Archiv für den Monat: September 2015

Achtsamkeit

Achtsamkeit

Das Jahr mit einem oder mehreren guten Vorsätzen beginnen, gehört einfach dazu. Genauso wie das Verleugnen selbiger, sobald der Alltag wieder eingekehrt ist. Was hat man doch gleich zu Beginn sich vorgenommen? Vergessen! Is auch egal. Oder doch nicht?! Hätte man sich zwischen Sekt, Böllerei und Völlerei doch mal die eine oder andere Idee aufgeschrieben. Dann könnte man jetzt nachschlagen.

Ein Vorsatz war bestimmt ein besserer Umgang mit den Menschen und sich selbst. Dieser Kalender erinnert einen jede Woche mit einem anderen Spruch daran wie verletzlich der Mensch, seine Umwelt und die Wechselbeziehungen sind. Gelassener den Alltag gestalten, besonnen agieren oder einfach mal zuhören. Das Besondere an diesem Kalender sind nicht die Sprüche an sich. Die gibt es zuhauf auf unzähligen Kalendern. Auf  der Rückseite werden die Weisheiten in den richtigen Kontext gesetzt. Denn wer am frühen Morgen noch etwas schlaftrunken sich mit Jahrhunderte alten Sätzen beschäftigen muss ohne an die Hand genommen zu werden, ist verloren. Und dann ist es wie jedes Jahr: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?!

Selbstreflexion ist nichts mit dem man fahrlässig umgeht. Doch zwischen Optimierung und den täglichen Pflichten wird sie oft in den Hintergrund gedrängt. Geduld haben mit jedem Tag des Lebens haben, ist eine Weisheit aus dem fernen Osten. Das soll nicht bedeuten, erst dann zur Arbeit zu erscheinen, wenn es einem passt. Es ist auch die Aufforderung sich Gewohnheiten entgegenzustellen, den eigenen Denkkreis zu erweitern und somit sich stets neuen Herausforderungen zu stellen.

Der Tischkalender „Achtsamkeit“ ist kein Lehrer, der zur Achtsamkeit ermahnt. Er hält dazu an mit offenen Augen durchs Leben zu schreiten. Gegebenes muss nicht immer in diesem Status verweilen. Das, was da ist, ist der Startpunkt, nicht der Weg oder das Ziel. Und am Ende des Jahres kann man getrost sich neue Vorsätze vornehmen. Denn im vergangenen Jahr hat es ja ganz gut geklappt…

Briefe!

Briefe!

Das Internet vergisst nie. Bücher auch nicht! Briefe hingegen können schon mal verloren gehen. Simon Garfield setzt mit „Briefe!“ ein weiteres Ausrufezeichen, nachdem er den Karten bereits ein kleines Denkmal setzte.

Wir, die wir in der Gegenwart leben, sind Zeugen wie ein Kommunikationsmittel stirbt. Wenn wir Briefe bekommen, sind es meist Rechnungen, Werbeschriften oder Ankündigungen. Alles offiziell. Kaum Privates, geschweige denn Liebesbriefe. Eine Einladung zum Essen schickt man heutzutage auch kaum noch. Und dabei ist es gar nicht so lang her, dass die Post fast das einzige Kommunikationsmittel war. Urlaubsgrüße aus fernen Ländern sind die letzte Bastion des privat geschriebenen Wortes.

Simon Garfields Neugier auf Briefe wurde durch eine Auktion geweckt. Er erwarb unter anderem einen Briefwechsel eines Magiers mit dem magischen Zirkel, in dem einige Tricks verraten wurden.

Wer sich mit Briefen beschäftigt, kommt am Menschen nicht vorbei. Denn Briefe sind der Spiegel des Lebens schlechthin. Ohne sie wäre die Wissenschaft um eine Wissensquelle ärmer. Die ältesten erhaltenen (und vor allem übersetzbaren) Briefe sind um die zweitausend Jahre alt. Meist handelte es sich bei ihnen um belanglose Abhandlungen. Gelehrte wie Plinius der Jüngere halten da schon mehr Substanz parat. Beispielsweise von einem Dinner bei Julius Caesar.

