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Prager Zeitung – 350 Jahre Medien- und Kulturgeschichte

Es gibt eine lange reihe von Zeitungen und Wochenblättern, die man sofort einem Ort zuordnen kann. New Times aus New York, Paris Match aus Paris, auf Englisch und auf Französisch erschienen. Die Liste ließe sich sicherlich noch weiter fortführen. Prager Zeitung … aus Prag – richtig, auf Deutsch … Moment! Prag, Deutsch – da passt doch was nicht! Oh doch, und wie das passt! Und das nun schon seit – mit Unterbrechungen – über 350 Jahre! Ende des 17 Jahrhunderts wurde auch Deutsch in Prag gesprochen.

Die Zeitung (das Prager Tageblatt – mit Autoren wie Egon Erwin Kisch – war der Vorläufer) erlebte Aufs und Abs wie kaum ein anderes Medium. Anfang der Neunziger des vergangenen Jahrhunderts kam der Neustart. Viel beachtet, viel zitiert – der Blick auf das eigene Land von Außen immer ein anderer. Und in den aufregenden Zeiten nach der Wende waren die Experten jenseits des Eisernen Vorhangs gern gesehene und viel be- und gefragte Partner. Doch auch hier gab der Rotstift irgendwann die Linie vor. Die Prager Zeitung drohte fast in der Versenkung zu verschwinden bis … ja bis das Internet eine neuerliche Renaissance einläutete. Heute ist die Prager Zeitung eine feste Größe unter den Onlinepublikationen. Eine deutschsprachige Stimme inmitten der tschechischen Hauptstadt. So viel in kurzen Worten zur Geschichte der Prager Zeitung.

Klaus Hanisch war von Anfang an dabei – also seit dem Neustart 1991. In der ersten Ausgabe, die die Nummer Null trug prangten zwei Staatsoberhäupter, deren eigene bzw. familiäre Geschichte ihr politisches Auftreten und Handeln stark prägten: Vaclav Havel und Richard von Weizsäcker. Widerständler aus Überzeugung. Klaus Hanisch erzählt in diesem Buch von den schwierigen Anfängen in aufregenden Zeiten als im Osten alles bisher dagewesene der neuen Zeit weichen musste. Als der neugierige Westen merkte, dass er schlussendlich ohne Wissen des Ostens nicht umfassend berichten kann. Die Kollegen der Prager Zeitung waren mehr als nur Stichwortgeber. Sie erklärten die alte Welt, formulierten erforderliche Ziele und wiesen revanchistische Tendenzen in die Schranken. Denn ein deutsches Blatt inmitten tschechischer Heimat hat immer mit sensiblen Themen zu kämpfen. Das ist Fakt und nicht wegzudiskutieren.

Selbst wer nicht aus der Branche kommt, wird in diesem ausführlichen Rückblick auf dreißig Jahre Exklusivjournalismus eine bodenlose Fundgrube vorfinden, die die harten Fakten geschickt mit den so genannten soft news verbindet. Wer Tschechien verstehen und dabei auf die teils kruden Übersetzungen aus dem Netz verzichten will, hat in der Prager Zeitung das gefunden, worum sich andere Städte in der Welt reißen. Oftmals findet man zwar noch Rubriken im Netz, die wie schon vor Jahrzehnten mit Artikeln (Helen Hessels „Ich schreibe aus Paris“ ist da besonders herauszuheben) die Fremde in die heimischen Stuben brachten. Doch eine ganze Zeitung – wenn auch online – die regelmäßig in heimischer Sprache über ein Nachbarland neutral, hingebungsvoll und umfassend berichtet, findet man nicht überall. Der Rückblick auf die vergangenen dreißig Jahre ist mehr als nur eine Selbstbestätigung das Richtige gemacht zu haben, es ist ein spannender Abriss europäischer Geschichte mit Informationen aus allererster Hand.

