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Das Haus auf dem Hügel

Wenn am Abend die Dunkelheit über Turin hereinbricht, ist das von doppelter Bedeutung. Zum Einen ist es das sich täglich wiederholende Wetterphänomen, wenn die Sonne hinter den Hügeln verschwindet, zum Anderen ist es das Signal zum Aufbruch in die Berge der Umgebung. Tagsüber ist Corrado Lehrer. Ein respektierter Mann, den man mit „Herr Lehrer“ anredet. Am Abend flüchtet er wie viele in die Hügel. „Le Fontane“ ist der Zufluchtsort. Hier ist der Krieg geografisch weit weg, in den Gesprächen der Männer näher als viele ihn jemals gesehen haben. Hitzig diskutiert man. Schmiedet eifrig Pläne. Warnt man vor dem, was noch kommen kann und wird.

Und hier oben in den Hügeln ist Cate. Corrado und sie waren einmal ein Paar. Für sie war es Liebe. Für ihn ein Zwischenspiel mit vielen Höhepunkten. Und dann ist da noch Dino. Ein aufgeweckter Junge und Cates Sohn. Sie eröffnet Corrado, dass der Junge, der von allen nur Dino gerufen wird, in der Geburtsurkunde den Namen Corrado eingetragen hat. Ja, sie nannte ihren Sohn, IHREN Sohn, nach dem Mann, den sie einst so sehr liebte. Corrados Herz, das des Lehrers Corrado, pocht so sehr wie auf der Flucht vor dem Bombenhagel. Ist Dino etwa sein Sohn? Cate wischt mit der Vehemenz einer enttäuschten, stolzen Frau seine Erwartungen und seine Ängste hinweg.

Hier oben in den Hügeln ist Corrado halbwegs frei, soweit das in diesen Zeiten überhaupt möglich ist. Er nimmt Farben und Gerüche wahr, die so gar nichts mit dem Grau der Großstadt Turin zu tun haben. Hier oben in den Hügeln ist der einfach nur ein Mensch. Allerdings ein Mensch mit Sorgen, dem das Geschehen um ihn herum nicht kalt lassen kann. Er kann dem Faschismus und seinem drohenden Ende nicht entkommen. Als das Gerücht die Runde macht, dass der Krieg vorbei sei – die Alliierten sind auf dem Stiefel gelandet, keimt erste Hoffnung auf. Doch die wird vom Dreck unter den Soldatenstiefeln jäh beendet. Die Deutschen sind nun überall. Der freie Weg in die Berge ist mit Kontrollpunkten gespickt. Die Partisanen haben sich verschanzt. Beide Seiten sind misstrauisch gegenüber jedem, der die Wege benutzt. Sieht so der Sieg aus?

Cesare Pavese schrieb seinen Roman als sich Italien schon ein gutes Stück vom Mussolini-Faschismus entfernte. Hoffnung und Aufschwung gingen hand in Hand. „Das Haus auf dem Hügel“ ist fiktiv. Pavese verabscheute die Vermischung von Reportage und Literatur. Wohl auch deswegen sind die Schrecken des Krieges scheinbar so fern des Alltags. Auch wenn die Bedrohung permanent das Leben bestimmt, findet Corrado die Zeit sein privates Glück zu suchen und stellenweise zu finden. Und das alles auf dem Schachbrett des Krieges. Die Wucht der sanften Worte haut den Leser nicht um. Vielmehr lässt man sich genüsslich in ihren Sog ziehen.

Der lebende Berg

Schon Hannibal Lector wusste, dass wir das am meisten begehren, was wir täglich sehen. So muss es auch Nan Shepherd ergangen sein. Sie sah Zeit ihres Lebens die Cairngorms vor sich. Diese Erhebungen im Nordosten Schottlands faszinierten sie. Sie reiste viel, von Norwegen bis Südafrika. Doch zu rück in der Heimat wusste sie, dass nur diese Berge ihr Glück bedeuten können.

