Laura oder die Reise in den Kristall

Band Neun der Schlaflosreihe ist das bisher dickste Büchlein. So viel vorweg. Das kleine Büchlein ist auch das phantasievollste dieser Reihe. George Sand, die mit Frédéric Chopin über Jahre eine Einheit bildete, vermischt in „Laura oder die Reise in den Kristall“ eindrucksvoll naturwissenschaftliche Kenntnisse und fast schon märchenhafte Phantasien.

Ein junger Mann kommt in ein Geschäft für Kristalle und Edelsteine. Durch seine Unachtsamkeit zerstört er eine Geode. Der Besitzer ist darüber nicht unerfreut, denn so kann er ihm eine Geschichte erzählen, die ihm selbst passiert ist. Oder die er glaubt selbst erlebt zu haben. Da beginnt schon der Strudel, in den der Ladenbesucher und auch der Leser gezogen werden. Denn von nun an ist nichts mehr wie es war, wie es sein soll.

Alexis ist in seine Cousine Laura verliebt. Das arme Ding muss ohne Vater aufwachsen, der sich in den Orient verkrümelt hat. Dort ist er zu ansehnlichem Reichtum gekommen. Laura jedoch, die die Avancen ihres Cousins sehr wohl wahrnimmt, zeigt ihm die kalte Schulter. Für sie ist er ein kleiner Junge, der Hirngespinsten hinterherjagt. Im Laufe der Zeit begegnen sie sich immer wieder. Seine Zuneigung verflacht keineswegs. Ihre hingegen weicht nach und nach ihrer Skepsis.

Im funkelnden Spiel der Kristalle verlieren sich beide und steigen hinab in eine Welt, die niemals irdisch sein kann. Im Vexierspiel der Kristalle ist Laura so wie Alexis sie sich wünscht: Die Frau, die er liebt und die seine Liebe erwidert. Doch was ist real, und was ist Phantasie? Das Liebesgeplänkel dauert nicht lang. Bis Onkel Narsias auftaucht. Ein angsteinflößender Kauz, wie Alexis findet. Aber voller Forscherdrang, der alsbald Alexis in seinen Bann zieht. Und ehe er sich versieht, steigt Alexis zusammen mit dem Onkel hinab. Hinab ins Erdreich. In eine Welt voller Kristalle…

George Sand spielt mit den Gedanken des Lesers wie einst ihr Gefährte Chopin auf dem Klavier. Die Grenzen zwischen Realität und Gedankenreich verschwimmen zusehends. Von verklärter Romantik weit entfernt liest man sich in eine Traumwelt, die erst wieder aufklart als der Erzähler seine Kladde schließt. Verwirrt, beseelt, verzaubert lässt Sand den Leser zurück, der das Gelesene erstmal sortieren muss. Wohlige Träume sind hier nicht mehr dem Reich der Phantasie zuzurechnen, sondern greifbare Wirklichkeit.