Augenstern

Nichts ist mehr wie es einmal war. Damals als er in den Krieg zog, den Krieg gegen Irak. Er, Amir, auf iranischer Seite. Der Irak unter der Führung eines gewissen Saddam Hussein wird vom Westen mit Waffen unterstützt, um dem neuen Gottesstaat Iran den Garaus zu machen … was seit einem Jahrhundert immer wieder und fortwährend geschieht, aber niemals endgültig zu Erfolg führt. Die iranische Bevölkerung wurde Jahrtausende von einem Schah mit Folter und Bespitzelung unterdrückt. Jetzt hält eine Schar religiöser Führer das Land mit Folter und Bespitzelung im Schwitzkasten. Doch Amir zieht mit Begeisterung in den Kampf.

Momentan muss er nicht mehr an der Front kämpfen. Ein Arm fehlt ihm, genauso die Erinnerung an das, was einmal war. Reyhaneh ist an seiner Seite. Sie liebt ihn, doch die Zweifel an seiner Aufrichtigkeit nagen an ihr. Auf seinen Schultern – und darin liegt die Einzigartigkeit dieses Romans – leben, schreiben, lasten zwei Engel. Einer links, einer rechts. Sie notieren alles aus seinem Leben. Das haben sie auch schon vor dem Krieg getan. Ihre Niederschriften sind Amirs Gedächtnis. Doch die Engel spielen ihm immer wieder einen Streich. Da ist hinter einem dichten Schleier, der nur vage Andeutungen durchlässt diese Frau. Ein wildes Ding. Sie nimmt sich, was sie braucht. Auch von Amir. Er kann es ihr nicht geben.

Viel klarer sind dagegen die Kriegserinnerungen. Granaten, di in zerfetzten Körpern stecken und ihre Arbeit nicht verrichten, dennoch ihr Ziel erreichten. Widerwärtiger Gestank und poetische Träume lassen in Amir zwei Herzen schlagen. Nicht immer im Gleichklang.

Und zwischendrin das, was selbst Europäer immer wieder von einer fremden Welt schwärmen lässt. Die Basare des Landes. Das funkelnde Gold. Für Amir hat es eine tiefere Bedeutung. Das Gold, das so strahlend und funkelnd das Gesicht der geheimnisvollen Frau erleuchten lässt.

Shariar Mandanipur schafft eine geheimnisvolle Welt, die so real ist, dass man sich in ihr heimisch fühlt. So greifbar die Gedanken Amirs sind, so unnahbar sind im Gegenzug seine Erinnerungslücken. Man fiebert mit dem Protagonisten mit und wünscht ihm so sehr, dass seine Welt wieder in die richtigen Bahnen gelenkt wird, obwohl man weiß, dass dies mit großen Opfern verbunden ist. Liebesgeschichte vs. Kriegstrauma? Oberflächlich gesehen, ja! Doch hinter der Fassade des Bösen wartet ein Zaubergarten mit duftenden Blüten und wohlschmeckenden Früchten, die dem Leser das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen.