Archiv der Kategorie: Basta Roma!

Fahrraddiebe

Es dauert nur wenige Sekunden, die das Leben des Erzählers (wieder einmal, und dieses Mal wohl endgültig) verändern. Schon seit geraumer Zeit sucht er nach Schuhcreme, schwarz. Er findet sie nicht im Nachkriegs-Rom. Überall, wo einst die Läden überquollen – vor Schuhcreme? – herrscht nun gähnende Leere. Er fragt sich bei den Markttreibenden durch. Kommt in Viertel, in denen man besser aufpasst alles dicht am Mann und für sich selbst fühlbar zu tragen. Und dann der entscheidende Hinweis. Es gibt einen Laden, der hat schwarze Schuhcreme.

Der Erzähler schwingt sich auf seinen Drahtesel und radelt voller Vorfreude zu dem ihn zu gewiesenen Laden. An der Türschwelle fragt er in den Laden hinein, ob er hier richtig sei, es hier wirklich schwarze Schuhcreme gäbe. Sí, bekommt er als Antwort. Aber er müsse schon eintreten. Die Lieferung an die Türschwelle ist nicht vorgesehen. Alle Vorsicht außer Acht lassend, tritt der Mann in den Laden. Wohlwissend, dass da draußen eine dunkle Gestalt lauert, um den silbernen Drahtesel schnellstmöglich einem Besitzerwechsel zu unterziehen. Diese verschlagene Visage. Der Erzähler kennt solche Typen. Man hat ihm schon öfter das Fahrrad geklaut. Doch bisher hat er es auch immer wieder zurückbekommen. Ein wahrer Meister im Fahrradzurückholen. Kaum im Laden sieht der die dunkle Gestalt sich auf sein Fahrrad stürzen und davonradeln. Haltet den Dieb! Helft mir! Doch willige Gehilfen des Diebes versperren geschickt den Weg. Sie sind sogar so dreist zu behaupten, dass der Dieb gefasst wurde. Sehen Sie doch, da hinten! Alles nur Lüge, Fassade, perfides Spiel mit den Gefühlen eines Geprellten.

Es wird dieses Mal nicht so glimpflich ausgehen – so viel sei schon verraten. Der Dieb ist schnell ausgemacht. Doch das Rad ist sicher schon in seine Einzelteile zerlegt und gewinnbringend – was sonst, bei Null-Lire-Anschaffungskosten? – an den nächsten verhökert. Die Polizei … die Polizei macht nichts. Warum auch? Die Gefängnisse sind voll von Dieben, Hehlern und sonstigem Abschaum. So bleibt dem Erzähler nur eine Wahl: Er schreibt sich seinen Frust von der Seele. Es ist die Zeit als Faschist wieder ein Schimpfwort geworden ist. Die Zeit, in der die Polizei sich sarkastisch ihrer eigenen Ohnmacht bewusst wird und diese stolz nach Außen trägt. Niemand wird dem armen Mann nun helfen. Alle ergehen sich in endlosen lamenti, echte Hilfe sucht man vergebens.

Luigi Bartolini beschreibt eine alltägliche Situation in den Straßen Roms kurz nach dem Krieg. Ein Fahrrad ist für viele der größte Schatz, weil sie ohne dieses „Ding“ nicht zur Arbeit kämen, ihre Freiheit mehr als nur „ein bisschen eingeschränkt“ wäre, einfach, weil es der einzige halbwegs erschwingliche Schatz ist, den man sich gerade noch so leisten kann. Was er aber aus dieser alltäglichen Banalität macht, ist großes Kino. Verfilmt von Vittorio de Sica, oscarprämiert als bester nicht englischsprachiger Film. Das ist lange her. Und immer noch zieht das Buch den Leser in seinen Bann. Die zweihundert Seiten liest man ohne Unterbrechung durch und versucht anschließend den Film irgendwie aufzutreiben. Jedes, Buch und Film, für sich schon ein Meisterwerk – im Doppelpack unerreichte Perfektion.

