Archiv der Kategorie: Meeresrauschen

Die Himmelskugel

Berühmte Wissenschaftler sind immer ein gern genommenes Thema für Autoren. Allein über Albert Einstein wurden so viele Bücher geschrieben, dass sie locker ein ganzes Fußballstadion füllen können. Und immer wieder tauchen neue Erkenntnisse über die Protagonisten auf, so dass es sich durchaus lohnt auch immer wieder ein neues Werk zu lesen. Den Fortschritt hält halt niemand auf. Sie ist die Treibfeder des Forscherdrangs.

So muss sich auch Angus fühlen. Der Junge lebt auf St. Helena, eine Insel, die erst über ein Jahrhundert später berühmt werden sollte. Als schlussendliches Exil von Kaiser Napoleon.

Dieser Angus ist ein aufgeweckter Junge. Er beobachtet Vögel: Und weil er zählen kann – keine Selbstverständlichkeit im 17. Jahrhundert – darf/muss er sie auch zählen. Für wissenschaftliche Zwecke. Das ist seine Arbeit bei Tag. Hoch oben in den Bäumen, festgezurrt. Des Nachts hingegen beobachtet er die Sterne. Nicht aus Zeitvertreib. Auch hier wieder: Er kann zählen, und diese Fähigkeit soll er einsetzen.

Von Edmond Halley hat er gehört. Ein großer Wissenschaftler im weit entfernten England. Heute bekannt und immer wieder aus der Mottenkiste gekramt, wenn der von ihm entdeckte und nach ihm benannte Komet in Sichtweite rauscht. Schon allein die Tatsache, dass der Junge Angus von der Insel St. Helena im weit entfernten England (und damals war das eine fast unüberwindbare Entfernung, wenn man kein Seemann war) anlandet, ist ein echtes Abenteuer. Heute würde man ihn als illegal eingereisten Immigranten brandmarken. Kurzum: Als blinder Passagier reist er nach England, zu Halley. Angus ist am Ziel seiner Träume. Er soll Edmond Halley um Hilfe bitten. Denn auf St. Helena stehen die Zeichen auf Sturm.

Nun beginnt für ihn die aufregendste Zeit seines Lebens.

Olli Jalonen schreibt keine umfassende Biographie über einen der berühmtesten Wissenschaftler. Er seziert einen Teil seines Lebens bis ins Kleinste. Europa ist immer noch im Umbruch. Was in der Renaissance begann, wirkt bis heute nach. Die Allmacht der Kirche ist gebrochen. Wissenschaftliche Denkweisen und technische Errungenschaften lassen jahrhunderte alte Denkstrukturen und Dogmen in sich zusammenbrechen. Ein kleiner Junge als Denkanstoß, ein heller Geist und der Drang nach Erkenntnis kollidieren auf engstem Raum. Wer bisher mit Edmond Halley bisher nicht allzu viel in Verbindung brachte, liest man sich schnell in einen Rausch. Ganz behutsam, kein Detail außer Acht lassend, kreiert Olli Jalonen ein Universum, das in sich geschlossen ist, dennoch unendliche Weiten in sich aufnehmen kann.

Sempre italia

Ach, würde der Urlaub doch ewig dauern! Würde für immer die Sonne scheinen. Würde für immer der Wein wie beim ersten Mal schmecken. Das ließe sich beliebig fortsetzen, denkt man an Italien. Einmal von hoch oben auf einen Lago schauen, leckere Pasta mit richtig viel parmigiano dort genießen, wo er produziert wird oder unter sengender Sonne sich Pizza in den Mund stopfen – dazu ein vino … und das Paradies kann einem gestohlen bleiben.

