Nächtliche Erklärungen

Manchmal passiert es, dass man sich bedanken möchte ein bestimmtes Buch lesen zu dürfen. Im Falle von „Nächtliche Erklärungen“ ist es so und Edem Awumey lässt den dankbaren Leser sogar am Entstehungsprozess teilnehmen.

Ito Baraka ist Autor. Er lebt in Kanada, in der Nähe von Ottawa. Er will schnellstmöglich sein neues Buch abschließen. Denn er wird sterben. Das müssen wir alle irgendwann einmal. Doch sein Irgendwann steht fast schon vor der Tür. Leukämie. Für sich und für seine drogensüchtige Freundin Kimi Blue will er den Roman abschließen, der sein Leben nicht mehr verändern wird.

Ito Baraka stammt aus Westafrika, aus einem Land, in dem ein Diktator mit unnachgiebiger Brutalität seiner Angst vor Machtverlust versucht der Lage Herr zu werden. Ito ist Student. Zusammen mit anderen übt er Theaterstücke ein, ist politisch aktiv. Die Prügelschergen des Regimes kommen ihnen bald auf die Schliche. Ito wird verhaftet, eingekerkert, verhört, gefoltert. Sein Zellengenosse Koli Lem gehört zu einer zweiten Sorte Gegner, die mit Vorliebe von den Diktatorensöldnern verfolgt wird. Intellektuelle und Menschen, denen man aufgrund ihres Charismas und ihrer angeblichen magischen Kräfte von Natur aus nicht trauen kann. Zumindest wenn man als Alleinherrscher ein ruhiges Leben führen möchte. Koli und Ito werden Freunde. Ito liest Koli immer wieder aus Büchern vor, denn Koli hat man das Augenlicht genommen. Wochenlang zwang man ihn ungeschützt in die Sonne zu starren.

Schon in den ersten Absätzen zieht der Autor den Leser in eine Zeit und in ein Land – es könnte Togo in den 80er Jahren sein, wo Edem Awumey geboren wurde – in dem jeder Funken von Freigeist mit äußerster Härte erstickt wird. Ito konnte fliehen. Er hat sich in Kanada ein neues Leben aufgebaut. Kein Luxusleben. Aber ein freies Leben. Er ist sogar so frei, dass er seine eigene Vergangenheit nun mit Abstand betrachtet anderen zugängig machen will und es vor allem auch kann.

Die Wucht der Worte fegen jeden eventuellen Zweifel hinweg, dass es wieder ein Buch über Folter und Flucht sein könnte, wie es schon so viele (zu viele?) gibt. Es als eindringlich zu beschreiben, würde der Wahrheit nicht annähernd gerecht werden. Ganz tief wühlt Awumey lässt Ito Baraka in seinem Leben wühlen. Das Blut gerät in Wallung, aber statt zu hassen, sieht Ito in seiner Vergangenheit mehr die Chance für einen Neubeginn. Auch wenn seine Zeit endlich ist.

Im riesigen Bücherstapel afrikanischer Literatur und Literatur über Afrika sticht „Nächtliche Erklärungen“ durch seine Schonungslosigkeit und die einzigartige Wortwahl heraus.