Atlas der verlorenen Sprachen

Im Urlaub steht man oft auf verlorenem Posten, wenn man mit einer Sprache konfrontiert wird, die rein gar nichts mit der eigenen Muttersprache zu tun hat. Wenn dann auch die Schriftzeichen an Kinderkritzeleien erinnern als an das in der Schule erlernte ABC, ist der Ofen aus. Nun gibt es aber auch Sprachen, die selbst den Einheimischen ein Fragezeichen über den Kopf malen. Sprachen, die vom Aussterben bedroht sind, weil sie nur noch von ein paar hundert Auserwählten verstanden und gesprochen wird. Archäologen und Historiker sehen darin eine Herausforderung. Für den Normalsterblichen sind das dann im besten Fall Bücher mit sieben Siegeln.

Der „Atlas der verlorenen Sprachen“ vom Duden-Verlag – von wem sonst – gibt diesen Sprachen eine Stimme. Rund um den Globus gibt es tatsächlich noch Sprachen, für die es bei der UNO keinen einzigen Übersetzer gibt. Die Völker stehen nicht nur im Abseits, sie sind gezwungen eine allgemeinverständliche Sprache zu sprechen, die jedermann versteht, und die eigene Sprache als Relikt von anno dazumal als folkloristisches Schmankerl hinter dem Ofen zu verstecken.

Der Atlas zählt nicht nur Sprachen auf, die nur noch von ganz wenigen gesprochen werden oder gänzlich verschwunden sind. Es ist erstaunlich wie viel trotz aller Widrigkeiten noch über diese Sprachen bekannt ist. Welche Besonderheiten besaßen diese Sprachen? Welche Struktur wiesen sie auf? Und es gibt Wortbeispiele, die man im Bedarfsfall sogar anwenden kann. Beispielsweise, wenn man in Litauen unterwegs ist, und man einen der noch rund achtzig SprecherInnen antrifft, die Karaimisch sprechen. Die sprechen natürlich auch litauisch, doch wer spricht schon litauisch? Ein paar Brocken zieht man sich aus dem Reiseband. Aber ein richtiges Gespräch kann man damit immer noch nicht führen. Karaimisch ist eine so genannte Turksprache, eine Sprachgruppe, die man gemeinhin südlicher erwartet. Der Atlas gibt nicht nur ein paar Wörter preis, die auf alle Fälle als Start in ein Gespräch nutzbar sind, sondern gibt nachvollziehbar preis, wie die Sprache aufgebaut ist.

Von Alaska bis in die Anden, vom südlichen Afrika über die Savannen bis in den hohen Norden Europas und die entlegensten Insel der Südsee spricht oder sprach man Sprachen, die schon in Vergessenheit geraten sind, bevor die Worte Gentrifizierung und Globalisierung aufs Tapet gelangten. Sprache als Kulturmerkmal Nummer Eins einmal anders. Das Faszinosum des Verschwundenen und des Verschwindens beflügelt unsere Phantasie (wobei auch hier sicher bald das Ph verschwindet, um dem F Platz machen muss – so viel zum Verschwinden von Sprache und wie es geschieht).