Reise nach Karabach

Ein Vierteljahrhundert ist es gerade einmal her, dass die Region Karabach von marodierenden Banden in Angst und Schrecken versetzt wurde. In Georgien hatte sich der Präsident Swiad Gamsachurdia aus dem Staub gemacht, die Regierung existierte maximal noch auf dem Papier. Anarchie und Selbstjustiz bestimmten den Alltag. Jeder war gegen irgendjemanden, gegen irgendetwas. Für etwas zu kämpfen – das gab es nicht.

Gio ist ein Kind dieser Tage. Vierundzwanzig ist er mittlerweile und hatte mehr mit der Polizei zu tun als Tage im Sandkasten verbracht. Kleinere Gaunereien, die nicht weiter ins Gewicht fallen, wenn man die Gesamtsituation oberflächlich betrachtet. Sein Kumpel Gogliko, als Freund würde er ich niemals bezeichnen, in einer Zeit, in der gegen etwas gekämpft wird, ist nur Platz für Verbündete, aber nicht für Freunde, überredet ihn hartnäckig mit ihm nach Aserbaidschan zu fahren. Was einkaufen, Drogen. Und die werden nach der Rückkehr in Georgien gewinnbringend an den Mann oder die Frau gebracht. Zum ersten Mal etwas für etwas tun. Die Verlockung siegt über die Zweifel.

Der Alda, der die beiden über die Grenze bringen soll, hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Der Trip soll angeblich bestens organisiert sein. Doch Gio glaubt im tiefsten Inneren seines Herzens seinem Kumpel Gogliko kein Wort. Da aber eh nichts anderes anliegt, kann er ja mitkommen. Jana, die Frau, in die er sich gerade zu Verlieben schien, ist auch weg. Ihn hält nichts in Tblissi.

Der Bürgerkrieg in der Region ist geprägt von Kämpfern, die allesamt erfahren sind im sich Tarnen, Verstecken und plötzlicher Angriffslust. Aus dem Dickicht hervorschießen und mit unglaublichem Jähzorn jedem Fremden die Verachtung ins Gesicht zu rotzen. Jeder gegen jeden. Armenier, Georgier, Aserbaidschaner, Tataren, Russen – Freund und Feind sind gleichermaßen verdächtig. Und so gerät der Trip, der ein wenig Sonne in die Schwarzpulverschwaden bringen soll, zum Höllentrip. Gewehrkolben im Gesicht, blutverschmierte Fratzen, Hoffnungslosigkeit, angstverbreitende Kalaschnikows im Anschlag. Aus der Sonne wird wohl nichts mehr werden…

Aka Morchiladze gehört zu Georgiens Schriftsteller –Elite. Seine Bücher wurden vielfach ausgezeichnet und dieses verfilmt.

„Reise nach Karabach“ ist ein Roadmovie, dessen Ende niemand vorausahnen kann. Auch Gio weiß nur, dass der Ausflug nicht einfach wird, dass er so endet und sein Leben verändern wird, konnte er sich niemals im Leben vorstellen. Die expressionistische Sprache katapultiert den Leser in eine Zeit, in ein Land, die nah und fern zugleich sind. Der vergessene Konflikt, das Land, das so weit weg im Osten liegt, sind nur zwei Zutaten, die dem Leser das Buch als fiktional erscheinen lassen. Doch jedes Wort kann genauso gefallen sein. Und das ist die erschreckende Erkenntnis, die am Ende des Buches steht.