Location Tour – Die schönsten Drehorte Europas

Das sieht ja aus wie im Film! Hat jeder schon mal erlebt. Ein Gebäude, einen Park, eine Szene. Hier muss es gewesen sein. Man lässt im Kopf einen Film ablaufen und sucht nach den Orten, wo der Hauptdarsteller diese eine entscheidende Szene zum Besten gab. Man will wissen, wo die Kamera stand. Viele Orte aus Filmen, die den Zuschauer in ihren Bann zogen sind verschwunden. Wie das zerstörte Wien aus „Der dritte Mann“ – zum Glück. Denn die Trümmer sind einer grandiosen Kulisse gewichen, die bis heute als Filmlocation dienen. Und wer genau hinsieht, erkennt die Tricks der Filmbranche. Denn die Stiftsgasse aus dem Film befindet sich gegenüber der Österreichischen Nationalbibliothek. Und das Haus in der Stiftsgasse ist einem Parkhaus gewichen.

Oft werden Locations, also Drehorte mehrmals benutzt. Das Schloss aus „Highlander“, Schloss Eilaen Donan Castle, diente später als MI-6-Hauptsitz und schon Jahre zuvor in „Der Freibeuter“ als Kulisse.

Schloss Moritzburg erlebt besonders als verschneite Winterlandschaft als Traumziel für alle, die von „Aschenbrödel“ nicht genug bekommen können. Und wer kann schon Schloss Sanssouci in Potsdam besuchen, ohne sich nicht umzusehen, wo Romy Schneider ihren (echten) Tränen freien Lauf ließ?

Wer Rom besucht und sich im Fontana-di-Trevi-Trubel durchaus wohl fühlt, sieht Anita Ekberg im Brunnen herumtollen. Auf der Spanischen Treppe – nur zehn Minuten zu Fuß entfernt – ein Eis essen ist in etwa so unterhaltsam wie „Ein Herz und eine Krone“ mit der unvergessenen Audrey Hepburn, die hier der Welt entrückt genüsslich ihr gelato schleckte. Sie kommt im Buch ein weiteres Mal vor, an ihrem Wohnort am Genfer See erinnert eine Büste an eine der zahlreichen Prominenten, die sich hier niederließen, Chaplin’s World ist nicht minder sehenswert.

Dieser ungewöhnliche Reiseband begeistert, da er zwar Bekanntes zeigt, durch die Fülle jedoch immer neue Reiseideen kreiert. Man kann in dem Buch nach Filmen suchen und die Drehorte finden. Oder man plant für die bereits gebuchte Reise einzelne Ausflüge an Orte, die man von der Leinwand oder aus dem Fernsehen kennt. Es sind Reisebände wie dieser, die eine Reise zu einem echten Erlebnis machen können. Einmal in diesem Buch geblättert und schon lodert die Flamme der Neugier. Von Malta bis Spanien, von Irland bis Kreta erlebt man so manches filmische Highlight noch einmal.

Bahnhöfe der Welt

Barcelona, Bozen, Besewitz – eine Metropole, eine Stadt, ein fast vergessener Ort. Sie alle haben eines gemeinsam: Einen Bahnhof. Während in Barcelona am Frankreich-Bahnhof, Estació de França, mehrere Züge im Stundentakt das imposante Bauwerk verlassen, hält in Besewitz am Naturschutzpark Darß schon seit Langem kein Zug mehr. Gäste gibt es immer noch, da hier Ferienwohnungen entstanden sind. So unterschiedlich die Reisziele auf dieser Welt sind, so unterschiedlich sind die ersten Gebäude einer Stadt, eines Ortes.

Antwerpens Bahnhof ist wegen seiner opulenten Architektur sicherlich ein Augenschmaus. Im Gare de Lyon in Paris kommt zum visuellen Erlebnis noch das lukullische hinzu. Im Restaurant „Le Train Bleu“ wird die gute alte Zeit in die Gegenwart transformiert. Die Decken sind mit nostalgischen Malereien der anzufahrenden Destinationen verziert. Das im rasenden Tempo bedienende Personal ist ein weiteres Highlight.

