Lanterne rouge

Lanterne rouge

Big Pharma ist wieder unterwegs! Man nennt sie auch Tour de France. Seit Jahren wird den Fernsehzuschauern und Sportbegeisterten die Lust am Radsport gehörig vermiest. Immer wieder neue Dopingskandale, neue Enthüllungen über Vertuschungsversuche (vor allem und oft angeordnet von höchster Stelle) und höchstfragwürdige Ausreißversuche an den unmöglichsten Stellen der größten Rundfahrt der Welt. Und doch schaut man hin, ist die Faszination Radsport ungebrochen. Viele schauen ja nur noch zu, weil es sonst keine so langen Reportagen über Frankreich gibt …

Max Leonard ist selbst Radfahrer aus Leidenschaft. Auch er hat sich schon mal eine Etappe der Tour de France probiert. Ist leider gescheitert. Zu kalt, zu windig, zu verregnet. Ist der deswegen ein Verlierer? In keinster Weise! Er hat es versucht. Mit modernen Mitteln, also nicht mit Pillen oder ähnlichem, sondern mit einem hochentwickelten Fahrrad. Hat alles nichts genützt. Das war einhundertacht Jahre nach der ersten Tour de France. Gewonnen hat damals Maurice Garin. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp 26 km/h. Mit knapp 16 km/h kam Arsène Millochau ins Ziel. Allerdings benötigte er fast fünfundsechzig Stunden (!) mehr. Er war das Schlusslicht der allerersten Tour de France. Kleine Parallele zur Gegenwart: Maurice Garin nahm ein Jahr später wieder an der Grande Tour teil. Allerdings machte er es sich unterwegs in einem Zugabteil gemütlich. Er flog auf. Betrügen und Tour de France gehörten also schon immer irgendwie zusammen. Das mildert vielleicht etwas die Bauchschmerzen bei der nächsten Übertragung.

Das vermeintliche Versagen beim Selbstversuch eine Tour-de-France-Etappe zu meistern bestärkte Max Leonard in seinem Bestreben nach einem Buch über die wahren Helden der Frankreichrundfahrt. Nämlich die, die durchhalten, egal, mit welchem Rückstand sie ins Ziel rollen (oder wanken). So entstand dieses einzigartige und mehr als lesenswerte Buch, das frei von unerlaubten Mitteln und trotzdem das Siegerbuch unter den Almanachs ist.

Der Autor setzt den Roten-Laternen-Trägern ein Denkmal für die Ewigkeit! Sie sind die wahren Sieger, stehen im Schatten der Großen, die sich von nun an (noch mehr) den Anfeindungen widersetzen müssen. In den vergangenen hundert Jahren hat sich viel getan. Die Tour ist länger geworden. Die Tour ist schwieriger geworden. Die Tour ist ein Reklame-Tross geworden mit sportlichem Anhang (kaum ein Sportler wird noch nach seiner Herkunft benannt, sondern nach dem Team für das er fährt – wo liegt eigentlich Alpecinien? Oder das Quick-Steppanien?) Die Kameras sind nach vorn gerichtet, auf tête de la course, und auf die Poursuivants. Das Peloton ist auch ab und zu mal im Bild. Doch die Letzten sind fast nie im Bild. Ganz hinten, kurz vor dem Besenwagen ist keine Kamera mehr. Das „internationale Bild“ hat dafür kein Auge. Max Leonard ist das Auge für die wahren Sportfans und hat ein Herz und die Leidenschaft für alle, die sich schinden und den olympischen Gedanken im Herzen am nächsten Tag wieder befeuern. Ihre Passion erlischt nie. „Lanterne Rouge“ strotzt vor Anekdoten. Ein Fest für alle, die den Radsport betreiben, sich an Übertragungen noch erfreuen können. Vielleicht trägt es ja dazu bei, dass im kommenden Jahr eine extra Kamera auf die enthusiastischen Cyclisten gerichtet ist. Schon vorher ist dieses Buch ein Must Have für Sportreporter, Radsportfans und vielleicht sogar Ansporn für den einen oder anderen Nachwuchsradler.