Archiv der Kategorie: Viva Iberia!

Der spanische Esel

Da versucht man doch nur seiner Leidenschaft zu fröhnen, und einen Film auf die Beine zu stellen. Okay, vorzugaukeln einer Frau mit einer Rasierklinge das Auge zu zerschneiden (wofür man mit Misserfolg bestraft wird), bedarf mehr nur einer halbherzigen Erklärung. Aber beim nächsten Mal wird alles anders. Zumal, wenn man schon einen großzügigen Gönner gefunden hat, der sein Geld für die Realisierung in der Mitte Spaniens zur Verfügung stellt. Man muss ihn nur von seiner Idee – sofern vorhandne – überzeugen. Und ebenso den Ideen des Geldgebers permanent eine Absage erteilen… der Beruf des Filmemachers, des Künstlers, ist eigentlich ganz einfach. Und wenn man Luis Buñuel heißt, sollte das doch kein Problem sein.

Naja, so einfach ist es dann doch nicht! Denn Buñuel war kein einfacher Charakter. Und seiner Ideen waren nicht das, was man massenkonform nennt. Und so sollte es auch wieder kommen. Mitten im Nirgendwo der Extremadura, in Las Hurdes will der eigenwillige Künstler einen Dokumentarfilm drehen. Um ihn herum nur Einöde, nur Elend. Die Menschen sind verwahrlost und als die Vier-Mann-Crew eintrifft, sehen die meisten von ihnen zum ersten Mal ein Auto. Doch dann hat eine zündende Idee – der Esel da, genau der … Buñuels Revolver … da lässt sich doch bestimmt etwas machen… oh je. Der Skandal ist ein weiteres Mal vorprogrammiert.

Sebastian Guhr gibt seiner Phantasie jede Menge Zucker. Er kratzt die harten Fakten der Filmgeschichte zusammen und knetet sie zu einer weiteren Kunstfigur erneut zusammen. Buñuel und seine Entourage werden zum Spielball ihrer eigenen Gedanken. Alles real. Alles surreal. Der Film wurde von den spanischen Faschisten verboten. Und ist ein Klassiker – nicht wegen der Legende, sondern wegen des Themas. Buñuel filmte Menschen, die nichts – absolut gar nicht, nichts zu essen, nur die Kleidung am Leibe, und vor Perspektiven ganz zu schweigen –  besaßen. Und dann die Sache mit dem Esel…

So schwierig Buñuels Filme manchmal zu verdauen sind, so leichtfüßig schafft es der Autor dem Surrealisten Buñuel nahe zu kommen. Mit Akribie recherchiert und mit straffer Feder zu Papier gebracht. Ganz real!

Barcelona Abenteuer

Barcelona ohne Abenteuer? Das geht doch gar nicht! Was hingegen möglich ist, dass man bei dem Überangebot an Abenteuern leicht den Überblick verlieren kann. Kaum eine andere europäische Metropole hat sich in den vergangenen Jahrzehnt derart oft und tiefgreifend verändert wie die katalanische Stadt am Mittelmeer. Und da soll es immer noch Menschen geben, die Barcelona nicht spannend finden…

Die sollten mal mehr als nur einen Blick in dieses Buch werfen. Das gibt’s schon zu Beginn gleich was auf die Augen. Auf der ersten Umschlagseite wird in Versuchung geführt: Wie sah Pornographie in der Renaissance aus? Seite 36 weiß da mehr darüber. Eine enge Gasse, die auch schon Picasso inspirierte und … nö, das muss man selbst erleben und vorher erlesen. Wer will kann den Rundgang bei einem Cocktail und Popcorn entsprechend ausklingen lassen – „und wenn man schon mal hier ist“ lautet die weiterführende Rubrik am Ende eines Kapitels. Kopfkino einschalten!