Der Autor beschränkt sich nicht allein auf das bloße Sammeln und Aufzählen wer wann wem was geschrieben hat. Vielmehr setzt er die Briefe in einen historischen Kontext. So ist „Briefe!“ mehr als nur ein Kulturabriss, eine Zusammenstellung aus mehreren Jahrhunderten, sondern echter Geschichtsunterricht. Doch auch die Entwicklung, die Feinheiten der Technik und die zahlreichen Kuriositäten halten den Leser bei der Stange.

Die Anzahl derer, die einzig allein per Brief sich austauschen, ist verschwindend gering. Dabei ist es so einfach einen Brief zu schreiben. In drei Abschnitten begibt sich der Leser auf eine Zeitreise unter dem Motto „Wie man Briefe schreibt“. Und schnell stellt man fest: So groß sind die Unterschiede im Laufe der Jahrhunderte nicht geworden. Wer etwas mitzuteilen hat, verfährt immer noch nach dem gleichen Muster. Insofern ist der Brief immer noch modern. Nur die Art der Übermittlung hat sich verändert.

Unter www.weltderbriefe.de sind einige bedeutende Beispiele der Vergangenheit erfasst. Oscar Wilde, exzentrisch bis ins Blut, wagte eines Tages einen Versuch. Er schrieb einen Brief, frankierte und warf ihn … auf die Straße. In der Hoffnung, dass es eine treue Seele gibt, die ihn in den dafür vorgesehenen Briefkasten wirft. Das war auch der Startschuss für den Blog  „Welt der Briefe“. Bei Wilde dauerte es eine gewisse Zeit, der Startschuss-Brief wurde bereits am nächsten Tag zugestellt.

Fortschritt kann nur mit Geschichte beginnen. Kleine Holztäfelchen sind die ältesten überlieferten Belege von Briefen. Sie sind zerbrechlich und mit äußerster Vorsicht zu behandeln. Heutzutage bestimmen Kurznachrichten unsere Kommunikation. Abkürzungen gelten als die neueste Errungenschaft im digitalen Zeitalter. Doch auch da irrt man sich: Die Römer kannten schon SVBEEQV, was heute einem „How are You“ gleichkommt. SVBEEQV steht übrigens für „si vales, bene est, ego quidem valeo“. Lateinisch, auch so eine Sache, die für tot erklärt wurde und doch immer noch weiterlebt. Genauso wie Briefe, und sei es in einem Blog.

Komm, wir ziehen nach Bethlehem!

Komm, wir ziehen nach Bethlehem

Die Geschichte muss neu geschrieben werden! Es waren vier Heilige Könige. Und sie folgten einem Kamel. Der Würfel gab vor, wie viele Schritte jeder König machen durfte. Erst als zwischen der Heiligen Familie und einem der Könige kein Kamel mehr passte, waren sie am Ziel. Und der Erste gewann einen Preis!

So verläuft zumindest das neue Spiel „Komm, wir ziehen nach Bethlehem!“. Vier Spieler – jeder ein König – zieht einen der vier verschieden farbigen Stern-Steine. Nicht den Anderen zeigen! Die Könige stehen in einer Reihe. In einer bestimmten Entfernung, die durch die Größe des Raumes, in dem gespielt wird, vorgegeben wird, wird die Heilige Familie aufgestellt.

Mit dem Würfel wird nun bestimmt wie viele Schritte man gehen darf. Wie lang ein Schritt ist, bestimmt das Kamel. Vor jedem Schritt stellt man einen König, man muss nicht zwingend mit seinem eigenen (geheimen) König spielen, hinter das Kamel. Nun zieht man am Kamel vorbei. Und wiederholt dies so oft wie es der Würfel anzeigt. Wer eine rote Eins würfelt, darf einen König einen Schritt zurückbewegen.

Ein Spiel, für das man kein Spielfeld braucht. Ein Tisch oder der Boden sind Spielfeld genug. Die Holzfiguren sind handlich, so dass auch kleine Mitspieler mühelos daran teilnehmen können.

 

Die schönsten Weihnachtsbräuche

Die schönsten Weihnachtsbräuche

Eine neue Spielekonsole, das neueste Smartphone, elektronische Gadgets – Weihnachten wirft seine Schatten voraus. Immer ausgefallener – meint so mancher – sind die Wünsche, die es zu erfüllen gibt. Doch eines bleibt: Die Tradition Weihnachten zu feiern. Die Rituale hat jede Familie selbst erarbeitet. Und die bleiben! Trotz aller Neuerungen.