In der Mitte der Vierzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts begann sie ihre Erlebnisse am, im und rund um die Cairngorms aufzuschreiben. Behielt sie aber drei Jahrzehnte in der Schublade. Nun sind sie in einer wunderbar gestalteten Neuauflage nachzulesen, zu bewundern und machen Lust auf Wandern. Auch diejenigen, denen das Auf und Ab nicht unbedingte Zuneigung abfordern, werden eingestehen, dass Nan Shepherds Worte Spuren hinterlassen.

Ihr Drang sich diesem Berg zu nähern, ihm seine Geheimnisse zu entlocken, ist atemberaubend. Kein Souvenirladen an den Hängen wird, kein Reiseguide wird mehr über diese Landschaft erzählen als die Englisch-Dozentin vom Aberdeen College of Education. Ob wolkenverhangene Gipfel, das glasklare Wasser, das duftende Moos, die gespenstischen Skelette der Bäume, die einzigartigen Aussichten … Nan Shepherd zieht mit ihren klaren Worten den Leser sofort in ihren Bann.

Man muss wirklich kein Wandervogel sein, um beim Blättern und Lesen ins Schwärmen zu geraten. So eindringlich wurde selten zuvor eine Landschaft beschrieben. Man will umgehend sich Wanderschuhe zulegen, die Koffer packen und auf ihren Spuren wandeln. Flora und Fauna kennt man ja bereits aus den zwölf Kapiteln. Und dennoch wird man sicher das eine oder andere entdecken, dass Nan Shepherd vors Auge kam. Denn die Region hat sich verändert.

Als sie zum ersten Mal das Gebirge erkundete, war sie fast allein. Als sie sich entschloss ihre Gedanken zu veröffentlichen, gab es Straßen, Hütten, zarte Anfänge einer Tourismuslogistik. Wie oft Nan Shepherd hier oben war, lässt sich nicht einwandfrei nachvollziehen. Es müssen Hunderte, wenn nicht Tausende Wanderungen gewesen sein. Wo andere ihren Namen ins Gehölz schnitzen, um Nachkommenden ihre Anwesenheit aufzudrängen, schweigt die Autorin. Sie wird das hinterlassen, was wirklich wichtig ist: Den Berg in all seinen Facetten. Sie isst, was ihren Weg kreuzt. Sie trinkt das frische Wasser, dass kaum ein paar Meter zuvor dem Berg entsprungen ist. Sie wandert trittsicher, wo andere ins Stocken kommen. Und sie berichtet so treffsicher wie Robin Hoods Pfeil im Ziel steckt. Ein Klassiker, der niemals seine Kraft verlieren wird!

Odenwald

Wer bei Odenwald die Assoziation mit Ödnis ins Spiel bringt, wird auf diesen über 300 Seiten, eigentlich schon ab den ersten Seiten, eines Besseren belehrt. Denn das Land zwischen Main und Neckar steckt voller Überraschungen. Vor allem für die, die eine verschlafene Enklave hinter hohen Bergen, zwischen tiefen Wäldern erwarten.

Sicher ist der Odenwald nicht die bevorzugte Destination für Adrenalinjunkies. Hier genießt man das Leben und die freie Zeit, die man sich verdient hat. Klar, Ebbelwoi ist eine Spezialität, die man auch über die Grenzen des Odenwaldes hinaus kennt. Doch wer kennt schon die Sarolta-Kapelle in Fränkisch-Crumbach? Kaum jemand. Wohl auch, weil sie nur an bestimmten Tagen zugänglich ist.

Von Darmstadt bis Heidelberg, von Heppenheim bis zum Limes. So lässt sich das Gebiet umreißen, das Autorin Stephanie Aurelia Staab dem Leser näherbringt. Immer wieder staunt man wie vielfältig die Region ist. Auf der einen Seite (in natura als auch im Buch) schwärmt man von weiten Apfelfeldern. Im nächsten Moment tut sich eine erhabene Burg auf. Oder die Natur gibt den Blick frei für tiefe Einsichten in die vulkanologische Geschichte. Erfüllende Aussichtspunkte, treffsichere Tipps für den knurrenden Magen – wer hier nicht sofort seine Siebensachen packen möchte, … muss einfach weiterlesen. Das Aha-Erlebnis stellt sich auf alle Fälle ein!

