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Theater laden ein

Tosca auf der Couch. Norma im flauschigen Lesesessel. Aida vor der Glotze. Mit dem entsprechenden technischen Equipment sicher ein Ohrenschmaus. Oberflächlich gesehen. Doch in einem echten Theater, mit der entsprechenden Akustik, auf rotem Samt sitzend, schmachtend den Tönen auf der reich geschmückten Bühne, in einem opulenten Bühnenbild – das ist dann doch eine ganz andere Liga. Eine Liga darüber!

So geht es auch Ulrike Rauh. Die Autorin ist eine Kunstgenießerin, eine Opernliebhaberin, und sie liebt das Theater. Und die Theater dieser Welt. Ihre Spaziergänge zwischen Lüstern und Büsten berühmter Künstler, zwischen Stuhlreihen und Tanzreigen sind ein ziemlich großer  Appetitmacher.

Wie immer in ihren Reiseberichten hat sie sich akribisch auf ihre Geschichten und Anekdoten vorbereitet. Und so wird ein Besuch in der Mailänder Scala zu einer Geschichtsstunde mit den Augen einer wachen Autorin, die sich ihre Neugier bewahrt hat. Denn die Geschichte eines der berühmtesten Opernhäuser der Welt steckt voller Überraschungen. Und die Liste derer, die die Bühne ausfüllten und vom Dirigentenpult die Zuschauermassen begeisterten ist endlos. Und alle so elegant. Kaum vorstellbar, dass hier einst geredet, geschmaust und gefeiert wurde während auf der Bühne Höchstleistungen vollbracht wurden.

Wer sich einmal eine Führung im Teatro San Carlo in Neapel gegönnt hat – der Eintritt ist im Vergleich zur Pracht in dem Haus mit sechs Etagen, in denen die Logen untergebracht sind, lächerlich preiswert – weiß warum die Autorin so fasziniert von der Architektur der Schallhallen ist. Wie auf rohen Eiern möchte man sich fortbewegen, um bloß nichts mit Abnutzungserscheinungen zu beschädigen. Ein Blick hinter verschlossene Türen lohnt immer. Und Ulrike Rauh ist sehr neugierig…

Von Bayreuth bis Santiago de Chile, vom berühmten Teatro Amazons in Manaus (Kenner wissen um die charakterstarke Darstellung von Klaus Kinski in „Fitzcaraldo“, in dem dieses Theater eine zentrale Rolle spielt) bis in die Gänge des Theaters in der Josefstadt in Wien, von der Arena in Verona bis in die wuchtigen Mauern der Semperoper reist Ulrike Rauh mit dem Leser mit schwergewichtigen Melodien um die Welt. Dass sie dabei leichtfüßig durch Jahrhunderte schlendert, ist das große Verdienst ihrer Leidenschaft. Auf alle Fälle bereichert dieses Buch jeden Besuch in Städten, die ein Konzerthaus oder eine Oper ihr eigen nennen dürfen.

Liparische Inseln

Stromboli kennt man aus dem gleichnamigen Film. Vulcanco – da ist klar, was einen erwartet. Lipari… schon mal gehört … da gibt es doch … genau: Die Liparischen Inseln. Aber es gehören nicht nur die drei Genannten zum Archipel. Da sind noch Alicudi, Filicudi, Salina und Panarea. Diese vier Inseln sind weitgehend unbekannt. Und eine Reise wert! Das weiß auch Reisebuchautor Peter Amann und macht mit seinem Wanderreiseband die Entscheidung welche Insel man besuchen sollte einfach und schwer zugleich. Schwer, weil die Vielfalt der Inseln so unfassbar riesig ist. Einfach, weil die Entscheidung alle Inseln zu besuchen mit diesem Buch die Richtige ist.

Ausführlich wird jede einzelne Insel beschrieben. Denn obwohl die sieben Schwestern des großen Ätna auf Sizilien auf den ersten blick gleich erscheinen, hat jede ihre eigenen Reize. Und so findet sich immer ein Grund, warum gerade die und nicht die Andere für einen Ausflug, einen Urlaub, eine Wanderung auserkoren wird.