Wer in Barancas, Mexiko auf den Zug wartet, kommt schnell mit vielen Leuten in Kontakt. Hier trifft man sich wie andersorten auf dem Markt, und da es nur einen Personenzug gibt, ist der Fahrplan mehr als übersichtlich.

Martin Werner schafft es mit wenigen Worten und beeindruckenden Bildern eine Welt darzustellen, die sich jeder vorstellen kann. Denn jeder ist in seinem Leben schon einmal mit dem Zug gefahren. Wer tatsächlich noch nie mit der Bahn unterwegs war, hat es zumindest zum Einkaufen schon mal in einen Bahn hof geschafft. Bestes Beispiel dafür: Der Leipziger Hauptbahnhof. Einst aus zwei Bahnhöfen entstanden, war er jahrzehntelang der größte Kopfbahnhof weit und breit. Momentan sind noch etwas über zwanzig Gleise in Betrieb. Als Einkaufsmeile – und das kann man durchaus wörtlich nehmen: Auf drei Etagen gibt es vom Reisemagazin bis zum Donut wirklich alles hier zu kaufen – ist wider Erwarten der Bahnhof mehr Bummelpfad als Abfahrts- und Ankunftsort. Von Brisbane und Istanbul über Taipeh und Peking bis nach Garub in Namibia und dem U-Bahnhof am World Trade Center – hier geht jedem Bahnfreund das Herz auf.

Wer sich bisher nicht so recht für die Schienenhaltestellen begeistern konnte, wird schon beim ersten Durchblättern Schnappatmung bekommen. Originelle Ein-, Drauf- und Ansichten, detaillierte Raffinessen und die überbordende Vielfalt der gezeigten Bahnhöfe rund um den Globus faszinieren jeden, der sich an Architektur im zügigen Zeitalter an Schönheit erfreuen kann.

Laaanges Wochenende

Die Zeit zwischen zwei Urlauben ist die härteste für alle, die nicht zwischen den eigenen vier Wänden festwachsen wollen. Ein Kurztrip übers Wochenende – oder noch besser das Wochenende ein wenig verlängern – ist der immer mehr in den Fokus der Tourismusmanager rückende Kurzurlaub. Mal ein, zwei, drei Tage raus aus dem Trott und schauen, wo auf der Welt es was zu entdecken gibt. Ob nun einfach mal die Seele baumeln lassen oder auf eine knackige Entdeckertour gehen – in der Kürze liegt die Würze. Nur ein paar Stunden entfernt von Zuhause sieht die Welt oft schon ganz anders aus. Die Auswahl ist riesengroß. Vom irischen Galway bis in die alte polnische Königsstadt Krakow, vom idyllischen Oslo bis ins quirlige Palma de Mallorca, auch mal ohne Komasaufen: Dieser Band wird ein redseliger Ratgeber sein für alle, die dem Grau des Alltags das Bunte der Welt entgegensetzen wollen.

Hält man das Buch erstmalig in den Händen, ist man auf Anhieb fasziniert von der Auswahl der vorgestellten Destinationen. Von Strasbourg über Portofino, von Porto bis Brno sind die Ziele wohlbekannt, doch oft dem Schnellzugriff bei der Urlaubsortfindung entzogen. Weniger bekannte Orte wie Pointe du Raz, der westlichste Punkt Frankreichs, ist von nun an ein Sehnsuchtsort, den man gesehen haben muss. Wenn man vorsichtig an den Klippen wandert und den Blick nach unten schweifen lässt, wird man Zeuge der Urgewalt des Meeres. Wer nur ein wenig nordöstlich reist, landet unweigerlich auf einer der Kanalinseln wie Jersey, die seit ein paar Jahren wieder verstärkt um die Gunst der Besucher buhlt.

In Luzern über die Kapellbrücke schlendern, in Dubrovnik auf der Stadtmauer auf Meer und Altstadt schauen oder originelles Windowshopping im Stockholmer Stadtteil Södermalm – hier wird jeder fündig. Bei jedem Umblättern steigt der Puls und die Zeit bis zu den nächsten freien Tagen wird unerträglich lang. Jetzt hat man aber zumindest ein Ziel vor Augen, beziehungsweise sind es gleich zweiundvierzig in fünfzehn europäischen Ländern.

