Das Spiel meines Lebens

Da geht man sich „nur kurz mal die Füße vertreten“ und schon liegt die Mannschaft, die das ganze Spiel über geführt und es dominiert hat, in der Nachspielzeit zurück. Schlusspfiff, die Spieler überstrapazieren ihren Tränengänge und die hintere Nackenmuskulatur aufs Extreme. So ein Spiel werden sie nie vergessen. Alle stürzen auf die Spieler ein. Vernünftige Antworten sind zwar nicht aus ihnen herauszupressen, dennoch versucht man es. Und was ist mit den Fans und den Reportern? Werden die denn überhaupt nicht gefragt? Doch! Julia Suchorski – Pauli-Fan – bat sie ihre Erinnerungen an das Spiel ihres Lebens niederzuschreiben, die nun endlich erhältlich sind.

Das eingangs erwähnte Spiel ist das Champions-League-Finale 1999, Bayern-ManU. Die Bayern führen fast die gesamte Spielzeit, und verlieren binnen Sekunden in der Nachspielzeit. Für den gebürtigen Münchner Benedict Wells – und nicht nur für ihn – ein Drama. Insgeheim trägt er sogar Schuld daran. Denn er konnte sein „Glücksritual“ nicht bis zum Schlusspfiff durchziehen. Oder war doch Coca Cola Schuld, weil die so kleine Dosen herstellen?

Christine Westermann, die man nicht unbedingt unter den Ball-Enthusiasten vermutet – nicht weil sie eine Frau ist!, nein! – macht sich Gedanken darüber, welcher Spiel denn nun das „Spiel ihres Lebens“ war. Und dabei haut sie eine Anekdote nach der anderen raus. Eine Wonne für Fußball-Nostalgiker!

Die Autoren standen auf mehreren Kontinenten auf den Tribünen. Sie litten, schrien, weinten, jubelten. Wie selten zuvor. Oft sind die „Spiele ihres Lebens“ nur bruchstückhaft noch in ihren Erinnerungen vorhanden, doch das Gefühl daran ist präsent als ob es gestern gewesen wäre. Verpasste Chancen hüben wie drüben, bei Spielern und Fans gehören dazu wie das unbeschreibliche Gefühl einem historischen Moment beigewohnt zu haben.

Voller Leidenschaft frönen die Autoren in ihren Texten ihren Erinnerungen und dem Spiel „da unten, auf dem Rasen“, so dass der Leser die Umarmungen, die Verzweiflung, die Euphorie, die Niedergeschlagenheit am eigenen Leib miterleben kann.

Die Autorin gibt zu, dass es schon ungewöhnlich ist, dass sie ein Buch herausgibt, das allein dreimal den Rivalen aus der Hansestadt zum Thema hat (S2U0N1 – Fußballfakten-Kenner wissen worum es geht). Auch Dortmund kommt gleich zweimal zum Schuss – und gewinnt. Als Fußballfan erinnert man sich vielleicht an manche beschriebene Partie. Selten zuvor wurden Emotionen so wortstark und nachvollziehbar aus der Sicht der Zuschauer und Fans betrachtet. Rechtzeitig zur Frauen-EM in Holland ist dieses Buch der Brückenschlag in die Erinnerungen an „die gute alte Zeit“, als Kerle noch instinktiv gegen die Pille kickten und nicht bierbäuchig ihr Exp(äh, äh)rtentum vor laufenden Kameras kundtun mussten.

Dieses Buch gehört den Funktionären – von ganz oben angefangen, denn ganz besonders – um die Ohren gehauen bis ihre „Geschäftigkeit“ der Leidenschaft, die sie einst zum Fußballspiel trieb, gewichen ist. Kaum ein (ernst gemeintes) Wort über Schiebung, Korruption und Betrug, sondern pure Emotionen, Freude am Spiel und die Aussicht darauf, dass sich alles irgendwann einmal zum Besseren wenden kann.