, sagte schon Brecht.

Währenddessen macht sich eine junge Frau auf den Weg aus ihrem „wohlbehüteten“ Leben auszubrechen. Fast wortwörtlich. Silvia entdeckt Papiere, die nur eines beweisen: Ihr Vater hat eine mehr als dunkle Vergangenheit. Hastig packt sie zwei Koffer, schnappt sich die Aktentasche, die sie versteckt hat und kauft sich eine Zugfahrkarte.

Waldeck soll der erste Ruhehalt auf ihrer reise werden. Sie hat gehört, dass auf der Burg im Hunsrück ein Musikfestival stattfindet. Dort erhofft sie sich die ersehnt Ablenkung.

Andernorts hat man die Hosen gestrichen voll. Zwei Männern sind nicht gerade erfreut über das Tun des jeweils Anderen. Man hätte vorsichtiger sein müssen. Sich nicht erwischen lassen dürfen. Die Tat ist schrecklich genug. Aber einen Augenzeugen entwischen zu lassen … das kann böse enden.

Jürgen Heimbach spinnt in seinem dritten Roman über die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ein dichtes Geflecht aus Angst, Hoffnung, Gier, Verrat, falschem Pflichtgefühl und ungebremster Aufbruchsstimmung. Das Festival auf der Burg Waldeck gab es tatsächlich von 1964 bis 1969. Folksänger, Liedermacher nannte man das damals noch. Eine Generation von Künstlern weigerte sich im Tralala der Zeit einzuordnen und machte mit harschen Texten auf die Probleme der Zeit aufmerksam. Hannes Wader, Franz Josef Degenhardt, ja sogar Katja Ebstein und Reinhard Mey sind bis heute in aller Munde. Die Zeit vor 45, wie man es fast schon neutral beschrieb, war noch nicht aufgearbeitet. Im Gegenteil. Die braunen Schergen hatten es sich in der Demokratie gemütlich gemacht. Jürgen Heimbach führt im Nachwort auf, dass fast jeder zehnte Zahnarzt aktiv bei der SS war. Sie selektierten in den KZs, stahlen das Zahngold und waren rührige Mitglieder des Regimes. Die Angst davor, dass ihre Tarnung im neuen Deutschland auffliegt, wurden sie nie los. Und was machen betroffene Hunde?… Sie bellen. Manchmal beißen sie sogar.

Die Spannung im Buch lebt vom Vorwissen des Lesers. Die Unerträglichkeit des Unwissens ist der Spannungsbogen, der bis zum Ende radikal durchgehalten wird. Vermutungen schweben über jedem Umblättern und die Erlösung ist wie ein Befreiungsschlag. Die Krimireihe von Jürgen Heimbach – jeder Roman ist für sich eine abgeschlossene Geschichte, doch die Reihung der Ereignisse lässt durchaus die Vermutung nahe liegen, dass man es hier mit einer Reihe („Die rote Hand“ gefolgt von „Vorboten“) zu tun hat – wird fortgesetzt. Man kann sich ja schon mal ein paar Gedanken machen… Eines steht jetzt schon fest: Viele kleine Geschichten türmen sich fast unmerklich zu einer großen umfassenden Geschichte auf, dessen Faszination man sich einfach nicht entziehen kann.

Superhits der Showa-Ära

Japan kann sich zweier Autoren rühmen, die sich den gleichen Namen teilen: Murakami – zwei mit dem perfekt ausgeglichenen Verhältnis von Vokalen und Konsonanten. Und doch so unterschiedlich. Während der Eine – Haruki – mit blumigen Worten der weiten Welt wie eine Sonne erscheint, in dem er Japans Kultur erklärt, ist Ryū eher der kleine Teufel, der aus der Erde herausbricht und mit brachialem Heavy-Metal-Sound den Dreck der Gesellschaft nach Oben wirbelt, um noch mehr Kultur zu zeigen. Seine Bücher sind keine Sinfonien, sie sind orchestrale Wuchtbrummen, die lange die Synapsen zum Schwingen bringen.