Jede Liebeserklärung an den Stiefel ist eine emotionale Reise, reich gespickt mit Erinnerungen und Ideen fürs nächste Mal. Denn ein nächstes Mal gibt es immer! Frances Mayes und Ondine Cohane sind verliebt. Verliebt in Italien – das allein reicht aber noch nicht. Sie halten ihre Liebe zu Land und Leuten in diesem Buch fest. Vierhundert Seiten amore – das kann „im normalen Leben“ die Eine/den Einen schon mal überfordern. Den Leser, den Liebeshungrigen, den Italienliebhaber überfordert es nicht. Denn vieles kennt man vielleicht schon. Manches wollte man schon immer mal besuchen. Und einiges gehört beim nächsten Mal in italia auf alle Fälle zum Reiseprogramm.

Kreuz und quer durch das Land, das immer noch und immer wieder überraschen kann. Immer mit der Kamera im Anschlag und mit dem gezückten Stift in der Hand tauchen die beiden ab in eine Kultur, die mit Sehnsucht nur annähernd beschrieben werden kann.

Jede Region wird so lange bereist bis die Autorinnen das Besondere gefunden haben, das ihre Liebe am besten beschreibt. Die seitenfüllenden Abbildungen locken den Leser in die Geschichten hinein, die so wortgewandt jeder Kritik widerstehen. Für ganz Eilige gibt’s am Kapitelende eine kleine Zusammenfassung und Tipps, was man nicht verpassen darf. Für eifrige Leser sind diese Zeilen Erinnerungslückenfüller. Denn jede Region steckt voller Abenteuer, die man erleben muss.

Und für jeden ist etwas dabei: Radfahren, Weindegustationen, Wandern, Erkundungstouren, Schlemmen …

Im Meer der Italienbücher geht man schnell unter, wenn man nur nach dem Einband seine Wahl trifft. Zu groß die Menge an Reisebüchern, Bildbänden, Ratgebern. „Sempre italia“ ist ein leidenschaftliches Kraftpaket, das man immer wieder hervorholt und sich inspirieren, Träume fliegen lässt und in eine Welt eintaucht, die gar nicht soweit entfernt von der eigenen Haustür das dolce vita mit einem einzigen Umblättern real werden lässt.

Drei Uhr morgens

Kein Fußball, keine Kontaktsportarten, kein Kaffee, kein Alkohol, ja nicht einmal Mineralwasser mit Sprudel – für einen Jungen, der die neunte Klasse besucht nicht das, was man sich als Paradies vorstellt. Doch Antonio muss sich fügen. Schon als er jünger war, nahm er ab und zu die Geräusche, die ihn umgaben extrem nachhaltig wahr. Nun hat er die Diagnose: Epilepsie.

Papa wohnt nicht mehr mit Mama und Antonio zusammen. Doch nach dem letzten Anfall und dem anschließenden Krankenhausaufenthalt legt sich der Erzeuger mächtig ins Zeug. In Marseille soll es einen Arzt geben, Professor Henri Gastaut, der auf dem Gebiet der Epilepsie-Forschung bahnbrechende Erkenntnisse verzeichnen kann. Durch Zufall ist sogar in wenigen Tagen ein Termin bei ihm frei. Zum ersten Mal nach zig Jahren reisen Antonio, Mama und Papa gemeinsam. Ein einmaliges Unternehmen. Die Untersuchungen stören Antonio kaum, sie führen sogar zu einem Ergebnis. Nur eine leichte Epilepsie. In drei Jahren sollen sie wiederkommen. Und Gastaut hat sogar noch mehr gute Nachrichten. Antonio scheint künstlerisch begabt zu sein. So wie van Gogh, Dostojewski und Poe. Und er darf wieder Getränke mit Sprudel zu sich nehmen. Und Fußball spielen.

Die Jahre vergehen. Antonio lebt weiterhin mit Mama zusammen. Papa woanders. Schneller als gedacht, vergehen die drei Jahre. Statt vier sind es nur zwei Tabletten pro Tag. Als der Termin bei Professor Gastaut steht, ist die Krankheit Normalität, die man eh nicht ändern kann. Antonio verzieht das Gesicht als er dieses Mal allein mit Papa nach Marseille reisen soll. Und so einmalig der erste Trip zu Dritt gen Marseille war, so ungewöhnlich ist Professor Gastauts Methode, um festzustellen, ob Antonios Epilepsie bald schon der Vergangenheit angehören wird: Er soll zwei Tage und zwei Nächte wach bleiben – dafür gibt er ihm Tabletten. Die bisherigen Tabletten bleiben in der Verpackung.