Alicudi besticht durch ihre Autofreiheit – was nicht bedeutet, dass man hier wie ein wilder Stier herumrasen kann. Ganz im Gegenteil: Autos findet man hier nicht. Dafür aber Esel. Und Treppen, die einem zu den schönsten Ausflugsplätzen führen.

Lipari ist das Partyzentrum der Inselgruppe. Aber nicht falsch verstehen, denn nur im Vergleich mit ihren sechs Schwestern ist Lipari eindeutig die lebendigste Insel. Tauchen, Schlemmen, Wandern, Erholen – hier ist der Urlaub am vielfältigsten.

Salina rühmt sich mit Stille. Und das obwohl sie schon als Filmkulisse diente, so dass während der Dreharbeiten zu „Il postino“ (mit Philippe Noiret als Pablo Neruda) wohl das Wort Ruhe mehr Sehnsucht als Realität war.

Verführerisch, weil hier Mutter Natur sich selbst ein Denkmal setzt, kommt Panarea daher. Üppige Blütenpracht zieht auch die Schickeria an. Wer sich also gern ein Auge an weltlicher Machtfülle holen kann, wird staunen.

Apropos Staunen. Ein Naturspektakel rund um die Uhr – besonders nachts – bietet Stromboli. Wenn der Himmel glutrot erleuchtet, weil der Vulkan Lava spukt, ist die Speicherkarte schnell voll.

Die Nase voll hat man in (nicht von!) Vulcano. Voller Gerüche. Auch wenn man sich an so manchen erstmal gewöhnen muss. Der Schwefelgeruch ist relativ rasch ständiger Begleiter. Auch in den Klamotten. Vielleicht nicht gleich zu Beginn der Inselreise einen Abstecher hierher planen?!

Dieser Reiseband bietet das Rundum-Sorglos-Paket. Wo wohnen, wo wandern, wo innehalten, wo rasten – strukturiert und stets hilfreich in jeder Lage: Laufen, Wandern, Erholen. Seite für Seite ein Erlebnis, schon bevor die Wanderschuhe geschnürt sind.

Golf von Neapel, Ischia-Sorrent-Capri-Amalfi

Neapel sehen und sterben – mehr als nur eine Floskel. Ja, man muss Neapel erlebt haben, um Italien zu kennen. Während man in anderen Regionen die Grandezza aufsaugen kann, brodelt es hier an jeder Stelle. Das liegt nicht allein am Vesuv, der, wenn er wieder einmal ausbrechen sollte, eine Katastrophe heraufbeschwören kann, die in Europa wohl einzigartig sein dürfte. Nein, es ist das stets vorhandene Vibrieren der Stadt am Golf. Es gibt drei Arten von Lärm: Das Timbre der Marktverkäufer und ihrer Kunden, das permanente Telefonieren und das Knattern der unzähligen Mopeds in der Stadt. Sie alle kreieren einen Klangteppich, auf dem man durch die Stadt schwebt. Der rustikale Charme der teils abgerockten Palazzi, die Fülle an Augenschmaus und Gaumenfreuden lassen den Gast Neapels schnell eintauchen in eine Stadt, die selbst in Italien als einzigartig gilt. Wo andernorts an den touristischen Hotspots die weltweit gängigen Geschäfte das Ursprüngliche verdrängt haben, dominiert hier das urtypische Handwerk. Im quartieri spagnoli – einem Viertel, vor dem noch vor wenigen Jahren vehement gewarnt wurde – kann man durch die geöffneten Türen so manchen Handwerker bei der Arbeit zuschauen. Auch ohne Italienischkenntnisse kommt man hier dennoch schnell ins Gespräch. Die schnelle Pizza auf die Hand, oder die typischen Sfogliatelle, eine schmackhafte Leckerei zwischendurch, gehören hier zum Straßenbild wie das liebevolle Ignorieren der roten Ampeln.

Das ist Neapel, das man getrost auch ohne Reisebuch erleben kann. Aber das ist eben nur eine Seite der drittgrößten Stadt Italiens. Als ehemalige Königsstadt bietet sie eine ungeheure Fülle an architektonischen Preziosen. Und fast immer mit dem Charme des benutzten Eigentums. Der Putz blättert von den Wänden, Funkeln und Strahlen findet man meist nur in sakralen Gebäuden. Und selbst da ist die Lichtstimmung düsterer als in den meisten Gotteshäusern. Es ist ein ganz besonderes Flair, das einen sofort einnimmt.

