Potsdam MM-City

Das hatte man sich anders vorgestellt. Im Oktober sollten die Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit in Potsdam stattfinden. Straßenzüge wurden schon umgestaltet, alles war präpariert und dann dieses Virus. Potsdam zog das kurze Streichholz und durfte sich nicht als sicherer exzellenter Gastgeber zeigen. Das Virus wird – hoffentlich bald – Vergangenheit sein. Die Vorbereitungen sind für die Katz gewesen. Doch Potsdam deswegen nun abzuschreiben, wäre ein unverzeihlicher Fehler. Die hatte, hat und wird immer etwas zu bieten haben, das es lohnt besichtigt zu werden. Und das ist eben nicht nur Sanssouci, auf dessen Gelände der momentan geforderte Mindestabstand niemals eingehalten werden könnte.

Nähert man sich Potsdam auf der B1 von Berlin kommend, wird einem schon um den Ortseingang die Geschichtswürdigkeit der Stadt bewusst. Die Glienicker Brücke ist auf den ersten Blick hübsch anzusehen. Doch ihre Geschichte ist mehr als nur eine Geschichte. Einst war er es der Ort, an dem Ost und West – wie es im Nachhinein so lapidar immer heißt – ihre Schnüffler, sprich Spione austauschten. Dass man von hier eine Aussicht über mittlerweile wieder viel befahrene Seen hat, entgeht denen, die ihr Fahrzeug nicht am Straßenrand parken und einen Bummel über diese historische Brücke wagen. Besonders zu empfehlen in den sommerlichen Abendstunden, wenn die Sonne ihr Antlitz in warme Rottöne taucht.

Und schon ein paar Fahrminuten weiter gen Potsdam City, links abbiegen, erreicht man einen Ort, der noch vor einem Vierteljahrhundert ganz woanders stand. Das Hans-Otto-Theater. Ein futuristisch anmutender Musentempel, der in einem kulturellen Schmelztiegel ein neues Zuhause gefunden hat. Die Uferpromenade am Nachmittag lädt zum Spazierengehen und Erholen ein, am Abend ein Hochgenuss der Extraklasse.

Potsdam versteckt sich nicht hinter der großen Schwester gleich nebenan, Berlin. In ihrem Schatten, besser in ihrem Fahrwasser entwickelte sich die Hauptstadt Brandenburgs zu einem Juwel, das es schon einmal war. Mittendrin der Alte Markt. Die Autoren Michael Bussmann und Gabriele Tröger weiten ihren Spaziergang in diesem Viertel auf knapp zwei Stunden aus. Zwei Stunden, in denen man von Minute zu Minute tiefer in die Geschichte eintaucht, ohne jemals in Versuchung innezuhalten, weil es nicht spannend genug sein könnte. Die Straße am Kanal lässt es schon vermuten, dass hier irgendwo ein Kanal ist. Naja, es war mal einer da. Bis Ende des 19. Jahrhundert war hier tatsächlich mal ein Kanal. Doch der trocknete nach und nach aus und so schüttete man ihn nach anderthalb Jahrhunderten wieder zu. Zu Beginn dieses Jahrtausends wurde ein Teil wieder ans Licht gehoben, und zu besonderen Anlässen sprudelt es hier das kühle Nasse. Wie eingangs erwähnt, 2020 war es nicht der Fall, obwohl der Anlass es mehr als wert gewesen wäre.

Zwischen Bassin- und Luisenplatz führt die zweite von sechs vorgestellten Touren. Auch hier wieder der Bezug zu Berlin, das Brandenburger Tor. Kleiner, dafür älter als das um die Ecke. Die prunkvolle französische Kirche und die Stasi-Gedenkstätte Lindenhotel, wie es einmal genannt wurde, zeugen bis heute von der Bedeutung Potsdams.

Potsdam gehört nicht zu den größten Städten in Deutschland. Die Geschichte der Stadt und ihre Hinterlassenschaften laden immer noch zum Bummeln ein, und ein Wiederkommen ist für die meisten schon fest eingeplant.

Den Autoren gelingt es 200 Seiten die Stadt mit all ihren Facetten stilvoll einzufangen. Ob nur Stadtbummel oder mit anschließendem Ausflug beispielsweise auf die imposante Pfaueninsel (Achtung: Farbiger Kasten. Hier lebten auch mal Löwen!), ob Kulturgenuss oder einfach nur mal die Seele und Füße im Wasser baumeln zu lassen – wer Potsdam bisher nicht wahrnahm, bekommt hier die dickste Quittung für seine Ignoranz.