Und nun soll der achtzehnjährige Antonio, der sein halbes Leben mit Tabletten und ohne Vater verbracht hat, achtundvierzig Stunden mit dem Mann, der ihm fremd und nah zugleich ist, in einer Stadt am Leben teilhaben, die ihm nicht minder fremd ist?!

Antonio staunt nicht schlecht wie nah sich zwei Menschen sein können, die sich kaum kennen. Ohne Scheu wechseln Fragen und Antworten den Besitzer. Er lernt seinen Vater kennen, erfährt mehr über sich und das Leben im Allgemeinen als er sich je vorstellen konnte. Unter die Restaurantbesuche, Jazzkonzerte (inklusive einer Einlage seines Vaters), nächtlichen Streifzügen durch das finstere Marseille der Achtzigerjahre mischt sich die Normalität. Wenn der Vater mit dem Sohne …

Gianrico Carofiglio lässt zwei Menschen zwei Tage miteinander leben, um für ihr gesamtes folgendes Leben miteinander verbunden zu sein. Der eigentliche Grund – der Krankheit Herr zu werden – tritt allmählich in den Hintergrund bis das unvermeidliche Ende immer näher rückt. Das ist der traurigste Moment beim Lesen.

Ostseestädte

Mal wieder na die Ostsee fahren. Die Seeluft schnuppern. Die Gezeiten nur ganz sanft wahrnehmen. Klingt nach einem leicht greifbaren Urlaubstraum. Und schon beginnt das Dilemma. Wohin an die Ostsee? In eines der vornehmen Kaiserbäder mit der einzigartigen Architektur. Oder doch lieber in die historischen Ecken, die Geschichtsfans zwischen Betroffenheit und waghalsiger Heimatliebe schwanken lassen? Oder auf eine der zahllosen Inselchen vor der skandinavischen Küste? Ziemlich schnell wird klar, dass die Ostsee eben nicht nur All-inclusive-Sonne-Strand-Destination ist, sondern ein Füllhorn an Attraktionen zu bieten hat. Allein schon die Vielfalt an Städten lässt den mäßig gelaunten Urlaubsplaner schier verzweifeln. Man kann sich nun durch einen beträchtlichen Bücherberg durcharbeiten, um das Passende für sich auszusuchen oder … man greift zu einem Reisebuch, das sogar ein Rundreise durchaus nachvollziehbar erscheinen lässt.

Von Kiel ausgehend einmal gegen den Uhrzeigersinn bis nach Oslo. Auch wenn Oslo nicht direkt an der Ostsee liegt, was sie als einzige Stadt dieses Buches von den anderen unterscheidet, reist man immer am Meer entlang. Man muss aber nicht, man darf dieses Buch nicht als Reiseanleitung für eine Ostseeumrundung ansehen. Es ist ein gewaltiger Appetitmacher für die baltischen Städte. Lübeck, Rostock, Gdansk, Kaliningrad, Klaipéda, Riga, Tallinn, Sankt Petersburg, Helsinki, Stockholm, Visby auf Gotland, Rønne auf Bornholm, Kopenhagen – na, wenn das mal kein Reiseangebot ist?!

Fast jeder hat zu mindestens einer dieser Städte eine Verbindung. Und mitten im Lesen – diesen Reiseband kann man wirklich von der ersten bis zur letzten Seite durchlesen, und nicht nur stichprobenartig – wird der Erfahrungsschatz immer größer. Ohne jemals vor Ort gewesen zu sein. Und ehe man sich versieht ist die Sehnsucht zu einem handfesten Plan verwandelt worden.