Reisebuchautor Andreas Haller sortiert die Sehenswürdigkeiten ein wenig vor. Das ist auch nötig, da vieles in Neapel schnell übersehen werden kann. Die Enge der Gassen, die Menschenmassen (beispielsweise in der Via San Gregorio Ameno, die Krippengasse, wo sich ein Krippenmacher an den anderen reiht – trotzdem unbedingt anschauen) – da kann es durchaus passieren, dass man mal ein bedeutendes Bauwerk an einem vorüberziehen lässt. Hier hakt das Buch ein. Kein noch so kleiner Ort, den man gesehen haben muss, weil er für Neapel so charakteristisch ist, bleibt unerwähnt. Inkl. Tipps wann man ihn besuchen sollte. Denn wenn die Massen erst einmal in Bewegung sind, kann man schnell auch mal eine zu lange Zeit in Warteschlangen verbringen.

Als Leseablenkung vom Überfluss der Stadt sind die typischen farbig markierten Kästen ein willkommener Ausflug in die Stadtgeschichte. Was steckt hinter dem maskierten Pulcinella? Und warum werden wo man steht und geht rote Paprikaschoten als Schlüssel- oder Kettenanhänger, von winzig klein bis zu gigantischen Ausmaßen angeboten? Curniciello – Glücksbringer, nicht nur für die Verkäufer.

Nun ist das mezzogiorno – auch diese Bezeichnung für den Süden des Stiefels wird ausgiebig erläutert – nicht nur Neapel. Ischia, Capri, Amalfi sind Sehnsuchtsorte, die jedem Klischee trotzen und es zugleich bedienen. Um nicht vollends jeder Tourifalle ins Netz zu gehen, empfiehlt es sich schon vor Reiseantritt in diesem Buch zu schmökern. Das geht, denn die dritte Auflage liest sich wirklich wie ein Roman, den man anschließend selbst nacherleben kann. Anfahrtswege, die schönsten Ausflüge und unerlässliche Tipps für den perfekten Urlaub (ob es nun der erste oder einer der zahllosen folgenden Tripps ist) lassen zuvor das Reisefieber steigen und vor Ort das Temperament den Gepflogenheiten anpassen.

Ein Reisebuch soll Appetit machen, einen sicher durch die Fremde leiten und die Vorfreude aufs Wiederkommen steigern. In diesem Fall gibt es nur ein Fazit: Volle Punktzahl, Ziel erreicht!

Ein Tag wird kommen

Ja, es wird der Tag kommen, an dem … ja was? Das Glück an die Tür klopft? Die Regeln der Vergangenheit gebrochen werden? Alle wieder versöhnt sind? Giulia Caminito verwebt in unnachahmlicher Weise die Geschichte ihre Ahnen mit der ihr eigenen Phantasie.

Es ist die Geschichte ihres Urgroßvaters Nicola und seines Bruders, Lupo. Der Wolf. In den Marken, in einem Dorf, das scheinbar fernab von allen Problemen der Zeit und der Welt dem Lauf des Lebens eine Heimat bietet. In der Familie wurde niemand alt. Alle starben früh. In dem Ort verging die Zeit ohne dass jemand groß Notiz davon nahm. Man lebte vor sich hin, nebeneinander her, miteinander – so wie Leben nun einmal ist.

Lupo und Nicola teilen alles: Haus, Bett, Tisch. Nur nicht die Ansichten wie man leben sollte.

Parallel dazu wird die Geschichte von Sour Carla erzählt. Und die Geschichte einer Entführung. Und von der Macht, inklusive Machenschaften der Kirche. Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten. „Ein Tag wird kommen“ lebt von unerwarteten Wendungen.

Und das Buch lebt von der ungeheuren Wortwucht der Autorin. Ihre Protagonisten sind einfache Leute. Ihnen ist es nicht in die Wiege gelegt worden blumig ihrem Frust Luft zu machen. Ihre Worte gehen direkt ins Herz. Rau, roh, unumwunden macht man sich im Ort klar, was Sache ist. Giulia Caminito lässt keinen Zweifel daran, dass sie alle ihre Figuren innig liebt. Jeder hat seine Macken – wie im richtigen Leben! Die Spuren des harten Lebens sind weithin sichtbar und lassen den Leser nicht mehr los.