Wie zum Beispiel im Mümlingtal. Kennt auch kaum einer, der sich bisher noch nicht mit dem Odenwald und seiner Umgebung beschäftigt hat. Von Breuberg über Höchst, nicht das bei Frankfurt, und dann auf der B 45 immer Richtung Süden, bis zum Marbach-Stausee. Hat es immer noch nicht Klick gemacht? Macht nichts! Entlang der Mümling lässt es sich vorzüglich entspannen. Zauberhafte Fachwerkhäuser, Skulpturen, die den Wanderweg erhellen, ein Ort, indem man sich wie ein König fühlen darf, eine imposante Burganlage und zum Abschluss ein Sprung in ein Waldseebad – das sind nur ein paar wenige Höhepunkte, die man hier teils einsam, teils in geselliger Runde verbringen kann.

Fakt ist, wenn man eine Region als ein bisschen vergessen nennen kann, so ist es der Odenwald. Und noch einmal: Von Ödnis keine Spur! Die Wandermassen marschieren woanders. Bergstraße, Weinstraße, Heidelberg gehören zum Reiseband dazu wie das spannungsgeladene Warten auf den nächsten Urlaub. Nicht nur coronabedingt sollte man in seine Reisepläne den Odenwald unbedingt einbeziehen.

Wachau, Waldviertel, Weinviertel

Kaum vorstellbar, aber es gibt Menschen, die Wien überdrüssig sind und ihren Erlebnishorizont erweitern wollen. Und es vor allem auch können. Denn vor den Toren der Donaumetropole liegen – ganz ohne W, wie Wien, geht es doch nicht – die Wachau, das Wald- und das Weinviertel. Und von einem Viertel Erlebnis ist man hier meilenweit entfernt. Das volle Programm erwartet einen hier.

Selbst kleine Erhebungen von nicht einmal dreißig Metern schaffen ein Erlebnis, das man sonst lange suchen muss. Wie die Aubergwarte bei Zwettl im Kamptal im mittleren Waldviertel. Ein Aussichtsturm, der schon von Unten eine Augenweide ist. Ein gigantischer Holzturm, von dessen Aussichtsplattform man nach 130 Stufen einen umfassenden Rundumblick genießen kann.

Dürnstein in der Wachau gehört zu den Must-Dos der Region. Der einmalige blaue Kirchturm prägt jede Erinnerung an den nicht einmal tausend Einwohner zählenden Ort. Ob Richard Löwenherz sich ebenso verträumt an den Ort erinnert, darf bezweifelt werden. Er saß im Kerker oberhalb und hätte sicher gern auf diese Aussicht verzichtet. Damit ist er wohl der einzige Besucher des Ortes, der keine schönen Erinnerungen hat.

Beim Weinviertel hat jeder Genussmensch sofort nur einen Gedanken: Hoffentlich bleibt’s nicht dabei. Ein Viertele ist zu wenig. Und setzt man den ersten Schritt ins Weinviertel ist man jeder Sorge entledigt. Auf Schritt und Tritt begegnet man dem, was man noch in Jahren im Kopf herumschwirren hat. Die wuchtige Burg Kreuzenstein, die futuristische Turmschnecke in Stetten oder eine Kanufahrt in den Stockauer Donau-Auen. Man muss im Buch nur einmal umblättern und hat schon Ideen für mehrere Tage Erlebnisreisen.

Um sich zurechtzufinden in der Fülle an Erlebnistouren, die man hier erleben kann, ist der Reiseband exzellent gegliedert. Die Lotsenseiten geben einen raschen Überblick über die kommenden Seiten. So wird die Tagesplanung für die nächsten Tag ein Kinderspiel. Selbst wer nicht so viel planen möchte, kommt schon beim bloßen Lesen und Durchblättern in Zeitnot. Und für das Quäntchen Zusatzwissen sorgen die einmaligen farbig angesetzten Infokästen, die mit Anekdoten die kleinen grauen Zellen zum Schwingen bringen.

