Der Schlüssel

Wenn’s nicht passt, dann kann man sich noch so viel Mühe geben … es wird nicht passen. Ein Professor, in etwas so alt wie das 20. Jahrhundert, wird sich zu Beginn des neuen Jahres klar, dass sein Sexleben – das mit seiner Frau, ein anderes kennt er nicht – nicht so erfüllt ist wie es sein könnte, ja, sollte. Sie, Ikuko, 45 Jahre alt, von betörender Schönheit, will und will und will. Er will auch, kann aber nicht. Nicht die Intensität, mehr die Dauer macht ihm zu schaffen. Er beschließt Tagebuch zu führen. Nicht, um sich aller Sorgen zu entledigen. Sondern in der Hoffnung, dass Ikuko dieses Tagebuch findet und dementsprechend handeln wird. Den Schlüssel für die Schublade, wo er das Tagebuch versteckt, platziert er so, dass sie ihn unbedingt finden muss. Der Professor bildet sich ein, dass sie seine geheimsten Wünsche entdeckt und dann ihrem Mann selbige erfüllen wird. Zum Beispiel den sie endlich mal komplett nackt zu sehen. Denn seit ihrer Hochzeit hat sie ihm die für den Akt wichtigen Stellen zwar präsentiert, die – wie er denkt – ihrer Meinung nach nicht so wichtigen Stellen jedoch geschickt im Dunkeln gelassen.

Was der Professor sich wünscht, trifft auch tatsächlich ein. Nur werden es beide tunlich unterlassen ihre geheimsten Wünsche (und Entdeckungen) mit dem Anderen zu teilen. Auch Ikuko führt Tagebuch. Auch sie weiß, dass ihr Gatte dieses Tagebuch finden und lesen wird. Sie hofft es zumindest.

Kimura ist der Dritte im Bunde dieses nur auf den ersten Blick kindischen Spiels. Er ist der Freund der Tochter Toshiko. Herr Kimura wird immer dann zu Kimura, wenn er dem Professor und seiner Frau zu Diensten sein kann. Kimura bemüht fast schon zu offensichtlich um die Gunst der Dame des Hauses. Er weiß, dass der Weg zum Herzen der Tochter über die Mutter führt. Die jedoch hat etwas ganz anderes im Sinn. So vertraut sie es ihrem Tagebuch an.

Die Kommunikation per Tagebuch funktioniert. An den Abenden wird gegessen und getrunken. Ikuko verträgt eine Menge. Mehr als ihre Tochter und der zukünftige Schwiegersohn allemal. Doch die Feste zehren an den Lebensgeistern. Immer öfter kippt sie um. Eine willkommene Gelegenheit ein bisschen Schwung ins Schlafzimmer zu holen…

Wunsch und Wirklichkeit klaffen auch ohne Manipulation oft und weit genug auseinander. Junchiro Tanizaki treibt das Spiel auf die Spitze. Woher auch immer die Unfähigkeit rührt offen miteinander über Intimes zu reden, kommen mag, die Tagebücher sind eine Idee. Mehr nicht. Denn die Folgen können weder der Professor noch seine Frau abschätzen. Wenn sie im Schlafe, oder ist der nur vorgetäuscht?, Kimura flüstert, spornt das ihren Gatten an. Aber er verzweifelt auch an der Tatsache, dass sie ihm nur dann das geben kann, was er will, wenn sie an den Freund ihrer gemeinsamen Tochter denkt.

Das Buch wäre in Japan fast verboten worden. Heute ist es ein Klassiker, der nur in einer überarbeiteten und frei von europäischer Dekadenz und Voreingenommenheit die wahre Pracht und Kraft der Worte entfalten kann.