Sätze wie Donnerhall, die keine zwei Meinungen zulassen, sind nicht nur das Salz in der Suppe, sie sind alle Zutaten zu gleichen Teilen.

An keiner Stelle des Buches vermutet man ein happy end, auf das man sich über zweihundertfünfzig Seiten lang freuen kann. Dennoch liest man Seite für Seite mit einem freudigen Gefühl, weil man weiß, dass hier echte Gefühle die Handlung vorantreiben. Manchmal schmerzt es der Familie tatenlos zusehen zu müssen, wenn ihnen das Schicksal wieder einmal einen fetten Strich durch die Rechnung macht. Im Gegenzug weiß man aber nur zu genau, dass jeder der Beteiligten aus den ihm zugeworfenen Zitronen Limonade machen wird.

Dieser Roman ist es wert immer wieder entdeckt zu werden. Still und Lärm, Liebe und Verachtung gehen in nie gekannter Einigkeit über die Grenzen von Erwartungen hinweg.

Principessa Mafalda – Biografie eines Transatlantikdampfers

Es waren einmal zwei Schwestern. Hübsch anzusehen, präsentabel herausgeputzt und elegant – so wie es sich für Königskinder gehört. Als die erste ihre ersten Schritte ins Leben wagte, kam sie ins Wanken, kippte links zur Seite und versank im Meer. Die zweite folgte ihr Monate später. Ihr glückte, was ihrer älteren Schwester nicht gelang. Unter dem Jubel der Zuschauer glitt sie ins Leben…

Ja, wenn die Geschichte der Schifffahrt ein Märchen wäre, so hätte sie an dieser Stelle ein Happy end. Der Stapellauf der Principessa Mafalda, benannt nach der Tochter des italienischen Königs lief im Oktober 1908 in Genua vom Stapel. Ein Jahr zuvor sank ihr Schwesterschiff Jolanda – auch nach einer Tochter von Vittorio Emmanuele III. benannt – gleich beim Eintauchen ins Mittelmeer. Mit der Principessa Mafalda sollte es möglich sein in reichlich zwei Wochen von Genua nach Buenos Aires fahren zu können. Das wollte sich kaum jemand entgehen lassen.

Während in der ersten Klasse die Überfahrt zu einer Dauerparty verkam, darbten die Massen auf den unteren Decks. Mitgebrachtes Essen wurde sparsam rationiert, während oben an Deck die Prosecco-Korken knallten. Die enorme Recherchearbeit von Stefan Ineichen führt dazu, dass man im Nu sich an Bord dieses Dampfers versetzt fühlt. Die zahlreichen Abbildungen untermalen das von ihm Geschilderte, und machen jede Seite zu einem Reiseerlebnis, das ebenso luxuriös ist wie es damals – vor hundert Jahren – gewesen sein muss.

Eine Reise über den Atlantik endet nicht mit der Ankunft im Zielhafen. Auch hier hält Stefan Ineichen so manche Anekdote parat. Wenn beispielsweise der sizilianische Autor Luigi Pirandello auf den damals unumstrittenen Star des Tangos Carlos Gardel trifft, dann vibriert die Luft im Künstlercafé der argentinischen Metropole.

Oft bleibt von den großen Schiffen der Vergangenheit nur der bittere Nachgeschmack der Katastrophe im Gedächtnis. So ist es leider auch in diesem Fall. Die Mafalda glitt nur zwei Jahrzehnte über die Wellen der Meere. Die letzte Fahrt endete abrupt vor der Küste Brasiliens. Eine Welle hatte sich selbständig gemacht und den Rumpf des Stolzes der italienischen Dampfschifffahrt beschädigt. Nur wenige Stunden nachdem der Schaden bemerkt wurde, sank das Schiff am Abend des 25. Oktober 1927 und riss mehr als tausend Passagiere und Crew in die Tiefen.