Die Autoren nehmen sich Zeit, um die Städte nicht einfach nur vorzustellen, so dass man nach der dritten Stadt das Gefühl hat „kennt man eine, kennt man alle Städte“. Sie zeigen unaufdringlich, was man unbedingt sehen muss, um die Einzigartigkeit der Städte am (Binnen-) Meer erlebbar zu machen. Geschichte, Einkaufstipps, Aussichtspunkte, Orte zum Verweilen in Hülle und Fülle, ohne dabei Wichtiges aus Platzgründen wegzulassen, fordern den Leser heraus es ihnen gleich zu tun. Da ergibt man sich gern, und lässt sich (an-)treiben, um ja nicht etwas zu verpassen, das die Autoren so sorgsam zusammengesammelt haben. Eine Inspirationsquelle, die lange anhält und viele Reisen im Handumdrehen planbar macht.

Die Sommerhäuser der Dichter

Was braucht ein Dichter, um sich frei entfalten zu können? Die Ruhe der Abgeschiedenheit oder den Trubel der weiten Welt? So unterschiedlich die Dichter, so unterschiedlich sind auch ihre Sommerhäuser. Bertolt Brecht zog sich mit Helene Weigel nach Buckow bei Berlin zurück. Idyllisch am See gelegen, bürgerliches Ambiente. Soviel Kapitalismus muss ein Kommunist aushalten … in Brechts Fall war es sogar gewünscht. Um sich in der DDR niederzulassen, erfüllte die Staatsführung ihm fast jeden Wunsch. Dem des abgelegenen Sommerhauses auf alle Fälle.

Weitaus feudaler residierte da schon Jean Cocteau vor den Toren von Paris. Bis heute ist der Garten unverändert, in seinen Mauern sind Gemälde von Weltrang zu besichtigen. Cocteau lebte in Milly-la-Forêt siebzehn Jahre. Den Trubel der Metropole holte er sich gelegentlich ins Haus.

Trubel konnte Heinrich Böll in seinem Versteck in der Eifel nicht gebrauchen. Schon gar nicht als 1974 Alexander Solschenizyn hier Asyl fand. Bis heute ist dieses Haus eine Zufluchtsstätte für verfolgte Dichter.

Versteckt, bis heute nicht ohne eine Portion Forscherdrang zu entdecken, liegen die Rückzugsorte von Virginia Woolf und ihrem Mann Leonard sowie von George Bernard Shaw. Ausflüge ins Ländliche waren für Woolf Alltag. Shaw hingegen ließ sich einen drehbaren Arbeitsplatz einrichten, um stets der Sonne folgen zu können. Noch einsamer mochte es Hermann Hesse, der gleich am Eingang mit einem Schild auf seine unbedingte Bitte Abstand zu halten hinwies.

Die meisten Häuser, die einmal das Zuhause eines berühmten Kopfes waren, sind heute als Museen zu besichtigen. Dank der unermüdlichen Arbeit von Stiftungen und/oder Nachfahren sind ihre Refugien zu einem Hotspot der Wissbegierigen geworden. Im Fall von Arthur Rimbaud liegt der Fall etwas anders. Auch hier wieder Idylle soweit das Auge reicht. Doch der streitbare Dichter fühlte sich hier in keiner Weise wohl. Das Licht, die Piefigkeit trieben ihn wieder gen Paris. Über hundert Jahre später wurde es verkauft, der Preis dafür: So um die 50.000 Euro. Munkelt man. Die neue Besitzerin verehrt Rimbaud. Parallelen zwischen ihrem und seinem Leben sind vage vorhanden. Er war und ist für sie purer Rock ’n Roll. Ihr Name: Patti Smith.

Von Tanger über Weimar bis Nidda, von Thomas und Klaus Mann über Günter Grass und Anton Tschechov bis William Burroughs – dieses Buch befeuert die Neugier des Lesers. Die Texte laden ein dem Forscherdrang nachzugeben und dem Einen oder Anderen über die Schulter zu schauen und das zu sehen, was die Dichter einst aufsaugten. Die Resultate dieses Aufsaugens sind weltbekannt. Ein Besuch bei Dichters hilft deren Schriften zu verstehen. Hier hält man einen der originellsten Reiseappetitmacher überhaupt in den Händen!