Da ist der kinderaugenverzückende Adventskalender. Vierundzwanzig Mal Spannung und unbändige Freude. Manch einer kann davon auch als Erwachsener nicht ablassen. Besonders, wenn die Oma diesen so liebevoll gestaltet hat. Adventskränze spenden nicht nur ein heimeliges Licht und Wärme, sie sind die Vorboten des Festes schlechthin. Oder das alljährliche Weihnachtsbaumschmücken, was wohl nur in Comedysendungen im Chaos endet.

Achtzehn Bräuche werden in diesem Buch vorgestellt. Viele kennt man und zelebriert sie auf eigene Art. Doch einige sind den meisten unbekannt. Wie der blühende Barbarazweig. Am 4. Dezember schneidet man Kirschzweige vom Baum und stellt sie in eine Vase. Blühen sie bis Weihnachten, hält das Glück ein Jahr an. Der 4. Dezember ist der Namenstag der Heiligen Barbara, die für ihren Glauben in den Kerker gesteckt wurde. Am Tag ihrer Hinrichtung blühte der Zweig.

Einen Tag später werden die Schuhe geputzt, damit am Sechsten der Nikolaus seine Geschenke darin ablegt. Wiederum eine Woche später, am 13., feiert man vor allem noch in Schweden und anderen skandinavischen Ländern das Lucia-Fest. Lucia lebte um 300 herum in Italien und besuchte an diesem Tag die Verfolgten Christen. Heute schreitet ein weißgewandetes Mädchen mit einem Kerzenkranz auf dem Kopf vor einer Gruppe Kinder und singt Weihnachtslieder.

Auch das Schlendern über Weihnachtsmärkte ist ein Brauch. Was man bei so manchem Besucher, der kurz vor Feierabend fröhlich lallend noch einen „lühwei .. en“ bestellt, nicht vermuten sollte. Diese Märkte sind seit dem 14. Jahrhundert Tradition und mittlerweile ein fester Bestandteil im Tourismusprogramm vieler Städte.

Fast in Vergessenheit geraten, ist die Weihnachtspost. Als Marketinggag wird jedes Jahr das Weihnachtsmanndorf in Finnland von einer Papierwelle erfasst. Doch nur handschriftliche Post erreicht den Weihnachtsmann und erst dann erfüllen sich die Wünsche…

Nicht zuletzt gibt es den Glück verheißenden Brauch des Küssens unterm Mistelzweig. Ursprünglich in Großbritannien verbreitet, findet er auch im Rest der Welt immer mehr Anhänger. Woran das wohl liegt?

Dieses kleine Büchlein regt an Weihnachten immer weiter mit Bräuchen zu verschönern. Es ist das Fest mit den meisten Traditionen. Ein echtes Erinnerungsstück, das allein schon seine nostalgische Aufmachung Erinnerungen jedes Jahr auf Neue zu entdecken. Die ganzseitigen Abbildungen werfen den Blick zurück an eine Zeit, in der man – je nach Alter – bei Oma oder Uroma auf dem Schoß saß und leckere Plätzchen naschte. Sie war es auch, die mit dem Adventskalender Weihnachten schmackhaft machte …

Ein Bauch spaziert durch Paris

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Sternekoch, Musiker, Autor … und nun auch noch Reiseleiter in Sachen Kulinarik. Vincent Klink nur als Fernsehkoch zu sehen, wäre schändlich. Denn viele seiner Kollegen haben nicht mal ein Restaurant (was zumeist auf der ersten Silbe betont wird, klingt wahrscheinlich fachmännischer). Schändlich wäre es auch in Paris sich nicht den lukullischen Genüssen hinzugeben. Und so trägt Vincent Klink seinen Bauch vor sich her – der Titel verrät es bereits – und die magenlärmende Sehnsucht im Herzen. Alle Sinne sind geschärft.