Die „Principessa Mafalda“ war als große Hoffnung für alle Beteiligten ins Leben gestartet. Für die meisten versprach das Ziel ihrer Reise ein besseres Leben. Für die Betreiber war es ein Vorzeigeobjekt. Dass dieser Ruhm nur eine kurze Zeit halten würde, war nicht beabsichtigt, vielmehr war der Fortschritt Antriebsmotor für weitere Dampfschiffe. Die Mafalda war kurze Zeit nach ihrem Stapellauf nur eines von mehreren Schiffen, die der Mafalda in Sachen Eleganz und Ruhm allerdings nicht das Wasser reichen konnten. Ob die Mafalda ohne ihr ungeheuerliches Ende noch heute so dermaßen die Gemüter bewegen würde, kann man nicht sagen. Was aber auf alle Fälle stimmt, ist die Tatsache, dass durch Bücher wie dieses die Legende niemals untergehen wird.

Die Gärten von Bomarzo

Schon nach ca. zweieinhalb Seiten ist man selbst dem Drang verfallen diese Gärten einmal zu besuchen. Die Gärten von Bomarzo – nie gehört? Is nicht schlimm! Wenn man neugierig und offen bleibt, erschließen sich Faszination und Rätselraten rund um dieses Phänomen von ganz allein. Sucht man bei Google diese Gärten, findet man die Gärten der Ungeheuer. Nördlich von Rom, eine reichliche Stunde von der Ewigen Stadt entfernt. Steinskulpturen, die jeden noch so gut durchdachten Halloweenstreich wie ein leichtes Kitzeln von hinten erscheinen lassen. Man kann in Schlunde hineingehen, gigantischen Monstern die Stirn bieten, ihnen direkt ins Auge schauen. Schaurig? Un’po, ein bisschen. Beeindruckend? Si! Certo!

Also, wie begegnet man den Gärten, und wie begegnet man diesem Buch? Ins Regal greifen. Zur Kasse gehen. Und schon bei Rausgehen darin blättern. Stolpern, weil man sofort ins Buch vertieft ist, ist erlaubt, wenn nicht sogar notwendig. Und dann taucht man ein in eine Welt, die sich bis heute niemandem vollständig erschlossen hat.

Gärten sind einfach da. Schon seit … ja, seit wann eigentlich? Und warum? Was soll das alles? Allesamt Fragen, die in den Hintergrund treten, folgt man Hella S. Haasse, der „Grote Dame“ der niederländischen Literatur. In ihrem Schaffen drang Italien zur Zeit der Renaissance in ihr Berufsleben. Sie hörte von den geheimnisvollen Gärten. Wollte mehr wissen. Doch es gab kaum Bücher und Schriften dazu. Als Berufsneugierige machte sie sich selbst auf Spurensuche. Fand und las alles dazu. Und machte sich ihren eigenen Reim auf das, was im Wege steht, ihre Wege kreuzt und nur darauf zu warten schien endlich einen Wegbereiter gefunden zu haben.

Die geheimnisvollen Skulpturen wirken in erster Linie einschüchternd. Doch ihre Starre nimmt ihnen den Schreckensreiz. Hella S. Haasse kann sich einfach nicht satt sehen. Und sie wird auch nicht müde jede noch so kleine historische Begebenheit in ihr Nachforschen einfließen zu lassen. Da kommen mehr oder weniger berühmte Familien wie die Orsini ins Spiel, die sich ihr Refugium errichteten. Schlussendlich kann auch die Autorin nicht jedes Mysterium, das diesen eindrucksvollen Platz umgibt, lösen. Darin liegt sicher auch die Stärke ihrer Ausführungen. Jetzt ist man selbst gefordert. Im dichten Wald einmal selbst dem Schrecken ins Gesicht schauen. Mit dem Hintergrundwissen aus diesem Buch – mehr als nur eine Zusammenfassung von dem, was es schon einmal gab – wird jeder vorsichtige Schritt zwischen Höllenhunden und Höllenschlunden zu einem Abenteuer, bei dem sogar Indiana Jones resigniert das Handtuch werfen würde.

Es gibt Reisebücher zu Ländern, zu Regionen, zu Städten und Landstrichen. Aber ein Kulturreiseband über einen Park in dieser Stärke – buchstäblich wie im übertragenen Sinne – sucht man vergebens. Hella S. Haasse stößt nicht nur eine Nische auf, sie füllt sie bis zum letzten Buchstaben.