Sonst wäre Wien nicht Wien

Der Titel fällt einem sofort ins Auge: „Sonst wäre Wien nicht Wien“. Wie viele Großstädte hat Wien seinen unvergleichbaren Glanz Mäzenen, Visionären und Machthabern zu verdanken. Deren Vorstellungen sind bis heute sichtbar. Was wäre Wien ohne Kunst- und Naturhistorisches Museum? Oder ohne die Hofburg? Das sind die offensichtlichen Hinterlassenschaften der Habsburger. Doch es sind die scheinbar kleinen Dinge, die Wien letztendlich immer wieder zu einer der lebenswertesten Städte der Welt machen.

Scheinbar klein ist im Falle Wiens immer mit überall sichtbar gleichzusetzen. Es sind beispielsweise die Parkanlagen, die den Besucher – aber auch und vor allem die Wiener selbst – zum Durchatmen, zum Verweilen, zum sich Entfalten, einladen. Gerade Sichtachsen, klare Linien – hier hat Kaiser Joseph II. seine Finger im Spiel gehabt. Dem lag das gesundheitliche Wohl der Bevölkerung am Herzen. Auch wenn die Spitäler der Stadt heute andere Namen tragen, so waren sie einmal ihm gewidmet, weil er sich in Auftrag gab. Architektonische Perlen, die von Außen innehalten lassen. Und von Innen … na ja, den Heilungsprozess beschleunigen werden sie nicht.

Autor Norbert Philipp schlendert nicht durch Wien, er durchforstet die österreichische Metropole mit der Lupe und seziert ihre Wurzeln bis in die kleinste Faser. Dort, wo der Name bis heute Programm ist, ist nicht immer das drin, was draußen drauf steht. Die Aussichtswarte im Türkenschanzpark trägt den Namen Metternich, was nun eindeutig auf den Fürsten hinweist … ha, denkste! Die Dame (!) hinter Gebäude und Namen war zwar eine Metternich, doch sie – die „Gschaftlhuberin“ – selbst wollte lieber im Hintergrund wirken und Lobbyarbeit betreiben, sprich Geld sammeln für geplante Bauvorhaben.

Es ist ein Fest mit diesem Buch durch Wien zu flanieren. Einem selbst bekannte Orte bekommen eine neue Bedeutung, wenn man die Geschichte dahinter versteht. Wasserläufe, ist doch wohl klar, dass die Wien niemals so durch die Stadt geflossen ist – das sieht man ja schon an der Uferbefestigung. Auch hier steht man nun auf der Brücke, sitzt auf einer Bank und schaut dem Flüsschen zu wie es sich zahm durch die Stadt windet. Beim Bummeln durch die Bezirke wird man immer wieder auf Namen und Gebäude treffen, die die Stadt prägten – die Geschichte(n) dahinter wird man mit diesem Buch wie selbstverständlich begreifen. Der lockere Schreibstil ist die einzig wahre Methode diese Geschichte einem wissensdurstigen Publikum nahezubringen. Ob nun der erste Besuch in Wien oder der zwanzigste – mit diesem Buch im Reisegepäck wird jeder Schritt zu einem besonderen Erlebnis.

Ein Sizilianer von festen Prinzipien

Ein Buch, zwei Geschichten, zwei Ansichten. So schnöde und geheimnisvoll zugleich sich das anhören mag, so sehr ist man nach der Lektüre immer noch damit beschäftigt die Zeilen einzuordnen. Leonardo Sciascia war das Gewissen der Insel. Unbeirrbar – prinzipientreu – lag Sciascia dieses Buch so sehr am Herzen, dass er es am liebsten permanent umgeschrieben hätte. Doch er wusste auch, dass die Gefahr des „Verschlimmbesserns“ (auch wenn er diesen Begriff niemals verwendet hätte, sofern man ihn rückstandslos ins Sizilianische übertragen könnte) wie Damokles Schwert darüber schweben würde.