Moderne Architektur, traditionelle pittoreske Fassaden im gebrauchsfertigen Gewand lassen diesen Reiseband nicht oft im Rucksack verschwinden. Er schmiegt sich fest in die Hand und sein Inhalt setzt sich im Kopf fest, so dass die drei Viertel im Norden Wiens schon bald zum festen Ausflugsprogramm gehören werden. Auch ohne Wienabstecher gehören Wachau, Waldviertel und Weinviertel zu den unumstrittenen Höhepunkten.

Den Autoren Barbara Reiter und Michael Wistuba wurde es sicher leicht gemacht ihre Reisetipps zusammenzutragen. Sie in handhabbarer Form zu präsentieren ist ein Kunst, die die beiden exzellent beherrschen.

Der Teufel in der Schublade

Dichtersruh – ein Name wie Donnerhall. Hier zwischen den Giganten der Alpen liegt dieser kleine Ort. Sogar Goethe kehrte hier einst ein als er auf dem Weg gen Italien war. Noch immer ist der Streit, wo er denn nun abgestiegen war, nicht entschieden. Die Möglichkeit, dass er in keinem der heute ansässigen Unterkünften Rast machte, wird mit Konsequenz hinfort gewischt. Außerdem hat der deutsche Dichterfürst ein weiteres Erbe hinterlassen: So ziemlich jeder im Ort, der des Schreibens mächtig ist – was auf jeden zutrifft – fühlt sich berufen zum Schreiben. Klar, wenn Goethe hier war, muss das ja irgendwie abgefärbt haben…

Und so schreibt man das nieder, was sonst nur der Pfarrer zu hören bekommt. Eines Tages – bitte niemals den Goethe und schon gar nicht sein (Haupt)Werk außeracht lassen! – verschlägt es den Verleger Bernhard Fuchs, Dr. Fuchs, in das mehr oder weniger verschlafene Örtchen. Bei solch geballter literarischer Vielfalt muss man hier zumindest absteigen. So wie Goethe. Die Idee von einem Literaturpreis reift schneller als die Fallwinde das Tal erreichen können. Kantonsweit soll der Wettbewerb ausgeschrieben werden. Doch lieber wäre es allen, wenn er innerorts vergeben werden könnte. Auch wenn das den Zwist unter den Schreiberlingen vergrößern würde.

Ein Preisgeld gibt es auch schon. Nicht kleckernde zehntausend Franken winken dem Gewinner. Das Geld ist auch schon auf dem Weg. Versichert der Verleger. Die Bank ist eher eine kleine Bank, unbekannt. Aber das Geld ist unterwegs. Genau wie die Autoren des Ortes. Sie bedrängen den Verleger ihre Texte zu lesen, zu verlegen, preiszukrönen.

Naja es kommt alles anders als erwartet. Der Bürgermeister hat einen Unfall, ein Fuchs ist ihm vors Auto gelaufen. Ein echter Fuchs, nicht Doktor Fuchs. Der Pfarrer stirbt, sein Nachfolger, der sich oft mit Fuchs, also dem Verleger traf, muss nun alles regeln. Als dann auch noch ein Knall das Tal erhellt, bricht für so manchen die heile Welt entzwei.

Ich möcht‘ wissen was die Welt im Innersten zusammenhält. Mephisto hilf! Da hat Goethe was angerichtet! Das setzt er vor zweihundert Jahren das Gericht in die Welt, dass der Teufel immer noch sein Unwesen treibt. Und dass man den Gehörnten nicht auf den ersten Blick erkennt. Und nun steht der Leibhaftige in Dichtersruh seinen Schäfchen gegenüber? Ein köstlicher Spaß mit Schnitzeljagdcharakter. Denn die Geschichte wird aus allerlei Blickwinkeln erzählt. Mit jedem neuen Kapitel muss man sich einnorden auf den jeweiligen Erzähler. Ein teuflischer Plan des Autors!