Vor aller Augen

Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man vor einem Bild steht und nicht mehr nur daran denkt wie hübsch dieses Bild überm Sofa aussehen würde. Das Bild gefällt, aber … warum eigentlich. Fast schon ein bisschen neidisch schielt man dann zu offensichtlichen Kunsthistorikern hinüber lauscht staunend den Ausführungen über Pinselführungen, Strichlänge, dem Besonderen des Bildes. Und das alles sehen die auf den ersten Blick?! Zweifel macht sich breit. Erzählen kann man ja viel.

Martina Clavadetscher gibt den Damen auf berühmten Bildern eine Stimme. Die Damen sind meist unbekannt, ihre Erschaffer dafür umso mehr. Wer kennt schon Cecilia Gallerani? Das ist die, die von Leonardo da Vinci ein ungewöhnliches Haustier auf den Arm gelegt bekam. Und er malte sie. Zu sehen heutzutage in Krakow, auf den Wawel-Burg. Extra Eintritt, nur für Signora Gallerani. Es ist nicht mehr und nicht weniger „Die Dame mit dem Hermelin“. Und die erzählt frei von der Leber weg wie es sich anfühlte vom großen Meister portraitiert zu werden.

Ebenso wie Margherita Luti – noch so eine Dame, deren Namen man nicht kennt. Und dabei lehnt sie lasziv, entspannt, die Brust entblößt an der Wand. Gemalt von Raffael. Er das Malergenie, das schon im Teenageralter als Meister galt – sie wäre in der heutigen Zeit eine Bäckereifachverkäuferin. Sie ist nicht auf den Mund gefallen als sie den spannenden Raffaello entdeckt, während sie im Gras entspannt. Er ist mit einer Anderen liiert, was sie – Margherita – verärgert und zu Spottgesängen anheben lässt. Noch heute munkelt man, dass sie und er mehr als nur Meister und Modell waren. Das alles geschah vor mehr als fünfhundert Jahren. Und noch immer fasziniert das Gemälde und seit Neuestem auch die Geschichte darum, dank dieses Buches.

Und so liest man sich Seite für Seite durch die Kunstgeschichte, lernt Damen und ihre Meister kennen. Mit unbeirrter Leichtigkeit ergreifen Damen das Wort, die teils seit Jahrhunderten stumm von den Wänden der größten Museen der Welt dem Betrachter in ihren Bann ziehen. Lichtwechsel, Schattenspiele, Liebreiz, Zartheit – unerreichbar für jedermann. Manche sogar hinter Glas oder so weit entfernt, dass es nicht einmal ansatzweise so was wie Nähe geben kann. Sie alle sind empfindsam, stolz, schüchtern, verängstigt. Und sie haben eine Geschichte. Nicht immer so skandalös wie die von Olympia als sie Èdouard Manet ganz und gar nicht keusch auf der Ottomane malte. Dennoch erzählenswert.

Es ist nicht die Frage wird hier wen verführt. Nicht jeder ist verführbar. Erstmals werden in diesem Umfang Damen von Damals nicht vorgeführt, sondern in die Gesellschaft der Besucher eingeführt. Sie stehen neben einem und erzählen, was bisher niemand wusste. Und das vor aller Augen…

Ein Leben in Geschichten

Wann ist eigentlich der richtige Zeitpunkt eine Biographie zu schreiben? Manch einer schreibt sein Leben lang daran. Die Tagebücher werden dann posthum als Sensation angepriesen – Nachfragen sind in diesem Fall nicht mehr möglich. Donna Leons Leserschaft, die seit Jahrzehnten davon träumt beim romantischen Spaziergang durch das romantische Venedig einmal doch Commissario Guido Brunetti zu treffen, stellt sich sicherlich schon länger die eine oder andere Frage. Und sicherlich nicht die, warum der Commissario in den Büchern Dauergast in den Straßen und Gassen der Lagunenstadt ist und im „wahren Leben“ ihn niemand zu Gesicht bekommt. Nein, Donna Leon ist vielen ein willkommenes Familienmitglied, dessen Besuch (Veröffentlichungstermin des neuen Romans) immer entgegengefiebert wird. Und über die Familie weiß man alles. Und wenn nicht fragt man einfach nach. Doch wie fragt man eine Schriftstellerin, die zwar nicht zurückgezogen, dennoch nicht permanent öffentlich lebt?