Italien – Porträt eines fremden Landes

Das Schwierigste am Porträtieren ist wohl das Stillsitzen. Immer wieder muss man zur Sitzung erscheinen und darf sich nicht bewegen. Und wenn der zu Porträtierende auch noch Italien heißt, ist das wohl eine noch größere Herausforderung. Ständig in Bewegung. Denn so gut wie man meint Italien zu kennen, so groß die Überraschung, wenn man dieses Buch Seite für Seite in sich aufsaugt, um festzustellen, dass Italien zwar immer noch ganz nah und doch so fern ist.

Dieses Buch ist ein abwechslungsreicher Sommertag. Er beginnt mit Sonnenschein allenthalben. Das ist die Vorfreude auf das Buch. Es ziehen jedoch schon bald ein paar kleine Wölkchen auf. Man liest und ist stellenweise irritiert. Kündigen die Wolken Sturm oder gar Regen an? Nein. Sie gehören zu einem gelungenen Tag dazu. Denn Italien ist nicht nur das Land, in dem man Urlaub macht, wo die Zitronen blühen und Caffe, Aperitivo, Vino, Pasta und Pizza einzig allein die Kultur ausmachen. Am Abend hat sich die Sturmfront gelegt. Die letzte Seite ist gelesen, das Italienbild hat sich geändert. Ohne den Glanz des Landes erblassen zu lassen.

Thomas Steinfeld, ehemaliger Literaturchef bei der Frankfurter Allgemeinen und später Literaturressort- und Feuilletonleiter bei der Süddeutschen, reist vom Piemont über Ligurien durch die Toskana und Rom bis Neapel und Sizilien, um über Marken, die Emilia Romagna, die Poebene gen Norden, also Veneto und Mailand seine Reise abzuschließen.

Vieles, was er sieht, wird hinterfragt. Wie beispielsweise das farbenprächtige und vor allem lautstarke Spektakel des Palio in Siena. Die einzelnen Stadtteile, contrada genannt, schicken je einen Reiter samt Ross in einen rasanten Wettkampf. Der Mutigste, der Schnellste, der Ehrbarste wird wie ein Held gefeiert. Für Besucher die pure Verkörperung des Mittelalters und eine Verneigung vor „der guten alten Zeit“. Falsch! Das, was da Anfang Juli und Mitte August stets für überfüllte Gassen und Hotels sorgt, hat seinen Ursprung  vor langer Zeit. Doch die heutige Form des Reiterwettkampfes kann erst in ein paar Jahren auf ein Jahrhundert zurückblicken. In Italiens Landwirtschaft wird mittlerweile mehr Hindi und in der Industrie mehr Ibo gesprochen als italiano. Die Rettung Venedigs wird immer teurer. Neapel verweigert sich standhaft der weltweiten Gentrifizierung. All das ist Italien. Divers, strikt, und nicht einzufangen.

Man muss nicht enttäuscht sein, wenn Thomas Steinfeld mit Wissen, Wortwitz und Grandezza die Oberfläche des touristischen Italiens zerkratzt. Im Gegenteil: Man muss ihm dankbar sein, dass endlich einmal alles ins rechte Licht gerückt wird. Sicherlich sind Sehnsuchtsorte immer Orte, die verklärt werden. Doch dieser Schein verblasst schnell, wenn man sich einmal darin gesonnt hat. Schaut man jedoch unter die oberste Schicht, kommt Geschichte zu Vorschein. Und das ist es doch letztendlich, was man sucht! Dieses Buch liest sich so leicht wie man ein Gelato schleckt. Und das ist der Verdienst des Autors.

Stadtabenteuer Rom

Überall nur alte Steine und Gemäuer! Naja, ist halt Rom. Doch die Stadt am Tiber nur als Sammelsurium von rundgelaufenem Granit zu sehen, ist mehr als ein Frevel. Denn hier lauert hinter jeder Ecke Geschichte, Kultur und eine Unmenge an Abenteuern. Ein Stadtabenteuer Rom – das muss man sich gönnen!

