Archiv für den Monat: Juli 2014

In die Pilze gehen

In die Pilze gehen

Nein, es ist kein Kochbuch. Auch kein Sammlerbuch. Kein Ratgeber. Es ist eine Hommage an die ersten Kindheitserinnerungen. Pilze sammeln, oder in die Pilze gehen, ist die unblutigste Form des Jagens. Es fließt kein Blut. Kein Wimmern beim Erlegen. Doch es ist gefährlich – nicht jeder Pilz ist genießbar. Genießbar hingegen sind die literarischen Erzeugnisse, die hier so liebevoll zwischen zwei feste Pappseiten gepresst wurden.

Die Geschichten reichen von Kindheitserinnerungen bis zu Giftpilzen in der Nachbarschaft. Mit Sorgfalt wurden Auszüge aus Werken mehr oder weniger bekannter Autoren ausgewählt, die dem „in die Pilze gehen“ ihre Tinte schenkten. Eugen Roth, der Lyriker, steuert zwei Gedichte bei, die selbst Lesern, die nicht so viel mit Gedichten anfangen können, Verständnis ins Gesicht zaubern.

Günter Grass erinnert in seiner Geschichte „Wir Oberpfälzer, sagt man“ an die Tschernobyl-Katastrophe, die zu einer hysterischen Hatz auf alles, was konterminiert sein könnte, führte.

Die Faszination fürs Pilze sammeln ist wohl eine den ältesten Ritualen der Nahrungsbeschaffung. Ob allein mit Körbchen und Messer „bewaffnet“ oder im Rudel und großem Korb, ob mit Pilzerkennungsratgeber oder mit Wissen im Kopf, ob Jagdglück erhaschender Frühaufsteher oder gemütlicher Resteverwerter, in die Pilze gehen ist wohl die Tradition, die man von den ersten bis zu den letzten Stolperschritten fortführt, jeder technischen Revolution zum Trotze.

Wer dieser Faszination noch nicht erlegen ist, kommt ihr mit diesem Buch auf die Schliche. Appetitanreger oder Lesebuch? Diese Frage stellt sich nicht. Der Untertitel „Lesen und Sammeln“ ist nicht nur mit einem Schmunzeln hinzunehmen. Er ist eine Vorankündigung, dass es in der Zukunft noch mehr dieser Bücher (zu anderen Themen) geben wird. Achten Sie auf das A am rechten Buchrand.

„In die Pilze gehen“ wird das Feuer für das eventuell vergessene Pilze sammeln wiederbeleben. Wer begeisterter Pilzsammler ist, wird sich auf der einen oder anderen Seite wiederfinden.

Lesereise Kopenhagen

Lesereise Kopenhagen

Kopenhagen ist nicht so richtig zu fassen. Jeder kennt die dänische Hauptstadt. Aber richtig weiß man kaum etwas über diese Stadt. Klar kennt man die Meerjungfrau. Der Ostteil Deutschlands wurde in den 70er und 80er Jahren mit der „Olsenbande“ für Dänemark und Kopenhagen sensibilisiert. Fußballfans können sich an das eine oder andere harte Match mit Bröndby Kopenhagen erinnern. Strandurlaub im eigenen Häuschen ist sicherlich eine der verbreitetesten Erinnerungen an unseren nördlichen Nachbarn.

Barbara Denscher nimmt den Leser mit auf eine Reise, die Appetit macht. Appetit auf Kopenhagen. Eine Stadt erkunden mal ganz ohne Reiseband. Denn die dänische Seele ist die Karte, nach der man seine Reise plant.

Für den Seelenstriptease wählt sie einen lehrreichen Einstieg: Es geht um die Eigenheiten der dänischen Sprache. Obwohl die skandinavischen Sprachen einen gemeinsamen Ursprung haben, kommt es oft zu Irritationen. Was bei den Einen Frühstück heißt, ist bei den Dänen das Mittagessen. Flink ist nicht das Versprechen einer schnellen Bedienung im Restaurant, sondern das, was man generell erwartet: Freundlichkeit. Mit fast schon spitzbübischer Leichtigkeit führt Barbara Denscher den Leser mit Hilfe ihres berühmten Kollegen Kurt Tucholsky in die Besonderheiten der Konversation ein. Und ohne Worte ist man nur nach einem Kopenhagen-Besuch…

