Gebrauchsanweisung für Istanbul

Gebrauchsanweisung Istanbul

„My kind of a town“, meinte einst Al Capone über Chicago. Hier konnte er zeitweise schalten und walten wie er wollte. Und Istanbul? Was sagt der geneigte Besucher über diese Stadt? „My kind of a cultural clash“. Hier stoßen die urbanen Lebensentwürfe wie Kontinentalplatten aufeinander. Nicht so langsam – ganz im Gegenteil – jedoch nicht weniger eindrucksvoll. Und hier kann der Gast schalten und walten wie er will. Wenn er sich auskennt! Zur perfekten Reisevorbereitung gehört neben dem unverzichtbaren Reisebuch auch ein wenig wohl formulierte Literatur. Und die liefert Kai Strittmatter. Nun ist Kai Strittmatter nicht nach Istanbul gekommen, weil er hier schon immer mal Urlaub machen wollte. Er wollte, nein er durfte als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung von Peking nach Istanbul wechseln. Der Unterschied zwischen „normalem Touristen“ und dem Autor ist nicht besonders groß. Beide wissen wo ihr Haus wohnt (sorry, aber der Gag musste jetzt einfach sein), der Tourist hat sein Hotel, Kai Strittmatter seine Wohnung (mit Bosporusblick und allem Drum und Dran). Beide wissen, was sie hier zu tun haben, sich umschauen, aufsaugen und berichten. Und beide kommen anfangs nicht aus dem Staunen raus! Wo „normale Touristen“ nicht mehr als ein „Boah“ herausbekommen, arbeitet sich Kai Strittmatter sanft und wortstark durch die einzelnen Kulturschichten. Für den Leser heißt das: Achtung Suchtgefahr! Die Intensität der Worte lässt an der Wahl des Urlaubsortes, sofern er denn nicht Istanbul heißt, zweifeln. Erste Umbuchgedanken kommen auf. Vielleicht doch eher Istanbul statt, Westerwald? Nicht unbedingt. Istanbul rennt nicht weg. Die Stadt gehört zu den Ältesten der Welt. Aber den Gedanken aus dem Kopf zu bekommen, wird verdammt schwer!

Die kurzen Kapitel machen das Buch zu eine echten Lese-Dauerbrenner. Kurz und knapp taucht man immer tiefer in die Seele der Stadt ein. Kurz unterbrochen von farbenprächtigen Absätzen, die einem Istanbul auf Gefühlsebene näher bringen. Mit eines der längsten Kapitel trägt den Titel „Auskosten“. Na klar, was sonst?! Istanbul sollte man in vollen Zügen genießen. Sich dem Rhythmus der Stadt anpassen. Nix für Frühaufsteher! Keyf nennt man das hier. Eine Art Müßiggang mit Zusatzleistungen. Laissez-faire mit Würde.

Kai Strittmatters Texte lesen sich wie ein Roman. Der Ich-Erzähler verzichtet auf das Links-Und-Rechts-Verweisen, was man gesehen haben muss und was nicht so sehr von Bedeutung ist (das gibt’s tatsächlich in Istanbul). Vielmehr ist die Gebrauchsanweisung ein echtes Handbuch, um sich nicht allzu sehr als Fremder im Millionenmoloch Istanbul zu fühlen. Ausflüge gibt es nur in die Geschichte. Alle anderen Trips sind wichtiger Bestandteil des Lebens am Bosporus. Kai Strittmatter geht Vorurteilen nach, belegt oder widerlegt sie, und wenn sie stimmen, forscht er nach woher sie kommen. Wer noch keinen Reisebegleiter für Istanbul gefunden hat: Bitte sehr, hier ist er! Vierundzwanzig Stunden verfügbar, eloquent, ratgebend und unerlässlich.