In „Der Tod des Inquisitors“ wird Fra Diego zum ungewollten Helden. Im 17. Jahrhundert haben die Spanier das Sagen über Sizilien. Und mit ihnen kam auch die Inquisition. Ein perfider Haufen tollwütiger zweifelhafter Idealisten, die mit Raffinesse und ungeheurer Gewalt ihrem eigenen Treiben durch Geständnisse eine Art Legitimation erlangen wollten. Fra Diego – ihn gab es wirklich – war einer, der sich diesem Treiben energisch entgegenstellte. Selbst unter der enormen Folter der Peiniger war sein Blick klar und geradeaus gerichtet. Sich der Gewalt beugen, kam für ihn nicht in Frage. Er ging sogar soweit seinem Peiniger den Schädel einzuschlagen. Wortwörtlich einzuschlagen! Das Ende: Der Scheiterhaufen. Für die meisten die letzte Chance sich reinzuwaschen – ergebnislos, wenn das Feuer einmal lodert, dann gibt es kein Zurück. Für Fra Diego „nur der Abschluss“ seines Lebens.

In der zweiten Geschichte geht es um einen Denunzianten im Chile der Pinochet-Diktatur. Einst lief er durch das gefürchtete Stadion, das zum Gefängnis umfunktioniert wurde, und zeigte mit dem Finger auf einstige Weggefährten. Ein Opportunist übelster Sorte, der nicht dem Mumm besaß sein Gesicht zu zeigen. „Der Mann mit der Sturmmaske“ versucht später Reue zu zeigen und wendet sich ein weiteres Mal. Er will Zeugnis ablegen und Reue zeigen, und zwar vor denen, die die Greueltaten aufzuklären versuchen. Ein schlussendlich sinnloses Unterfangen.

Beide Hauptfiguren sind literarische Helden, die in ihrem Tun die Aufmerksamkeit des Autors Sciascia erregten. Wobei es Sciascia wohlwollend vermeidet ihr Tun in Gut und Böse zu unterteilen. Er ist ein Chronist, der mit ironischen Mitteln das Treiben aller Beteiligten in ein Licht rückt, das viel Schatten wirft und somit Licht ins Dunkel bringt.

Der Essay von Maike Albath und der Text von Santo Piazzese sind – begreift man dieses Buch als typisch sizilianisches Menü mit der Einleitung der Verlegerin Monika Lustig als speichelanregende antipasto – sind das gelungene Dessert, nach dem man sich noch lange die Lippen lecken wird.

Aktion Phoenix

Die erste Augusthälfte des Jahres 1936 gehörte den Olympioniken, die sich in Berlin in sportlichen Wettkämpfen miteinander messen wollten. So das hehre Ziel, so die homogene Sprache der Athleten und Funktionäre. Und jeder wusste, dass in diesem Deutschland die Fairness der Athleten im Austragungsland keinen Pfifferling wert ist. Umso größer das Erstaunen, dass hier tatsächlich eine fast schon wohlige Atmosphäre herrschte – im Vergleich zu der Zeit davor, und gar kein Vergleich zu den folgenden Jahren.

Leni Riefenstahl setzte mit ihrem gigantischen Filmteam Maßstäbe für Dokumentationen, aber auch für Propaganda. Auf dem Feld der Träume purzelten die Rekorde. Ohne die Perfidität des Ausrichterstaates wären es Spiele gewesen, von denen man bis heute schwärmen dürfte. Doch es kam anders. Das ist wohl bekannt.

Christian Herzog setzt diesen Olympischen Spielen mit seinem historischen Roman „Aktion Phoenix“ ein fiktives Denkmal an die Seite, das in vielerlei Hinsicht an Denkwürdigkeit dem großen Ereignis Olympia in Nichts nachsteht. Ein Zeppelin, ein Anruf vom Führer, der Traum vom Job an Bord des Zeppelins, Widerstandskämpfer, die einen phantastischen Plan haben, eine heiße Nacht mit unerwarteter Wendung – aber auch die Gegenseite weiß genau wie sie die auf sich gerichteten Augen der Weltöffentlichkeit trüben will … und kann.