Kopenhagen lebt von seiner Geschichte. Aber nicht nur. Spaziergänge auf den Spuren von Hans Christian Andersen gehören zum Standardprogramm wie moderne Architektur. Ørestad heißt ein Stadtteil, den es bis vor wenigen Jahren nur auf dem Reißbrett gab. Zumindest in der jetzigen Form. Wer Kopenhagen zur Jahrtausendwende besuchte, fand hier nur Brachland vor. Heute ist dieses Areal nicht wiederzuerkennen. Beeindruckende wahrgewordene Architektenphantasien zieren den Horizont. Man ist noch am Anfang, derzeit leben hier achttausend Menschen. Diese Zahl soll sich in den nächsten zehn Jahren verdreifachen.

Als Gegenentwurf ist da der Freistaat Christiana anzusehen. Auf dem ehemaligen Kasernengelände versuchen sich Idealisten an einer neuen Art der Selbstverwirklichung. Eigenbesitz ist hier verpönt. Dumm nur für die, die hier gebaut haben, und nun einen anderen Lebensweg einschlagen. Denn verkaufen ist nicht drin. Auch der Aktienwert – wer will kann Aktien des Areals erwerben – ist mehr ideeller Natur.

Wer mit Barbara Denscher durch Kopenhagen spaziert, erfährt so manche landes- und städtetypische Anekdote. Fernab der Touristenpfade führt sie den Leser durch eine zurecht fast schon vergessen scheinende Metropole im Norden des Kontinents.

Ein Kommunist in Unterhosen

Ein Kommunist in Unterhosen

Das halbe Dutzend ist voll: Zeit um Bilanz zu ziehen. Die Themenauswahl Claudia Pineiros ist breit gefächert. Vom Schicksal einer gebeugten Frau schrieb sie, über Verlustangst schrieb sie, über die durch einen Mord getrübte Vorstadtidylle schrieb sie, über eine Kehrtwendung im geradlinig verlaufenden Leben schrieb sie. Und über eine listige Privatdetektivin. Und jetzt? Über den eigenen Vater.

In ihrer ganz eigenen, liebreizenden, hingebungsvollen Sprache setzt sie ihm ein Denkmal. „Ein Kommunist in Unterhosen“ ist die Liebeserklärung einer Tochter an die erste wichtigste Bezugsperson. Verliebt, respektvoll, analysierend. Der Vater war ein stattlicher Kerl, dem die Frauen im Schwimmbad hinterher schauten. War er wütend, war er leise, in sich gekehrt. War er glücklich, ließ er die ganze Welt daran teilhaben. Die Erzählerin, die Tochter, Claudia Pineiro ist auch auf dem Titelbild zu sehen. Ein fröhliches Mädchen an der Hand ihres Vaters badend im Meer. Es ist dieses Bild, das die ganze Geschichte vorwegnimmt. Ein Mann fröhlich die Sommerbrise sich um die Nase wehen lassend zusammen mit seiner Tochter am Meer. Eine innige Verbindung, die erzählt gehört.

Nicht alles in diesem Buch ist so geschehen, nicht alles in diesem Buch ist erfunden. Die Mischung macht’s.

Argentinien in den 70er Jahren. Peron hinter sich, die Diktatur Videlas vor Augen. Eine Jugend, die ausgelassen die Welt entdeckt und gleichzeitig aufpassen muss nicht entdeckt zu werden. Wer ist Freund, wer nicht? Was darf man sagen, was nicht? Die Erzählerin weiß, dass ihr Vater Kommunist ist. Was auch immer das bedeutet – er hat es selbst gesagt. Doch die anderen dürfen das nicht wissen. Als Vertreter für Turboventilatoren schlägt er sich den Sommer über durch, um die Familie ernähren zu können. Der Vater ist Vorbild und Respektperson, aber auch der Anker in unsicheren Zeiten, der unwissentlich seine Ansichten auf die Kinder überträgt.

