Erinnerungen

Ein Buch über zwei Vorbestrafte. Zwei, die es einfach nicht lassen können mit illegalen Aktionen ihre Ziele zu verfolgen. Darf man so was veröffentlichen? Eine provokante Frage! Ja, man darf. Man muss! Denn es handelt sich hierbei nicht um irgendwelche Gauner, Diebe, Trickser oder gar Schlimmeres, sondern um Beate und Serge Klarsfeld. Nazijäger nennt man sie. Dieser Titel erfasst nicht einmal annähernd die Bedeutung der Arbeit der Beiden.

Gerade dem Teenageralter entwachsen, ging Beate Klarsfeld als Au-pair nach Paris. Mit im Gepäck waren Neugier und Schüchternheit, aber auch Charme und Durchsetzungsvermögen. Hier lernt sie auch Serge kennen. Dessen Familie hat die Judenverfolgung in Frankreich miterleben müssen, Serges Vater konnte gerade noch Frau und Kinder verstecken, bevor die Nazis ihn verhafteten, deportierten und in Auschwitz ermordeten.

Vom Ausland aus wird Beates Blick auf die Heimat geschärft. Kurt Georg Kiesinger soll Bundeskanzler werden. Nur wenige haben damals den Mut ihn wegen seiner führenden Propagandatätigkeit im Dritten Reich anzugreifen.  Beates Kampfeswille ist geweckt. Als sie in einer französischen Zeitung zum Widerstand gegen den Kanzlerkandidaten aufruft, wird sie entlassen. Ihre Vorgesetzten berufen sich auf die Statuten des Deutsch-Französischen Jugendwerkes. Einer der Hauptakteure trat am gleichen Tag wie Kiesinger in die NSDAP ein – ein Wink des Schicksals? Doch all das Kämpfen, Aufrütteln und Öffentlichmachen nützt nichts – das Angestelltenverhältnis bleibt aufgelöst. Es müssen andere Methoden her, um auf die Missstände aufmerksam zu machen.

Serge ist eine der treibenden Kräfte die Kollaboration des französischen Vichy-Regimes mit Nazideutschland publik zu machen. Wie zwei Terrier am zerren die beiden am Hosenbein der Geschichte. Aufdecken als Rache ist es nicht, was die beiden antreiben wird. Gerechtigkeit im wahrsten Sinne des Wortes ist ihre Triebfeder. Wenn es sein muss – und es muss immer wieder sein! – auch mit illegalen und spektakulären Aktionen. Als Fanal galt und gilt die schallende Ohrfeige für Kiesinger.

Es war die Zeit des Vergessens. Ruhe war eingezogen, und so sollte es auch bleiben. Krieg und Verfolgung waren über ein Jahrzehnt her, doch die Täter waren immer noch unter ihnen. In führenden Positionen, wie unter anderem das Beispiel Kiesinger zeigte. Andere waren geflohen, um sich nicht vor Gerichten verantworten zu müssen. Diese aufzuspüren, ihre Taten lautstark anzuprangern und vor Gericht zu bringen, war von nun an das Lebensziel der beiden. Und ist es bis heute.

Dem Anwalt und Historiker Serge Klarsfeld ist es zu verdanken, dass die Opfer der Nazidiktatur namentlich nicht vergessen werden. Unermüdlich durchforstete er Archive und gab den Hinterbliebenen die Möglichkeit Zweifel und Ungewissheit über den Verbleib ihrer Väter und Mütter, Tanten und Onkel, Söhne und Töchter auszuräumen. Immer wieder kehrte auch der Terror in ihr Leben zurück. Anschläge und Anfeindungen waren Alltag.

Ihre Lizenz zum Jagen erhielten Beate und Serge Klarsfeld von der Humanität. Ihnen wurde in frühen Jahren zum Verhängnis, dass sie vorausschauend wirkten. Erst in jüngster Vergangenheit konnten sie die Früchte ihrer Arbeit ernten. Das Bundesverdienstkreuz für beide und die Kandidatur Beate Klarsfelds als Bundespräsidentin waren mehr als Genugtuung. Es war die nie eingeforderte, doch willkommene Anerkennung ihrer niemals endenden, aufopferungsvollen Arbeit.

Die Erinnerungen lesen sich wie ein Thriller, mal mit gutem, mal mit nicht so befriedigendem Ende. Die Jagd nach Klaus Barbie dem Schlächter von Lyon (in Frankreich verurteilt)  oder Alois Brunner, dem Handlager von Adolf Eichmann (entkommen, aber elend in Syrien gestorben).

Die Parallelen zur aktuellen politischen Lage sind erschreckend. Wortwahl und Zielstrebigkeit der so genannten neuen Rechten sind so eng mit der Zeit des Faschismus in Europa verknüpft, dass man meinen sollte, dass allein der Habitus dieser Querköpfe ausreichen sollte, um sie zu entlarven und zu verteufeln. Das Gegenteil ist der Fall. Ein Schlag auf den Hinterkopf mit diesem über sechshundert Seiten starken Buch können die Schreie nach der „starken Hand“ von denen, die Barbie, Lischka, Brunner schon vergessen haben, verstummen lassen.