Les fleurs du mal – Die Blumen des Bösen

Was haben die „Bolivianischen Tagebücher“, „Siddharta“ und „Die Blumen des Bösen“ gemeinsam? In unzähligen Haushalten fristen abgegriffene, vergilbte, abgerockte Ausgaben davon ihr Dasein. Es sind Erinnerungen an eine Zeit des Suchens und des Findens. Sie waren (und sind) Wegweiser, Denkanstifter und inhaltsschwere Zeitvertreibe.

„Les fleurs du mal – die Blumen des Bösen“ sind nun in einer Neuauflage erschienen, die niemals vergilbt, abgegriffen oder abgerockt aussehen wird. Wirft man einen Blick hinter die Fassade, den Schutzumschlag, wird dies schnell klar: Dunkelgrauer Einband mit futuristischer Symbolik. Enger könnte die Verbindung zum Inhalt nicht sein. Denn Charles Baudelaire hat mit seinem Hauptwerk, das vor 150 Jahren erstmals erschien, viele Nerven getroffen. Skandal! So was darf man doch nicht schreiben, schon gar nicht veröffentlichen! Das gehört sich nicht! Die Konsequenzen waren weitreichend. Für ihn, und für die Zeit. Er prägte den Stil der Lyrik nachhaltig, so dass sein Erbe, dessen Großteil dieses Buch ist, bis heute immer wieder aufgelegt wird.

Das Besondere an diesem Buch ist nicht allein die Tatsache, dass die sechs in der zweiten Originalfassung gestrichenen Gedichte in diesem Buch veröffentlicht werden, sondern die zweisprachige Ausgabe. Links das französische Original, rechts immer die Neuübersetzung von Simon Werle. Dieser hat ohne Sinnverlust die „alten“ Zeilen in eine zeitgemäße Deutschversion übertragen. Und wenn man den deutschen Text liest, Zeile für Zeile mit dem Original vergleicht – auch wenn man des Französischen nicht unbedingt so mächtig ist – kommt man dem Geheimnis von Baudelaires Sprachgewalt allmählich auf die Spur.

Das Schwierige an Lyrik ist die Verschlossenheit gegenüber exakter Analyse. Aufbau und Struktur kann man untersuchen und sich an der Schönheit und Reinheit erfreuen. Doch Lyrik kommt vom Herzen, und Gefühle können schlecht sortiert bzw. allumfassend analysiert werden. Es sind immer nur Fragmente, die entschlüsselt werden und dann auf das Große und Ganze umgerechnet werden. Auch lässt sich Lyrik im Allgemeinen, und „Les fleurs du mal“ im Speziellen nicht auf einmal komplett lesen. Die Emotionen springen sonst im Viereck, doch ist es eine Wohltat zu wissen, dass ein Standardwerk immer griffbereit im Regal steht und zu jeder Tages- und Nachtzeit wohlige Worte den Raum erfüllen können.

Man muss sich auf die Zeilen einlassen, vielleicht am Canal Saint-Martin in Paris, wo wie man Tom Sawyer am Mississippi liest, oder eben Siddharta in einem indischen Ashram, oder die bolivianischen Tagebücher in den Anden. Denn dann treffen „echte Welt“ und deren Interpretation dort aufeinander, wo ihre Wurzeln liegen. So wie man van Goghs Sonnenblumen nur in der Provence erst richtig auf den Grund gehen kann.