Joe Prohaska – Istrien

Der letzte Einsatz endet mit einer unfreiwilligen Blutspende und Fleischfetzen am rechten Arm. Seine einzige Liebe trifft unverhofft der Schlag. Josef Prohaska hat es nicht leicht gehabt in der Vergangenheit. Doch nun fasst der Kommissar aus Stuttgart neuen Mut und den Entschluss, dass die Zeit der Trauer und des Nichtstuns vorbei sein muss. Und ein neuer, ruhiger Lebensabschnitt auf ihn wartet. Und zwar im istrischen  Rovinj. Dort, woher sein Vater stammt. Dort, wo er die Vatersprache lernte. Dort, wo Ivo, sein Freund seit Kindestagen wohnt und ihm eine stille Teilhaberschaft am Fotogeschäft angeboten hat. Ja, Fotografieren war mal ein Hobby. Eines, das er ganz gut beherrschte. Dem Abschied von der schwäbischen Heimat steht nichts mehr im Weg…

Hier in Rovinj lebt ein außergewöhnlicher Mensch, Drago Blagić. Er besitzt die unwahrscheinliche Gabe zweimal zu sterben. Mystisch? Mit nichten. Denn Drago Blagić heißt eigentlich Blagoje Draković und ist einer von vielen Kriegsverbrechern, denen bis heute immer noch nicht das Handwerk gelegt werden konnte. Im Balkankrieg befehligte er eine Kompanie, die für ihre Grausamkeit berüchtigt war. Brandschatzungen waren da noch das kleinere Übel in ihrem widerwärtigen Portfolio.

Erich Jäger kennt sich bestens auf dem Balkan aus. Zwei Jahre hat der Journalist noch bis zur Pensionierung. Dann will er Bücher schreiben. Vorher noch einmal nach Istrien. Ein Informant hat wichtiges Insiderwissen, das er nun mit Jäger teilen will. Soweit kommt es nicht. Gerade als Jäger im Pool planscht, sich ausmalt wie seine Geschichte einschlagen, wie er einem Kriegsverbrecher die Maske herunterreißt, reißt ihn eine Kugel unter Wasser und eine zweite endgültig aus dem Leben.

Und Frührentner Josef Prohaska? Der kann natürlich nicht aus seiner Haut. Er muss einfach seine Spürnase in die Sache stecken. Zumal er ja auch irgendwie schon drinsteckt. Nora, die attraktive Mitarbeiterin des Tourismusbüros hat es ihm angetan. So geheimnisvoll wie sie ist … Wenn Joe wüsste.

Silvija Hinzmann macht es dem Leser nicht leicht. Nora und Drago bzw. Blagoje, ein Sohn, der aus falsch verstandener Ehre den Vater beschützt. Ein Journalist, der Witterung aufgenommen hat. Ein Krieg, der bis heute spürbare tiefe Wunden hinterlassen hat und wohl nie zu Ende gehen wird. Und zwischendrin ein Ex-Polizist, der in der Fotografie die Erfüllung seines Lebens bzw. einen Neuanfang sucht. Die Unterzeile „Prohaskas erster Fall in Istrien“ lässt es erahnen: Einmal Bulle, immer Bulle. So wie es Prohaska in diesem Krimi des Öfteren prophezeit wird. Joe muss wohl noch mindestens einmal ran …

 

Aber nun endlich: Vorruhestand genießen. Joe Prohaskas Plan ging beim ersten Versuch nicht auf. Als Ex-Buller half er einen Mörder zufassen, obwohl er in Istrien nur noch für die Fotografie und die nötigsten Dinge einen Finger rühren wollte. Das „Ruhe“ in Vorruhestand sollte nun seinen Lebensrhythmus bestimmen.

In den Bergen ist Joe Prohaska auf Motivsuche und trifft in einer Konoba, ein kleines Restaurant mit einfacher Küche, rustikal eingerichtet, typisch für Istrien und Dalmatien, Bartolo Monti. Der feiert in ein paar Stunden ganz groß seinen 79. Geburtstag. Er wurde hier geboren, machte aber eine typische Vom-Tellerwäscher-Zum-Millionär-Karriere in den Staaten. Nun ist er zurückgekommen. Er sieht seinen Heimatort vor die Hunde gehen: Kaum noch Einwohner, die Häuser verfallen, das Ende des Dorfes absehbar. Er will hier alles aufkaufen, sanieren und einen Touristenort kreieren. Das passt nicht allen, doch so kurz vor der großen Feier ruiniert man sich nicht die Stimmung.