Apropos gleiche Namen und ausgewogenes Verhältnis von Vokalen und Konsonanten: Midori, so heißt sie und sie und sie und sie und sie und … sie auch. Ja, sechs Frauen, alleinstehend, alle heißen Midori. Ihnen gegenüber stehen sechs junge Männer – zum Glück für den Leser haben sie unterschiedliche Namen. Ishihara, Yano, Sugiyama, Katō, Sugioka und Nobue sind echte Taugenichtse. Die Typen, bei denen man die Straßenseite wechselt, wenn sie ins Sichtfeld geraten. Gelangweilte, antriebslose Gestalten, die nur Unfug im Sinn haben. Was die beiden Halbdutzende verbindet ist Karaoke. Die Jungs verkleiden sich, trashy, die Frauen haben mehr Gefallen an dem gemeinsamen Singen. Die Jungs reiben sich auf an den unzähligen Gedanken, was sie alles machen könnten. Den Willen haben sie ja schon. Böse Gedanken, schreckliche Willensbekundungen – bisher blieb es jedoch bei den Gedankenspielen.

Es ist wieder einmal soweit. Karaoke. Die Jungs organisieren – fast schon militärisch – ihren Abend. Sie bestimmen, wer die Technik organisiert, wer als Fahrer nüchtern bleiben muss und so weiter. Der Abend am Strand verläuft wie immer: Singen, rumalbern, sich an die Nachbarin von gegenüber erinnern, die sich so grazil aus ihrer Kleidung schält, sich haarklein vorstellen, wie sie sich ihren Körper einseift – die Jungs sind in freudiger Erwartung dessen, was nie passieren wird. Nur Sugioka ist am nächsten Morgen immer noch in der Stimmung der Nacht. Da wird selbst eine alte Frau zum Objekt der Begierde. Und schon ist es passiert. Ein anzügliches Nähern. Einfach nicht aufhören können. Eine blitzende Klinge. Und schon liegt die Frau am Boden. Blut umschließt ihren leblosen Körper.

Midori ist tot. Aus den sechs Midoris wie aus heiterem Himmel ein Fünferpack geworden. Und dieses Fünferpack hat es in sich. In Windeseile werden die biederen Damen zu fünf Fingern einer Faust, die kein Erbarmen kennt. Wie ausgewechselt beginnen sie zu recherchieren. Und sie sind gut! Schon bald haben sie einen Verdächtigen. Und wo ein Verdächtiger ist, ist auch ein Zweiter. Eine rauschende Rachejagd beginnt. Eine Jagd wie sie nur von einem Autor geschrieben werden kann: Ryū Murakami.

Love letters

Was wäre eigentlich, wenn Virginia Wolf und Vita Sackville-West heute leben würden? Sie würden sich heutzutage auf einem Charity-Event kennenlernen, wo sich die C-Promi-Garde mit der D-Kategorie ablichten lässt, weil sie so mehr Follower generieren würden. Hinter vorgehaltener Hand würde eine Viertelfinalteilnehmerin einer Casting-Show oder ein Teilnehmer bei einem menschenverachtenden Reality-Format mit einem leichten Grinsen das Gerücht verbreiten, dass sie und sie, Virginia und Vita

– die Namen würden schon mal zu den TV-Formaten passen … – etwas miteinander hätten. Eine hektisch sprechende Moderatorin würde aus ihrem „Was ist denn da passiert?“-Monolog eine Sensation ankündigen. Und die beiden selbst? Sie würden elegant, aristokratisch, gelangweilt den bunten Mikrofonen und den kreischenden Zurufen der Fotografen die kalte Schulter zeigen.

Denn sie haben sich, haben einander, haben ihre Gatten, Freunde, Geschäftspartner (oft in Personalunion) und würden trotzdem schwitzen wegen der vermeintlichen Hetzjagd. Doch im Vergleich zu damals – Virginia Wolf und Vita Sackville-West lernten sich 1922 bei einem Dinner kennen – wäre die Hetzjagd nach ein, zwei Wochen vorüber. Bis, ja bis sie sich wieder öffentlich zeigen (vielleicht sogar gemeinsam?!) und das Getuschel von Neuem beginnt.

