Fußball

Fußball

Schaltjahr – Olympische Sommerspiele – Fußball-Europameisterschaft! Die drei Eselsohren für Sportfans. Und wieder werfen Experten ihre Fußballgeschichten auf den Büchermarkt. Man meint, dass schon über jede Meisterschaft, jedes Spiel, jeden Spielzug Zeilen verfasst wurden. Und dann kommt ein anerkannter Schriftsteller daher und beweist das Gegenteil. Jean-Philippe Toussaint ist seit Kindesbeinen an vom runden Leder und der Jagd danach angetan. Er ist kein Fanatiker, Enthusiast trifft es eher. Er kreischt nicht bei jeder öffentlichen Zurschaustellung (public viewing ist einfach zu blöd, um die Menschenansammlungen zu beschreiben), nur weil einer seiner Helden in Großaufnahme zu sehen ist. Er ergötzt sich an Tricks, freut sich über gelungene Spielzüge und … er erinnert sich.

Als Belgier des Jahrgangs 1957 konnte er sich über die belgische Abseitsfalle jahrelang erfreuen. Doch ab Mitte der 80er bis ins neue Jahrtausend hinein konnte er seinen Emotionen nur in den Qualifikationsspielen freien Lauf lassen. Doch seit einem Jahrzehnt kann er sich auch darüber hinaus an Wilmots und Co. erfreuen. Auch 2016 ist Belgien wieder ein essentieller Bestandteil des europäischen Fußballgeschehens.

Nun ist Jean-Philippe Toussaint sicherlich keiner, der einhändig im Stadion zu Brüllen beginnt, wenn sein Team punktet. Er ist ein stiller Genießer, der im richtigen Zeitpunkt die Arme hochreißt und seinen Nebenmann umarmt. Auch wenn er ihn gar nicht kennt. Oft passiert. Auch bei Weltmeisterschaften. Denn die haben es ihm angetan. 2002 in Japan und Korea war er vor Ort, also in Japan. Schaute Spiele im Stadion und im Fernsehen an. Doch das echte Ereignis waren für ihn die Stadionbesucher. Diszipliniert, uniformiert, stressresistent. Den Ratschlag schon Stunden vor Spielbeginn aufzubrechen, beherzigt er und wird nicht enttäuscht.

Enttäuschend hingegen die WM 2006 in Deutschland. Keine Karten für Jean-Philippe Toussaint. Nur durch Umwege kann er sich Schweden gegen Paraguay anschauen – beide Teams scheiden in der Vorrunde aus.

Jean-Philippe Toussaints Ansichten über Fußball sind universell und speziell zugleich. Seine Wortwahl ist treffsicher, ohne verbale Schwalben, kein sinnfreies „kick and rush“, einfach nur intelligentes Phrasieren über die schönste Nebensache der Welt.

Das Titelbild des Buches zeigt die Veränderungen des Fußballs. Waren bis in die 80er Jahre fast nur echte Fußballfans in den Stadien, ist ein Event wie die Europameisterschaft heute ein Massenphänomen, das auch Menschen an lockt, die sonst rein gar nichts mit den zweiundzwanzig Millionären, die gegen einen Ball treten, zu tun haben. Eine Riesenparty, die mit dem eigentlichen Fest kaum etwas zu tun hat, lässt auch die Leidenschaft von Jean-Philippe Toussaint ein wenig nachlassen. Das Halbfinale der vergangenen WM zwischen Holland und Argentinien wollte er sich im Internet auf Sardinien anschauen. Ein Stromausfall hatte dann doch sein Feuer wieder entfachen lassen. So ist es: Fußball kann sich kaum jemand entziehen, der den puren Nervenkitzel sucht. Je länger ein Turnier dauert, desto größer das Kribbeln. Zum Glück hat es Jean-Philippe Toussaint auch in den Fingern gekribbelt und er beschert uns im Fußball-Sommer 2016 das Fußball-Buch 2016.