Als Bartolo Monti erfährt, dass Joe einmal Polizist war, nimmt er ihn gleich in Beschlag. Er solle doch mal seinen Stiefsohn unter die Lupe nehmen. Dessen Umgang interessiert ihn brennend. Prohaska nimmt an, kann ja nicht so schwer sein. Und außerdem kann es nicht schaden die alten Fähigkeiten noch einmal am lebenden Objekt zu prüfen.

Apropos lebendes Objekt: Am nächsten Morgen ist Bartolo Monti tot. Gestürzt? Herzanfall? Joes Spürnase wittert etwas anderes. Genauso wie die geheimnisvolle Ines, die plötzlich in dem kleinen, unbedeutenden Ort auftaucht und in der Konoba Arbeit findet. Und auch die Typen, die ihn – schienbar im Auftrag eines Unbekannten – zusammenschlagen.

Kurz nach dem Kennenlernen hat Bartolo Monti Joe Prohaska von einem Schatz erzählt, der er als Kind, kur z vor der Auswanderung nach Amerika, Dieben stibitzt und in einem Loch versteckt hat. Dieses Geheimnis hat er jahrzehntelang gehütet. Eigentlich wollte er diese Reise nutzen, um ihn ans Tageslicht zu fördern. Mittlerweile wissen aber mehrere Personen von dem Schatz…

Silvija Hinzmann schickt Joe Prohaska in die unberührten Höhen des Karsts. Hier ist die Luft rein, die Natur noch intakt, doch Neid und Missgunst bis hin zu nie vergessenen Taten trüben die Idylle. Joe muss aufpassen wem er was sagt. Freunde findet er schnell. Aber er trifft auch jede Menge Menschen, die ihm misstrauen und sich wegen seiner beruflichen Vergangenheit bedeckt halten. Inspektor Rossi und die Wirtin der Konoba sind die einzigen, denen er vollends vertrauen kann und die ihm vollends vertrauen.

 

Als Joe Prohaska bei der Stuttgarter Polizei anfing, hat ihm bestimmt niemand erzählt, dass der „Job“ ein Leben lang hält. Als Mario mit dem Fahrrad durch den Wald an der Küste entlang radelt, um Belinda endlich einmal in Ruhe sprechen zu können, malte er sich schon die Zukunft mit ihr aus. Als Rudi und Marina beschlossen zu heiraten, ahnten sie nicht, dass sie der Ausgangspunkt einer Ermittlung werden. Als Ivo in seinen Fotoladen kommt, in dem Joe Teilhaber ist, findet er ein Päckchen mit einem Pinsel, der ein verdächtiges Rot aufweist. Das Schicksal hat schon einen ganz besonderen Humor.

Joe weiß mit dem Päckchen auch nicht viel anzufangen. Doch die Zeitung, in der das „Geschenk“ eingewickelt ist, stammt aus Stuttgart. Ein kleiner Artikel erinnert Joe an einen Typen, den er mal verhaftet hat. Und der ewige Rache schwor. Der verrückte Tag ist noch nicht zu Ende. Sabrina warnt ihn, dass ein gewisser Mirko Ribar in der Stadt ist. Joe Prohaska dämmert es. Er hatte ihn damals verhaftet, wegen Mordes wurde er lebenslang ins Kitchen gesteckt. Jetzt ist er draußen und Sabrina hat ihm, dem Ex-Bullen, einen Hinweise geschickt. Dass es ausgerechnet ihr Sohn ist, der den Toten in der Bucht gefunden hat, mag Zufall sein. Doch daran glaubt Joe Prohaska schon lange nicht mehr.

Ivo hatte außerdem noch einen kleinen Job als Hochzeitsfotograf von Rudi und Marina anzubieten. Sehr kurzfristig, aber machbar. Nur ein paar Bilder schießen, als Erinnerung. Eine Branka hat sich bei Ivo gemeldet und fragte, ob Joe das nicht erledigen könne.