Schlaflos

Es fängt alles so harmlos an: Auf einer schottischen Insel, so verlassen, dass man gerade noch so etwas wie Zivilisation darauf „betreiben“ kann, aber fernab von dem, was die Zivilisation so angespannt wirken lässt, hat sich eine junge Familie eingenistet. Sie, Anna, schreibt an einer wissenschaftlichen Arbeit. Die Kinder fordern ihre volle Konzentration. Und er? Naja, er ist einfach nur da. Bei Weitem nicht so präsent wie er sollte, dennoch da.

Zwischen Stromausfällen zur Unzeit (wann kommen die schon mal wie gerufen?), endlosem Kinderliedersingen und dem sehnlichen Wunsch nach Schlaf und die Arbeit endlich beenden zu können, ist Anna öfter der Verzweiflung nah als sie es sich selbst eingestehen will. Jede Abwechslung für die Kids und sie ist eine willkommene Abwechslung. Doch dass dabei ein Schädel im Garten der jungen Familie gefunden wird, war so nicht geplant. Der Große wittert sofort ein großes Abenteuer. Die Polizei, inzwischen herbeigerufen, nimmt erstmal die Mutter unter die Lupe. Das ist es, was Anna noch braucht…!

Jetzt beginnt das wahre Abenteuer für die studierte Historikerin. Die Auszeit auf der abgelegenen Insel in der Abgeschiedenheit Schottlands entwickelt sich zu wahren Thriller. Denn in ihrem Garten hat sich ein Verbrechen zugetragen. Lange her. Doch das weiß bis hierhin nur der Leser. Der wird zwischen den bitterböse anmutenden Dialogen zwischen Anna und Giles, ihrem Gatten, zwischen Anna und ihren Kindern, mit Briefen konfrontiert, die vor mehr als hundert Jahren vom Kampf der Frauen um gesellschaftliche Anerkennung geprägt sind. Eine junge Frau will unbedingt Ärztin werden. Zur damaligen Zeit mehr als nur der Kampf mit unendlich dicken Büchern und der begrenzten Aufnahmefähigkeit des Gehirns. An allen Seiten stößt die junge Frau auf unüberwindbare Mauern.

Sarah Moss lässt sich nicht beirren in ihrem Ansinnen dem Leser auf fast fünfhundert Seiten keine Sekunde Ruhe zu gönnen und ihn immer tiefer in die Geschichte hineinzuziehen. So schlaflos Anna die Stunden, Tage, Wochen, Monate mit all dem verbringt, was Alltag für eine berufstätige Mutter scheinbar zu sein hat, so rastlos peitscht sie den Leser von Seite zu Seite, treibt ihn an erst dann Ruhe zu geben, wenn das letzte Puzzleteil sich erhaben ins Bild fügt. Das Kapitelende als Ruhepol kann man in „Schlaflos“ getrost vergessen. Immer weiter zeiht einen die Neugier in die Story hinein. Und an Schlaf ist erst recht nicht zu denken, wenn die letzte Seite gelesen, die letzte Zeile aufgesogen wurde.

Inselabenteuer Mallorca

Malle und Abenteuer – ja, das geht auch am Ballermann. Dreiunddreißig Möglichkeiten sich auf abenteuerliche Weise zu blamieren, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten und dem Körper übel mitzuspielen. Aber dafür braucht man kein Buch, nicht einmal nachdenken muss man dabei.

Bleiben wir noch ein bisschen beim frivolen Klischee der Baleareninsel. Wie wär’s denn mit Entenhintern und rotem Blitz? Kurz nachdenken. Nee, kommt man nie drauf! Die Rede ist zunächst einmal von Entenhintern-Orangen. Auf einer kleine Plantage im Nordwesten der Insel reifen sie prächtig und in überschaubarer Menge. Die Eigentümer führen Interessierte gern herum und lassen die aus den Früchten entstandenen Produkte gern probieren. Den Rucksack kann man sich anschließend mit allerlei einzigartigen Mitbringseln füllen. Hier gibt es sogar Bäume, die mehrere Sorten Orangen tragen. Und mit dem roten Blitz, einer betagten Bahn geht es dann bis in die Inselhauptstadt Palma.