Ihm geht es nicht anders wie den meisten von uns. Vor Aufregung kann er die Nacht vor der Abfahrt kaum schlafen, ist überpünktlich am Bahnhof. Mit dem TGV dauert die Fahrt nur rund dreieinhalb Stunden. Dreieinhalb Stunden bis man an der Gare de l’Est endlich Pariser Luft schnuppern kann. Und dann raus in die Stadt der Liebe, in die Stadt des Genusses, auf nach Paris. Würde er in der Gare de Lyon ankommen, würde die Flucht in die Stadt etwas länger dauern. Denn hier gibt’s das eindrucksvollste Restaurant der Pariser Bahnhöfe, das Le Train bleu.

Vincent Klink ist angekommen in Paris. Ein kühles Bier wäre ihm jetzt am liebsten, doch der heißeste Tag des Jahres verbietet dieser Leidenschaft nach zugehen. Ein kühles Blondes und die geballte Wucht der Sonnenstrahlen hätten nur eines zur Folge: Er würde noch mehr schwitzen. So macht er sich auf seinen ersten Erkundungsgang bevor es ins Hotel geht. Und das Rezept für die Jüdische Hühnersuppe liefert der Küchenmeister gleich mit.

„Ein Bauch spaziert durch Paris“ ist mehr als nur eine Reiseschilderung eines neugierigen und hungrigen Chefkochs. Es ist ein Kulturführer der besonderen Art für alle, die die Attraktionen der Stadt an der Seine bereits kennen. Es ist kein reiner Restaurantführer. Wie zufällig nimmt Vincent Klink Platz, studiert die Karte und beobachtet die anderen Gäste. Er formt sich ein Bild von Paris, das jeder nachvollziehen kann, der sich wie der Autor die Zeit nimmt Paris einzuatmen, es zu riechen, zu fühlen und zu schmecken. Immer wieder streut er Rezepte ein, man kann es zu Hause nachkochen oder man fährt selbst nach Paris. Denn auch Restauranttipps gibt der Koch aus Leidenschaft zuhauf.

So hat man Paris noch nie erlesen! Als belesener kulturinteressierter Mensch – seine Geschichten reichen von den Templern und Napoleon III. über Heine und Wagner bis zu den Impressionisten und den französischen Präsidenten – ist Vincent Klink der ideale Reiseleiter. Auch hat er sich seine neugierige Ader bewahrt. Nichts liegt ihm fern als den Leser zu bevormunden. Er gibt Hinweise und Tipps, wo man einkehren kann, und liefert dazu das passende Rahmenprogramm. Zahlreiche Anekdoten sind die Würze während der gastronomischen Ausflüge. Wenn Vincent Klink nicht schon einen Stern hätte, müsste man ihm einen für dieses exzellente Werk einen verleihen.

Dieses Buch genießt man wie ein Sterne-Menü. Jeder Gang, jedes Kapitel ein Genuss für sich. Wer die Zutaten, die Seiten hinunterschlingt, ist zwar satt, aber der Schmerz der Fülle fällt dem Vergessen anheim. Was ein Frevel!

Es ist erstaunlich, dass es immer wieder neue Bücher über Paris gibt. Die Seine-Metropole ist noch nicht satt an guter und bildgewaltiger Literatur. Die einschlägigen Hotspot-Aufzähler weit hinter sich lassend, sind es Bücher wie dieses oder die City impressions Paris, die es dem Leser schwer machen sich von Paris fernzuhalten. Ob nun mit dem geschulten Auge eines Fotografen oder der lukullischen Schnitzeljagd (nur im übertragenen Sinn) eines Sternekochs: Paris erobern ohne diese Bücher vorher gelesen zu haben, wäre wie Paris ohne die Seine. Möglich, aber nur die Hälfte wert.

Das Wettangeln

Das Wettangeln

Thorshafen an der Ostsee ist ein ruhiger Fischerort. Einmal im Jahr wird die Bescheidenheit des Ortes beiseite geräumt und das Wettangeln steht an. Hier zeigen Männer was sie dazu macht, Kinder eifern ihnen nach, die Frauen feuern ihre Männer an – so schließt sich der Kreis. Nur Henry Weiß kann dieses Jahr nicht teilnehmen: Er ist kurz vor Beginn mit seinem Rollstuhl gestürzt. Aber als Schiedsrichter will er funkgieren. Sein sonores Horn verkündet Anfang und Ende des Wettstreits. Statt seiner sollen seine Nichte Anja und der Erzähler sich die Meriten verdienen.