Montags, mittwochs und freitags wird es abenteuerlich auf dem Mercat dels Encant. Ein Lächeln huscht so manchem Besucher übers Gesicht, wenn er sich mitten in einer Auktion am frühen morgen befindet. Zum Einen hat man den Weg dorthin gefunden. Zweitens hat man sich im Gewühl zum Auktionator vorgekämpft – der geht nämlich zu den zu versteigernden Sachen. Drittens ergötzt man sich an dem rasanten Tempo der merkantilen Quasselstrippe. Und Viertens findet man dieses Spektakel wirklich so nur hier.

Da darf es dann am Abend durchaus etwas gediegener und entspannter zugehen, oder?! In den feinsten Zwirn gesellt man sich in eine Reihe Wartender. Und das schon um 19 Uhr – vor 21 Uhr geht hier doch niemand raus, um den Nachtleben zu genießen. Wieso als um 19 Uhr sich in eine Warteschlange stellen, wenn es eh erst ein paar Stunden losgeht? Kleiner Tipp: Wer verschmutzte Brillengläser hat, wird es nicht genießen können!

Frank Feldmeiers Abenteuer-Reiseband durch Barcelona (keine Scheu: Das C darf und soll ruhig scharf gesprochen werden) ist es ein wahres Füllhorn an Erlebnissen, die man nie wieder vergessen wird. Und oft sogar zu einem erschwinglichen Preis nachzuvollziehen. Hier wird niemand in Bars gelockt, wo das Getränk dem Gegenwert einer Tankfüllung entspricht. In diesem Band, in dieser Reihe taucht man in eine Stadt ein, die trotz aller Menschenmassen, die sich 24/7 durch sie hindurchwalzen, immer noch jede Menge versteckte Abenteuer, die man sonst in keinem Reiseband finden wird. Selbst wer Barcelona schon kennt und liebt, wird hier immer noch fündig werden. Und wer die Stadt tatsächlich noch nicht kennt, bekommt schon beim Buchweglegen Entzugserscheinungen.

Hier und anderswo

Man spürt es ab der ersten Seite, ach was, aber der ersten Zeile: Thomas Michael Glaw reist gern. Und oft. Und er kann viel erzählen. Nicht über das, was man sehen muss, was jedem früher oder später vor die Augen kommt, sondern über das, was man suchen muss und finden kann. Und vor allem über das, was zu beachten ist. Reiseimpressionen mit Lerneffekt. Doch so statisch sollte man dieses kleine Büchlein nicht angehen. Es ist eine Art Hilfestellung für Reisenovizen wie alte Hasen, die über diejenigen lachen, die Catania in Spanien oder Griechenland verorten (die gibt es wirklich! Und das nicht zu knapp!).

Hier sind sie also die gesammelten Impressionen (Auszüge davon) eines Reiselebens. Von München nach Wien im Flieger? Niemals. Im Zug reist man entspannter, und auch nicht viel länger, wenn man die Eincheckzeiten und die Fahrten zum und vom Flughafen einberechnet. Und mit der ÖBB sogar pünktlich, freundlicher … einfach entspannter. Reisen als Sinnesrausch im positiven Sinn. Denn auch eine Zugverspätung kann eine Reise in einen Rausch verwandeln – Stichwort Blutrausch.

Wiens erster Bezirk hat für ihn den Rausch der Vergangenheit gegen die Tristesse des Übers eingetauscht. Übervolle Straßen, übermäßig viele Verkäufer, die überteuerte Tickets verkaufen, überall nur Touristen, die überhaupt kein echtes Wien mehr ans Tageslicht kommen lassen. Dennoch sind Wien und seine Cafés immer noch berauschend. Es sind halt nur andere Cafés, wo man sich zur morgendlichen Stunde Gazetten und Braunen einverleiben mögen möchte.

Südspanien im Winter ist ein feuchtes Vergnügen. Manchmal auch ein feuchtfröhliches, wenn man der Sprache nicht mächtig ist und aus Versehen etwas bestellt, was einen übermäßig beansprucht.