Eine lukullische Besonderheit gibt es auch beim Schneckenkönig. Ja, Schnecken, kann man essen, auch wenn der Kopf sagt, dass man davon lieber die Finger lassen soll. Dann nimmt man eben den Mund! Auf einer Farm werden sie gezüchtet und gegrillt oder in einer leckeren mallorquinischen Sauce serviert. Wer sich immer noch nicht traut, der nimmt halt den Nachtisch. Der wird mit einer Puderzucker-Schnecke serviert. Wie das aussieht, muss man allerdings selbst herausfinden.

Ein echtes Abenteuer (wie im Film, wie in den Abenteuerbüchern der Kindheit und Jugend) ist der Weg zu wahrhaft gigantischer Kunst. Riesige Skulpturen, die mehr an die Osterinseln erinnern als ans westliche Mittelmeer, wollen erobert werden. Doch zuvor hat der Reisegott die nicht ganz offensichtliche Anreise, sprich den Weg dorthin, gesetzt. Da muss man schon mal den einen oder anderen Zweig beiseite biegen und so manche Pflanze sich Untertan machen. Aber das Ziel entschädigt für die Strapazen. Stein auf Stein, wie im Maya-Reich oder doch Angkor Wat oder eben die Osterinseln? Wie so vieles auf Mallorca, so haben auch diese Kunstwerke deutsche Wurzeln. Rolf Schaffner schuf diese überdimensionalen Gestalten, die man in kleinen geführten Erkundungen besichtigen kann.

Raus aus der Stadt, rauf auf die Insel. Für Autor Frank Feldmeier ist Mallorca seit fast zwanzig Jahren Heimat und Arbeitsstätte. Auf jeder Seite spürt man das Meer rauschen und die unbezwingbare Liebe zur Insel. Hier ist kein einziger Tipp von der Stange. Alles selbst erkundet, getestet und der Leserschaft zum Nacherleben auf dem Silbertablett präsentiert. Hier muss keiner kapitulieren, wenn es mal nicht sofort weitergeht. Schritt für Schritt erobert man eine Insel, die längst als weißfleckfrei gilt. Frank Feldmeier beweist, dass es hier tatsächlich noch Flecke gibt, die den Massen verborgen geblieben sind.

Stadtabenteuer Stockholm

Wenn man schon mal hier ist – dann muss man auch alles mitnehmen, was mitzunehmen ist. Wenn man schon mal hier ist – so lautet auch eine Rubrik am Ende eines jeden Kapitels. Wenn man schon mal hier ist – braucht man dieses Buch.

Stockholm als schlummernde Grazie zu bezeichnen, ist noch richtig. Doch die Hauptstadt Schwedens erwacht immer öfter, immer früher, immer heftiger. Waren noch vor zwanzig Jahren nur eine Handvoll Städte auf der To-Do-List für Cityhopper, so sind es mittlerweile so viele, dass man sie kaum noch zählen kann. Und immer öfter wird die schwedische Hauptstadt genannt. Zu Recht, das wissen auch Antje und Johannes Möhler.

Die den Kinderschuhen entwachsene Buchreihe Stadtabenteuer, geht in eine neue Runde. Und den Auftakt dieser Runde macht Stockholm. Eine zerklüftete Stadt, die aus unzähligen Inseln und Inselchen besteht. Klar, dass man hier noch echte Abenteuer erleben kann. Das Abenteuer beginnt schon auf der ersten Umschlagseite. Sieben Fragen, die natürlich alle im Buch beantwortet werden, führen den Neugierigen auf die richtige Fährte.

