Der schwarze Gürtel

Was ein Ehrgeizling! Fernando Retencio will unbedingt nach oben. Er will den schwarzen Gürtel. Nein, keine sportlichen Meriten. Bei Soluciones, wo er als Problemlöser arbeitet, gilt der schwarze Gürtel als ultimative Huldigung der erbrachten Leistungen. Dann hat man es geschafft.

Und Fernando ist ganz gut in seinem Job. Zumindest besser als die ganzen Pérez, die tagein tagaus am Schreibtisch ihren Fließbandjob verrichten. Ein ausgeklügeltes Punktesystem, das nur der Chef zu entziffern im Stande ist, zeigt im Firmengebäude für alle sichtbar an, wer es drauf hat und wer nicht.

Fernando ist also Problemlöser. Was das genau ist, ändert sich von Auftrag zu Auftrag. Mal kommt ein Boxpromoter, dessen Star auf einmal Gewissensbiss bekommt, und nicht mehr draufhauen will. Dann muss Fernando sich was einfallen lassen. Er redet mit dem Boxer, bietet ihm die Möglichkeit zu seinen Wurzeln zurückzukehren, indem er ihm einen Boxring aufbauen lässt. Fernando sieht all diese nervenaufreibenden Jobs nur als Wegmarken seines Aufstieges. Er will den schwarzen Gürtel, raus aus der Tretmühle und nicht ewig dort festhängen, wo andere ihr Leben lang nicht von der Stelle kommen.

So wie Dromundo. Ein Kollege. Fernando sieht ihn aber mehr als persönlichen Sklaven, der er nach seinen Vorstellungen „formen darf“. Nach Oben buckeln, dafür nach Unten umso heftiger treten. Dromundo lässt alles mit sich machen. Noch tiefer kann er nicht sinken. Er wohnt ja schon da, wo er arbeitet. Frau und Kinder inklusive. Letzte spielen jeden Tag saubermachen im Foyer.

Señor Sonrisa ist der allgegenwärtige Herrscher von Soluciones. In regelmäßigen Abständen verkündet er mit plärrender Lautsprecherstimme seine kryptischen Befehle. Wer nicht spurt, fliegt … und wird nie den ominösen schwarzen Gürtel sein eigen nennen können. Witzig für die anderen, besonders aber für Fernando, ist die Abschiedszeremonie, wenn ein Angestellter entlassen wird: Eine Cheerleader-Gruppe singt zum Abschied ein Ständchen und geleitet den Delinquenten dann zur Tür hinaus. Für Fernando ist das immer ein Triumph. Denn dann gibt es eine Hürde weniger auf dem Weg zum schwarzen Gürtel. Bis eines Tages die dauerlächelnden Mädels an seinem Schreibtisch stehen…

Eduardo Rabasa zeichnet ein düsteres Bild der mexikanischen Arbeitswelt. So surreal, dass man kaum an sich halten kann, und immer wieder schmunzeln muss. Er schickt seinen Helden Fernando durch ein Minenfeld der Emotionen. Seine Frau scheint ein Verhältnis zu haben und genießt es sichtlich ihren Gatten leiden zu sehen. Nur um ihn kurze Zeit später wieder zu umgarnen. Und wiederum später ihm seine Tolpatschigkeit und Eiferucht aufs Brot zu schmieren. Ohne die Tabletten von Dr. Lao könnte Fernando nicht überleben. Oder würde er besser leben ohne die weißen Dinger? Schwarzhumorig, was sonst, führt Eduardo Rabasa den Leser am Ring durch die Arena der Halbwahrheiten auf dem übertriebenen Grün der Eitelkeiten.