Fangen wir bei diesem Stadtabenteuer am Ende an. Das empfiehlt sich in Rom wie in keiner anderen Stadt. „7-5-3 – Rom schlüpft aus dem Ei.“ Würde man wirklich am Beginn anfangen, würde aus dem Stadtabenteuer Rom eine ewige Reise werden. Obwohl das auch schon wieder passen würde … Wie in jedem Stadtabenteuer der neuen Reisebuchreihe des Michael-Müller-Verlages geben auch hier die Autoren, Sabine Becht und Sven Talaron, einen kleinen Ablauf vor, den man einhalten kann, aber nicht muss. Was kann man am Morgen erledigen, was am Mittag, und wie kann man den Abend gehaltreich in jeder Hinsicht gestalten? Das reicht dann von schmutzigen Füßen über Knochenjobs bis hin zu Ochsenschwanzpasta. Die beiden Autoren hatten sichtlich Spaß bei den Recherchen zu ihren Stadtabenteuern in Rom. Und den teilen sie nun mit dem Leser.

Dass Rom nicht gänzlich aus altem Gestein besteht, beweist ein Besuch des Palazzo Valentini. Ein multimediales Spektakel, an das man sich erst einmal gewöhnen muss. Doch es lohnt sich, weiß das Neugier-Duo Becht/Talaron zu berichten. Nobel war die Gegend schon immer, was den Begriff Upper-Class-Immobilie plastisch werden lässt. Nichts für Puristen, die Rom lieber Stein für Stein erkunden wollen. Meint man, doch allein dieses Kapitel im Buch lässt so manchen Experten in Sachen archäologischem Fachwissen verstummen.

So mancher Rombesucher hat sich schon über Eintrittspreise für so manche Errungenschaft geärgert. Da tun Tipps gut, die das Portemonnaie nicht weiter belasten. Die Giulia 19-21 sollten sich kulturinteressierte Pfennigfuchser notieren. Wohlige Klänge zur Mittagszeit an einem Sonntag. Der Ort: Ein kleines Theater. Live on stage: Schüler des Conservatorio Santa Cecilia.

Zum Schluss noch ein Tipp für alle, die dann doch nicht auf das „übliche Touriprogramm“ verzichten wollen, was in Rom durchaus nicht mit einem Qualitätsmangel zu tun hat. Den Eintritt in die Vatikanischen Museen kann man sich zwar nicht schenken, dennoch kann man sich ein paar Euro sparen, wenn man online reserviert. Selbst die Onlinegebühr reißt da kein Loch mehr in den Sparstrumpf.

Rom muss man erleben. Die Fülle an Abenteuern lässt den Leser erstmal erstaunen. Die sollen alle in diesem 240-Seiten-Buch sein? Vielleicht nicht alle. Ganz bestimmt nicht! Aber die wichtigsten! Zusammen mit auserlesenen Tipps für Leib und Magen sowie den „Wenn man schon mal hier ist“-Infokästen wird Rom nun mehr kein Buch mit sieben Siegeln sein, sondern die Stadt auf sieben Hügeln, die dank Sabine Becht und Sven Talaron einige ihrer eindrucksvollsten Abenteuer preisgegeben hat.

Die Wahrheit über Lucrezia Borgia

Mord und Totschlag – da geht’s ja zu wie bei den Borgia! Stimmt, Lucrezia ist ja auch eine Borgia. Und was für eine! Eine Giftmischerin, eine Meuchelmörderin, gewiefte Strategin. Es gibt kaum ein negatives Attribut, das man ihr nicht anhängen möchte. Klar, bei diesem Familiennamen! Doch die Geschichten über sie entsprechen nicht immer dem, was wirklich geschah. Florian Neumann rückt in seiner kompakten Biographie über Lucrezia Borgia Vorurteilen auf die Pelle und einiges zurecht.