Und sie scheinen auch Glück zu haben. Nach anfänglichem Anglerpech – der falsche Köder – zeihen sie einen Prachtburschen an Land. Siegessicher beschließen die beiden ihr Glück nicht weiter zu strapazieren und geben sich dem Müßiggang hin. Auf einem Floß treiben sie vor den aufgebrachten Anglern dahin. Sie verschrecken die Fische. Leise ziehen sie sich an einen ruhigeren Ort zurück und finden zueinander.

Bei der Preisverleihung sind sie doch die Gewinner. Egal, denn sie haben etwas an Land gezogen, dass die anderen schon haben oder nicht erreichen werden…

„Das Wettangeln“ ist die letzte vollendete Geschichte von Siegfried Lenz, der 2014 gestorben ist. Im Nachwort erfährt man, dass Henry und der Erzähler mehr als nur aus dem gleichen Holz geschnitzt sind. Sie gehören originär zusammen. Durch Krankheit erheblich in seinem Tun eingeschränkt, hat Siegfried Lenz seinem Tagespensum oberste Priorität eingeräumt. Die Geschichten, die er in den letzten Jahren schrieb, bestechen durch ihre schlichte und kompakte Poesie, die den Leser sofort in ihren Bann zieht. Das Ostseeörtchen Thorshafen, wo der Gott des Donners zwischen den beiden ankert, nimmt dieses Gewitter wie eine sanfte Brise hin. Die Außergewöhnlichkeit des Anlasses ist Grund zur Freude genug. Grund zur Freude hat auch der Leser, der nun zum ersten Mal diese Geschichte lesen darf.

Das Zeitalter des Sonnenkönigs

Das Zeitalter des Sonnenkönigs

Vor dreihundert Jahren erlosch die Sonne Ludwig des Vierzehnten und warf einen gewaltigen Schatten in der Geschichtswelt. Er schuf Versailles, ihm schrieb man „L état, c’est moi!“ zu. Und charakterisierte ihn mit „Er glänzte wie die Sonne und stank wie eine Sau“. Ist das alles, was von dem über ein halbes Jahrhundert regierenden Sonnenkönig übrig bleiben sollte? Von ihm, dem Enkel von Henri quatre und Maria de Medici? Von Louis quatorze.

Sieben Autoren beleuchten ihn, den strahlenden Herrscher und die Zeit, die er so sehr prägte, auch über die Grenzen seines Reiches hinaus.

Das Buch beginnt auch gleich mit einem Paukenschlag. Der junge Monarch ist gerade mal ins Teenageralter geschlüpft als sein Vater stirbt. Der Adel begehrt auf, so dass sich seine Mutter gezwungen sieht aufs Land zu flüchten. Nur zwei Jahre später stehen die Aufrührer im Schlafzimmer des noch jungen Königs. Wieder entkam er nur denkbar knapp. Und dann das! Sein Finanzminister Fouquet erlaubte es sich ein prächtiges Schloss zu bauen. Prächtiger als das des Königs. Die königlich geforderte Todesstrafe konnten die Richter noch einmal abwenden, doch zwei Jahrzehnte Gefängnis sind auch kein Zuckerschlecken. Versailles entstand und stürzte Frankreich in eine Finanzkrise, die erst mit dem Tod des Monarchen ausbrach. Von den 54 Jahren, die Louis XIV. regiert, führte er 34 Jahre Krieg. Nach all dem Leid, dass Krieg mit sich bringt auch ein finanzielles Desaster. Doch der König ließ sich nicht beirren. Eine seiner herausragendsten Eigenschaften. Versailles verschlang so viel Geld, dass es jeden Bankchef heutzutage wie einen besonnen Volkswirt aussehen lässt. In Versailles scharte Louis XIV. den Adel um sich, hielt sie mit Festen bei Laune. Wer ausbüchste, wurde mindestens mit Nichtachtung bestraft.

