Wissen wir wohin wir gehen?

Prominente Umgebung hier in Vincennes, im Jahr 1749. Der Marquis de Sade wird hier auch so manchen Tag, manche Woche, Monate, Jahre verbringen. Gemeint ist natürlich nicht der Ort Vincennes, sondern das dort ansässige Gefängnis. Denis Diderot hat es sich redlich verdient hier einzusitzen. Mitte Dreißig ist er und hat noch immer nichts von seinem Jungencharme und seiner unbändigen Leidenschaft verloren.

Schon als Kind konnte man den kleinen Denis nicht bändigen. Wissbegierig war er von Anfang an, und er legte es auch nie gänzlich ab. Messerschmied wie sein Vater wollte er nicht werden. Priester, wie der Vater es wollte, schon gar nicht. Aber nach Paris wollte er. Und er dufte es. Nach zwei Wochen Versichern, dass der Filius in guten Händen ist, reist der Vater aus Paris wieder ins heimische Langres im Nordosten ab. Jetzt beginnt für Denis das eigentliche Abenteuer. Bohème-Leben und Studien – das Leben hat Denis Diderot angenommen. Und er verliebt sich. In Nanette. Ein bildhübsches Ding, doch leider nicht mit der gleichen Neugier, Eloquenz und Exaltiertheit wie Diderot ausgestattet. Sie ist Näherin, was den Vater dazu bringt der Hochzeit keine Erlaubnis zu geben. Diderot war noch keine dreißig Jahre alt, nicht volljährig und musste – um das Erbe zu erhalten – die Erlaubnis einfordern. So lebten Nanette und Denis in wilder Ehe und in Sorge, dass jemand hinter ihr Geheimnis kommt. Als Nanette schwanger wird, sind „Bruder und Schwester Diderot“ weiteren Anfeindungen ausgesetzt. Ein uneheliches Kind – so was gehört sich nicht.

Beruflich geht es mit Diderot bergauf. Er übersetzt Lexika und verdient ganz gut. Privat jedoch geht es bergab. Die Unterschiede zwischen Nanette und Denis sind zu groß, zu offensichtlich. Ganz der moderne Mann der Zeit, nimmt sich Diderot eine Mätresse, Marie-Madeleine de Puisieux. Sie ist das ganze Gegenteil von Nanette. Eine Schönheit im Geiste, doch ihre Hülle hält in keiner Weise einem Vergleich mit Nanette stand. Als Schreiberin ist sie auch nicht gerade eine Koryphäe, die besseren Passagen ihrer Bücher werden Diderot zugeschrieben.

Und nun sitzt Denis Diderot im Gefängnis. Die gekonnt formulierten Hetzen gegen die Kirche und die Monarchie waren wohl doch zu viel. Seine Gleichnisse trieben den Betroffenen die Zornesröte ins Gesicht. Sie saßen aber auch am längeren Hebel. Einhundertdrei Tage sitzt Denis Diderot ein. Diese Tage nutzt er sich zu profilieren. Rousseau war schon immer einer, dem er folgte. Voltaire schwebte wie segensreicher Geist über ihm. Auf der anderen Seite standen Doppelmoral und höfisches Kleingeistertum. Willkommene Gegner, die nun es erst recht verdient hatten einen mitzubekommen.

Denis Diderot war für viele Philosophen und Schriftsteller ein Wegbereiter. Ein Wegbereiter für die Aufklärung. Goethe konnte sich an seinen Schriften nicht sattlesen. Der aufgeweckte Geist, der ewig frische Hauch des Fortschritts, der ihn umwehte, lassen den Namen Diderot noch heute wohlklingen.

Christiane Landgrebe ist eine Spezialistin für Biografien außergewöhnlicher, in den Hintergrund gerückter Freigeister. Bereits in ihrer Biographie über Schwedens Königin Christina bewies, dass scheinbar Vergessene sehr wohl ihre Spuren bis heute erstrahlen lassen. Nun also Denis Diderot. Autor, Übersetzer, Philosoph – Querdenker, Freigeist, Atheist. Der beeindruckende Detailreichtum und die treibende Schreibweise lassen den Leser nicht eher ruhen bis die letzte Seite erlesen wurde. Die exakte Benennung der „Tatort Diderots Wirken“ lassen darüber hinaus jeden Parisaufenthalt in einem neuen Licht erstrahlen.