Äquatoria

Es muss ein Phantasialand sein, dieses Äquatoria. Ist es aber nicht. Es ist die Region Afrikas, die sich von der Westküste, São Tomé und Príncipe über Kongo, Tansania bis zur Ostküste in Sansibar erstreckt. Ende des 19. Jahrhunderts war es ein Abenteuer hier vor Anker zu gehen. Es war die Zeit der großen Entdecker. Legendär das Treffen von Stanley und Livingstone („Doctor Livingstone, I presume“). Es war die Zeit der widerwärtigen, perversen Neuaufteilung des schwarzen Kontinents. Und in diese Zeit fiel auch die Forschungsexpedition von Pierre Savorgnan de Brazza. Nie gehört? Aber doch wohl schon mal von Brazzaville, der Hauptstadt Kongos? Des „kleinen Kongos“, auch Kongo-B oder Kongo-Brazzaville genannt. Das „große Kongo“, jetzt Demokratische Republik Kongo hieß einmal Zaïre.

Dieser junge Mann, der aus einem nicht am Hungertuch nagenden Elternhaus aus dem Friaul stammte, begegnete auf seiner Expedition unter anderem Albert Schweitzer. Auch seine humanistischen Ideen brachten ihn später dazu die Expansionsbemühungen Frankreichs mehr als in Frage zu stellen. Weswegen seine letzten Aufzeichnungen rund ein Jahrhundert von Staatsseite unter Verschluss gehalten wurden.

Anlass ist der hundertste Todestag des Abenteurers. In Brazzaville, die Stadt die seinen Namen trägt soll das Mausoleum errichtet werden, dass ihm den gebührenden Respekt erweisen soll. Respekt für einen, der Kolonialisierung, Unterwerfung und Versklavung mit zu verantworten hat? Ja! Patrick Deville ist ebenso fasziniert wie abgestoßen von der Person Brazza.

Sein Roman folgt dem Weg, den der italienische Adelige in französischen Diensten einst einschlug. Am Kongo sollte eine Mission eröffnet werden. Es wurde ein Handelsplatz. Wofür? Waren aller Art, aber vor allem Menschen.

Pierre Savognan de Brazza bereiste Gabun, verhandelte mit Königen (Makoko, König der Teke überließ ihm die Stadt, die einmal seinen Namen tragen sollte) und starb im gleichen Jahr wie Jules Verne und nur ein Jahr nach Henry Morton Stanley. Die Zeit zuvor wird von Autor Patrick Deville gewissenhaft auf dem Kartentisch der Geschichte seziert. Parallelen zur Gegenwart sind erschreckend naheliegend und geben den Zeilen den entsprechenden Schwung.

Mit Verve und Detailversessenheit zieht Deville den Leser in eine Zeit, die längst vergessen schien. Er führt ihn an Orte, die wie Zaubersprüche Exotik verheißen. Immer dichter wird der Dschungel der Geheimnisse um Machtgier, Geld und Perversion. Den Zauber kann Äquatoria niemand nehmen. Ein bisschen daran kratzen vielleicht. „Äquatoria“ ist eine Mischung aus Realität und Märchen. Die Fakten sind nachweislich unverrückbar. Die Sprachgewalt lässt Leseraugen leuchten wie damals als zum ersten Mal Hänsel und Gretel ans Ohr drangen. Patrick Deville zeichnet aber kein verklärtes Bild einer romantisierten Welt. Vielmehr ist es eine Rundreise durch das Herz Afrikas.