Was hätten sie dann noch? Ihre Social-Media-Kanäle, in denen sie in wohlgewählten Worten auf die Missstände in der Gesellschaft hinweisen. Vielleicht würden sie die Regenbogenfahne schwenken, was ihre Partner ungewollt in die Regenbogenpresse ziehen würde. Würden die beiden gendern?

Oder würden Virginia Wolf und Vita Sackville-West den abgemagerten Promiklatschreporterinnen und den leicht zu Übergewicht neigenden Promireportern (das ist eine ganz subjektive Einschätzung, aber passt irgendwie ins Bild, oder?!) frontal entgegentreten und Gegenfragen stellen, die jeden Unterton entlarven?

Ach es wäre ein Fest für alle, die die beiden Autorinnen für ihr Tun verehren! Zum Glück waren die Zeiten als die beiden sich ihre Liebe in unzähligen Briefen und Tagebucheinträgen gegenseitig versicherten anders. Geschliffene Worte, erhabene Sehnsucht, feuriges Verlangen und schnippige Bemerkungen ohne dabei bewusst verletzen zu wollen. Dieses Buch ist ein meisterhaftes Beispiel dafür, das Liebe und Zuneigung laut und leise, offen und verborgen, zart und roh zugleich ist – die Außenwelt darf zusehen, aber nicht eingreifen. Zwei unabhängige, starke Frauen, die nicht müde werden in ewiger Verbundenheit getrennt und zusammen jeglichen Konventionen zu trotzen!

Im Dienst des Irdischen

China, die Volksrepublik und Religion – jaajjjeeiinn. Irgendwie durchaus eine logische Verbindung, andererseits auch wieder nicht. Es ist kompliziert. Und so sollt man sich diesem Buch auch nähern. Klar, China, Asien, Buddhismus – die Verbindung ist eindeutig da. Und dann die monströsen Parteitagsbilder der Kommunistischen Partei, wenn im Takt dem Vorsitzenden gehuldigt wird – das ist so gar nicht buddhistisch.

Religion ist in China überall vorhanden, so wie hierzulande der christliche Glaube und seine Sichtbarkeit nicht zu übersehen sind. In China hingegen gibt es stellenweise Tempel, die nicht historisch gewachsen sind, sondern moderne Bauten sind (ja, die gibt es auch in unseren Breiten), sondern von Firmen erbaut wurden. Und deren Größe die historischen Tempel um ein Vielfaches übertreffen. Also, China und Religion ist doch nicht so verwunderlich wie so mancher Dauerskeptiker es glauben mag.

Hans-Wilm Schütte reist durch ein China, das ohne rasanten Fortschritt nicht überlebensfähig ist. Das Land lebt vom selbst auferlegten Image des enormen Aufschwungs.

Als Erstes fällt im Buch die üppige Farbenpracht der Abbildungen auf. Gold soweit das Auge reicht. Festgehalten aus unterschiedlichen Perspektiven. Und erst die Erläuterungen! China ist gemessen an der Zahl der Gläubigen die Nummer Eins im buddhistischen Lager. Neben der Pracht der Bilder stellt Autor Hans-Wilm Schütte die Geschichte und Tradition in den Fokus. Strömungen innerhalb des Buddhismus sind oft stellenweise ein Dorn im Auge der Religionshüter sowie der Machthaber im Reich der Mitte.

„Im Dienst des Irdischen“ ist ein tiefer Einblick in den Alltag der Buddhisten in China. Tempel mit gigantischen Ausmaßen, daneben bescheidene Rituale, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen. Besinnliche Bilder und ausufernde Goldbeschau. Propaganda und reine Lehre. Wer sich auf diese Reise einlässt, erlebt Seite für Seite ein Abenteuer nach dem Nächsten. Unter den Reisebildbänden nimmt dieses Buch einen ganz besonderen Platz ein, und zwar auf den vorderen Plätzen!