Roma als Amor zu verstehen, fällt leicht, wenn man die Ewige Stadt einmal besucht hat. Oder mehrmals. Die Stadt für sich allein hat man niemals. Es sei denn, man besucht einen Friedhof. Doch auch da ist Achtsamkeit angeraten. Furbo und Pignolo können einem manchmal ordentlich auf die Nerven gehen oder gar die letzten Reste davon rauben. Der Eine mogelt sich durch (und kommt damit auch immer durch), der Andere ist ein Pedant, den man so in Italien gar nicht vermutet. Eine köstliche Charakterstudie des Autors.

„Hier und anderswo“ ist ein kurzweiliges Lesevergnügen für alle, die Bestätigung suchen und/oder vor der Entscheidung stehen in alle Himmelsrichtungen zu flüchten. Knigge-Fallen lauern überall (da ist es wieder, dieses „über“), nicht hineinzutappen, ist die Kunst. In diesem Büchlein die Fallen zu erkennen, sie umschiffen zu können, ist keine Kunst, es ist fast schon eine Pflicht.

Rocha Monte

Was ist das wichtigste bei einer Immobilie? Lage, Lage, Lage! Da können die Armaturen noch so golden glänzen, wenn das Haus nicht am rechten Fleck steht, ist alles für die Katz.

Das Monte Rocha Palace kann mit einer exquisiten Lage protzen. Hoch oben auf dem Berg dieser einsamen Insel irgendwo im Meer vor der iberischen Halbinsel. Hier finden alle eine Arbeit, die vorher nicht wussten wie sie ihre Taschen füllen sollen. Auch Aurélio Fuentes als Haustechniker, Chef der Haustechnik, wie seine Frau spöttisch später zu Protokoll gibt. Und auch José Dante Barosa als Chauffeur. Das Problem an der auf den ersten Blick so grandiosen Lage ist: Hier oben sieht man an 200 Tagen im Jahr die Hand vor Augen nicht. Dichter Nebel und Dauerregen vergraulen die Gäste. Gerade und weil nur ein paar Kurven weiter unten, permanent die Sonne schient. Von da schaut man zwar immer nach Oben, wundert sich gleichzeitig jedoch, warum man ausgerechnet da ein Hotel baut. Auch im Ort selbst weiß man, dass dieses Unterfangen – Touristen in und auf den Berg zu locken – zum Scheitern verurteilt sein muss.

Es kommt wie s kommen muss. Mit viel Tamtam – der Chef weiß, was sich gehört – wird der Abgesang eingeläutet. Alles werden zum nächsten Ersten entlassen. Das Monte Rocha Palace ist nach einer Saison Geschichte. Doch es kommen sicherlich bald schon wieder gute Zeiten. Nämlich dann, wenn der neue Besitzer hier einzieht. Dann geht es wieder aufwärts – wenn man schon oben ist, wie soll es da noch weiter aufwärts gehen?, fragt man sich da verwundert. Und damit der Verkauf so lukrativ wie möglich wird, der Besitzerwechsel so schnell wie möglich vonstatten gehen kann, werden Aurélio und José als Wächter das Objekt bewachen, es warten und in Schuss halten.

Lucia, Aurélios Frau ist davon wenig begeistert. Sie weiß, dass hier nichts mehr blühen und gedeihen wird. Und ihren Mann wird sie nun noch seltener sehen. Denn Aurélio stürzt sich voller Elan in die Arbeit. José hingegen sieht diesen Job als willkommene Gelegenheit zum bezahlten Nichtstun an. Was zu Zwistigkeiten mit Aurélio führt. Bald schon ist hier nichts mehr wie s war. Das Hotel verkommt nach und nach. Verwüstungen, eine Fliegenplage, tropfende Wasserleitungen – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Bis eines Tages Aurélio verschwindet … und nie mehr auftaucht. Ein Publizist bekommt Wind von der Sache, ihm werden Papiere des Hotels zugespielt. Er beginnt zu recherchieren. Das Bild, das man bisher sich gemalt hat, bekommt Risse, neue Schattierungen werden sichtbar, der Fokus wechselt…