Louis XIV. war der lang ersehnte Thronfolger. Damals durften Frauen noch nicht den Thron besteigen, was einige Monarchien bis heute durchhalten. Ein Gottesgeschenk war er, sollte strahlen wie die Sonne. Seine Mutter schenkte seinem Vater bislang keinen Sohn, was ihr den Status einer Gefangenen einbrachte, der erst mit der Geburt des Nachfolgers und dem Tod des Vaters enden sollte. Sie geriet zu einer glühenden Französin, die ihre österreichischen Wurzeln und ihre spanischen Bande mit einem Mal löste. Jules Mazarin wurde der neue mächtigste Mann im Land – ihm unterstand die Erziehung des neuen Königs. Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen sowie Unterricht in Italienisch und Spanisch standen auf dem Stundenplan. Die Stunden im Tanzen waren wohl die nachhaltigsten. Denn später, während der Zeit der Feste in Versailles ließ es sich der Regent nicht nehmen selbst eine kesse Sohle aufs Parkett zu legen. Was Nero einst verwehrt blieb, brachte Louis XIV. Achtung und Respekt ein. Echt oder gekünstelt? Ihm war‘s egal, er war der unumstrittene Herrscher Frankreichs.

Louis XIV. ist kein Mythos. Er war echt. Und er wirkt bis heute nach. Die Abhandlungen in diesem Buch zeichnen den Weg eines Menschen nach, der auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint: Musisch begabt und höllisch machtversessen, Feingeist und Geldverschwender zugleich, Förderer der Musen und Kriegsherr gleichermaßen, gebildet und roh mit gleichbleibender Intensität.

Die zahlreichen Abbildungen und die umfangreich recherchierten Texte ebnen den Weg zu Louis XIV. Und sie geben den Blick frei auf das, was heute Europa ausmacht. Alles, was heute als neu verkauft wird, basiert auf einem Mann: Louis quatorze. Der, der bis heute in Sprache, Ballett, Architektur und vielen anderen Aspekten des kulturellen Lebens fortlebt.

Marie Antoinette und die Halsbandaffäre

Marie Antoinette und die Halsbandaffäre

Es ist immer wieder schön zu sehen wie „die da oben“ auf die Nase fallen. Doch genauso sicher ist auch, dass „die da oben“ auch wissen wie man da wieder rauskommt. Louis XVI. König von Frankreich heiratete einst Marie Antoinette, die Schwester von Karl Joseph II., Kaiser von Österreich. Sie stand mehr als „normal“ unter dem Einfluss ihrer Mutter Maria Theresia.

Ihr Gegenspieler in dieser Posse, dieser Affäre, diesem Skandal war Kardinal-Erzbischof Louis René Édouard de Rohan. Er stammte aus einer der reichsten und einflussreichsten Familien Frankreichs. Seinen klerikalen Titel hatte er nicht umsonst bekommen… Natürlich suchte er die Nähe der Königin, doch die ließ keine Möglichkeit aus, ihn spüren zu lassen, dass sie ihm in keinster Weise zugetan ist.

Es war ein bisschen wie es heute noch oft der Fall ist: Hinterbänkler sucht mit fragwürdigen Methoden die Aufmerksamkeit der vor ihm Sitzenden zu erhaschen. Meist passiert das heute während der so genannten Saure-Gurken-Zeit, wenn das Parlament in der Sommerpause ist.

In Jeanne de la Motte, einer Adligen, die dank des Ungeschicks ihrer Ahnen nur noch per Namen blauen Geblüts war, bekommt Rohan scheinbar die Möglichkeit sich der Königin zu nähern. Er lässt sich dazu hinreißen ein sündhaft teures Geschmeide, ein Halsband, fertigen zu lassen, welches er der verarmten Jeanne de la Motte, geborene Valois, übergibt. Die denkt nicht daran es der Königin zu überreichen. Sie verduftet. Und der gehörnte Rohan bleibt auf den selbst für ihn enormen Schulden sitzen. Und auch der Juwelier wird nicht bezahlt.

Als Sündenbock wird Rohan ausgemacht. An Mariä Himmelfahrt, dem 15.6.85, 1785, wird er abgeführt. Er hat zwei Möglichkeiten: Die Strafe des Königs, wir sind im Zeitalter des Absolutismus, da hat nur einer recht, und der trägt ’ne Krone, anzunehmen oder sich vor Gericht zerren zu lassen. Dumm nur, dass der König auch gleichzeitig Richter ist. Um die absolutistischen Neigungen zu verschleiern, lässt der König seine Untertanen seine Arbeit verrichten. Der Ausgang des Verfahrens hat keine Sieger. Ein paar Jahre später wird alles Royale einen Kopf kürzer gemacht. Die Intrigantin wird gefoltert, gebrandmarkt und verbannt. Kurze Zeit später kann sie ganz offiziell fliehen, ohne dass die Behörden ihr auf die Pelle rücken werden. Der Klerus insistiert gegen den König. Das Volk wird durch die Veröffentlichung der Prozessakten genau über die Machenschaften ihrer Regenten informiert.