Sächsische Schweiz

Die Schweizer müssen doch verrückt werden! Überall, wo es Berge gibt, heißt es gleich Schweiz. Die Fränkische Schweiz oder die Sächsische Schweiz sind die berühmtesten. In der Sächsischen Schweiz ist die höchste Erhebung aber gerade mal ein Achtel so hoch wie die höchste Erhebung der Alpenrepublik. Wobei es dort immer wieder Diskussionen gibt, welche denn nun diesen Titel tragen darf.

Dass die Sächsische Schweiz mit der originären Schweiz nur wenig zu tun hat, liegt aber nicht nur daran, dass kein Gipfel im vierstelligen Bereich auszumachen ist, sondern vor allem daran, dass sie wirklich einzigartig ist. Der Elbsandstein gab ihr den eigentlichen Namen, Elbsandsteingebirge. Für Kletterer ein Sinnesrausch erster Klasse. Für „normale“ Besucher ein Erholungsort, der je nach Anfahrtsweg gleich vor der Haustür liegt. Leider schafft es die Region nur bei Hochwassern regelmäßig in die Nachrichten. Wer schon einmal mit dem Zug gen Prag – oder in umgekehrter Richtung – gefahren ist, wird unmissverständlich in den Sog der Begeisterung gezogen, den die Landschaft unbestritten ausübt. Und mit der Festung Königstein gibt es hier einen Ort, der über die Landesgrenzen hinaus die Besucher in Strömen anzieht.

Doch das ist bei Weitem noch lange nicht alles, was die Sächsische Schweiz zu bieten hat. Detlef Krell beweist detailreich, dass man hier durchaus mehrere Tage, Wochen, Monate zubringen kann ohne dass ein einziges Mal Langeweile aufkommen könnte.

Von den offensichtlichen Punkten, die man einfach gesehen haben muss, über teils verschlungene Pfade bis hin zu Orten, die man ohne grundlegende Ortskenntnisse und ohne dieses Reisebuch wahrscheinlich niemals entdecken würde, führt er ein in eine Region, die eine große Dichte an Sehenswürdigkeiten zu bieten hat. Und um die man sie mancherorten sicherlich beneidet. Wie zum Beispiel die Gemeinde Rosenthal-Bielatal. Der Begriff Ruhefinden scheint eigens für diesen Ort erfunden. Oder die Umgebindehäuser im Weißbachtal. Der rustikale Charme lässt automatisch den Wanderschritt verlangsamen. Wen es nach so viel Erholung und Entschleunigung dann wieder in den Trubel der Stadt zieht, für den hat das Kapitel über die sächsische Landeshauptstadt so manche Überraschung im Reisegepäck.

Man kann die Sächsische Schweiz auch ohne Reisebuch erkunden. Immer der Menschenschlange folgen, sich einreihen und dann Aussichtspunkten warten bis man an der Reihe ist. Wer jedoch ungestört als Erster in der Reihe stehen will, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Die Karten sind übersichtlich, die Tipps ausgeklügelt und sorgfältig ausgewählt.

Das kleine Licht

Wenn einem ein Gedanke nicht mehr aus dem Kopf geht, muss man was dagegen tun. So denkt auch der einsame Mann, in den einsamen Bergen, in seiner einsamen Berghütte. Und zwar als er auf der gegenüberliegenden Seite des einsamen Tales ein Licht sieht. Jeden Tag. Jeden Tag zur gleichen Zeit erscheint es. Und es lässt ihm keine Ruhe. Was ist das? Was ist dort? Ist es hier vielleicht doch nicht so einsam wie vermutet? Er entschließt sich dorthin zu fahren, von wo das kleine Licht ihm die Nerven zerbrechen lässt. Auf dem Weg trifft er Menschen, die noch nie was von dem Licht gehört haben, geschweige denn es selbst je gesehen haben. Nur einer hat es ebenfalls schon mal gesehen. Für ihn sind es Außerirdische. Naja, eine befriedigende Antwort hört sich anders an.

