Saison der Wirbelstürme

Da liegt sie nun, friedlich, fast meint man ein Lächeln auf ihrem entstellten Gesicht erkennen zu können. Doch wie kann ein so grässlicher Mensch lächeln, kann menschliche Züge haben? Und wie kann ein Mensch lächeln, dem so übel mitgespielt wurde? Bruja, die Hexe ist tot. Kein Kinderreim! Realer Wahnsinn in La Matosa, einer Gegend in Mexico, die nur Einheimische aus Mangel an Alternativen betreten. Wer kann, haut ab. Wer es nicht kann, und das sind die meisten, muss bleiben und zusehen, dass der nächste Tag nicht der letzte sein wird. Kinder haben den Leichnam bei ihren Streifzügen durchs Zuckerrohrdickicht entdeckt. Das Entsetzen werden sie nie mehr los.

Bruja stammte aus einer alten Familie verwahrloster Hexen. Wer ein Wehwehchen hatte, kam schon immer zu ihr. Ebenso, wem es im Schritt juckte. Dem Ruf der Hexe tat das keinen Abbruch mehr. Sie stand für alle eh im Bunde mit dem Teufel, dessen Gemächt sie Nacht für Nacht ritt. Das ihres Ehemannes konnte sie nicht mehr reiten. Der war schon lange tot. Sie, die Hexe habe ihn umgebracht, um Land und Geld zu erben. Ein echtes Herzchen eben. Wer konnte, machte einen großen Bogen um sie und ihr Haus. Doch irgendwer konnte nicht anders. Irgendwer fasste sich ein Herz und tötete die Hexe, bevor sie sein Herz zu fassen bekam. Nicht sinngemäß, wortwörtlich!

Fernanda Melchor beschreibt Menschen, die durch einen Landstrich Mexicos geprägt sind. So unwirtlich die Gegend, so rau sind ihre Bewohner. Hier wird nicht lang gefackelt, hier wird gehandelt. Und das nicht immer mit sanfter Hand, oft, fast immer mit der Faust, Machete oder dem Messer. Für Schmeicheleien ist hier kein Platz.

Und Frauen haben schon mal gar nichts zu melden. Sie sind vogelfrei. Wer sie will, nimmt sie sich. Brutal und schnörkellos wird der Leser durch diesen aufrüttelnden Roman gehetzt. Das liegt nicht nur an der ungeschminkten Wortwahl, sondern auch dem besonderen Stil der Autorin. Ohne Punkt – zumindest mit nur wenigen – dafür aber mit der geballten Ladung Kommas gibt sie dem Leser kaum eine Chance durchzuatmen. Genau wie ihre Protagonisten. Wenn man also davon spricht sich in eine Geschichte vertiefen zu können, dann ist „Saison der Wirbelstürme“ das Paradebeispiel dafür.

Dafür erhält sie 2019 den Anna-Seghers-Preis und ist außerdem für den Internationalen Literaturpreis – Haus der Kulturen der Welt nominiert.