Eine Jahr mussten die Leser auf den neuen Roman von Claudia Pineiro warten. Ein Jahr voller Spannung, was sie als nächstes aufs Papier bringt. Das Warten hat sich gelohnt. Sachlich und trotzdem spannend gibt sie ihrer Jugend eine Stimme. Von Verbitterung ob vorenthaltener Chancen keine Spur. Mal mit einem Augenzwinkern, mal verliebt wie ein Teenager, mal nüchtern betrachtend, spiegelt „Ein Kommunist in Unterhosen“ Argentinien Mitte der 70er Jahre wider. Eine Geschichtsreise, die lange nachhallt und Lust auf mehr Geschichtsunterricht mit Senora Pineiro macht.

Das Testament des Herrn Napumoceno

Das Testament des Herrn Napumoneco

Da liegt er nun, Senhor Napumoceno da Silva Araújo. Hat sein Leben gelebt. Bedächtig schreiten die hoffnungsvollen Erben den Raum, in dem der Notar nun das Testament verlesen wird. Sie sind nicht gierig, sie sind erwartungsvoll. Eigentlich weiß jeder, was er bekommt. Zumindest, dass man etwas erhält aus dem langen ereignisreichen Leben des Senhor Napumoceno.

Doch die Testamentseröffnung gerät zur Lebensbeichte. Ein ganzer Roman liegt vor dem Notar, der durchaus gedruckt werde kann. Germano Almeida lässt das Testament, die Lebensbeichte in seinen Roman einfließen. Immer wieder wechselt er die Sichtweise. Mal ist er der Erzähler, mal der Senhor.

Senhor Napumoceno ist, nein, war ein erfolgreicher Geschäftsmann auf den Kapverdischen Inseln. Hier wurde er geboren, verbrachte seine Jugend und baute ein Geschäftsimperium auf. Jeder auf der Insel, der etwas kaufte, kaufte es meist von ihm. Doch der Senhor war nicht der übliche harte Hund, der seine Angestellten an der kurzen Leine hielt. Er war ein ganz normaler Geschäftsmann, der öfter mal Glück gehabt hat. Seinen Reichtum stellte er nur selten zur Schau. Doch war er der Erste, der ein Auto besaß. Einen Ford Modell T. Als das Auto geliefert wurde, stellte er fest, dass er gar nicht fahren kann. Doch er war sich nicht zu schade dies zuzugeben und Fahrstunden zu nehmen. Die dann aber bitte abgeschottet von der Öffentlichkeit.

Seine Gutgläubigkeit hat ihn fast einmal ein riesiges Geschäft vermiest. Bestellt hatte er Sonnenschirme. Bei der geographischen Lage der Kapverden – mitten im Atlantik, weit vor der Küste Afrikas – eine sichere Sache. Doch der Verkäufer lieferte Regenschirme. Bei der aktuellen Wetterlage hätten seine Vorräte mehrere Jahrzehnte gereicht. Doch Senhor Napumoceno ist ein Glückspilz. Es kommt wie es kommen muss, wenn ein erfolgreicher Geschäftsmann sein will: Es regnet.

Auch privat hat der Verstorbene nichts anbrennen lassen. So zeugte er mit einer Angestellten eine Tochter. Und die soll nun das gesamte Vermögen erben. Und nicht Carlos, sein Neffe, der schon seit Jahren in der Firma seinem Mann steht.

„Das Testament des Herrn Napumoceno“ ist eine herrlich satirische Geschichte von den Kapverden und erinnert in großen Zügen an Geschichten von Carson McCullers, Truman Capote und Harper Lee. Detailversessen wird jeder Sachverhalt bis ins Kleinste ausgehöhlt ohne dabei auch nur den Funken von Langeweile zu verströmen. Germano Almeida schafft es in seinem Buch, das übrigens auch schon verfilmt und preisgekrönt wurde, das Leben eines bislang unscheinbaren Geschäftsmannes vor sonniger Kulisse auf eine neue, zum Teil allzu menschliche Eben zu heben. Herrlicher Urlaubsschmöker!

Das Geständnis der Löwin

Das Geständnis der Löwin

Mia Couto ist nicht irgendein Schreiber aus Afrika – er ist die Stimme Mosambiks. Wer’s nicht glaubt, wird sich von diesem Buch knapp dreihundert Seiten lang überzeugen lassen. Ein Dorf im Norden Mosambiks wird von Löwenangriffen erschüttert. So nah sind die Könige der Savanne noch nie gekommen. Immer wieder werden die Bewohner attackiert und gefressen. Eine normale Prozedur. Nicht so bei Mia Couto. Hier verschmelzen Jahrhunderte alte Überlieferungen mit den „Errungenschaften der Gegenwart“.

