Der Fünfte im Spiel

Als ob er sich seiner Wirkung auf Menschen, Menschen zu bewegen, schon in frühen Jahren bewusst wäre, duckt sich der zehnjährige Dunstable Ramsay an diesem 27. Dezember 1908. Er weiß, dass Percy Boyd Staunton noch einen letzten Schneeball nach ihm werfen wird. Dunston duckt sich also, kurz nachdem er sich vor Mary Dempster und ihrem Gatten postiert hat. Das Geschoss verfehlt wie geplant den Jungen, trifft dafür aber die hochschwangere Frau des Baptistenpredigers. Statt das Gefühl des Triumphes auskosten zu können, überfallen Dunston Schuldgefühle. Denn er hatte die Flugbahn berechnet, hat sich bewusst vor dem Paar platziert. Die Folgen konnte er nicht absehen. Eine Folge war die verfrühte Geburt von Paul. Paul Dempster. Ein schwächliches Kind, eine Frühgeburt. Ein sonderbares Kind.

Als Paul vier Jahre alt ist, ist Dunny sein Babysitter. Dessen Vater wünscht jedoch keinen Kontakt seines Sprösslings zu dem Heranwachsen. So muss Dunston sich immer ins Haus schleichen, mit Erlaubnis der etwas sonderbaren Mary Dempster. Und Percy Boyd Staunton? Der ist sich keiner Schuld bewusst.

Die Jahre verfliegen. Dunny wird zum Militär eingezogen und kämpft im Weltkrieg in Europa. Percy Boyd Staunton, der den ersten Vornamen und das D aus Boyd bald streichen wird, fühlt sich zu Höherem berufen. Ihm gelingt ein sagenhafter Aufstieg. Schon mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund geboren, wird er zum Nutznießer der prekären instabilen politischen Lage. Wer sich Süßigkeiten in dem Mund stopft, stopft die Taschen von Boy Staunton. Als der Krieg endlich vorbei ist, ist von dem Dreigestirn, das diesen Namen eigentlich nie zu Recht trug, nicht mehr übrig. Boy ist erfolgreicher Geschäftsmann, der seinem Freund (aber auch Feind) Dunny hier und das Tipps zur Geldanlage gibt. Dunny selbst kehrt als Verwundeter aus dem Krieg zurück und studiert Geschichte. Dass er offiziell – zumindest für eine Zeitlang – als vermisst gilt, bringt ihm eine Ehrenmedaille ein. Die wiederum beschert ihm den Studienplatz. Paul hingegen ist tatsächlich verschwunden. Erst Jahre später wird der Historiker Dunston Magier Paul wiedertreffen können. Die Zaubertricks, die er dem fast regungslosen vierjährigen Paul zeigte, waren wohl doch eindrucksvoller als vermutet.

Robertson Davies spannt einen großen Bogen um das Leben Dunstable Ramsays. Aus einem kleinen Nest in Ontario entwickelt sich aus dem nüchternen Jungen von einst ein hingebungsvoller Freund, der wenige Freunde sein eigen nennen darf. Er reist viel, eignet sich Wissen an und erforscht unerwartet und mit voller Hingabe sein eigenes Leben sowie das seiner Freunde aus der Kindheit. Mit sachlicher Distanz begegnet er Menschen, die ihm einst nahestanden, ohne dabei auch nur den leisesten Zweifel aufkommen zu lassen, dass Großes in der Luft liegt. Im letzten Abschnitt des Buches – jedes Kapitel ist sprachlich an das Alter des Protagonisten angelehnt, ganz große Kunst – wirft der Autor jegliche Rücksicht über Bord. Die Vergangenheit, die immer wieder aufblitzt, ist vielen näher als ihnen lieb ist.