Costiera amalfitana – Geschichte einer Landschaft

Eigentlich würde man die Region an der Küste bei Amalfi gar nicht erforschen. Zu steile Felsen, kaum Wege und Straßen. Und vor zweihundert Jahren gab’s nicht mal Übernachtungsmöglichkeiten. Olle Goethe hat deswegen diesen Landstrich mehr oder weniger mit Missachtung gestraft. Ha! Der arme Tropf! Reist nach Italien und schaut sich nicht einmal die Amalfiküste an! Das ist ja wie … Paris ohne Eiffelturm, San Francisco ohne zerrissene Jeans oder Barcelona ohne Tapas.

Dieter Richter – so steht es im Pressetext zum Buch – hat diese Region studiert. Ja, studiert. Die Amalfiküste – wenn man Traumjob googelt, muss das wohl dabei rauskommen.

Nun ja, es gibt viele Orte und Regionen, wo Italien am italienischsten ist. Meist hängt diese Bewertung vom eigenen gusto und Wissensstand ab. Und die costiera amalfitana ist sicherlich von Italienern überflutet, aber eben auch von so manchen sehnsüchtig nach Italien hechelnden Fremden, der, wenn er denn einmal einen Sitzplatz im ristorante am Meer ergattert hat, diesen nicht mehr hergeben will. Und somit zwar die Aussicht genießen kann, aber eben auch den Rest (die größere „Hälfte“) verpassen wird.

Dieses Wissensvakuum wird durch dieses kleine rote Büchlein gehörig mit Fakten, Analysen, Deutungen in hingebungsvollen Worten gefüllt, doch selber anschauen ist um Einiges mehr wert. So unwirtlich diese Gegend erscheinen mag – stramme Waden sind das Mindeste, was man erhält, nimmt man die Fußwege der Region – so sehr beeindrucket sie von jeher ihre Besucher. Hier versteckten sich Piraten, hier entstand die älteste Seerepublik Italiens, hier berauschten sich Künstler an ihrer Schönheit.

Eine Rundreise mit Dieter Richter ist ein Wissensflash der obersten Kategorie. Es gibt wohl kaum einer Zeile auf dieser Welt, die der Autor nicht vorher gelesen hat, um seinem Kompendium die nötige Fülle verleihen zu können. Von der regionalen Küche über römische Villen (und ihre durchaus pikanten bis geheimnisvollen Geschichten) bis hin zum touristischen Overkill der Gegenwart lässt er keinen Aspekt einer „natürlichen Entwicklung“ der costiera amalfitana aus.

Wer die Amalfiküste besucht, muss sich im Klaren sein, dass er niemals, oder nur sehr selten, allein sein wird. Man muss die Stille wirklich suchen – dafür gibt es Reisebände. Wer die Region verstehen, sie mit allen Sinnen aufsaugen will, der kommt um dieses Buch nicht herum. Das Standardwerk über eine der schönsten Landschaften der Erde!

München Abenteuer

Wer als Fußballfan zum Erstligaspiel anreist, weiß meist schon vor Anpfiff, dass er mit gesenktem Haupt wieder von dannen traben wird. Wer das Olympiagelände besucht, kann sich sicher sein, echte Abenteuer zu erleben. Und mit der Parkplatzsuche hat sich das Repertoire an Abenteuern in München auch schon erledigt. Denkste!

Detlef Dresslein hat nicht nur das eine oder andere Abenteuer in Minga (ja, auch den Dialekt kann man als abenteuerlich auffassen, aber darum geht’s hier nicht) gefunden, sondern – und soweit kann man gehen – alle Abenteuer gefunden. Und in diesem besonderen Band zusammengefasst.

Das reicht vom historischen Rundgang durch die Millionenstadt auf den Spuren der dunkelsten Geschichte (was einst sogar auf Poststempeln als „Hauptstadt der Bewegung“ vermerkt wurde) über einen ungewöhnlichen (und preiswerten) Rundgang in der Pinakothek der Moderne bis hin zum Kinobesuch. Der Rundgang ist vom NS-Dokumentationszentrum organisiert und wird mit einer App gesteuert. Während andere fast schon achtlos an erinnerungswürdigen Orten vorbeischlendern und der nächsten Maß entgegenhecheln, ist man selbst wissend auf geschichtsträchtigen Pfaden unterwegs. Da staunt man heute noch, wie präsent die Orte noch sind. Man muss sie nur zu finden wissen.