Peter Höner schreibt keinen klassischen Roman, in dem es ein wirkliches Ende gibt. Der Weg ist das Ziel – er trägt Puzzleteile zusammen, die aber nur schwerlich eine echte Schönheit ergeben. Vielmehr dominieren dunkle Farben wie wenn beispielsweise die eigenen Kinder Aurélios nicht wirklich etwas zur Lösung beitragen können – die kannten schlicht und ergreifend ihren Vater nicht. Warum er verschwand, und wohin? Die Frage bleibt offen. Die kann nur einer beantworten – und der ist verschwunden. Vielleicht ist er auf Drachenflügeln ins Nichts geflogen…

Mallorca

Die Insel Mallorca hat schon viele Beinamen über sich ergehen lassen müssen: Das siebzehnte Bundesland, Partyinsel, Hangover-Island. Und an jedem Beinamen hängt auch immer ein Funken Wahrheit. Die ganze Wahrheit aber ist, dass es bisher nur ein Dutzend Mal gelungen ist der ganzen Wahrheit wirklich nahe zu kommen. Und jetzt schlägt’s Dreizehn! Dreizehnte Auflage des Reisebandes über eine der beliebtesten Urlaubsinseln überhaupt. Und ja, hier kann man tagelang die Nacht zum Tage machen (auch wenn es schon mal einfacher war). Hier kann man unbeschwert tatsächlich ruhige Stunden inmitten einzigartiger Natur verbringen. Hier ist Urlaub mit allem Drum und Dran möglich, ohne lange Weg in Kauf nehmen zu müssen. Es sei denn, man will es so.

Autor Thomas Schröder lässt dem Leser nur eine Wahl: Man will alles. Sofort. Nachhaltig. Und immer parat. Ob Familienurlaub mit allem Drum und Dran in Port d’Alcudia, ob dem Kunstsinn schärfen im Künstlerörtchen Deyá oder auf einer Bootsfahrt nach Cabrera – das Prädikat „Für jeden alles inklusive“ ist hier mehr als angebracht. Schon allein das Blättern und Lesen in diesem ausgezeichneten (ITB-Reisebuch-Award 2022) Reiseband ist eine kleine Reise, die unbedingt zum Nachahmen anregt.

Die klare Struktur des Buches macht eine Planung so einfach wie es sie nur hier gibt. Thomas Schröder gliedert die Insel in sieben Kapitel. Jedes startet mit einem farbig abgesetzten Appetizer, der alles auf einen Blick (auf das, was die nächsten Seiten bereithalten), so dass man mit einem Fingerschnipp sofort da landet, wo man landen will. Was bei Mallorca-Flügen ja nicht immer gegeben ist…

Selbst den offensichtlichen Highlights entlockt der Autor das letzte Geheimnis, so dass man sich wie ein Redakteur einer Quizshow fühlt. Der Informationsüberschuss ist derart präsent, dass man fast schon gar nicht mehr nach Mallorca reisen muss. Die zahlreichen Karten tun ihr Übriges.

Zum Erscheinen der Neuauflage gibt es auch die Möglichkeit die Travel-App zu benutzen. Bisher nur für die Cityguides verfügbar, kann man nun das gesamte Buch auf’m Handy immer griffbereit und ortsgetreu nacherleben. Ein Buch – eine App – ein Preis. Bei der Fülle an Möglichkeiten die Zeit auf der Insel erlebnisreich zu gestalten mehr als nur ein Angebot. Wer umfassend die Insel erkunden will, auch mal in ruhigen Gegenden die Sinne streifen lassen, dabei aber das pralle Inselleben nicht verpassen will, hat nur eine Wahl: Die Nummer Eins unter den Mallorca-Reisebänden im Gepäck zu haben.