Neununddreißig Jahre wurde sie nur. Doch ihr Name hallt bis heute nach. 1480 geboren, Tochter eines Papstes, Alexander VI., lebte ein Leben, das dem geflügelten Wort vom Auf und Ab eine ganz neue Dimension gab. Als sie zwölf Jahre alt ist, wird ihr Vater Rodrigo Borgia zum Papst gewählt. Als Vizekanzler hatte er schon in der Vergangenheit einige Konklave mit organisiert und kannte die Befindlichkeiten der potentiellen Anwärter auf das höchste Amt im Kirchenstaat. Er ging auch selbst auf Stimmenfang für seine eigene Wahl. Diese reichten jedoch in den Jahren zuvor nicht. Ihm fehlte es an finanziellen Mitteln. Nun war er Papst, mehrfacher Vater (schon als Kardinal war das Zölibat für kaum mehr als ein Wort. Als Lucrezia (die einzige deren exaktes Geburtsdatum und Mutter bekannt sind) dreizehn ist, wird sie verheiratet. Die Machtverhältnisse im Ringen um das Königreich Neapel, die spanische Krone und die Machterhaltung des Vatikans sind die maßgeblichen Beweggründe für die Vermählung. Wäre nicht kurz zuvor ein anderer Heiratsvertrag geplatzt, hätte sie schon früher geheiratet.

Doch die Ehe soll nicht lange halten, denn ihr Gatte, ein Sforza, ist wegen der Allianz seiner Familie mit den Franzosen, die gegen Neapel in den Krieg zogen, die wiederum mit dem Vatikan verbadelt waren, in Ungnade gefallen und flieht.

Immer noch ein Teenager und schon zweimal wurde eine Ehe arrangiert, eine vollzogen und wieder annulliert. In der Zukunft ist Lucrezia Borgias Leben auch nicht gerade von Eigenständigkeit geprägt. Sie darf Feste und Empfänge ausrichten. Weitere Ehen werden arrangiert und wieder gelöst. Sie bringt mehrere Kinder zur Welt, die meisten sterben im Kindbett oder in sehr jungen Jahren. Ein erfülltes Leben sieht anders aus.

Doch auch die Gerüchte, die sich um sie ranken, reißen schon zu Lebzeiten nicht ab. Die Feinde der Borgia – und davon gibt es mehr als Freunde – sind geschickt darin Intrigen zu spinnen. Was das betrifft, nehmen sich Würdenträger (Borgia) und die, die ihnen die Ämter neiden (Orsini, Delle Rovere etc.) nicht viel.

Die Archive der Welt wurden von Florian Neumann vom Staub der Jahrhunderte befreit und gaben ihm ihre Kostbarkeiten preis. Mit detaillierter Genauigkeit und spannungsgeladener Wortwahl reist er mit dem Leser ein halbes Jahrtausend zurück. In ein Europa, das von Einigkeit so weit entfernt war, wie die Sonne von einer Unterkühlung. Diese Biographie macht Lust sich weiter in die Geschichte zu vertiefen. Sie jedoch als bloßen Appetithappen zu bezeichnen, würde dem Buch nicht gerecht werden. Die großen Zusammenhänge der Politik zur damaligen Zeit und die zahlreichen Anekdoten machen dieses Buch zu etwas ganz Besonderem.

Bauhaus – Ein fotografische Weltreise

Wenn große Jubiläen anstehen, Jahrestage spricht man oft davon, dass diese ihre Schatten vorauswerfen. 2019 wird 100 Jahre Bauhaus gefeiert. Weimar, Dessau, Berlin – überall wird man dieses nur auf den ersten Blick schlichten und funktionalen Stils gedenken. Doch von Schatten ist da nichts zu sehen. Vielmehr erhellen die Strahlen der Vergangenheit das Jetzt und Morgen. Und so präsentier sich auch dieses Buch. Schon das Titelbild lässt eine Bauhaus-Schöpfung (Casablanca) im strahlenden Sonnenlicht des Maghreb den Leser und Betrachter erahnen, was auf den folgenden 240 Seiten auf ihn zukommt.