Es ist so einfach! Man blättert in „Ein Leben in Geschichten“ – ein Titel, der so unscheinbar und unnahbar daherkommt, dass man bei genauerer Betrachtung darin die Autorin wiedererkennt.  Die Idee einmal von Brunetti abzulassen und sich selbst in den Fokus zu stellen, ohne dabei Schatten auf die Umstehenden zu werfen, kam ihr bei einem Treffen mit einem langjährigen Freund, den sie auch ihrer Zeit im Iran kannte. Alte Zeiten aufleben lassen, Freundschaften in Erinnerung rufen, herumalbern – und als Resultat daraus ein Buch. Typisch Donna Leon? Typisch Donna Leon!

Und im Nu reihte sich Geschichte an Geschichte. Von der beim Bridge schummelnden Tante Gert über die geheimnisvolle Herkunft ihres Großvaters bis hin zu dem Tag als Venedig nicht mehr nur eine Stadt mit Existenzproblemen war, sondern der Ort, der ihr ganzes Leben verändern würde. Mit derselben Hingabe wie zu ihrem Commissario und seiner Stadt gibt Donna Leon Auskunft über ihr Leben. Auch ohne groß zwischen den Zeilen lesen zu müssen, offenbart sie „so ganz nebenbei“ wie sie wurde, wer sie ist. Auch wenn viele Ereignisse schon lange zurückliegen – wer erinnert sich mit Achtzig schon noch so detailliert an den ersten Schultag? – sind sie immer noch so präsent, dass man den Dung auf den Feldern, die Angst vor Entdeckung und die Leidenschaft fürs Lesen (und Schreiben) greifen kann.

Persönlicher geht nicht! Donna Leon teilt das Kostbarste, was sie besitzt: Ihre Erinnerungen. Kurzweilig, humorvoll, ehrlich. Und immer mit dem besonderen Kick, der Donna Leon so erfolgreich werden ließ.

Sempre italia

Ach, würde der Urlaub doch ewig dauern! Würde für immer die Sonne scheinen. Würde für immer der Wein wie beim ersten Mal schmecken. Das ließe sich beliebig fortsetzen, denkt man an Italien. Einmal von hoch oben auf einen Lago schauen, leckere Pasta mit richtig viel parmigiano dort genießen, wo er produziert wird oder unter sengender Sonne sich Pizza in den Mund stopfen – dazu ein vino … und das Paradies kann einem gestohlen bleiben.

Jede Liebeserklärung an den Stiefel ist eine emotionale Reise, reich gespickt mit Erinnerungen und Ideen fürs nächste Mal. Denn ein nächstes Mal gibt es immer! Frances Mayes und Ondine Cohane sind verliebt. Verliebt in Italien – das allein reicht aber noch nicht. Sie halten ihre Liebe zu Land und Leuten in diesem Buch fest. Vierhundert Seiten amore – das kann „im normalen Leben“ die Eine/den Einen schon mal überfordern. Den Leser, den Liebeshungrigen, den Italienliebhaber überfordert es nicht. Denn vieles kennt man vielleicht schon. Manches wollte man schon immer mal besuchen. Und einiges gehört beim nächsten Mal in italia auf alle Fälle zum Reiseprogramm.

Kreuz und quer durch das Land, das immer noch und immer wieder überraschen kann. Immer mit der Kamera im Anschlag und mit dem gezückten Stift in der Hand tauchen die beiden ab in eine Kultur, die mit Sehnsucht nur annähernd beschrieben werden kann.

Jede Region wird so lange bereist bis die Autorinnen das Besondere gefunden haben, das ihre Liebe am besten beschreibt. Die seitenfüllenden Abbildungen locken den Leser in die Geschichten hinein, die so wortgewandt jeder Kritik widerstehen. Für ganz Eilige gibt’s am Kapitelende eine kleine Zusammenfassung und Tipps, was man nicht verpassen darf. Für eifrige Leser sind diese Zeilen Erinnerungslückenfüller. Denn jede Region steckt voller Abenteuer, die man erleben muss.