Bevor jedoch Joe Prohaska sich mit dem Gedanken anfreunden kann, dass er nicht mehr der Polizist ist, sondern ein geschickter Fotograf, sitzt er mächtig in der Patsche. Sein Wagen wird abgedrängt, er wird zusammengeschlagen, Rudi, der Bräutigam ist verschwunden, und Sabrina, die Tippgeberin, macht eine Andeutung nach der anderen. Für Joe alles nur Puzzleteile. Die will er zusammenfügen. Dass so „ganz nebenbei“ Mirko Ribar in dem gleichen Restaurant speist wie Joe – wie gesagt, an Zufälle glaubt Joe schon lange nicht mehr.

Joes Freund, Kommissar Rossi hat es derweil mit einer Leiche in Punta Corrente zu tun. Wenig Zeit, um dem Freund und ehemaligen Kollegen zu helfen. Das soll sich allerdings bald schon ändern…

Silvija Hinzmann lässt Joe Prohaska sich im Spinnennetz familiärer Verwicklungen verstricken. Wer mit wem? Warum? Diese Fragen sind für den gewieften Ermittler schwer zu beantworten. Doch so unerschrocken er sein bisheriges Berufsleben meisterte, so entspannt widmet er sich nun seiner neuen Herausforderung. Eigentlich Fotograf, doch im Nebenberuf Privatschnüffler ohne Dienstausweis. Das macht ihn zum perfekten Ermittler und Helfer der Polizei. Ihm vertraut man. Nicht auf Anhieb, doch nach einer kurzen Weile will man nur noch von ihm verhört werden. Selbst ehemalige Kontrahenten schätzen den Edelmut des schwäbischen Kommissars, der die besten seiner Jahre an der istrischen Küste verbringt.

 

Es ist stockfinstere Nacht als eine junge Frau, ihrer Träume beraubt, doch Herrin ihrer Sinne durch den Wald läuft, den Wagen startet und sich auf und davon macht. Auf und davon von dem Mann, der sie immer wieder gedemütigt und vergewaltigt hat. Der sie an Milan und seien Kumpane verkaufte, damit sie sich an ihr … Es ist stockfinstere Nacht als Victor und Karlović ein Haus im Wald von Ičići anzünden wollen. Sie bemerken noch eine Bewegung, einen fortfahrenden Wagen. Doch die Rache, die sie nehmen wollen, ist wichtiger als jede Vorsicht.

Jetzt von den berühmten zwei Seiten einer Medaille zu sprechen, wäre verfrüht. Denn auch im Gemüt von Joe Prohaska herrscht wieder stockfinstere Nacht. Er hat einmal mehr wieder eine Phase in seinem Leben erreicht, die ihm seine jetzige Situation aufzeigt. Er denkt zurück wie es damals war als er angeschossen wurde, sich immer mehr zurückzog, seine Frau sich das Leben nahm, er frühpensioniert wurde und schließlich in Istrien landete.

Als Ivo, sein Geschäftspartner aus dem Fotoladen ihm zusetzt, er solle doch zu dem abgebrannten Haus in den Wäldern fahren, um zu fotografieren, sprich um auf andere Gedanken zu kommen – ach Ivo, Du gute Seele! – riecht Joe den Braten. Doch auch ihm ist bewusst, dass er etwas tun muss, damit er nicht in Depressionen verfällt. Nicht noch einmal!

Joe Prohaska hat immer noch sein Buchprojekt, einen Bildband im Kopf. So treibt es ihn auch nach Hum. Dort trifft er Alma und ihre Nichte Marina wieder. Alma, eine ältere Dame, die er schon einmal portaitiert hat und die eine signierte Ausgabe von seinem Buch erhalten wird, wenn es denn jemals fertig wird. Ein wenig Abwechslung, um sich abzulenken. Doch der Fall des abgebrannten Hauses lässt ihn nicht los. Als dann auch noch Kommissar Rossi ihn um Hilfe bittet, kann er nicht anders als zuzusagen. Joe Prohaska soll die Freundin des ermordeten Besitzers des abgebrannten Hauses finden. Miro, wurde verkohlt in den Resten seines Hauses gefunden. Dass er nicht als sauber einzustufen ist, wird bei der Durchsicht der Akten schnell klar. Prostitution und Drogenhandel sind offensichtlich, wurden ihm aber nie nachgewiesen. Doch wie soll man jemanden finden, der partout nicht gefunden werden will. Der von Leuten gesucht wird, denen Mittel zur Verfügung stehen, von denen die Ermittlungsbehörden nur träumen können. Das Beste wäre, wenn sich die ominöse Freundin, die offiziell als Tatverdächtige für die Brandstiftung mit Todesfolge (das ist das Mindeste, was als Anklagepunkt zu erwarten ist), das Beste wäre es die Frau würde bei Prohaska klingeln und sich ihm offenbaren. Wer weiß, Wunder soll es ja immer wieder geben…