Der einsame Mann findet die Stelle und ist überrascht, was er da sieht – was er erhofft hat zu finden, kann er eh nicht in Worte fassen. Ein kleiner Junge lebt dort. Er wäscht ab, bügelt seine Sachen, macht Hausaufgaben. Mama und Papa sind nicht da, sind weg. Einfach nicht existent. Und jeden Tag geht der kleine Junge durch den dunklen Wald zur Schule. Er lernt fleißig, doch die Lehrer verzweifeln an ihm. Die Mitschüler hänseln ihn. Er scheint keine Leuchte zu sein.

Doch die Szenerie ist irgendwie geladen. Das spürt der Mann sofort. Der Junge will sich nicht helfen lassen. Sein Fatalismus ist erschreckend, aber auch mutmachend. Der Kleine braucht keine Hilfe, so sehr sie ihm von dem Mann auch angeboten wird. Das ist verstörend … für den Mann. Doch es soll noch unerklärlicher werden als er es sich jemals ausmalen könnte.

Die Idylle der abgeschiedenen Berge ist für Antonio Moresco der ideale Nährboden für seinen Kurzroman. Die einfache Sprache passt ins Bild der Einöde in den einsamen Bergen. Hier ist nicht viel los. Arbeit und nochmal Arbeit bestimmen den Tagesrhythmus. Keine Zeit zur Klage, keine Zeit, um über Dinge grübeln, die eh nicht zu verändern sind. Doch hier oben ist die Welt nicht so in Ordnung (im wahrsten Sinne des Wortes) wie es sich so mancher Teilzeitaussteiger gern vorzustellen wünscht. Und schlussendlich ist die Begegnung mit dem Jungen, der den Kitt aus den Fenstern der Schule aß, ein Treffen mit einem sehr vertrauten Menschen…

Italien – Porträt eines fremden Landes

Das Schwierigste am Porträtieren ist wohl das Stillsitzen. Immer wieder muss man zur Sitzung erscheinen und darf sich nicht bewegen. Und wenn der zu Porträtierende auch noch Italien heißt, ist das wohl eine noch größere Herausforderung. Ständig in Bewegung. Denn so gut wie man meint Italien zu kennen, so groß die Überraschung, wenn man dieses Buch Seite für Seite in sich aufsaugt, um festzustellen, dass Italien zwar immer noch ganz nah und doch so fern ist.

Dieses Buch ist ein abwechslungsreicher Sommertag. Er beginnt mit Sonnenschein allenthalben. Das ist die Vorfreude auf das Buch. Es ziehen jedoch schon bald ein paar kleine Wölkchen auf. Man liest und ist stellenweise irritiert. Kündigen die Wolken Sturm oder gar Regen an? Nein. Sie gehören zu einem gelungenen Tag dazu. Denn Italien ist nicht nur das Land, in dem man Urlaub macht, wo die Zitronen blühen und Caffe, Aperitivo, Vino, Pasta und Pizza einzig allein die Kultur ausmachen. Am Abend hat sich die Sturmfront gelegt. Die letzte Seite ist gelesen, das Italienbild hat sich geändert. Ohne den Glanz des Landes erblassen zu lassen.

Thomas Steinfeld, ehemaliger Literaturchef bei der Frankfurter Allgemeinen und später Literaturressort- und Feuilletonleiter bei der Süddeutschen, reist vom Piemont über Ligurien durch die Toskana und Rom bis Neapel und Sizilien, um über Marken, die Emilia Romagna, die Poebene gen Norden, also Veneto und Mailand seine Reise abzuschließen.