Jedes Kapitel holt den Leser erst einmal aus dem Staunerlebnis des vorangegangenen Kapitels wieder runter. Auf leisen Pfoten jedoch bereite der Autor schon den nächsten Knall vor. Immer wieder verfällt man der trügerischen Ruhe, um dann ein ums andere mal wieder in den Thrill der Geschichte gezogen zu werden. Ein großes, ein dickes Buch zu einem großen Thema. Und so aktuell. Denn jedes Großereignis – und es sollen ja immer mehr werden – sind immer ein profundes Mittel Werbung zu betreiben. Während Jesse Owens und das argentinische Poloteam oder Robert Charpentier ihren Kontrahenten teilweise deklassierten, versucht eine Gruppe Widerständler wahrhaft Großes zu vollbringen. Seilschaften, die so geheim sein müssen, dass schon ein „Psst“ zum Verrat reichen könnte, sind der rote Faden, der sich durch das Buch zieht. Was hat der Zeppelin mit der geplanten Aktion zu tun? Wem darf man noch trauen? Und was ist, wenn die Liebe plötzlich dazwischenfunkt?

Mit enormer Detailversessenheit und unnachgiebiger Zuneigung zu seinen Figuren schafft es Christian Herzog, brutale Realität und spannende Fiktion zu einer Geschichte verschmelzen zu lassen, die den Leser in den Lesesessel presst und ihn erst nach dem letzten Zuklappen wieder loslässt. Doch die Geschichte wirkt nach. Immer wieder fragt man sich, was wäre gewesen, wenn das tatsächlich alles so stattgefunden hätte? Die Olympische Idee im Gleichklang mit Welt verändernden Idealen ist kein leichtes Unterfangen. Der schmale Grat zwischen Kitsch und Ernsthaftigkeit ist gespickt mit scharfen Kanten und großen Fallhöhen. „Aktion Phoenix“ schafft es fast spielerisch allen Unwägbarkeiten aus dem Weg zu gehen.

Händler der Geheimnisse

Geister kann man nicht mit einem einfachen Steinwurf vertreiben. Auch wenn man ohne Schuld ist. Die Künstlerin Eva sitzt mit ihrer Kollegin Sam über den Werken von Shakespeare und grübelt wie sie die Werke, insbesondere die so geschickt verpackten Geheimnisse in den Stücken, in einem neuen Werk zusammenfassen kann. Kein leichtes Unterfangen, das der Autor es exzellent verstand diese Geheimnisse auch als solche zu verstecken.

In die Ruhe der Berge platzt die Nachricht vom Krankenhausaufenthalt ihres Vaters. Der lebt seit Jahren wieder in New York, zusammen mit seiner zweiten Frau. Kontakt unerwünscht, ja sogar verboten. Als der Vater stirbt, sind die Neugier und die Zweifel am natürlichen Tod des Vaters so stark, dass sie sich mit ihrem Bruder Max auf Spurensuche begibt. So nah war sie Shakespeare wohl noch nie!

Ihr Vater war nach dem Krieg in Deutschland stationiert. Die Entnazifizierung Deutschlands wollte er mit aller Macht vorantreiben. Ein schier unmögliches Unterfangen, denn was in den Köpfen vor sich geht, kann man nicht mit Verordnungen und Gesetzen in die richtige Bahn lenken. Ein Problem, das bis heute nachwirkt…

Und siehe da. Die ersten Ungereimtheiten im Leben des amerikanischen Vaters lassen nicht lange auf sich warten. Er hatte eine Deutsche geheiratet, Evas Mutter, die wieder ins Land ihrer Familie – aber auch das Land der Täter – zurückkehrte. Eine alte Photographie lässt alte Zeiten und wie auch immer geartete Erinnerungen aufkommen. Ein Portraitmaler ist darauf zu sehen. Mit der Familie von Eva. Dieser Maler war mehr als nur ein Günstling der Hölle. Hitler persönlich mochte seinen Malstil, ließ sich gern von ihm malen. Das schmeichelte dem Maler. Doch da muss noch mehr sein! Eva und Max sind auf einer Reise, die ihr bisheriges Leben auf den Kopf stellen wird, ihre Wurzeln den Halt verlieren lässt und die letztendlich Geheimnisse ans Tageslicht bringt, die sie frösteln lassen.