Zum vierten Mal lässt Silvija Hinzmann ihren Joe Prohaska die dunkle Seite des Pensionärslebens spüren. Nichts tun ist auch keine Option für den ruhelosen Ex-Kommissar. Man sollte ihn nur nicht treiben. Er weiß schon, was zu tun ist. Das Ergebnis seiner Ermittlungen jedoch haut selbst den erfahrenen Prohaska aus den Schuhen.

 

Joe Prohaska ist gerade in seinem Fotoladen angekommen, den er mit Ivo zusammen betreibt als sein Telefon klingelt. Tante Olga ist tot, sagt Marija. In dem Alter nicht verwunderlich, trotzdem traurig. Ob er denn zur Beerdigung kommen könne und wolle, fragt Marija. Und schiebt gleich hinterher, Lydia komme auch. Wahrscheinlich. Für den Fall, dass Joe tatsächlich überlegen wollte, ob er der Tante, die er seit Jahren nicht gesehen hat, deren Verwandtschaftsverhältnis nicht ganz eindeutig ist, die letzte Ehre zu erweisen, ist mit der möglichen Ankunft Lydias jeder Zweifel hinfortgewischt. Lydia. Damals. Als er und sie Teenager waren. Ja, er und sie… das hätte was werden können. Hätte. Wurde aber nichts daraus. Denn sie und ihre Mutter wanderten ziemlich abrupt von einem Tag auf den anderen nach Kanada aus. Der versprochene Briefwechsel blieb einseitig. Von Joes Seite aus.

Und tatsächlich. Lydia ist zur Beerdigung gekommen. Das Wummern im Herzen ist immer noch da. Auf beiden Seiten. Die alte Verbindung, die vor Jahrzehnten durch ihre Schüchternheit unterbunden wurde, ist wie aus dem Nichts wieder da. Lydia vertraut Joe an, dass Tante Olga wahrscheinlich nicht eines natürlichen Todes gestorben sei. Und er – als ehemaliger Polizist – könnte doch … weil er es kann … na ja, sich ein bisschen umhören. Ermitteln. Und nur Lydia und Joe wissen Bescheid, dass das Ableben der Tante eine andere Ursache als die des Alters haben könnte. Konjunktiv und vage Vermutungen, viel- und nichtssagende Andeutungen beherrschen den fünften Roman über den Ex-Kommissar Joe Prohaska, der seinen Lebensabend in Istrien doch nicht so verbringen kann wie man es erwartet. Er war, ist und bleibt immer der Bulle mit der Spürnase fürs Geschäft.

Das Dorf, in dem Tante Olga wohnte ist auf dem Fundament des Schweigens gebaut. Falschheit und Missgunst sind der Kitt der hier alles zusammenhält. Sobald die Fassade Risse bekommt – und das wissen alle Bewohner, und selbst Joe und Lydia – wird es ein Inferno geben, dem man nicht entkommen kann. Soll man die Vergangenheit ruhen lassen? Lydia hat nur eine Ahnung davon, was damals dazu führte, dass sie und ihre Mutter überstürzt nach Kanada auswanderten. Dass sie allein daran die Schuld trägt, ist möglich. Denn sie hat selbige auf sich geladen. Das vorsichtige Herantasten an die Verwandtschaft wird zu einem Geduldsspiel, für das weder Joe noch Lydia die Zeit haben. Doch die Neugier nach den wahren Ursachen für Tante Olgas Tod ist stärker als die Vernunft…