Warum nicht mal in einem Museum ein Abenteuer erleben? Klingt auf den ersten Blick nicht besonders dramatisch. Muss es ja auch nicht werden. Aber allein schon die Vorstellung, dass es möglich ist… Die Rede ist vom Schnapsmuseum. Nicht nur gucken lautet hier die Devise. Und wenn man schon mal hier ist … das ist es wieder … um die Ecke kann man dem dicken Kopf, dem Kater, wie auch immer, noch mehr Futter geben. Der Vergnügungspark Gröna ist gleich um die Ecke. Wem dieses Abenteuer doch zu abenteuerlich ist, der nüchtert beim Spaziergang durch die Wälder der Insel Djurgården aus. Auch das Wasamuseum lässt den Kopf schnell das Hochprozentige Abenteuer vergessen.

In Stockholm ist sogar eine Shoppingtour ein Abenteuer. Upplandsgatan und Odengatan lauten die Zauberworte, die die Autoren zum Flanieren verleiten. Retrochic und echte Unikate warten hier nur darauf endlich aus der Versenkung geholt zu werden.

Stockholm als einzigartiger Abenteuerspielplatz? Ja, aber. Natürlich rennt man nicht mit brennender Fackel und Säbel zwischen den Zähnen durch die Stadt, um sich wie ein Abenteurer zu fühlen. Man erobert sie auch nicht, um sie sich Untertan zu machen. Vielmehr lädt dieses außergewöhnliche Reisebuch dazu ein, vieles fernab der festgetrampelten Pfade selbst zu entdecken. Antje und Johannes Möhler halten sich nicht still im Hintergrund, vielmehr stupsen sie den Leser und Besucher der Stadt immer wieder an, den nächsten Schritt zu wagen. Wenn das kein Abenteuer ist?!

Im Auge der Pflanzen

Es soll ja Menschen geben, die durch die Gegenwart von Tieren zu einem anderen Menschen werden. Meist sogar zu einem besseren Menschen. Sieht man genauer hin, sind die Veränderungen aber gar nicht so gravierend. Sie sind dann vielleicht ruhiger, gelassener. Lassen die Aufregung nicht mehr so oft zu.

Djamila Pereira De Almeida treibt es mit der Veränderung auf die Spitze. „Im Auge der Pflanzen“ steht Celestino, Käptn Celestino. Einst ein gefürchteter Mann der Meere, der sich heute noch damit brüstet – oder ist es eine Art öffentliche Beichte, um Zeugnis abzulegen? – unzählige Leben ins Jenseits befördert zu haben. Dabei ist er in der Wortwahl nicht zimperlich. Sprüche wie, dass Hälse – die er höchstselbst umgedreht hat – kein Alter haben. Blut, das aus allem herausquoll, wo es nur herausquillen kann.

Den Kindern der Nachbarschaft, die dem Alten gern mal über den Gartenzaun lugen, imponiert immer noch die Statur des Seebären. Doch die eigentliche Faszination auf die Menschen um den einstigen Unhold hat ihren Ursprung in dessen Garten. Hier gedeihen die prächtigsten Pflanzen. Und hier hat Celestino nun endlich Frieden gefunden. Vom Saulus zum gründaumigen Paulus. Ja, Märchen können auch wahr werden.

Die Emsigkeit und Unnachgiebigkeit der Vergangenheit gereicht ihm heute zum Vorteil. Seine ganze Hingabe gilt dem Grün um ihn herum. Mit unvergleichlicher Liebe zur Flora schneidet er im richtigen Moment triebe zurück, wässert mit Bedacht seinen Grund und Boden und lässt farbenfrohe Blüten um sich herum erstrahlen.

Es ist die Einfachheit der Worte, die Djamila Pereira De Almeida verwendet und die Taten, die sie ihrem Celestino angedeihen lässt, die den Leser dieses vorzüglichen Büchleins nicht in Ruhe lassen. Hier kommt kein großer Knall, der alles auf den Kopf stellt. Celestinos Leben ist schon längst von links auf rechts gedreht worden.  Er genießt das Hier und Jetzt. Das, was einmal war, ist und bleibt ein Bestandteil seines Lebens. Und das für immer. Doch Celestino bevorzugt es sich nun gerade jetzt gut gehen zu lassen.

