Elf Nächte und ein Tag

Jahrelang waren der Erzähler und Theodor unzertrennlich. Ein Paar wie Pech und Schwefel. Scham, Eitelkeit und Verantwortung nur sich selbst gegenüber. Abgeschottet in ihrer Welt. Die Welt der Anderen war im besten Fall das Geländer, an das man sich lehnt, wenn man droht zu fallen. Und Theodor und er fielen sehr oft. Sprichwörtlich wie sinnbildlich.

Studierte in ihrer eigenen Welt, die sie mit Anarchie zu einer besseren machen wollten. Rückschläge? Oh ja, bitte welcher solle es denn heute sein? Ihre Gedanken kreisten immer nur um sich selbst. So sehr, dass sie ihre Wünsche aus den Augen verloren. Theodor hatte sich durch Dostojewski dazu anstecken lassen, Sankt Petersburg besuchen zu wollen. War das eine Flucht aus dem Mief der eigenen (selbsterschaffenen) Enge?

Gevatter Tod war schneller. Der Gedanke vom Selbstmord übernahm die Regie im Dasein von Theodor. Unmerklich, doch unaufhörlich. Bis er Gestalt annahm. Nun ist der Erzähler allein. Allein im Beruf als Security-Angestellter. Nacht für Nacht dreht er seine Runden nun allein. Und wieder (oder immer noch?) umkreisen ihn seine Gedanken. Theodor ist immer noch präsent. Er ist nicht tot! Nicht so lange nicht Sankt Petersburg wie ein Licht in dunkler Nacht aus dem Nichts emporstrebt und Theodor zum zweiten und endgültigen Mal in den Staub der Geschichte zieht.

Ist man selbst stark genug, um einen anderen zu töten? Der Erzähler ergeht sich in endlosen, nur für ihn verständlichen Gedankenspielen, während er stupide seine Runden dreht. Ein Weltverbesserer war er nie. Umsturzideen hatten er und Theodor genug. So grau die Theorie sein mag, so lähmend ist sie auch im Falle der beiden engsten Freunde. Ihnen reichte es über sich und die Zukunft zu reden.

Jetzt ist alles anders! Theodor ist nicht mehr. Und mit einem Mal ist die Vergangenheit präsenter als die Gegenwart und es die Zukunft jemals war.

Christoph Dolgan drischt mit der verbalkeule auf den Leser ein. Auf seinen reichlich zweihundert Seiten nutzt er einen größeren Wortschatz als so mancher Autor in seinem Sechshundert-Seiten-Schmöker. Es braucht ein paar Seiten bis man sich in das Buch eingelesen hat. Ist man aber einmal im Fluss mit dem Erzähler öffnet dieser dem Leser eine Welt voller Einsichten. Das beginnt schon beim Einband. Eine Mischung aus Bauhaus und der Verneigung vor dem Kabinett des Dr. Caligari. Das lässt tief blicken…