Dass die Pinakothek der Moderne auch abenteuerlich sein kann, beweist das Sonntagsangebot. Eine halbe Stunde vor Beginn gibt’s Karten für ’nen Euro – schon allein diese „Warte-Lotterie“ kann für Nervenkitzel sorgen. Und dann gibt’s 30 min Intensivvortrag über ein Werk. Keine Ablenkung durch die Fülle an Gemälden und dem Zwang auch wirklich alle sehen zu müssen. Ein Werk, dreißig Minuten – und das museale Herz blüht auf.

Wer spät am Freitag- oder Samstagabend nicht sein bitter verdientes Geld für überproportional hippe Drinks in den Schlund kippen will, der hat seit fast einem halben Jahrhundert die Möglichkeit sich für relativ kleines Geld die Klamotten versauen zu lassen. Hä? Was soll daran abenteuerlich, geschweige denn nachahmenswert sein? Ganz einfach: Am 24. Juni 1977 feierte der Film“ The Rocky Horror Picture Show“ in Deutschland Premiere. Und seitdem läuft der Film … in den Museum Lichtspielen. Und zwar mit allem, was dazu gehört. Reis, Zeitung, Gummihandschuhe, Knicklicht. Das gibt’s sonst nur noch in Paris und San Francisco! Und wer hinterher nicht die Reiskörner (während der Hochzeitsszene) aufsammeln will, um dem knurrenden Magen zu stillen, der geht vorher schon um die Ecke was essen.

Auch hierzu bietet dieser Reiseband ein Füllhorn an Möglichkeiten. Jedes Kapitel schließt mit dem vielsagenden Absatz „… und wenn man schon mal hier ist“. Großartig – da weiß jeder, dass es am Ausgang noch lange nicht Schluss ist. In etwa so, wie wenn man meint, dass außerhalb des Englischen Gartens nichts Abenteuerliches mehr zu erleben wäre.

Barcelona Abenteuer

Barcelona ohne Abenteuer? Das geht doch gar nicht! Was hingegen möglich ist, dass man bei dem Überangebot an Abenteuern leicht den Überblick verlieren kann. Kaum eine andere europäische Metropole hat sich in den vergangenen Jahrzehnt derart oft und tiefgreifend verändert wie die katalanische Stadt am Mittelmeer. Und da soll es immer noch Menschen geben, die Barcelona nicht spannend finden…

Die sollten mal mehr als nur einen Blick in dieses Buch werfen. Das gibt’s schon zu Beginn gleich was auf die Augen. Auf der ersten Umschlagseite wird in Versuchung geführt: Wie sah Pornographie in der Renaissance aus? Seite 36 weiß da mehr darüber. Eine enge Gasse, die auch schon Picasso inspirierte und … nö, das muss man selbst erleben und vorher erlesen. Wer will kann den Rundgang bei einem Cocktail und Popcorn entsprechend ausklingen lassen – „und wenn man schon mal hier ist“ lautet die weiterführende Rubrik am Ende eines Kapitels. Kopfkino einschalten!

Montags, mittwochs und freitags wird es abenteuerlich auf dem Mercat dels Encant. Ein Lächeln huscht so manchem Besucher übers Gesicht, wenn er sich mitten in einer Auktion am frühen morgen befindet. Zum Einen hat man den Weg dorthin gefunden. Zweitens hat man sich im Gewühl zum Auktionator vorgekämpft – der geht nämlich zu den zu versteigernden Sachen. Drittens ergötzt man sich an dem rasanten Tempo der merkantilen Quasselstrippe. Und Viertens findet man dieses Spektakel wirklich so nur hier.

Da darf es dann am Abend durchaus etwas gediegener und entspannter zugehen, oder?! In den feinsten Zwirn gesellt man sich in eine Reihe Wartender. Und das schon um 19 Uhr – vor 21 Uhr geht hier doch niemand raus, um den Nachtleben zu genießen. Wieso als um 19 Uhr sich in eine Warteschlange stellen, wenn es eh erst ein paar Stunden losgeht? Kleiner Tipp: Wer verschmutzte Brillengläser hat, wird es nicht genießen können!