Als Leser kann man es sicht ebenso gutgehen lassen. Wie ein Blatt im Wind, das sanft auf eine saftige Wiese fällt, wiegt man sich im sanften Schaukeln der Wörter. Man wird sicher nicht zu einem besseren Menschen, wenn man dieses Buch liest. Aber man legt es zufrieden nach der letzten Seite neben sich, um immer wieder darin zu blättern.

Beinahe Alaska

Es gibt Reisen, die die ganz im Zeichen allgemein gültiger Sinnsprüche stehen. Der Weg ist das Ziel, ist so ein Spruch. Oft als Mutmacher, weil etwas nicht geklappt hat, missbraucht. Doch nicht nur einmal bewahrheitete sich der tiefere Sinn, und schiebt so manche Trübsal beiseite. So wie in „Beinahe Alaska“. Eine Fotografin und Autorin, Mitte 40, hat sich ihren Trip ins Eis Alaskas anders vorgestellt. Von Grönland kommend malt sie im Kopf schon die Bilder und für sich und die Ewigkeit. Es sind imposante Bilder. Sie werden beeindrucken. Sie, die Betrachter, den Auftraggeber.

Gibt es ein Buch, das sachlich, neutral die Freuden einer Kreuzfahrt ohne Beigeschmack erzählen kann? Nein! Denn eine Kreuzfahrt hat immer das schlechte Gewissen an Bord. Giftige Gase, die in den Himmel und die Nase steigen, sorgen dafür, dass ausgerechnet diese Kreuzfahrt ins Eis der Arktis zu einer der letzten Fahrten ins ewige Eis werden kann. Und dann die Passagiere. Oft meint man, dass es an jedem Ort der Welt immer Einen gibt, mit dem man selbst niemals ein Wort wechseln würde. Nervenaufreibend ist da noch die liebevollste Umschreibung für dessen Charakter. Und dann der durchgetaktete Ablauf an Bord, der zweifelsfrei notwendig ist, doch mit freier Entfaltung im Urlaub so gar nichts zu tun haben kann.

Die Ich-Erzählerin saugt alles in sich auf. Schließlich ist sie nicht zum Vergnügen hier. Diese Reise ist für sie Arbeit. Auftraggeber pochen auf die Deadline, die einzuhalten ist. Ihr eigener Anspruch steht bald schon im Gegensatz dazu. Landgänge sollen eine Abwechslung zur Routine an Bord sein. Doch auch mit festem Boden unter den Füßen sind die Mitfahrer nicht zum Umdenken und Anderssein zu bewegen. So bleibt ihr nur die Hoffnung, dass Alaska die Wende bringen wird. Das Ziel muss das Ziel bleiben. Doch es kommt anders. Das Eis, das seit Jahren zum Rückzug geschrieben und erzählt wird, schlägt dem Funktionsjackengeschwader die geballte Kraft seiner Ausmaße um den Bug. Schluss. Bis hierhin, und keine Buglänge weiter. Alaska? Weit weg. Hier setzt nun der Verstand ein. Die Erzählerin, Arezu Weitholz hat so eine Reise unternommen, und ist mit guten Gewissen als Zwillingsschwester der Erzählerin zu bezeichnen, hadert mit ihrer Mission, zweifelt an sich und ergibt sich nicht kampflos…

Alaska wird ein Traum bleiben, zumindest im Buch. Was der Autorin bleibt, sind die Erlebnisse auf dem Weg. Und die sind der Treibstoff, die den Leser zum Umblättern ein ums andere Mal antreiben. Steht anfangs noch die Aussicht auf das Ziel im Vordergrund, rücken die Begleiter steig in den selbigen. Ein köstlicher Bericht, eine Reise, die anders geplant war, ein Reiseziel, das nie erreicht wird. Und genau deswegen ist „Beinahe Alaska“ das vollkommene Reisebuch.