Elisabeth Bronfen siedelt ihren Roman auf sehr hohem sprachlichen Niveau an. So schließt sie von vornherein platte Phrasen wie „Das ist doch alles längst vorbei“ oder „Irgendwann ist auch mal gut“ kategorisch aus. Ein Segen bei einem solch sensiblen Thema.

Kennst Du das Haus

Mittlerweile kennen wir Galsan Tschinag schon. Keine Frage! Im ersten Teil seiner Bio-Trilogie „Kennst Du das Land“ stellte er ein Leipzig (wo er Germanistik studierte) vor, das so heute nur noch in Vorstellungen existiert. In „Kennst Du den Berg“ brach er auf die Welt zu erobern und nun verkleinert er sich und fragt, ob man das Haus kennt. Die Untertitel hingegen weiten sich aus wie eine Galaxie. „Weltweite Reisejahre“ – so der Untertitel – sind seine Erinnerungen an erfolgreiche Zeiten.

Ersteigt ohne Vorwarnung ins Buch ein und reist mit dem Leser Ende der Siebzigerjahre in das gebeutelte Kampuchea. Gerade sich erst des gnadenlosen Pol Pot entledigt, der innerhalb einer erschreckend kurzen Zeit eine umso erschreckendere Zahl seiner Landsleute ermorden ließ, soll er sich als Gewerkschafter an die Arbeit machen. Die Begegnungen mit vollends verschreckten Menschen und Funktionären, deren Gewissen sie bis an ihr Lebensende nicht ruhig schlafen lässt, öffnen ihm die Augen für die Greueltaten der Roten Khmer fernab von Zeitungsberichten und faktenlastigen Reportagen.

Die Achtziger bringen dem engagierten Journalisten gesundheitliche Probleme. Das Herz. Manche Experten prophezeien ihm ein schnelles Ende. Doch sein Wille, der Vergleich mit Goethe – der mehr als doppelt so alt wurde wie Galsan Tschinag als man ihm die Diagnose mitteilte – lassen in ihm ein weiteres Mal den Kampfgeist erwachen.

So wie Jahre später als die Perestroika den gesamten sozialistischen Block ins Wanken geraten lassen. Er schreibt für eine mongolische Zeitung in bisher ungeahnter Offenheit. Aus dem geistigen Anführer wird eine Stimme für die Zukunft. Anders als ehemalige Redakteure heutzutage transformiert er seine Erfahrungen in die neue Zeit, um dem Fortschritt eine Bühne zu bieten, nicht um das Gestern gegen das Heute abzuschotten.

„Kennst Du das Haus“ knüpft wahrlich nahtlos an die Vorgänger an. Galsan Tschinag schreibt seine Erinnerungen auf Deutsch. Eine Reminiszenz an den verehrten Goethe und die deutsche Sprache. Und sein Wortumfang ist derart umfangreich, dass es so manchen Germanisten die Tränen in die Augen schießen lässt. Ein mehr als würdiger Abschluss einer Biographie, die sicher längst noch nicht abgeschlossen ist. Er muss ja schließlich noch sein Vorbild Johann Wolfgang noch übertrumpfen…

Flughafen Tempelhof

Es war schon ein besonderes Schauspiel, wenn dicht über den Dächern der Weltstadt Berlin gigantische Flugzeuge in die Luftbremse traten, um lautstark auf dem Platz landeten, den der alte Fritz schon für Militärrevuen auserkoren hatte. Schon Jahrhunderte zuvor hatten sich hier die Tempelritter niedergelassen. Ballett im großen Stil gab es hier also schon immer.

