Tausend und ein Geschwätz

Eine namenlose Maquise kann einfach nicht schlafen. Da das Fernsehen noch nicht erfunden wurde (Zeit, Ort und Namen der Handelnden belieb anonym), und man sich damit leise in den Schlaf wiegen könnte, bittet die Baronin, ebenfalls namenlos den Abbé – man ahnt es schon: Auch er ist mit dem Stigma der Namenlosigkeit gezeichnet – eine Geschichte zu erzählen. Ein Märchen. Das soll helfen. Der Abbé hofft inständig, dass er nicht als Langweiler gilt, und beginnt sobald mit der Geschichte von Riante und Gracieux.

Riantes Geburt wurde – wie üblich in ihren Kreisen von Feen überwacht. Lirette, ein gute Fee, ist die Idealbesetzung für diesen Job. Denn schon während des Geburtsvorganges rumpelt es. Rare, die Mutter von Riante – schon allein die Namen (!) künden von der Erzählkunst des Autors – ist besorgt. Ein Omen? Nach einigem Suchen findet Lirette den Übeltäter bzw. die Übeltäterin. Wie üblich im Märchen gibt es zu jeder guten Fee auch eine böse Fee. Die heißt vielsagend Dreibuckel. Lirette ist auf der Hut, will helfen, aber erst einmal muss Dreibuckel ihren Zauberstab abgeben. Es kommt wie es kommen muss, Bauernschläue siegt über Liebreiz. Doch nur kurz!

Dreibuckel hat einen bösen Plan ausgeheckt. Der sieht vor, dass das behütete Kind, Riante, sich in den zwar schönen, aber reichlich naiven Ritter Gracieux verlieben soll. Als die Zeit reif ist, ebenso wie die bildhübsche und gebildete Riante, spinnt Dreibuckel ihre Fäden. Sie schlüpft in die Rolle Amors und spielt selbigen. Und siehe da, es klappt. Doch soll die Liebe nicht von Dauer sein… Ob die Marquise durch diese intrigante Geschichte von ihrer Schlaflosigkeit geheilt werden konnte, lässt Jacques Cazotte offen.

Dass „Tausend und ein Geschwätz“ als Nachttisch-Und-Einschlaf-Lektüre dient, ist zweifelsfrei bewiesen. Nicht, dass die Geschichte an sich einschläfernd sei – niemals. Doch als literarisches Betthupferl, dass dem Leser süße Träume bereiten kann, ist es eine willkommene Abwechslung zum Fernsehprogramm des Abends.

Feenwesen, die ihr Antlitz verändern können, die Macht der Liebe, der Ausschluss des rationalen Denkens – ein bisschen davon, ein bisschen hiervon und fertig ist ein kleines Büchlein, das große Wirkung entfalten kann. Jacques Cazotte beschäftigte sich mit Okkultismus. Mit ein bisschen Zwischendenzeilenlesen kommt man den Sympathien des Autors auf den Grund. Ob die Hingabe zur schwarzen Magie ihn dazu trieb seinen Freunden den Tod zu prophezeien, ist nicht überliefert. Ihr aufklärerisches war ihm zuwider. Hätte er den Gedanken, die Weissagung weitergesponnen, wäre ihm vielleicht der (vollendete) Gang zum Schafott erspart geblieben… Wer weiß, wer weiß.