Und das ist eine ganze Menge! Bauhaus wird allgemeinhin als originär deutscher Baustil angesehen. Außerhalb Deutschlands war dieser Stil aber mindestens genauso anerkannt und vor allem beliebt. Was daran lag, dass viele Protagonisten ab einer bestimmten Zeit in Deutschland nicht mehr arbeiten konnten, die meisten nicht mehr durften.

Diese fotografische Weltreise führt den Interessierten an Orte, die er vielleicht schon mal besucht hat. Und dann ist im Rausch der Gefühle und Eindrücke so mancher Bauhaus-Edelstein untergegangen. Von Indien über Libanon, von Afghanistan (leider schwer beschädigt) bis Burundi – Bauhaus ist überall. Und damit ist nicht die Baumarktkette gemeint, die sind in weniger Ländern vertreten. Kambodscha, Kuba, Indonesien, Guatemala – Fotograf Jean Molitor ist ganz schön rumgekommen, um diesem Bildband den Stempel Weltkunst aufzudrücken. Die erklärenden Texte von Kaija Voss ordnen jedes noch so kleine Detail, jedes Element, das Bauhaus so unverkennbar macht, wird beschrieben.

Wer also demnächst durch Rostock oder Phnom Penh, Hamburg oder Chavigny, durch Weißensee oder Bukavu spaziert, wird garantiert seine Augen offenhalten, um bloß nicht wieder Erinnerungen an die Heimat zu verpassen. Oder man beschreitet den umgekehrten Weg. Alang, Udaipur, Quetzaltenango besuchen, um das Bauhaus im besonderen Licht der Ferne auf sich wirken zu lassen.

Endlich mal eine Prachtband, der einem nicht das Blut in den Oberschenkeln abschnürt. Die Motivauswahl ist exzellent, die Stimmung der Szene wird so eingefangen wie sie wirklich ist. Bauhaus wird hundert – jeder, der jetzt anfängt ein weiteres Buch über dieses außergewöhnliche Jubiläum zu schreiben, muss mit dem Scheitern seines Projektes rechnen. Es geht kaum besser!

Gladiatoren

Das muss ja eine ganz schöne Schweinerei gewesen sein! Da stampfen mehrere Dutzend Gladiatoren durch den blutverschmierten Sand und prügeln, hauen und stechen aufeinander ein als ob es kein Morgen gibt. In den meisten Fällen war es wahrscheinlich so. Reichlich zweitausend Jahre ist es her, dass die ersten ultimate fighter die Arena betraten. Unter Kaiser Trajan wurde ein Sieg über ein Land einmal einhundertsiebzehn Tage lang mit Gladiatorenwettkämpfen „gefeiert“.

Leoni Hellmayr fasst das gesamte Wissen über die Recken der Antike in diesem kleinen Büchlein zusammen und räumt dabei auch gleich noch ein paar Vorurteile aus dem Weg. Von wegen Daumen hoch oder Daumen runter. Diese Geste passt gut in Filme, aber nicht in die Zeit der Gladiatorenkämpfe. Genauso das „Ave Caesar, morituri est salutant“ – dass die Todgeweihten den Kaiser extra noch grüßten, gehört ins Reich der Legenden.

Fakt jedoch ist, dass Kaiser Augustus erste Normierungen einführte – es ist also keine Erfindung der Gegenwart alles in Tabellen und Kolonnen pressen zu müssen. Es gab drei Arten von Kämpfern, die unterschiedliche Waffen benutzen mussten. Dabei durfte aber die Chancengleichheit nicht untergraben werden. Welch ein perfides Unternehmen!

Einhundert Seiten – jede einzelne ein Füllhorn an Informationen, die so mancher Filmemacher schon mal lesen sollte, bevor er blitzblank geputzte Panzerträger in eine kaum Staub aufwirbelnde Kulisse schickt.