1923 war hier der Flughafen, der aber bei Weitem noch nicht das erahnen ließ, was seine heutige Größe noch vermuten lässt. Der Kleiderbügel – ein architektonischer Coup erster Kajüte – trotzt bis heute jeder optischen Veränderung. Flugzeuge landen hier seit anderthalb Jahrzehnten nicht mehr. Flieger und unzählige Neugierige zieht es aber immer noch an den Ort, der dazu verdammt war Geschichte zu schreiben. Wo heute Kite-Surfer, Radler und Festival-Besucher sich vor dieser Kulisse tummeln, war fast einhundert Jahre immer was los.

Erste Experimente mit riesigen Luftschiffen, die einmal Zeppeline genannt werden endeten in Katastrophen – das erste Opfer war ein Leipziger Verleger, dessen Luftschiff erst das Ruder verlor, immer höher stieg, und dessen kurze Lebenszeit auf leuchtender Feuerball knallhart auf den Boden der Realität zurückgebracht wurde.

Wer heute die nostalgischen Aufnahmen sich im Fernsehen anschaut, sieht nur wie Leinwandgrößen freudig strahlend und in die Menge winkend hier ihr Ziel erreichten. Oder die Rosinenbomber, die auf ihrem Überflug ihre süße Ladung abwarfen. Das alles gehört zu Tempelhof wie die zahlreichen fotographischen Erinnerungen von Alexander Stöcker, der über Jahre die Entwicklung des Flughafens in Bildern festhielt.

Die Nazis in ihrem Größenwahn prägten das bis heute weithin sichtbare Bild des Flughafens. Wie auf einem gigantischen Modell wird jedem klar, wie der Ablauf vonstatten ging. Keine versteckten Arbeitsabläufe. Alles unter freiem Himmel. Maschine landet, rollt zum „Kleiderbügel“, Treppe ran, und schon ist man mitten in Berlin. Keine lästige Fahrt mit dem Bus übers Land. Nein, mittendrin und immer dabei.

Dieses Buch liest sich wie ein Krimi – es gibt Tote, es gibt Täter, Schaulustige, und immer gibt es was zu erzählen. Wer bisher nur die Legende kannte, nimmt sich das Buch und das Herz in die Hand und schaut einmal persönlich an dieser (noch!) größten unbebauten Fläche Berlins vorbei. Aber unbedingt vorher dieses Buch lesen! Denn die Anekdoten, die der Autor ausgegraben hat, machen einen Besuch hier erst zu einem echten Erlebnis.

Doppelleben

Der Klappentext eines Buches soll Appetit auf das Buch. Man liest worum es geht, wer mit wem, und warum. Und man erfährt etwas über den Autor. Des Öfteren liest man dann auch welche Preise er gewonnen hat. Welchen rang diese Preise haben, bleibt oft verborgen. Natürlich sind es alle renommierte Preise. Den Prix Goncourt allerdings sollte man nicht sofort wieder aus dem Gedächtnis streichen. Wer den in Frankreich erhält, der darf sich tatsächlich was darauf einbilden. Hier nun die Geschichte, die hinter den Namensgebern steckt:

Es sind die Brüder Jules und Edmond Goncourt. Mitte des 19. Jahrhunderts residieren sie in einem durchaus vorzeigbaren Haus vor den Toren von Paris. Sie sind regelmäßig Gast im Salon der Cousine des Kaisers. Zola, Balzac und andere Größen zählen zu ihrem engen Bekanntenkreis. Die Literatur ist für beide mehr als nur ein Steckenpferd. Für Edmond, den Älteren der beiden, ist es die ewige Suche nach dem perfekten Wort. Jules ist nicht minder interessiert, jedoch ist er der weitaus Lebensfreudigere der beiden Brüder. Er treibt Sport und es mit so mancherlei Dirne. Edmond verabscheut Sport, jedoch nicht die Gesellschaft illustrer Damen. Fast könnte man meinen, sie wären Zwillinge. Doch sie trennen mehr als acht Jahre.