Und für jeden ist etwas dabei: Radfahren, Weindegustationen, Wandern, Erkundungstouren, Schlemmen …

Im Meer der Italienbücher geht man schnell unter, wenn man nur nach dem Einband seine Wahl trifft. Zu groß die Menge an Reisebüchern, Bildbänden, Ratgebern. „Sempre italia“ ist ein leidenschaftliches Kraftpaket, das man immer wieder hervorholt und sich inspirieren, Träume fliegen lässt und in eine Welt eintaucht, die gar nicht soweit entfernt von der eigenen Haustür das dolce vita mit einem einzigen Umblättern real werden lässt.

Azzurro

Azzurro oder Azurro oder Azzuro? Schon beim Schreiben qualmt die Rübe ordentlich. Und erst bei der Italienhymne. Zuerst einmal: Doppel-Z UND Doppel-R. Der Rest … da man sich das Lied immer wieder anhören kann, und mit ein bisschen Sprachgefühl (gelato hilft da immer) – kommt man vielleicht nicht auf den genauen Wortlaut, trifft aber gefühlt den Ausdruck. Hat man dieses Gefühl erst einmal intus, kann man sich an die Bedeutung wagen. Die zahlreichen Übersetzungen im Netz sind da nur bedingt eine Hilfe. Wie so oft im Leben, hilft da nur ein Buch! Dieses Buch.

Denn das Wichtigste an diesem Lied ist und bleibt: Adriano Celentano! Es ist sein Lied. Es ist das Lied Italiens. Ein Traum vom Sommer und der Sehnsucht diesen nicht allein zu verbringen. Und das alles mit dem einzig passenden Charakter, um der Stimmung ein einzigartiges Gefühl zu verpassen.

Das ist aber nur eines der einhundert vorgestellten Lieder und der Geschichte(n) drumherum und dahinter. Auch ohne große Anstrengung können mindestens drei Generationen hierzulande mindestens ein Dutzend Sänger aufzählen, inkl. mindestens eines Hits. Eighties-Kids durchzuckt es bei Gianna Nanninis „Bello e impossibile“, ein Jahrzehnt später schwört man auf Jovanotti (warum man von ihm hierzulande spürbar weniger wahrnimmt, ergibt sich ziemlich schnell, liest man schnell aus dem Text über den Italo-Rapper heraus).

Patty Pravo ist seit Jahrzehnten von der Bildfläche verschwunden. Dennoch klettern ihre Alben in den Charts nach Oben wie ein Gibbon in die Bäume. Ihr provokanter Kleidungsstil erleichterte und erschwerte ihren Aufstieg vor einem halben Jahrhundert. Eine Frau in Hosen, und das im ach so eleganten Italien?! No, no, no. Dennoch hält sie sich. An ihr kommt man in Italiens Musikhistorie nicht vorbei.

Ob sanftes Pop-Geplänkel a la Al Bano & Romina Power, deren Rosenkrieg länger dauerte als ihr Tanz auf dem Pop-Olymp, oder echte Ohrwürmer wie „lasciate mi cantare“ von Toto Contugno – auch hier wieder: Wer es mitsingen will, sollte die Worte kennen, ansonsten wird’s hochgradig peinlich – oder doch die große Bühne einer Milva: Italiens Sehnsuchtsmelodien treffen seit Generationen ins Herz. Bunte Vögel wie Vasco Rossi, Statthalter wie Celentano und Mina und Eintagsfliegen wie Baltimora und Scotch stehen gemeinsam auf dieser Bühne mit Sängerinnen, Bands und Sängern, die man nicht sofort auf dem Schirm, wohl aber im Ohr hat.

Nun, wie liest man dieses Buch? Brav, leicht neugierig von Seite Eins bis zum Schluss. Nervös durchblätternd, bis man einen Interpreten, ein Lied entdeckt über das man schon immer was erfahren wollte. Akademisch, Video suchen, Kapitel lesen, aha rufen. Es ist vollkommen egal. Nur lesen sollte man es – das Mitsingen (und schlussendlich ist es doch einerlei, ob man die richtigen Töne und Worte trifft: Die Stimmung muss stimmen!) garantiert dolce vita allerorten. Dieses Buch Fälle muss man für die nächsten Jahre ins Reisegepäck legen. Wann immer ein canzone erklingt, kommt man Italien ein Stückchen näher.