Für die Wettkämpfe – wenn man es so nennen kann – gab es einen eigenen Sprachschatz. Die Kämpfe wurden sogar auf Graffitis verewigt. Und es gab damals schon echte Superstars unter den – nicht immer versklavten – Kämpfern. Die Liste des Wissens ließe sich um einiges erweitern – Leoni Hellmayr schafft es tatsächlich auf den ihr zur Verfügung stehenden einhundert Seiten ein umfassendes Bild der schaurigen Kämpfe abzubilden.

Wer also in Zukunft „Spartacus“ von Stanley Kubrick schaut, wird kopfnickend und staunend applaudieren. Wer den Vormittag lieber vor der Glotze mit den dritten Programmen und unsagbar schlechten Sandalenfilmen Made in Italy verbringt, wird kopfschüttelnd ans Bücherregal rennen und vehement mit dem Finger auf die entsprechenden Passagen zeigen und stöhnen „Das war doch alles ganz anders!“

Römische Augen Blicke

Rom kann man nur offenen Auges erfassen. So wie jede andere Stadt auch. Doch in Rom lohnt es sich besonders. Das weiß Birgit Ohlsen auch. Und sie liebt Rom. Das merkt man nicht nur daran, dass ihre Prosaskizzen den poetischen Titel „Augen Blicke“ wie eine Krone tragen, sondern vor allem an den kurzen, teils nachdenklichen Texten zwischen den kunstvoll gestalteten Buchdeckeln.

Die Autorin vermeidet es dem Leser eine Route vorzugeben, dafür gibt es Reisebücher. Sie schlendert durch die Ewige Stadt mit der Neugier im Kopf. Immer wieder hält sie inne, hält den Moment mit Kamera und Stift fest. Wer noch nie in Rom war, kommt jetzt erst recht auf den Geschmack. Und so nimmt man dieses Buch schlussendlich doch als Wegweiser für einen Ausflug an den Tiber.

Auf der Piazza S. Maria sopra Minerva steht eine erstaunliche Statue. Ein Elefant, der einen Obelisken trägt. Es ist an sich nicht der Elefant selbst, der die Gemüter erregt. Sondern seine Position. Denn sein Hinterteil zeigt symbolträchtig in Richtung des Dominikanerklosters.  Zwei große Köpfe der Geschichte würden diese Statue als Teil später Gerechtigkeit empfinden. Galileo Galilei und Giordano Bruno wurden hier gefoltert, gedemütigt und zum Widerruf ihrer Schriften und Ideen gezwungen. Wer einfach daran vorbeiläuft, dem ist ein wichtiger Teil Roms an selbigem vorbeigelaufen.

Nachdenklich wird die Germanistin Birgit Ohlsen, wenn sie im wahrsten Sinne des Wortes über so manchen Stein stolpert. Stolpersteine nennt man die Gedenksteine, die in den Boden eingelassen wurden, um die Greueltaten der Faschisten ewig erinnerlich zu halten. Man liest die Lebensdaten, deren Ende bis heute manchmal unbekannt ist. Man rechnet nach wie alt die Menschen waren als es brachial an der Tür klopfte oder die Pforte mit Gewalt zerbarst, weil hochmotivierte Karrieristen und menschenverachtende Querdenker es so für nützlich hielten. Als Deutsche, die sich intensiv mit deutscher Sprache, also dem originärem Kulturgut beschäftigt ein äußerst saurer Drops, den sie aber bereit ist zu lutschen.

Die Römischen Augenblicke versetzen mehr als den Sehsinn in Bewegung. Immer wieder erkennt man vielleicht Bekanntes, das man selbst anders oder nur im Vorbeigehen wahrgenommen hat. Birgit Ohlsen versetzte den Leser wieder zurück an den Ort und die Zeit, wo Rom nicht einfach nur Rom war. Rom war Sehnsuchtsort, den man unbedingt sehen wollte. Doch nachdem er Alltag wieder eingekehrt war, verblasste so manches Erlebnis im Grau der Monotonie. Hier werden Erlebnisse wieder lebendig, werden neue Sehnsüchte geboren. Denn wenn eine Stadt schon ewig existieren wird, lohnt es sich immer wieder dorthin zu fahren. Und dann sicherlich mit diesem Buch im Gepäck.