Frank Feldmeiers Abenteuer-Reiseband durch Barcelona (keine Scheu: Das C darf und soll ruhig scharf gesprochen werden) ist es ein wahres Füllhorn an Erlebnissen, die man nie wieder vergessen wird. Und oft sogar zu einem erschwinglichen Preis nachzuvollziehen. Hier wird niemand in Bars gelockt, wo das Getränk dem Gegenwert einer Tankfüllung entspricht. In diesem Band, in dieser Reihe taucht man in eine Stadt ein, die trotz aller Menschenmassen, die sich 24/7 durch sie hindurchwalzen, immer noch jede Menge versteckte Abenteuer, die man sonst in keinem Reiseband finden wird. Selbst wer Barcelona schon kennt und liebt, wird hier immer noch fündig werden. Und wer die Stadt tatsächlich noch nicht kennt, bekommt schon beim Buchweglegen Entzugserscheinungen.

Stadtluft Dresden, Nr. 8

Ein Stadtmagazin ins Leben zu rufen – es am Leben zu halten – „in diesen Zeiten – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Exklusive Tipps über die ultimativen Hotspots (die keiner kennt) bekommt man im Bruchteil einer Sekunde aufs Smartphone. Wohl deswegen dachten sich die Macher von Stadtluft, dass ein Bookzin wohl die bessere Lösung ist, um Dresdnern und Besuchern die Stadt näherzubringen bzw. schmackhaft zu machen. Es funktioniert!, so viel kann man schon mal verraten. Und das schon zum achten Mal.

Und das nicht nur wegen des Gewichtes: Mit Anderthalb Pfund Lesegewicht in der Hand kann man sich nötigenfalls auch mal den Weg durch pöbelnde Massen erkämpfen. Nein, das Bookzin Stadtluft besticht durch sein gedrucktes Schwergewicht auf 150 Seiten.

Die Artikel sind keine Appetithäppchen, die man zwischen zwei Haltestellen mal schnell liest und dann meist wieder vergisst. Es sind seitenlange Texte, Geschichten, Geschichte, Gedankenspiele, Erinnerungen und Visionen, die im Kopf haften bleiben.

Dresden wird sich niemals seiner Geschichte erwehren können. Der 13. Februar 1945 setzte ein Wundmal, das niemals vergessen wird. Kaum vorstellbar, dass in diesem gigantischen Bombenhagel (heutzutage werden derartige Vergeltungsmaßnahmen ganz anders eingeordnet) Menschen das (dunkle) Licht der Welt erblickten. Kaum zu glauben, dass die ersten Erinnerungen eines Menschen die an Trümmerhaufen und deren Beseitigung sind. Kein leichter Stoff für ein Bookzin, aber dennoch mehr als notwendig und eine Wohltat den Zeilen des Autors zu folgen.

Dann wiederum kommt eine Geschichte im Bookzin über eine Leidenschaft, die wenige mit echter Leidenschaft beseelt, die meisten mit Sammlertrieb gleichsetzen. Eine Bummel über den Flohmarkt. Gerd Püschel gehört seit Jahrzehnten zur ersten Gattung. Er ist leidenschaftlicher Sammler, und Kenner. Der Elbeflohmarkt an der Albertbrücke rühmt sich der älteste in Dresden zu sein. Hier ist Gerd Püschel in seinem Element. Wie ein Spürhund stöbert er, frohlockt, wird skeptisch und saugt die Anmerkungen der Besucher wie ein Staubsauger auf. Und bläst sie wie kleine amuse gueule über seinen Gedankenteppich. Mal zum Schmunzeln, mal echte Wortschätze. Und im Handumdrehen liest man sich in einen Rausch und weiß, dass der nächste Dresdenbesuch früh am Morgen beginnen muss, wenn die Händler ihre Gabentische aufbauen. Das schafft kein Stadtmagazin. Dazu bedarf es eines Bookzins.