Gran Canaria

Wenn es daheim so richtig ungemütlich, kalt und nass ist, möchte man einfach nur raus. Raus in die Welt. Aber bitte nicht allzu weit weg. Aber sonnig sollte s bitte schön sein. Für viele ist Gran Canaria dann die erste Wahl. Während zuhause alle den Kopf in den Nacken ziehen, weil der Wind sonst durch jede Ritze pfeift, genießt man die ersten wärmenden Sonnenstrahlen des Jahres. Und das sogar schon am Strand.

Doch Gran Canaria ist mehr als die Bettenburg Mitteleuropas tief im Süden. Irene Börjes hat nicht einfach nur einen Reiseband geschrieben, der mittlerweile sich der neunten Auflage erfreuen darf, in dem so allerlei geschrieben steht, was man sich anschauen kann (und muss), sondern einen Reiseband dem Frischlingsgast (aber auch dem erfahrenen Kenner der Insel) ein Reiseprogramm in die Hand gibt, dass nur einen Schluss zulässt: Langweilig wird’s hier bestimmt nicht!

Jedes Kapitel wird zunächst einmal kurz umrissen. Knackige Highlights machen Appetit darauf, das Buch intensiver zu studieren. Wie ein Reiseguide, der ohne den Erkennungs-Regenschirm in den Himmel zu recken und ohne Zeitdruck aufzubauen, weist sie ohne große Gesten auf das nicht zu Verpassende hin. Die farbig unterlegten Kästen sind dabei einmal mehr die Füllhörner der Neugier. Einzigartige Landschaften wie die Projektgemeinschaft Paisaje cultural de Risco Caido y Las Montanas Sagradas. Hier treffen weitreichend zurückliegende Geschichte, frühere Geschichte auf Gegenwart und Zukunft. Auf exzellent erschlossenen Wanderrouten kann man vorbei an Ausgrabungsstätten, in Freilandmuseen das Leben vor vielen Jahrhunderten nachvollziehen.

Sportlich ist Gran Canaria auch. Mit dem Rad querfeldein, ohne dabei Flora und Fauna ins Leben zu pfuschen – kein Problem. Auch hier hat die Autorin (sogar preiswerte) Tipps im Angebot.

Immer wieder kommt man ins Staunen wie viel die Insel zu bieten hat, und dass man tatsächlich alles in diesem Buch finden kann. Hier bekommt das Wort Kompaktheit eine neue Bedeutung.

Dieser Reiseband beweist eindrücklich, dass Gran Canaria nicht das eine Reiseziel ist, das man erwählt, wenn einem überhaupt nichts mehr einfällt, wo man den nächsten Urlaub verbringen kann. Auch wenn die Insel von Touristenmassen überrannt zu werden scheint, so gibt es noch immer unzählige Orte, die noch nie von Tennissocken in Sandalen platt gedrückt wurden. Gran Canaria mit Irene Börjes in der Hand wird so garantiert zu einem Erlebnis, an das man sich noch lange erinnern wird.

Wem die Stunde schlägt

Spanien im Mai – die Sonne wärmt schon das Gemüt, die Natur schlägt Purzelbäume. Spanien Ende Mai 1937 – die Kanonen donnern, eine Zeit der Angst und des Grauens. Generalissimo Franco legt das Land mit Hilfe anderer Diktatoren in Schutt und Asche. Auf der Gegenseite stehen die Internationalen Brigaden, furchtlose, zum Kampf bereite, freiheitsliebende Menschen, denen jedes Mittel recht ist, den perfiden Faschisten das Handwerk zu legen. Robert Jordan ist einer von ihnen. Amerikaner, der eine Brücke sprengen soll. Siebzig Stunden, zusammengefasst auf über 600 Seiten. Soweit ganz kurz die Rahmenhandlung.