Vieles, was er sieht, wird hinterfragt. Wie beispielsweise das farbenprächtige und vor allem lautstarke Spektakel des Palio in Siena. Die einzelnen Stadtteile, contrada genannt, schicken je einen Reiter samt Ross in einen rasanten Wettkampf. Der Mutigste, der Schnellste, der Ehrbarste wird wie ein Held gefeiert. Für Besucher die pure Verkörperung des Mittelalters und eine Verneigung vor „der guten alten Zeit“. Falsch! Das, was da Anfang Juli und Mitte August stets für überfüllte Gassen und Hotels sorgt, hat seinen Ursprung  vor langer Zeit. Doch die heutige Form des Reiterwettkampfes kann erst in ein paar Jahren auf ein Jahrhundert zurückblicken. In Italiens Landwirtschaft wird mittlerweile mehr Hindi und in der Industrie mehr Ibo gesprochen als italiano. Die Rettung Venedigs wird immer teurer. Neapel verweigert sich standhaft der weltweiten Gentrifizierung. All das ist Italien. Divers, strikt, und nicht einzufangen.

Man muss nicht enttäuscht sein, wenn Thomas Steinfeld mit Wissen, Wortwitz und Grandezza die Oberfläche des touristischen Italiens zerkratzt. Im Gegenteil: Man muss ihm dankbar sein, dass endlich einmal alles ins rechte Licht gerückt wird. Sicherlich sind Sehnsuchtsorte immer Orte, die verklärt werden. Doch dieser Schein verblasst schnell, wenn man sich einmal darin gesonnt hat. Schaut man jedoch unter die oberste Schicht, kommt Geschichte zu Vorschein. Und das ist es doch letztendlich, was man sucht! Dieses Buch liest sich so leicht wie man ein Gelato schleckt. Und das ist der Verdienst des Autors.

Salzburg Salzkammergut

Das ist mal gutes Tourismusmarketing: Salzburg an der Salzach, zu Füßen des Salzkammerguts. Klingt nach einem würzigen Erlebnis. Und als Highlight eine der süßesten Verführungen.

Bleiben wir doch gleich bei den süßen Verführungen. Noch bevor man Festspiele sagen kann oder die eine oder andere Sonate von Mozart gehört hat, bringt jeder von klein auf Salzburg mit den Mozartkugeln in Verbindung. Doch Vorsicht! Es gibt tonnenweise Fälschungen! Die Echten Mozartkugeln sind in Silberfolie mit blauem Aufdruck versehen. Da der Markenname nicht geschützt ist, darf jeder ein bisschen Marzipan mit Schokolade überziehen und diese Kugeln dann Mozartkugeln nennen. Original sind selbst in Salzburg nur wenige. Wo es sie gibt, das wissen natürlich die Autoren Barbara Reiter und Michael Wistuba.

Hat man dieses Must Have hinter bzw. in sich, kann man sich auf die Socken machen und Salzburg genauer unter die Lupe zu nehmen. Gestärkt ist man schließlich. Und wer meint, dass mit Mozart, dem Schloss Mirabell und der Burg da oben auf dem Berg (Festung Hohensalzburg) der Stadt Genüge getan ist, irrt sich mächtig. Salzburg hat mehr zu bieten als nur einen Tag in dieser Stadt gehaltvoll zu verbringen. Es dauert allein schon ein paar Stunden, um alles zu erlesen, was man staunend erlaufen und laufend bestaunen kann. Das reicht von den Katakomben, vermutlich Gebetsräume, die in den Fels gehauen wurden, mehr als anderthalb Jahrtausende alt. Und es zieht sich durch ganz Salzburg wie der Almkanal, der wenn er das Tageslicht erreicht architektonisch ein Hingucker ist. Den Brückenschlag in die Moderne vollendet dann das gleichnamige Museum auf dem Mönchsberg. Der Glanz vergangener Tage scheint in Salzburg immer noch taghell, selbst wenn einmal Wolken den Blick nach Oben verschleiern sollten. Und wer das Wasser scheut, also das von Oben, für den haben die Autoren mindestens genauso viel Tipps die Zeit sinnvoll herumzubekommen, wie für alle, denen ein paar Regentropfen nichts ausmachen.

