Eine einzige Nacht

Na was ein Kuddelmuddel! Sie ist anonym, verheiratet, hat einen Geliebten und Damon, den sie begehrt. Der wiederum ist gebunden an eine ältere Geliebte. Sie, die Anonyme ist außerdem die Freundin seiner Geliebten. Keine guten Voraussetzungen für ein Tête-à-Tête. Doch dann ergibt sich unverhofft die Chance auf eine einzige Nacht, in der Konventionen nichts zählen, die Vorsicht über Bord geworfen werden kann, die Liebenden den Pfad der Tugend verlassen können…

Amour fou nennt man das wohl. Die Spannung erwischt zu werden, ist wie vom Erdboden verschwunden. Eine höhere Macht gab ihnen die Erlaubnis das Unaussprechliche wahr werden zu lassen.

Dominique-Vivant Denon war weniger für seine literarischen Werke bekannt als für sein kulturelles Wirken für Napoleon. Dessen Beutezüge wurden von Denon im Musée Napoléon ausgestellt, dessen Fundus bis heute im Louvre zu besichtigen ist. Doch diese Geschichte machte ihn unsterblich, bekannt eher nicht. Louis Malle nahm sie als Vorlage für „Die Liebenden“ mit Jeanne Moreau.

Weit über 200 Jahre ist diese Geschichte alt. Der Zahn der Zeit konnte ihrer Intensität nichts anhaben. Wohl gewählte Formulierungen, die heute gern als political correct ins Lächerliche gezogen werden könnten, verleihen dem Ringelreih der Liebenden eine gewisse Spannung. Wer ungeduldig auf die Vollendung drängt, wird gehörig auf die Folter gespannt. Die wenigen Seiten bieten mit dem sorgfältig gewählten Vokabular, die Übersetzung von Franz Blei strotzt nur so vor Erotik, ein Magnetfeld, dessen Anziehungskraft sich niemand entziehen kann.

Es gibt Texte, die zurecht vergessen sind. Dieser hier reifte noch ein wenig in der Versenkung, so dass er jetzt sein komplettes Bouquet verströmen kann. Gute-Nacht-Lektüre, die einem lang anhaltend süße Träume bescheren wird.