Wie würde man heutzutage den Stoff umreißen? Ausländische Fachkraft mit militärischem Background soll einheimischer Widerstandsgruppe seine Fähigkeiten zur Verfügung stellen. Das geplante Ziel birgt aber das Risiko erheblicher Kollateralschäden in sich. Außerdem knistert es zwischen der Frau des einheimischen Helfers und dem Sprengstoffexperten mit Migrationshintergrund. So was will doch aber kleiner lesen!

Es sei denn Ernest Hemingway hat seinen Griffel im Spiel. Es ist das umfangreichste Werk des Nobelpreisträgers und seit über achtzig Jahren in immer neuen Übersetzungen ein Dauerbrenner auf den Gabentischen. Verfilmt mit Gary Cooper und Ingrid Bergman.

„Wem die Stunde schlägt“ ist zweifelsohne ein Klassiker. Und dennoch soll es Bücherregale geben, in denen das Buch keinen Platz hat. Hemingway zu lesen, ist wie eine Reise, die niemals enden soll. Er packt einen da, wo keine Hand hinkommt – tief im Inneren. Die Parallelen zur Gegenwart sind nahbar und offensichtlich. Jedes Tun fordert regelgerecht eine Gegenreaktion heraus. Je schwieriger die Situation, desto unabdinglicher ist das sorgsame Abwägen. Und genau deswegen sollte man „Wem die Stunde schlägt“ immer in Griffweite haben.

Die Neuübersetzung von Werner Schmitz lässt dem Werk seine eigene Sprache und transformiert das Werk in unsere Zeit, ohne den Geist der Vergangenheit in Unruhe zu versetzen. Klare Gedanken erfordern eine klare Sprache. Dies gelingt hier ohne Abstriche. Hat man dieses Werk einmal in den Händen klebt es wie Honig zwischen den Fingern. Auch wenn man sich Seite für Seite die Finger danach leckt, geht die Anziehungskraft nicht verloren.

Selten zuvor hat der Titel eines Buches auf den Leser abgefärbt. Denn wem die Stunde schlägt, der hat „Wem die Stunde Schlägt“ gelesen. Und ihm er wird die Stunden nicht vergessen, in dem er dieses Buch las.

Benzin

Rationalität in der Kunst? Das gibt es nur bei Malen-Nach-Zahlen. Heribert scheint da wohl die Ausnahme zu sein. Oder auch wieder nicht! Eines Tages, es ist der 1. Januar, das neue Jahr lächelt noch jungfräulich durch die Gardinen, ist es aus mit dem Leben als Künstler. Das, was ihn täglich ins Atelier trieb, ist mit einem Mal verschwunden. Sinnkrise? Schaffenskrise? Darüber denkt Heribert gar nicht erst nach. Ihm ist aller dermaßen egal, dass es ihm unnötig erscheint auch nur einen Gedanken darüber zu verschwenden. Helena, seine Galeristin und vor allem seine Frau ist ihm gleichgültig. Dass er sie mit Hildegarda schon länger betrügt, ist ihm einerlei. Denn auch sie ist ihm herzlich egal. Herudina – die Liebe zum Buchstaben H ist mehr als auffällig – ist auch nur ein weiterer Zeitvertreib, der ihm aber auch nicht weiteren Antrieb verleihen kann. Stattdessen gibt er sich Zahlenspielereien hin. Er rechnet willkürlich Sekunden, Menschen, Ereignisse zusammen ohne dabei wirklich ein Ziel vor Augen oder gar im Sinn zu haben. Heribert ist ausgebrannt!

Und ist das schlimm? Nö! Heribert lebt in den Tag hinein. Niemals dasselbe Restaurant. Shopping bis die Kreditkarte aufgeweicht ist. So sieht sein Leben jetzt aus. Bis etwas passiert, das niemand vorhersehen kann.

