Lesereise England

England – das Land der sonnenverbrannten, zahnlückenpräsentierenden Hooligans, die laut grölend die Strände Europas in Beschlag nehmen. England – das Land ohne eigene Esskultur. England – das Land, das bald seinen eigenen Kontinent (wieder einmal) eröffnen wird. Deutschland und England und ihre Vorurteile gegenüber dem Anderen. Es mag hier und da stimmen – doch dann trifft es für beide Seiten zu. Und Stefanie Bisping tritt unfreiwillig den Beweis an, dass in England die Kultur sehr wohl zuhause ist.

Weit ab von Snobismus und Naserümpfen über das Gegenüber besucht sie unter anderem die, die ihrer Zeit den Stempel aufdrückten. Und wer könnte das besser als Nobelpreisträger. Der eine ist Winston Churchill und seine Anwesen Blenheim Palace und Chartwell. Schon nach wenigen Worten ist man direkt in der Szenerie: Etwas erhoben und erhaben auf einem Hügel thronend, die Ferne genießend hüpft die Autorin einem spielenden Kind gleich durch die unendlichen Weiten des Hauses und des Gartens. Den kann man sich derart genau vorstellen, dass man sich fast die Reise dorthin sparen kann. Fast, denn nur selbst erleben ist diesem Buch überlegen. Ach ja, und so ganz nebenbei erfährt man auch warum Winston Churchill sich dazu hinreißen ließ darüber zu philosophieren, warum die reduzierung des eigenen Champagner-Konsums um sechzig Prozent (!) keine so üble Idee sei. Ha, diese Engländer!

Der andere Nobelpreisträger ist Rudyard Kipling, der Schreiber des Dschungelbuches. Bateman’s nennt sich der Sitz des erfolgreichen Literaten. Eine Wallfahrtsstätte für Bücherbegeisterte. Und erst der Mulberry Garden. Da fühlt man sich gleich wie der große Meister, wenn man unter dem Maulbeerbaum sitzt. Kleiner Wermutstropfen. Kipling selbst saß sicherlich gern unter einem Maulbeerbaum in seinem Mulberry Garden. Allerdings wurde sein schattenspendender Laubfreund vor einigen Jahren durch einen Artgenossen ersetzt.

Zum Nobelpreis hat es für Jane Austen nicht gereicht. Doch ihr Haus in Chawton ist nicht minder beliebt als die Anwesen der bereits erwähnten (männlichen!) Nobelpreisträger. Alle hier ist beabsichtigt. So wie der Tagesablauf der Schriftstellerin es war. Im Sonnanschein, an eben diesem Walnusstisch schrieb sie Weltliteratur. Das ist zweihundert Jahre her und noch immer geht von diesem Ort Magisches aus.

Magie, Bücher, Gärten – auch das ist England. Von Shakespeare bis Harry Potter reist Stefanie Bisping durch ein England, das voller Poesie ist. Und sie selbst lässt sich tief einatmend davon gefangen nehmen. Mit jedem Wort, jedem Satz schmeichelt sie den ehemaligen Hausherren und umschmeichelt den Leser mit unverrückbarer Sprache. Es ist wie eine Reise in eine andere Zeit, ein fernes Land, das je mehr man liest einem immer näher kommt. Wer auf Reisen nur allzu gern Reisebände als To-Do-Liste „abarbeitet“, kommt hier an seine Grenzen. Keine der Reisen muss man tun, doch wer sie unternimmt, braucht Zeit, Geist und Muse. Stefanie Bisping hat von allem mehr als genug. Und diese überbordende Neugier, gepaart mit Wortwitz ist das Ideal eines Reisebuches.