Das Salzkammergut erstreckt sich östlich bis südöstlich von Salzburg. Attersee und Wolfgangsee (der mit dem Weißen Rössl) sind sicherlich die bekanntesten Orte. Dachstein und Totes Gebirge sind für Wanderer und Bergsteiger ein Begriff. In Bad Ischl muss man am Traunufer flanieren wie einst die Habsburger. In Obertraun, genauer um die Koppenbrüllerhöhle herum, laufen einem die Augen über. Reißende Gewässer, wie gemalte Brücken, saftige Natur – was braucht man mehr? Darauf gibt es nur eine Antwort: Diese Reiseband. Mit viel Liebe zum Detail, einem enormen Erfahrungsschatz und dem Willen dem Leser eine Region schmackhaft zu machen, die allzu oft hinter anderen Regionen Österreichs zurückstecken muss. Salzburg als Ausgangspunkt ins Salzkammergut ist kein schlechter Anfang, um diese Region zu erkunden. Und alles ist so einfach, wenn man sich die Zeit nimmt dieses Buch als vollwertigen Reiseguide anzunehmen.

In der Schweiz

Tom Sawyer und Huckleberry Finn hatten Mark Twain zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Das gefüllte Wallet erlaubte dem Reporter Twain über den Tellerrand, sprich Atlantik, zu schauen. Nur um zu schauen, was in der „Alten Welt los ist“. Das geflügelte Wort „Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen“ trifft in seinem Fall nicht ganz zu. Wenn Mark Twain eine Reise tut, so schreibt er ein Buch! „In der Schweiz“ ist nicht einfach nur ein Klassiker des Genres Reisebericht, es ist der Reisebericht, an dem sich seit fast anderthalb Jahrhunderten viele Reiseschriftsteller die Zähne ausbeißen.

1878/79 reiste Twain durch Europa. Italien und Deutschland lagen auf seiner Route. Und natürlich auch die Schweiz. Die Faszination Schweiz von heute ist mit der von damals durchaus zu vergleichen. Und so schippert Twain über den Vierwaldstättersee und der Leser kann – sofern er dieses Büchlein dabei hat und selbst auf dem See beispielsweise von Weggis nach Flüelen unterwegs ist – dieser Faszination nicht nur etwas abgewinnen, sondern immer noch so nachempfinden. Das Publikum ist ein anderes. Aber heute noch wird man so manches Unikat antreffen können.

So wie Twain, der hier als anonymer Erzähler in Erscheinung tritt, jedoch keinen Zweifel daran lässt, dass dessen Name Twain, Mark Twain ist. So trifft er einen äußerst aufgeschlossenen Landsmann. Einer wie er im Buche steht. Small Talk auf unterstem intellektuellen Niveau. Toleranz ja, Akzeptanz – da hört der Spaß mit und in der Fremde auf. Dieser Amerikaner gibt dem Erzähler / Twain Tipps, wo er abzusteigen hat. Er weiß alles, kennt jedes Hotel und kennt so ziemlich jeden Amerikaner, der zur selben Zeit wie er in der Schweiz weilt. Twain macht sich einen Spaß daraus diesen Landsmann zu foppen. Immer wieder lässt er sich beratschlagen, wo er absteigen solle. Natürlich dort, wo die meisten Amerikaner sind. Der Amerikaner verbringt so viel Zeit in Hotelllobbies, dass er alle kennt. Twain reist lieber außerhalb der Hotels und beschaut sich Land und Leute. Und kauft eine Kuckucksuhr…

Einhundert vierzig Jahre ist dieser Reisebericht alt. Und immer noch so frisch wie am ersten Tag. So duftend wie eine Alm. So rein wie ein kehliges Kinderlachen. So unübertroffen auf den Punkt wie Tells Pfeil im Apfel. Kann man sich doch einmal von der Umgebung loseisen, so sollte man sich in dieses Buch vertiefen und den Worten Twains folgen. Ein befreiendes Gefühl zu erleben, dass manches sich eben doch nicht ändern wird.