Auch Helena ist die Gleichgültigkeit ihres Gatten aufgefallen. Auch sie hegt eine Schwäche für den Buchstaben H. Humbert ist ihr neues Objekt der Begierde. Ihn kann sie als Künstler aufbauen, protegieren und sich selbst profilieren. Die beste Möglichkeit dafür bietet sich schneller als sie gewagt hat zu hoffen. Denn Heribert stößt etwas zu. Der Zeitpunkt ist allerdings denkbar ungünstig. Ihr Plan: Das eine H gegen das andere H auszutauschen. Und so wird aus Humbert Heribert.

Eine köstliche Sichtweise auf den Kunstbetrieb, die Quim Monzò dem Leser mit auf den Weg in die Phantasiewelt gibt. Man schaut auf dieses reiche Leben und befürchtet, dass es bald zerbrechen könnte. Heribert tut aber auch gar nichts gegen diesen Trend. Von außen nach drinnen zu schauen ist immer schwerer als umgekehrt. Zu viele Fallstricke, die einem die Sicht vernebeln. Und genau das darf man bei diesem Roman nicht tun. Denken während des Lesens. Einfach sich treiben lassen. Die Zeilen aufsaugen, die Silben Auf und Ab hüpfen lassen. Nachdem man das Buch zum ersten Mal geschlossen hat (und man wird es mehrmals schließen, weil man es mehrmals öffnet), ergießt sich eine Welt über den Leser, in der man einfach nicht untergehen kann.

Inselabenteuer Mallorca

Malle und Abenteuer – ja, das geht auch am Ballermann. Dreiunddreißig Möglichkeiten sich auf abenteuerliche Weise zu blamieren, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten und dem Körper übel mitzuspielen. Aber dafür braucht man kein Buch, nicht einmal nachdenken muss man dabei.

Bleiben wir noch ein bisschen beim frivolen Klischee der Baleareninsel. Wie wär’s denn mit Entenhintern und rotem Blitz? Kurz nachdenken. Nee, kommt man nie drauf! Die Rede ist zunächst einmal von Entenhintern-Orangen. Auf einer kleine Plantage im Nordwesten der Insel reifen sie prächtig und in überschaubarer Menge. Die Eigentümer führen Interessierte gern herum und lassen die aus den Früchten entstandenen Produkte gern probieren. Den Rucksack kann man sich anschließend mit allerlei einzigartigen Mitbringseln füllen. Hier gibt es sogar Bäume, die mehrere Sorten Orangen tragen. Und mit dem roten Blitz, einer betagten Bahn geht es dann bis in die Inselhauptstadt Palma.

Eine lukullische Besonderheit gibt es auch beim Schneckenkönig. Ja, Schnecken, kann man essen, auch wenn der Kopf sagt, dass man davon lieber die Finger lassen soll. Dann nimmt man eben den Mund! Auf einer Farm werden sie gezüchtet und gegrillt oder in einer leckeren mallorquinischen Sauce serviert. Wer sich immer noch nicht traut, der nimmt halt den Nachtisch. Der wird mit einer Puderzucker-Schnecke serviert. Wie das aussieht, muss man allerdings selbst herausfinden.

Ein echtes Abenteuer (wie im Film, wie in den Abenteuerbüchern der Kindheit und Jugend) ist der Weg zu wahrhaft gigantischer Kunst. Riesige Skulpturen, die mehr an die Osterinseln erinnern als ans westliche Mittelmeer, wollen erobert werden. Doch zuvor hat der Reisegott die nicht ganz offensichtliche Anreise, sprich den Weg dorthin, gesetzt. Da muss man schon mal den einen oder anderen Zweig beiseite biegen und so manche Pflanze sich Untertan machen. Aber das Ziel entschädigt für die Strapazen. Stein auf Stein, wie im Maya-Reich oder doch Angkor Wat oder eben die Osterinseln? Wie so vieles auf Mallorca, so haben auch diese Kunstwerke deutsche Wurzeln. Rolf Schaffner schuf diese überdimensionalen Gestalten, die man in kleinen geführten Erkundungen besichtigen kann.

