Lesereise Vatikan

Lesereise Vatikan

Er ist das letzte Relikt einer vergangenen Zeit. Auf dem Papier ist der Vatikanstaat das rückschrittlichste Land der Erde. Bei näherem Betrachten ist das kleinste Land aber auch sehr fortschrittlich. Ein absolutistischer Herrscher, die bunteste Armee der Welt, aber auch die niedrigste Scheidungsrate. Der Regierungschef hat einen Migrationshintergrund, so wie eigentlich alle Bewohner. Und obwohl die Nähe zu Italien dagegen sprechen sollte, spielt die Fußball-Nationalmannschaft keine Rolle im Elf-Gegen-Elf-Weltgeschehen. Und noch was: Die Verwaltung des Landes ist der größte Immobilienbesitzer der Welt. Und zum Einkaufen allein fährt man auch nicht an den Petersplatz. Endlose Schlangen vor den Museen sind kein Argument hier ein paar geruhsame Tage zu verbringen. Warum also ist der Vatikan so beliebt bei Touristen, dass beispielsweise in den Heiligen Jahren – 2016 steht übrigens wieder eines ins Haus – mehr als die zwanzigtausendfache Menge der Einwohnerzahl an Touristen verkraftet werden muss.

Christine Höfferers Lesereise erklärt in ihren Reportagen warum es sich hier aushalten lässt und ein Abstecher ins Zentrum Roms mehr als nur lohnenswert ist. Noch einmal zurück zu den Warteschlangen. Wer unvorbereitet die Vatikanischen Museen besuchen will, braucht Stehfleisch. Besser anmelden. Dann klappt’s auch mit dem Reinkommen und man hat sogar Zeit und ein wie auch immer geartetes Lächeln für die Wartenden übrig. Zeitgemäß modern wie die christlich-sozialen Freunde in Bayern meint auch der Chef der Museen, dass hier Kontingente von Nöten seien, zumindest aber hilfreich sein könnten.

Die Schweizer Garde ist die wohl am wenigsten Schaden anrichtende Söldnerarmee der Welt. Wer mitmachen will, muss sich einer strengen Prüfung unterziehen. Wenn Alter, Größe, Herkunft, Konfession, Familienstand stimmen, gibt’s eine schicke Uniform. Und die schneidert Ety Ciccioni. Rund 150 Uniformen schneidert er pro Jahr. Die Farben setzen sich aus den Familienfarben früherer Päpste zusammen, das Blau von den Medicis und das Gelb-Rot aus dem Geschlecht der della Rovere. Wegen des Gehalts nimmt keiner der Gardisten diesen Job an. Tausendvorhundert Euro gibt’s jeden Monat vom Chef.

Die Lesereise Vatikan besticht durch die sorgfältige Auswahl der Themen und die lesenswerte Umsetzung selbiger. Christine Höfferer ist eine echte Kennerin der Geheimnisse des Vatikans. Als Tourist wird man dieses Buch verschlingen. Und immer wieder lesen. Und immer dabei haben. Sei es als Zeitvertreib in der Warteschlange, oder als Nachschlagewerk, wenn man vor Ort ist. Denn hier lauert nicht an jeder Ecke ein Histörchen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes in Schrittlänge.

Das Format ist außergewöhnlich: Passt in jede Tasche, beult nicht aus und der Inhalt der Serie im Allgemeinen und dieses Buches im Speziellen trägt dazu bei den Urlaubsort eingehend zu begreifen.