Und am Abend geht es ins Konzert – vielleicht sogar zu Sven Helbig. Er arbeitete mit Rammstein und den Pet Shop Boys (die haben ja auch eine innige Verbindung zur sächsischen Landeshauptstadt). Das Interview mit ihm ist ebenso ein Festschmaus für Kulturkenner wie Neuentdeckung für alle, die Helbig noch nicht kannten.

Stadtluft, Nummer Acht ist gerade erschienen und in ausgewählten Buchhandlungen erhältlich, ist ein Magazin, das man lange bei sich behält. Bricht man es auf normales Buchformat runter, so hat man ein echt dickes Stück Lesevorrat bei sich. Der Appetit kommt bekanntlich beim Essen. Hier beginnt er schon beim optisch einmaligen und ausführlichen Inhaltsverzeichnis. Ein Magazin, das auch Leipziger (die sich mit den Dresdnern nicht automatisch gut verstehen – ähnlich der Rivalität zwischen Köln und Düsseldorf) und andere Auswärtige mit Genuss einverleiben können, da die Stadtwerbung wegen ihrer Unaufdringlichkeit so nachhaltig wirkt.

66-Seen-Wanderung

Sechsundsechzig Seen, rund um Berlin, vierhundertfünfundzwanzig Kilometer – klar, dass man da ein wenig Hilfe braucht, um nicht das Eine oder Andere zu verpassen. Manfred Reschke und Andreas Sternfeldt kennen jede seit 2003 erfasste und ausgeschilderte Route aus dem FF. Was an sich schon mehr als genug ist. Doch in ihrem Reiseband machen sie so manchen Abstecher nach Links und Rechts – erlaubterweise, denn Teile der Route sind Naturschutzgebiet, wo Abstecher nicht so gern gesehen, oft sogar verboten sind. Zu Fuß, auf dem Rad, allein oder in Familie – diese Routen überfordern keinen Wandersmann und keine Wandersfrau übermaßen. Berge sind hier Hügel, und Aussichten stoßen erst am weit entfernten Horizont an ihre Grenzen.

Die für dieses Buch erstellten Wanderkarten sind exakt und ohne Einschränkungen zu benutzen. Und jede Strecke wird vollumfänglich beschrieben, so dass es beim allabendlichen Rückblick keine Wissenslücken gibt. Eine der berühmtesten – und sicher auch eine der am meisten begangenen Routen ist die auf den Spuren von Theodor Fontane. Pflichtlektüre im Handgepäck, dieses Reiseband immer in Griffweite und schon wird der sandige Boden Brandenburgs zur trittfesten Unterlage für jeden, der in Spuckweite der Weltstadt Berlin Grün, Ruhe und Erholung, gepaart mit Forscherdrang und Abenteuerlust sucht.

Jede einzelne Wanderung – siebzehn Etappen – beginnt mit einem kurzen Überblick, was den Forschungsreisenden erwartet. Die Beschaffenheit des Weges ist mindestens genauso wichtig die die zurückzulegende Strecke. Ebenso Tipps wo man mal schnell ins kühle Nasse springen kann. Schließlich ist man ja auf der Pirsche zwischen Seen und Flüssen. Und wenn man sich vor lauter Glücksgefühl mal die Zeit vergessen hat, und man ganz schnell die Orientierung wieder finden muss, ist jede Etappe mit GPS-Daten zum Runterladen versehen. Es kann also nichts passieren. Außer eine einzigartige Erholung auf einzigartigen Wegen, vorbei an einzigartiger Natur.

Die einzige Schwierigkeit besteht darin, die 240 Seiten ohne freudiges Füßetrappeln zu überstehen. Denn schon mit den ersten Kapiteln steigt die Ungeduld endlich mal wandern zu gehen (besonders ausgeprägt bei noch nicht bekehrten Wandermuffeln).

Im Reigen der Wanderführer – auch über Brandenburg – nimmt dieser Reiseband eine besondere Stellung ein. Noch nie wurde in eine Region so anschaulich eingeladen. Und zwar komplett frei von der Angst etwas Einzigartiges durch massenhaften Besuch zu zerstören. Wer im Berliner Umland von See zu See wandern möchte, kommt um dieses Buch nicht herum. Von Stausberg bis Potsdam, von Leuenberg bis Leibsch, von Bad Saarow bis Seddin findet man das, was Erholung ausmacht, nur in diesem Buch.