Ein Jäger wird bestellt. Der Letzte seiner Art. Er ist glücklich über das Angebot, denn er kennt den Ort und die Bewohner. Eine hatte es ihm schon einmal angetan, besonders ihre Honigaugen. Honigaugen! Benutzt in Europa noch jemand diesen Begriff? Man kann sich die farbenfrohen Weltenbetrachter förmlich vorstellen.

Die Jagd auf die Löwenmeute steht gar nicht so sehr im Vordergrund. Da taucht kein schwer bewaffneter Krieger aus dem Dickicht auf und meuchelt die Fleischfresser dahin. Vielmehr geht der Autor dem Grund für die plötzlichen Übergriffe auf den Grund. Und Gründe gibt es mehr als genug. Ein Verstoß gegen die Regeln des Anstands ist noch das geringste Übel. Nach und Nach verschmelzen Realität und Mythen. Gerade, wenn man sich wieder in der sprachgewaltigen Welt des schwarzen Kontinents wähnt, reißt einen ein neuerlicher Überfall wieder aus den Leseträumen.

Das Leben in Mosambik ist nur in wenigen Teilen mit unserem befriedeten Alltag zu vergleichen. Religion, der tägliche Kampf um den gefüllten Mittagstisch und bewährte Traditionen sind symptomatisch in dem südostafrikanischen Land. Hier werden den nachfolgenden Generationen hier längst vergessen Werte mit auf den Weg gegeben. Ehrlichkeit hat einen Stellenwert, irgendwo zwischen ganz oben und nicht ganz so weit oben. Und auch hier wird die Wahrheit ausgeschmückt. Mit Metaphern wie sie nur unter der sengenden Sonne Afrikas gedeihen können.

„Das Geständnis der Löwin“ ist das gefühlvollste Buch des Sommers. Selten zuvor wurde Afrika so echt und unverkitscht dargestellt. Modern und traditionell. Der nächste Preis ist Mia Couto sicher. Und es wird ein Leserpreis sein.

Die Witwe der Brüder van Gogh

Die Witwe der Brüder van Gogh

Es waren einmal zwei Brüder. Der eine war und ist weltberühmt und wurde darüber hinaus irre. Der Andere war ihm treu ergeben, half wann immer er konnte. Und es gab eine Frau, Gattin des Letzteren. Sie ist der Grund, dass die Werke des Erstgenannten heute immer wieder Rekordpreise bei Auktionen erzielen.

Die Rede ist natürlich von Vincent van Gogh, seinem Bruder Theo und dessen Frau Johanne van Gogh-Bonger. Camilo Sánchez fällt die ehrenvolle Aufgabe zu dieser Frau ein Denkmal zu setzen. Beziehungsweise setzt er ihr mit seinem Erstlingsroman einfach mal so ein Denkmal. Denn sie war es, die Theo in guten wie in schlechten Zeiten mit Rat und Tat zur Seite stand. Theos Leben war nicht immer einfach. Oft genug griff er seinem Bruder unter die Arme. Sie schaute weg, wenn ihr Gatte die raren Einnahmen mit Vincent teilte. Sie stachelte ihn an, wenn er es leid war Vincent zu protegieren.

Als Vincent van Gogh sich 1890 im Alter von 37 Jahren das Leben nimmt, bricht für Theo eine Welt zusammen. Da lebt er och mit Johanna in Paris, am Montmartre, dem Hügel der Märtyrer. Doch zu selbigem fühlt er sich einfach nicht berufen.

Mit diesem Schmerz beginnt Camilo Sánchez seinen Roman. Und schon da muss dem Leser klar sein, dass es ab hier kein Halten mehr geben kann. Poetisch, einfühlsam und fortwährend der Geschichte verpflichtet. Theo vegetiert nur noch vor sich hin. Er stirbt ein halbes Jahr nach seinem Bruder, im Alter von nur 33 Jahren. So ist es an Johanna die Bilder Vincent van Goghs einem breiten Publikum zugängig zu machen. Und sie an den Mann oder die Frau zu bringen. Als Witwe eines Kunsthändlers, eines van Goghs, ist es eine Art Therapie für sie. Denn sie steht nun ohne Mann, ohne Einkommen da. Und das als alleinstehende Mutter eines kleinen Sohnes. Der heißt ganz in der Familientradition mit Vornamen Vincent. Sie führt Tagebuch. Dieses Tagebuch ist der rote Faden des Romans.

