Kennst Du das Land

Von der Steppe in die Betonwüste, von den sanften Klängen der Zungen ins stahlharte Geröll, von der Abgeschiedenheit in die Anonymität der Großstadt. Galsan Tschinag wagte als junger Mann einen gewaltigen Schritt. Aufgewachsen als kommender Stammesvorsteher aus der Mongolei nahm er die Herausforderung an in Leepzik, wie er es anfangs noch nannte, Germanistik in der DDR zu studieren.

Die Mauer war gerade gebaut worden, politische Indoktrinierung war allgegenwärtig begab er sich in die Stadt, in der Goethe zweihundert Jahre zuvor sich die letzten Sporen als Dichterfürst verdiente. Er war auf einmal nicht mehr der privilegierte Nachkomme, sondern einer von vielen. Mit einem Handicap. Er konnte kein bzw. kaum Russisch. Seine Kommilitonen beherrschten die Sprache des großen Bruders bereits.

Schon das erste Kapitel zeigt welche Schwierigkeiten auf einen Ausländer in der Fremde warten können. Messer, Gabel, Löffel – großer und kleiner – waren ihm fremd. Ein bisschen tolpatschig war er schon als es in der Mensa an die Nahrungsaufnahme ging. Ein Dilemma sondersgleichen drohte den Einstieg gehörig zu verhageln. Seinen Mitstreiter aus der Mongolei war er auch deshalb ein Dorn im Auge. Ein weiterer Grund für seine anfängliche Isolation: Der Buchstabe F. Er konnte ihn einfach nicht bändigen. Aus dem Fischer wurde immer nur ein Pischer. Dieser kleine Buchstabe, nicht Fuchstabe, der an sechster Stelle im Alphabet steht, wollte einfach nicht aus ihm rausflutschen. Immer wieder plumpste das P aus seinem Mund. Hilde kam von unerwarteter Stelle. Ein Kommilitone hatte irgendwann den Drang dem jungen Galsan aus der Steppe zu zeigen, wer im Studium am besten aufpasst. Oder anders gesagt, wer das F am besten beherrscht. Dass er dabei andere Wörter und Buchstaben nicht korrekt deutsch – schließlich handelte es sich um das Studium der deutschen Sprache –  handhabte, übersah er. Galsan Tschinag wies ihn trotzdem darauf hin. Und Feng, hatte er sich eine eingefangen. Und peng flutsche das F wie selbstverständlich über seine Lippen. Es gibt sicher einfachere, schmerzlose Methoden eine Sprache zu lernen. Doch das Ergebnis ließ Galsan Tschinag die Schmach geduldig ertragen. Und zum Glück nicht vergessen.

„Kennst Du das Land“ ist der erste Teile seiner Memoiren. Er lässt sie in Leipzig beginne, wo sein Leben eine neue Wendung bekam, und ihm ein Weg geebnet wurde, den er nie hoffte beschreiten zu dürfen. Kunstvoll vermeidet er den Abstieg in die Niederungen der Sprache und der spärlichen Erinnerungen. Wortgewandt wie kaum ein Muttersprachler vollführt er einen Gemeinschaftstanz mit dem Neuen. Heute ist er Schriftsteller, der seine Werke nicht in seiner Muttersprache verfasst und sie dann übersetzen lässt, sondern er schreibt konsequent auf Deutsch. Die Sanftheit der Muttersprache hat er sich behalten. Die Schärfe der zweiten Sprache, die er exzellent beherrscht, verleiht seinen Texten, die gespickt sind mit erheiternden Anekdoten, den gewissen Kick. Er kennt das Land, das ihm wie ein Tor in eine andere Welt vorkommen muss. Diese Biographie ist eine Wohltat für die Augen und leidgeplagte Ohren, die tagein tagaus schlecht gebildete Nebensätze allerorten vernehmen müssen, und die ihm Schwall der Kurzinformationen abzuflachen droht. Ab sofort sollte dieses Buch Pflichtlektüre sein, Für alle in Deutschland Lebenden!