Bei einer seiner Amouren (nennen wir es einmal so, in Wahrheit war es doch eher ein Geschäft auf Dienstleistungsbasis) hat sich Jules ein dauerhaftes Souvenir eingehandelt. Nach und nach bemerkt er wie das Hantelstemmen ihm Mühe bereitet. Edmond bemerkt es auch, doch ihm ist ja Sport nicht so wichtig.

Das allabendliche Mahl dient beiden zum Austausch über ihr Leben, sie scherzen, lästern, machen Pläne. Und sie plaudern über ihr Dienstmädchen. Über sie werden sie einen Roman schreiben. Obwohl sie kaum etwas wissen über ihr geheimes Leben … was nebenbei gesagt, fast noch spannender ist als das ihre.

Als Jules immer schwächer wird, schreibt Edmond jedes noch so kleine Detail in ihr gemeinsames Tagebuch. So ist bis heute jedes noch so kleine Vorkommnis für die Nachwelt erhalten. Für Alain Claude Sulzer ist es die Fundgrube gewesne, die ihn antrieb einen Roman über die Bruder zu schreiben, deren Name den größten Literaturpreis Frankreich ziert. So ausschweifend das Leben des Bruderpaares war, so detailliert schildert er ihr gemeinsames Leben in der selbst geschaffenen Blase ihres Gemäuers. Die Blase platzt aber nicht. Dafür haben die beiden Junggesellen gesorgt. Als Chronisten ihrer Zeit sind sie unantastbar. Als Schriftsteller sind sie zu höherem berufen…

Germaine de Staël – Eine moderne Frau zur Zeit Napoleons

So eng können Glück und Unglück zusammenliegen. Die Biographie von Germaine de Staël ist ein wahrer Thriller. Drei Wochen nach Ostern 1766 wurde sie in eine Familie hineingeboren, die es ihr schon im Jugendalter erlaubte sich bilden zu können und in Kreisen natürlich zu verkehren, die kaum privilegierte hätten sein können. Ihr Vater war Banker, später Politiker. Die Werke von Montesquieu waren als 15jährige mehr als nur ein Zeitvertreib. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie schon eine Komödie geschrieben.

Wer die ersten Seiten der Biographie von Christiane Landgrebe gelesen hat, dem kommen Zweifel an der aktuellen vergleichbar privilegierten Jugend der Gegenwart.

Germaine entwickelt sich zu einer jungen Frau, die die Ideale der Revolution – und schon bald folgt auf das Glück der frühen Jahre das Unglück der neuen Zeit – für sich entdeckt. Doch das Hin und Her dieser Zeit und die arrangierte Ehe mit einem schwedischen Adeligen zehren an ihr. Sie reist und lebt in Europa, sie lernt Schweden, England und Russland (nicht immer freiwillig)  kennen und erkundet Deutschland. Was ihr später hilft ein Standardwerk über die Deutschen zu schreiben. Dieses Buch – „De L’Allemagne“ – wirkt bis heute nach. Die Sicht der Franzosen auf die Deutschen ist in abgeschwächter Form noch heute bemerkbar.

Als Napoleon abermals an die Macht kommt, ist ihm dieses Werk ein Dorn im Auge. Abermals muss Germaine ihre Heimat verlassen. Privat verläuft ihr Leben lang auch nicht alles nach Plan. Ihre erste Tochter stirbt im Alter von zwei Jahren. Die Jüngste heiratet wie ihre Mutter in höchste Kreise. Im Alter von fünfzig Jahren erleidet sie einen Schlaganfall, an dessen Folgen sie im Sommer 1817 stirbt.