Im Jahr 2015 ist Mons im wallonischen Hennegau in Belgien Kulturhauptstadt Europas. Hier fand Vincent van Gogh zum Malen. Hier steht sozusagen die Wiege des einzigartigen Pinselstrichs. „125 years of inspiration“ – dieses Motto haben sich mehrere Museen, unter anderem auch das Museum der Schönen Künste in Mons, auf die Fahnen geschrieben. Vom 24. Januar bis zum 17. Mai sind hier eine Vielzahl der Werke Vincent van Goghs zu sehen. Mehr Informationen gibt es unter www.vangogh2015.eu und www.mons2015.eu. Als Einstimmung ist dieser Roman mehr als zu empfehlen.

Drei Worte hin und her

Drei Worte hin und her

Von Schweden nach Irland auswandern – für viele stellt sich die Frage ob Schweden oder Irland. Linn wohnt in Schweden. Ihr Mann wird nach Irland versetzt. Viel kann sie der kargen Landschaft nicht abgewinnen. Die Tradition des morning coffee lässt Linn ein wenig Hoffnung schöpfen. Dann treffen sich in dem kleinen Nest, in das es Linn und ihren Mann verschlagen hat, die Damen und schwatzen. Doch so richtig angekommen fühlt sie sich nie. Auch nicht als Michael Quigley in ihr Leben tritt. Doktor Michael Quigley. Nicht der Titel reizt sie, vielmehr seine Art. Er passt so gar nicht hier her. Verschlossen sind die Anderen. Michael ist offensiv, fast schon zu sehr. Beide spüren eine innere Verbindung miteinander.

Bei üblichen Liebesschnulzen würde man wohl jetzt „Bauchkribbeln pur“ lesen. Nicht bei Margret Steckel. Sie lässt Linn nachdenken, zweifeln, verlangen. Denn so schön das Gefühl begehrt zu werden, zu lieben ist, so gefährlich ist auch dieses Spiel.

Denn auch Michael ist verheiratet. Hat sogar Kinder. Linn nicht. Linns Mann ist oft unterwegs. Das ist die schlimmste Zeit für sie. Denn dann hat sie keinerlei Ablenkung. Dann denkt sie an und trifft sich mit Michael.

Zerwühlte Betten sind nicht Margret Steckels Ding. Ihre Helden denken sich durch ihre Liebe. Was wäre wenn? Die Konsequenzen spielen hier eine genauso große Rolle wie augenblickliche Gefühle. Ein starker Roman, der das Vorurteil der seichten Liebesromanlektüre ad absurdum führt. Wohl geformte Sätze verschmelzen im zarten Liebestaumel zu grandiosen Einblicken in die Seele zweier Königskinder. Und die berühmten drei Worte sind letztendlich nicht mehr als ein Ping-Pong-Spiel zwischen ihnen.

Mein ein und alles

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Giulio und Arianna – ein Traumpaar. Wenn man sie so sieht, glaubt man nicht, dass die beiden eine ungewöhnliche Beziehung leben. Verliebte Blicke, perfekt aufeinander abgestimmt, so schaut es für den Außenstehenden aus. Nur die Leute am Strand wissen Bescheid über ihr Geheimnis. Denn am Strand sind Giulio und Arianna nicht das verliebte, perfekte Paar, am Strand sind sie die sich verzehrende Arianna und der duldende Giulio. Doch beim Spiel mit den Jünglingen gibt es klare Regeln, über die der Strandwart wacht: Jeder nur zweimal! Und keine Anrufe bei ihr!

