Tram 83

Keine Bahnlinie, die einem von A nach B bringt. Keine Schunkelkutsche, die den einen Alltag gegen einen andere eintauscht. Wer ins Tram 83 eintaucht, kommt als anderer Mensch wieder heraus. Das Tram 83 ist eine Bar, eine Kaschemme, ein Sündenpfuhl im Nirgendwo des schwarzen Kontinents. Auf nur ein Bier kommt hier niemand vorbei. Die Trostlosen, die Trostsuchenden, die Glücksritter der Verliererstraße trinken hier um die Wette, und sich als Gewinner zu fühlen.

Lucien, der Schriftsteller ist auch hier. Wieder. Wieder in seiner Heimatstadt, am Bahnhof von Requiem empfangen. Der ist einer der Typen, die es nur im Roman zu geben scheint. Ein Gauner mit der Nase fürs Geschäft. Kurzlebig, gerissen, gewissenlos. Doch auch liebenswert, mit männlichen Trieben ausgestattet, dass man ihn dafür pausenlos ohrfeigen könnte. Fragt ein Mädchen im Bus, ob der Platz neben ihm noch frei sei, wird sie erst einmal gemustert und in Gedanken schon mal zur Probe flachgelegt. Was zu einer anderen Zeit eventuell gerade noch so als pubertär durchgehen könnte, ist bei Requiem „normal“. Bezeichnenderweise wohnt er auch noch im Viertel Les Vampires…

Lucien ist also wieder zurück bei Requiem in dieser afrikanischen Großstadt ohne Namen, die ihn einst ohne Vorwarnung ins Leben kotzte. Als Schriftsteller war er immer wieder wegen seiner Schriften Anfeindungen ausgesetzt. Bei Requiem fühlt er sich sicher. Warum, weiß er selber nicht. Denn Requiem kann man nicht trauen, weder im Hellen noch im Dunkeln. Werde bei Tag noch bei Nacht.

Ferdinand Malingeau kreuzt den Weg der beiden ungleichen Freunde. Er ist Verleger aus der Schweiz und mächtig interessiert an Luciens Werk. Dass dies heute noch nicht generell auf Zustimmung stößt, heizt seine Begeisterung für den aufstrebenden Autor noch mehr an. Doch Lucien tappt da in eine Falle! Denn hinter seinem Rücken dealen Ferdinand und Requiem. Dieses verdammte Tram 83. Ist denn hier keiner, der auch nur einen Hauch Anstand in sich trägt…

Fiston Mwanza Mujila führt den Leser gezielt in einen afrikanischen Moloch, der ungeschminkt das Dilemma einer ganzen Generation darstellt. Wenn die Hoffnung – als Letztes – schon längst verwest unter der Erde liegt, bleibt nicht mehr viel übrig, um dem Begriff Hoffnung selbige zu verleihen. Die Dirnen prahlen grußlos mit ihrer Sprachgewalt. Die Kindersoldaten sind frei in ihrer Rohheit und der Alkohol dient schon lange nicht mehr als Ausrede für den Wegfall der guten Manieren. Das Geld regiert hier in seiner pursten Form. Verhandlungen? Pah, was’n das?! Der direkte Weg ist die einzige Schneise im Dschungel der Ungerechtigkeit. Da passt einer wie Lucien eigentlich gar nicht rein. Doch ohne ihn, wäre das Tram 83 nichts, gar nichts, weniger als nichts.