Raus aus der Stadt, rauf auf die Insel. Für Autor Frank Feldmeier ist Mallorca seit fast zwanzig Jahren Heimat und Arbeitsstätte. Auf jeder Seite spürt man das Meer rauschen und die unbezwingbare Liebe zur Insel. Hier ist kein einziger Tipp von der Stange. Alles selbst erkundet, getestet und der Leserschaft zum Nacherleben auf dem Silbertablett präsentiert. Hier muss keiner kapitulieren, wenn es mal nicht sofort weitergeht. Schritt für Schritt erobert man eine Insel, die längst als weißfleckfrei gilt. Frank Feldmeier beweist, dass es hier tatsächlich noch Flecke gibt, die den Massen verborgen geblieben sind.

Im Auge der Pflanzen

Es soll ja Menschen geben, die durch die Gegenwart von Tieren zu einem anderen Menschen werden. Meist sogar zu einem besseren Menschen. Sieht man genauer hin, sind die Veränderungen aber gar nicht so gravierend. Sie sind dann vielleicht ruhiger, gelassener. Lassen die Aufregung nicht mehr so oft zu.

Djamila Pereira De Almeida treibt es mit der Veränderung auf die Spitze. „Im Auge der Pflanzen“ steht Celestino, Käptn Celestino. Einst ein gefürchteter Mann der Meere, der sich heute noch damit brüstet – oder ist es eine Art öffentliche Beichte, um Zeugnis abzulegen? – unzählige Leben ins Jenseits befördert zu haben. Dabei ist er in der Wortwahl nicht zimperlich. Sprüche wie, dass Hälse – die er höchstselbst umgedreht hat – kein Alter haben. Blut, das aus allem herausquoll, wo es nur herausquillen kann.

Den Kindern der Nachbarschaft, die dem Alten gern mal über den Gartenzaun lugen, imponiert immer noch die Statur des Seebären. Doch die eigentliche Faszination auf die Menschen um den einstigen Unhold hat ihren Ursprung in dessen Garten. Hier gedeihen die prächtigsten Pflanzen. Und hier hat Celestino nun endlich Frieden gefunden. Vom Saulus zum gründaumigen Paulus. Ja, Märchen können auch wahr werden.

Die Emsigkeit und Unnachgiebigkeit der Vergangenheit gereicht ihm heute zum Vorteil. Seine ganze Hingabe gilt dem Grün um ihn herum. Mit unvergleichlicher Liebe zur Flora schneidet er im richtigen Moment triebe zurück, wässert mit Bedacht seinen Grund und Boden und lässt farbenfrohe Blüten um sich herum erstrahlen.

Es ist die Einfachheit der Worte, die Djamila Pereira De Almeida verwendet und die Taten, die sie ihrem Celestino angedeihen lässt, die den Leser dieses vorzüglichen Büchleins nicht in Ruhe lassen. Hier kommt kein großer Knall, der alles auf den Kopf stellt. Celestinos Leben ist schon längst von links auf rechts gedreht worden.  Er genießt das Hier und Jetzt. Das, was einmal war, ist und bleibt ein Bestandteil seines Lebens. Und das für immer. Doch Celestino bevorzugt es sich nun gerade jetzt gut gehen zu lassen.

Als Leser kann man es sicht ebenso gutgehen lassen. Wie ein Blatt im Wind, das sanft auf eine saftige Wiese fällt, wiegt man sich im sanften Schaukeln der Wörter. Man wird sicher nicht zu einem besseren Menschen, wenn man dieses Buch liest. Aber man legt es zufrieden nach der letzten Seite neben sich, um immer wieder darin zu blättern.