Wer Parallelen zur Gegenwart ziehen will, ist herzlich eingeladen, dies zu tun. Auch 230 Jahre später „die da oben“ immer noch dabei ihr Tun und Handeln zu verschleiern. Ihre Skandale sind heute jedoch in der Mehrzahl Belustigungsobjekt und Teil der Zerstreuungsmaschinerie. Wer letztendlich Täter und wer Opfer war, kann sich nur schwer sagen lassen. Beide Lager haben ihren Beitrag geleistet. Es gibt keine Nur-Täter und keine Nur-Opfer.

Sich an das zu erinnern, was vor einem Jahr war, fällt schwer. Was vor zehn Jahren passierte, dafür braucht man meist schon Hilfe von der Familie und Freunden. Aber vor 230 Jahren: Dafür braucht man Bücher. Bücher wie dieses. Ein Ereignis, in dem sich die Mächtigen eines Landes des Verrates an selbigem strafbar machen, ein Buch zu widmen, macht Geschichte erlebbar. Nun sind es nicht mehr nur (Jahres-)Zahlen, die man für eine eventuelle Prüfung benötigt, es sind Menschen, echte Ereignisse und Skandale, die dem oft ungeliebten Fachgebiet Geschichte ihren Reiz verleihen. Vor allem, wenn sie so ansprechend formuliert und so detailreich beschrieben sind.

Meine Skandale

Meine Skandale

Wenn man den Namen Gabriel Astruc auf der deutsche Seite von Wikipedia eingibt, sieht man den Namen rot unterlegt. Kein Artikel. Eine kurze Nennung, mehr nicht. Er erbaute das Théâtre des Champs Èlyssée, das 2013 in Paris sein hundertjähriges Bestehen feiern konnte – der Name erinnert an den ursprünglich gedachten Platz. Fast vier Jahre dauerte der Bau des imposanten Gebäudes, von der Genehmigung bis zur Eröffnung, das vom ersten Tag an Erfolge feierte bzw. Skandale produzierte wie kaum ein anders Haus.

Claude Debussy und  Richard Strauss dirigierten hier ihre Werke. Das Ballett Russes wurde frenetisch bejubelt. Es waren die letzten Jahre der Belle Epoque. Paris war auf dem Höhepunkt der künstlerischen Schaffenskraft. Die Impressionisten waren anerkannt, der Kubismus und Expressionismus waren auf dem Sprung. In den Cafés traf man Künstler, deren Namen heute zu Synonymen geworden sind. Dennoch war es eine traditionelle Zeit. Man konnte sich nicht alles erlauben. Das musste auch Gabriel Astruc schmerzvoll lernen. Der zeitgenössischen Musik galt sein Herz, was ihm doch sehr schnell gebrochen wurde.

Zur Eröffnung des Tempels der Moderne wagte er das Risiko und hob „Benvenuto Cellini“ von Hector Berlioz auf den Premierenspielplan. Ein Stück, das bei der Uraufführung schon für Furore sorgte und dem keine lange Spielzeit vergönnt war.

Das Théâtre des Champs Èlyssée war zwei Monate geöffnet. Claude Debussys „Jeux“ sorgte nicht gerade für Begeisterungsstürme, um es milde auszudrücken. Ende Mai 1913 sollte Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ uraufgeführt werden. Im Publikum saßen Picasso und Chanel. Auf der Bühne wirbelten die Tänzer zur Choreographie von Vaslav Nijinsky. Im Foyer, nach der Vorstellung, tobte das Publikum. Eine Fraktion war begeistert, und sah sich den Anfeindungen der Gegner ausgesetzt.