Es ist erstaunlich wie schnell die Geschichte große Persönlichkeiten in Vergessenheit geraten lässt. Nicht minder erstaunlich ist es aber auch, dass selbst mehr als zweihundert Jahre nach ihrem Tod es immer noch möglich ist, derart fundiert über sie berichten zu können. Christiane Landgrebe gelingt es faktenreich und eloquent dieser hinter dicken Schleiern versteckten Frau abermals eine Bedeutung zukommen zu lassen, die ihr auch gerecht wird. Germaine de Staël war einflussreich. Wenn auch nicht in erster Reihe stehend, so war sie es, die in ihrem Salon die Strippenzieher empfing und ihnen in Nichts nachstand. Und dass sie doch nicht komplett in der Versenkung verschwand, beweist einmal mehr, dass Beharrlichkeit sich letzten Endes auszahlt. Das macht Mut! Auch und gerade für die jetzige und die kommenden Generationen.

Regensburg

Regensburg ist eine dieser vielen kleine Perlen, die man sofort wieder erkennt, wenn man ihren Namen hört. Und doch sind sie nicht die erste Wahl bei Suche nach dem nächsten Urlaubsort. Als Ausflugsziel für ein langes Wochenende sind sie im Allgemeinen und Regensburg im Speziellen fast schon ein Ideal an Erlebniskultur erster Klasse.

Das meint auch Reisebuchautor Christoph Schmidt. Die knapp zweihundert Seiten seines Reisebuches über Regensburg ist vollgepackt mit Erlebnissen, die schon vor der Abreise Appetit auf mehr – auf viel mehr – machen. Und schon die Anreise sorgt für die erste Überraschung. So nah an der Autobahn – und dennoch nicht zu nah – ist kaum eine Stadt. Runter vom modernen Fernweh-Highway und schon ein paar Minuten später findet man sich in einer Kulisse wieder, die mehr Substanz hat als man vermutet. Klar, Donau und Dom sind die weithin sicht- und spürbaren Eckpunkte, die die Orientierung in der einhundertfünfzigtausend Einwohner zählenden Stadt erleichtern. Doch sind sie nicht mehr und nicht weniger als der Beginn einer Reise, die man schnellstmöglich fortsetzen möchte.

Mit Bedacht schreitet man durch die Rokoko-Pracht bei St. Kassian. Der Platz davor ist eine Einladung, um das Auge in alle Richtungen schweifen zu lassen. Christoph Schmidt nimmt sich viel Zeit, um mit dem Leser gemeinsam Details zu suchen und zu erforschen. Dafür ist Regensburg wie gemacht! Und es geht weiter. Im Buch. Ein farbiger Kasten nimmt die Straßenbezeichnungen genauer unter die Lupe. Fröhliche Türken, weiße Lilien, Viereimergasse – man muss vielleicht nicht immer alles suchen. Aber wenn man etwas findet, sollte man nicht die Stirn in Falten legen, sondern ad hoc wissen, wo man nachfragen kann. Die Antwort lautet: Hier, in diesem Buch!

Regensburg ist reich an Histörchen – klar bei dem Alter. Und alles so hübsch und ansehnlich präsentiert. Doch erst bei genauerer Betrachtung kommen die wahren Schätze ans Tageslicht. Immer wieder ist man geneigt die Nase gar nicht mehr aus dem Buch zu nehmen, was fatal wäre. Denn so detailreich das Buch auch ist, die Stadt ist es wert.

Auch kulinarisch. Ob nun die berühmten Bratwüste – ein Muss – oder der ausgiebige Mittagsbraten, auch hier weiß der Autor genau, wo man sich niederlässt, um sich typisch regensburgerisch verwöhnen zu lassen. Egal, ob der Trip nun ein Wochenende oder eine ganze Woche dauert, für jede Dauer des Besuches hält dieses Buch etwas bereit. Ohne diesen Reiseband ist man vielleicht nicht verloren in Regensburg. Aber man verpasst garantiert so manches Highlight, das sich gern im Verborgenen hält, um den wahrhaft Neugierigen vorbehalten ist.