Manchmal gewinnt der Bessere

Physik und Fußball? Oh je. Schon in der Schule schlug man mit der Geschwindigkeit v auf einer Strecke s in einer Zeit t auf die harte Schulbankoberfläche auf, wenn der Lehrer genau dieses Phänomen langweilig wie ein 0:0 beim Kick am Wochenende erklärte. Boah eh, Fußball und Physik … geht gar nich!

Doch! Und wie! Wenn der Lehrer Metin Tolan heißt. Und Fußballfan ist. Und sein Fachgebiet auch außerhalb des Hörsaals liebt und lebt. Fußball ist berechenbar. Aber nicht seine Ergebnisse. Zu viele Variable. Doch man kann die Wahrscheinlichkeit berechnen. Und da liegt der Hase im Pfeffer. Wettanbieter nutzen dieses Wissen aus. Professionelle Wetteneinsetzer helfen dann gern mal ein bisschen nach.

Die drängende Frage, wer denn 2018 in Russland am Abend des Finalspiels den Pokal in die Höhe halten kann, ist eindeutig zu beantworten. Aber: Die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht Saudi-Arabien oder Panama sein wird, ist doch schon sehr hoch. Wenn es anders kommt, passt es allerdings auch wieder ins aktuelle Bild der Politik. Nichts ist mehr vorhersehbar.

Das spannendste Kapitel kommt zum Schluss des Buches. Wer wird Weltmeister 2018? Das kann man doch gar nicht berechnen! Stimmt. Aber – da ist sie wieder – die Wahrscheinlichkeit. Legt man die Ergebnisse der Qualifikationsrunden zu Grunde ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit von nicht einmaleinem Prozent, dass … Brasilien Weltmeister wird. Ganz dicht gefolgt von Kroatien. Mexiko, der erste Gegner der deutschen Elf kann gar nur mit einer Hoffnung von einem Viertelprozent die Reise nach Russland eigentlich gleich als Erfahrungswert absetzen. Es sind, wenn man es so wie Metin Tolan errechnet, nur drei Mannschaften, die eine reelle rechnerische Chance haben den Pokal in die Höhe zu stemmen: Spanien mit knapp 21 Prozent, Belgien (!) mit fast 30 Prozent und mit der Strahlkraft der vier Sterne Deutschland mit einem statistischen Wahrscheinlichkeitswert von 32,34 Prozent.

Fazit. Die WM wird sterbenslangweilig, weil ja eh am Ende Deutschland gewinnt. Diese Erkenntnis stammt von Gary Lineker, einem Spieler, in dessen Heimat das Fußballspiel erfunden wurde. Er muss es also wissen. Doch warum hat dann England nur einen Chance von 0,62 Prozent auf den Titel? „Manchmal gewinnt der Bessere“, diese titelgebende Weisheit von Lukas Podolski, ist das Besser-Wisser-Buch zum Ereignis des Jahres 2018. Eine gewisse Affinität zu Zahlen, Mathematik und Physik sollte man allerdings mitbringen. Poissonverteilung und Magnuseffekt kann man nachlesen, deren Anwendung muss man sich en détail erklären lassen. Metin Tolan nimmt sich die Zeit, um wortgewandt und detailverliebt die Physik des Fußballs zu erläutern. Man muss sich darauf einlassen. Wer dies tut, wird mit Erkenntnissen erst Klasse belohnt und wird auf den Rängen, auf der Couch, beim „public viewing“ – wo auch immer – für seine Eloquenz und sein Fachwissen beachtet werden. Jetzt müssen sich nur noch die Zweiundzwanzig auf dem Platz an die Physik halten…