Gabriel Astruc hatte bereits Jahre zuvor im Théâtre du Châtelet einige Skandale auszuhalten. Er war sich seiner Sache immer sicher, weswegen auch kaum schnöde Beschimpfungen seiner Kritiker in seinen Memoiren zu lesen sind. Die Zeit gab ihm recht. Er hatte ein glückliches Händchen für Skandale. Für sich selbst übersetzt er Skandal mit Stolperstein.

Seine Biographie „Meine Skandale“ ist kein Handbuch des Scheiterns. Es ist vielmehr die Bibel des Mutes. Man konnte ihn beschimpfen, anfeinden, sich über ihn beschweren. Doch Kleinkriegen ließ er sich nicht. Das ist sein Vermächtnis.

Wenn Venedig stirbt

Wenn Venedig stirbt

Die Deutschen sind immer noch Reiseweltmeister. Wann immer es Zeit und Geldbeutel zulassen, sind wir gern bereit unsere Euros Händlern, Reiseveranstaltern, Restaurants gegen Service zu überlassen. Wir erkunden die Welt in Frankreich, Ägypten, den USA, Fernost, der Türkei oder Italien.

Wenn wir schon bei oder in Italien sind: Stellen Sie sich vor, Sie hätten jeden Tag zwei neue Gäste. Egal, ob werktags oder sonntags, ob feiertags oder langes Wochenende. Und die stapfen 24 Stunden am Tag durch ihre heimischen Gefilde. Fassen da was an, nehmen dort ein Souvenir. Einzig allein, dass sie bei Ihnen zuhause mehr Geld lassen als anderswo, lässt sie die Situation halbwegs erträglich erscheinen. Und mehr als erscheinen ist es nicht. Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr dasselbe Prozedere. Venedig hat sich in sein Schicksal ergeben. Die Stadt lebt mit und vor allem von den Touristen. Neuerdings können die sogar vom Frühstückstisch aufstehen und direkt, ohne großes Palaver Markusplatz und Dogenpalast erobern. Tonnenweise Tennissocken, den Kopf hoch erhoben gen Selfie-Stick toben sie gemächlich durch die Stadt, die immer noch vom Ruf als romantische Stadt lebt. Sieht so Romantik aus? Was passiert mit dem historischen Erbe, über das die Lagunenstadt zweifelsohne verfügt?

Salvatore Settis sieht Venedig exemplarisch für den Ausverlauf der Kultur. Wenn Touristen aus ihrem wohlverdienten Urlaub zurückkehren und nicht mehr Bilder zeigen, sondern ihre Schnäppchen präsentieren oder meinen, dass zwei Stunden vollkommen ausreichen, um die Kloake Venedig über Gebühr mit ihrer Anwesenheit beehrte haben, dann kann man nicht mehr von einem Kulturerlebnis sprechen. Salvatore Settis beklagt, ja klagt schon fast an, den Ausverkauf der Städte.

Dabei beginnt alles schon uns vor der Haustür. Eine Häuserzeile – vielleicht Jahrhunderte alt – muss Neuem weichen. Wer aufmerksam die Stadtentwicklung egal wo auf der Welt verfolgt hat, weiß schon, welche Läden da als nächstes stehen werden. Eine eigene Identität weicht Konformität. Und dann ist es wirklich egal, ob der Pappbecher mit dem brühend heißen Kaffee, der in Sydney genauso schmeckt wie in Castrop-Rauxel, nun zwischen altehrwürdigen Gemäuern geschlürft wird oder an einem Stehtisch.

„Wenn Venedig stirbt“ – bleiben wir bei der Frage. Dann gibt es anfangs ein Riesengeschrei, doch schon kurze Zeit später werden andere Städte, die jetzt schon in den Startlöchern sitzen, versuchen dessen Platz einzunehmen. Ein kulturelles Erbe ist dann nur noch im Museum zu besichtigen. Und das hat, um überhaupt den Hauch einer Überlebenschance zu haben, einen Museumsshop. Was sollen wir nun machen? Venedig links liegen lassen? Es ignorieren? Nur damit die Venezianer sich in Ruhe mal wieder auf ihr Erbe besinnen können und sich ein neues Marketingkonzept ausdenken. Da ist es schon wieder: Marketing. Neue Märkte erschließen. Es gibt keine endgültige Antwort. Aber Salvatore Settis ist endlich einer, der die richtigen Fragen stellt.