Im Schatten des Banyanbaums

Im Schatten des Banyanbaums

Kambodscha Mitte der 70er Jahre. Raami ist ein kleines neugieriges Mädchen, das es kaum erwarten kann die Welt da draußen zu erkunden. Die Welt da draußen, das ist Südostasien außerhalb des großzügigen Anwesens, dass ihrer Familie gehört. Sie ist es direkte Nachfahrin der königlichen Familie. Herumtollen, die Erwachsenen mit Fragen löchern, Traditionen pflegen – so sieht ihr Alltag aus. Immer umsorgt von Milchmutter, Mama und der Königin Großmutter. Über allem thront ihr Vater, Philosoph und Geschichtenerzähler in einem. Für Raami der perfekte Platz, um aufzuwachsen.

Am Neujahrstag des Jahres 1975 endet dieses phantasievolle, behütete, grenzenlos freiheitliche Leben abrupt. Die Roten Khmer übersäen Kambodscha mit Hass, Misstrauen und irrationalem Handeln. Schon allein wer eine Brille trägt, ist verdächtig. Und wer verdächtig ist, gehört ausgemerzt. Wie soll es da erst dem einstigen Adel ergehen?

Von Heute auf Morgen wird Raamis bunte Welt in ein tristes Schwarz getaucht. Denn die Revolutionsbrigaden der Roten Khmer erlauben keine Freude, auch keine Farbenfreude. Auch übernimmt die „Organisation“ – hinter diesem Vehikel verstecken sich die meist ungebildeten, nicht einmal Lesen könnenden „neuen Herrscher“ – das Denken, bestimmt, was richtig und was falsch ist.

Schlimmer kann es nicht kommen? Oh doch! Die Familie wird auseinander gerissen. Waren sie erst in einer Tempelschule untergebracht, geht es nun aufs Land. Ohne den geliebten Vater. Der opfert sich, um seiner Familie so manche Pein zu ersparen. Für Raami, die sich schon immer mehr zu ihrem Vater als zu ihrer Mutter hingezogen fühlte, die schmerzlichste Erfahrung in ihrem noch jungen Leben.

Die harte Arbeit steckt das tapfere Mädchen weg. Immer wieder erinnert sie sich an die Geschichten ihres Vaters, diese erfüllen sie mit Hoffnung, und stärken sie für den nächsten Tag. Denn eines können die Roten Khmer nicht: Ihren Willen brechen.

Mit Phantasie und außergewöhnlicher Sensibilität fasst Vaddey Ratner ihr eigenes Schicksal in die Geschichte von Raami. Sie selbst wurde als Mitglied der Königsfamilie verschleppt, enteignet, gedemütigt. Auch ihr gelang die Flucht. Welch ein Glück, so können wir dieses Buch nun genießen. Vaddey Ratner schildert mit sanften Worten wie sie in ein neues hartes Leben gestoßen wurde. Die Wärme der Familie, der Kühle spendende Banyanbaum, die Herzlichkeit als Schutzschilde gegen die Rohheit der Zeit. Die Poesie der Worte mildert die Gräueltaten der Roten Khmer.