Giulio ist über ein Vierteljahrhundert älter als die begehrenswerte Arianna. Sie lernten sich kenne, als sie ihren Mann verlor. Dessen Familie war nie gut auf Arianna zu sprechen. Giulio schwebte botenhaft wie ein Engel in ihr Leben, dass von diesem Moment an ein anderes war. Finanzielle abgesichert konnte sie sich ihrer persönlichen Entfaltung widmen. Ganz oben auf dem Dachboden war und ist ihr Reich. Hier darf niemand rein.

Giulio ist Geschäftsmann. Klare Regeln sind für ihn die Basis eines jeden Geschäftes.

Und so läuft das angenehme Leben Tag vor Tag durch die beiden hindurch. Jeder hatte sein Leben bevor er den anderen kennenlernte. Jeder lebt sein Leben. Beide leben ihr Leben gemeinsam – das klingt auf den ersten Blick verwirrend. Doch Andrea Camilleri wäre nicht er selbst würde er es nicht ernst meinen und eine wunderbare Geschichte aufs Papier zaubern. Beim Lesen wird man das Gefühl nicht los, als sei diese Geschichte in einem fort geschrieben worden. Kleine Rückblenden in Ariannas Vergangenheit lassen den Nebel des Ungewissen verschwinden. Dem Leser öffnet sich eine traurige Welt, die Arianna längst verlassen zu haben scheint. Doch ist sie gerade dabei die Regeln zu verletzen. Mario – einer ihrer Auserwählten, den sie nur zweimal treffen darf, der sie nie anrufen darf – fühlt sich derart von ihr angezogen, dass er die Grenzen überschreitet. Arianna scheint das nur anfangs etwas auszumachen. Doch dann entscheidet sie sich anders: Wenn Arianna jemandem ihr ein und alles zeigt, ist das kein Vertrauensbeweis. Es ist viel mehr …

„Mein ein und alles“ gehört zu den stärksten Büchern des Sizilianers Andrea Camilleri. Was als ungewöhnliche Liebe zwischen einer jungen, vom Leben geschassten Frau und einem erfolgreichen, gönnerhaften Signore beginnt, entpuppt sich nach und nach als bittersüße Abrechnung mit dem Leben. Wer hier Opfer, wer Täter und wer Helfer ist, muss der Leser entscheiden. Montalbano hätte seine reine Freude an diesem Fall.

Lesereise Island

Lesereise Island

Wer Island besucht, sucht das Besondere. Keine Bettenburgen, die die Aussicht auf unvergessliche Natur verstellen. Keine Bartwurststände, die Heimatgefühle aufkommen lassen sollen. Kein Strand, an dem man in der Sonne brutzelt. Wer Island sucht, wird es auch schnell finden.

Das Auffälligste an Island ist, dass es jeden Tag anders auffällig erscheint. Wo gestern noch ein bizarrer Gletscher in den wolkenverhangenen Himmel ragte, versperrt heute eine Lavawüste den Weg. Okay, das ist vielleicht eher selten – aber Naturgewalten verändern in regelmäßig unregelmäßigen Abständen das Aussehen des Horizonts. Diesen Zauber fängt Susanne Schaber in ihrer Lesereise auf poetische Art und Weise ein.

Zaubern, also wirklich zaubern, etwas verschwinden und wieder auftauchen lassen, ganz ohne Trick, das können auch die Isländer nicht. Aber ihr Glaube an Trolle und Elfen, ihre Naturverbundenheit, ihre Gelassenheit lassen sie in unseren Augen zuerst verschroben, nach kurzer Besinnung besonders erscheinen. Sie leben mit der ständigen Gefahr, dass jederzeit einer der feuerspuckenden Vulkane ihnen alles nehmen kann. Sie kennen ihre Feuerberge, wissen das Grummeln zu deuten. Und wenn es doch mal zum Äußersten kommt, sind alle gewappnet. Für immer wegbleiben, kommt für kaum jemanden in Frage. Susanne Schabers Geschichte über eine Frage auf den Westmanninseln zeichnet das Bild einer willensstarken Frau, die den Naturgewalten die Stirn bietet. Bis zu vier Jahre kann es dauern bis wieder Normalität in den Ort gekehrt ist. Und wenn beim Nachbarn wieder Licht brennt, ist es die Mühen wert gewesen.