Prager Zeitung – 350 Jahre Medien- und Kulturgeschichte

Es gibt eine lange reihe von Zeitungen und Wochenblättern, die man sofort einem Ort zuordnen kann. New Times aus New York, Paris Match aus Paris, auf Englisch und auf Französisch erschienen. Die Liste ließe sich sicherlich noch weiter fortführen. Prager Zeitung … aus Prag – richtig, auf Deutsch … Moment! Prag, Deutsch – da passt doch was nicht! Oh doch, und wie das passt! Und das nun schon seit – mit Unterbrechungen – über 350 Jahre! Ende des 17 Jahrhunderts wurde auch Deutsch in Prag gesprochen.

Die Zeitung (das Prager Tageblatt – mit Autoren wie Egon Erwin Kisch – war der Vorläufer) erlebte Aufs und Abs wie kaum ein anderes Medium. Anfang der Neunziger des vergangenen Jahrhunderts kam der Neustart. Viel beachtet, viel zitiert – der Blick auf das eigene Land von Außen immer ein anderer. Und in den aufregenden Zeiten nach der Wende waren die Experten jenseits des Eisernen Vorhangs gern gesehene und viel be- und gefragte Partner. Doch auch hier gab der Rotstift irgendwann die Linie vor. Die Prager Zeitung drohte fast in der Versenkung zu verschwinden bis … ja bis das Internet eine neuerliche Renaissance einläutete. Heute ist die Prager Zeitung eine feste Größe unter den Onlinepublikationen. Eine deutschsprachige Stimme inmitten der tschechischen Hauptstadt. So viel in kurzen Worten zur Geschichte der Prager Zeitung.

Klaus Hanisch war von Anfang an dabei – also seit dem Neustart 1991. In der ersten Ausgabe, die die Nummer Null trug prangten zwei Staatsoberhäupter, deren eigene bzw. familiäre Geschichte ihr politisches Auftreten und Handeln stark prägten: Vaclav Havel und Richard von Weizsäcker. Widerständler aus Überzeugung. Klaus Hanisch erzählt in diesem Buch von den schwierigen Anfängen in aufregenden Zeiten als im Osten alles bisher dagewesene der neuen Zeit weichen musste. Als der neugierige Westen merkte, dass er schlussendlich ohne Wissen des Ostens nicht umfassend berichten kann. Die Kollegen der Prager Zeitung waren mehr als nur Stichwortgeber. Sie erklärten die alte Welt, formulierten erforderliche Ziele und wiesen revanchistische Tendenzen in die Schranken. Denn ein deutsches Blatt inmitten tschechischer Heimat hat immer mit sensiblen Themen zu kämpfen. Das ist Fakt und nicht wegzudiskutieren.

Selbst wer nicht aus der Branche kommt, wird in diesem ausführlichen Rückblick auf dreißig Jahre Exklusivjournalismus eine bodenlose Fundgrube vorfinden, die die harten Fakten geschickt mit den so genannten soft news verbindet. Wer Tschechien verstehen und dabei auf die teils kruden Übersetzungen aus dem Netz verzichten will, hat in der Prager Zeitung das gefunden, worum sich andere Städte in der Welt reißen. Oftmals findet man zwar noch Rubriken im Netz, die wie schon vor Jahrzehnten mit Artikeln (Helen Hessels „Ich schreibe aus Paris“ ist da besonders herauszuheben) die Fremde in die heimischen Stuben brachten. Doch eine ganze Zeitung – wenn auch online – die regelmäßig in heimischer Sprache über ein Nachbarland neutral, hingebungsvoll und umfassend berichtet, findet man nicht überall. Der Rückblick auf die vergangenen dreißig Jahre ist mehr als nur eine Selbstbestätigung das Richtige gemacht zu haben, es ist ein spannender Abriss europäischer Geschichte mit Informationen aus allererster Hand.