Island aber nur als Insel der Inneren-Frieden-Suchenden zu sehen, die sich nichts Schöneres vorstellen könne als einsam auf einem Gletscher ins Nichts zu schauen, der irrt. Reykjavik, die Hauptstadt, verwandelt sich Wochenende für Wochenende in eine metropole Partymeile. Vorwiegend aus Skandinavien fliegen oder fallen Gruppen von Menschen ein, um hier die Nacht zum Tage zu machen.

Ob nun einsamste Herberge der Welt oder Partygetümmel, ob lukullische Ausflüge und Treffen der Mächtigen der Welt, ob ungestüme Natur und entlegene Landstriche – Island zieht den Besucher in seinen Bann, dieses Buch den Leser. Susanne Schaber schafft dem blassen Image der Insel Farbe zu verleihen. Sie schaut in die Kochtöpfe, erzählt von immensen Aufbauarbeiten, schwärmt von unberührter Natur, so dass man schon beim Lesen gedanklich die Koffer packen will. Doch zuerst muss man zu Ende lesen. Es lohnt sich!

Lesereise Côte d’Azur

Lesereise Cote d'Azur

Es gibt sie noch, die Sehnsuchtsorte. Trotz Globalisierung und Gleichschaltung bei der Gestaltung von Orten verheißen einige Landstriche immer noch Glanz, versprühen ihren Zauber nur durch ihren Klang. So wie die Côte d’Azur. Ein Hauch von Eleganz, Extravaganz, Verruchtheit, aber auch Exklusivität. Helge Sobik hat dem Mythos Côte d’Azur auf den Zahn gefühlt.

Und er gibt dem Affen Zucker, wenn er seine Lesereise mit dem Klischee der Schönen und Reichen beginnt. Am Cap d’Antibes liegen die paradiesischen Anwesen der oberen Zehntausend. Wer hier ein Anwesen sein Eigen nennt, hat es geschafft. Finanziell zumindest. Ein Blick über die Hecke werfen und vielleicht einen A-Promi beim Sonnenbad erblicken – eher selten. Man bleibt gern unter sich. Um denen da oben ganz nah zu sein, muss man hier arbeiten, als Strandbademeister zum Beispiel. Man muss diskret sein (können). Dann erhascht man vielleicht sogar mal ein Autogramm.

Sobiks Geschichten wechseln zwischen Privatkonzerten von Bono, Sänger von U2, und einzigartigen Naturschönheiten. Wie der Insel Porquerolles. Georges Pompidou rettete die Insel vor der maßlosen Kommerzialisierung als er anwies die Insel vom Staat kaufen zu lassen. Oder Port-Cros. Unbewohntes Eiland, Nationalpark. Rauchen verboten! Wer erwischt wird, dessen Geldbeutel wird um den größten Euroschein erleichtert. Also Kippen weg, Augen auf, und das Atmen nicht vergessen! Denn die Insel verleitet regelrecht zum Atemstillstand.

An der Côte d’Azur trifft Helge Sobik auf Erinnerungen an Stars wie Curd Jürgens, Pablo Picasso und Marlene Dietrich. Auch sie erlagen dem Charme dieses Landstriches, der so viel verspricht. Und es auch hält. Doch er trifft auch auf Menschen, denen die Gäste und ihr Geld egal sind. Sie lieben es hier ihr Leben zu leben. Andere wiederum können ohne die großen Namen nicht leben. Sie profitieren vom Ruhm und Geld der Paparazziopfer. Vielleicht ist es ja gerade diese Mischung, die die Côte d’Azur so reizvoll macht?

Die Lesereise Côte d’Azur macht Appetit auf eigenes Erleben. Man muss ja nicht gleich im teuersten Hotel am Platze absteigen und einen Eisbrecher für einen zweistelleigen Betrag bestellen. Das geht hier an jeder Ecke. Die Côte d’Azur lebt von ihrer Natur. Sie ist die Basis für das, was heute sehnsuchtsvolle Tränen in die Augen der Träumer treibt. Saint Tropez, Nizza, Cannes, all das kam im Laufe der Zeit. Ohne das reizvolle Klima, die betörende Landschaft wären auch die Stars wie Brigitte Bardot hier niemals hängen geblieben. Und der Mythos Côte d’Azur wäre niemals an Tageslicht gekommen. Aber dann hätte es auch dieses Buch niemals gegeben. Das wäre wirklich schade!